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ADB:Wünsch, Christian Ernst

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Artikel „Wünsch, Christian Ernst“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 317–320, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:W%C3%BCnsch,_Christian_Ernst&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 09:33 Uhr UTC)
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Wünsch: Christian Ernst W., der durch den Komet von 1769 in einen Professor verwandelte Webermeister, wurde am 31. October 1744 als der Sohn eines Webers in der Mediatstadt Hohenstein im Schönburgischen geboren. Nach dem frühen Tode seines Vaters verlebte er als Webespul- und Laufjunge die armseligste Jugend bei Brod und Kartoffeln mit Salz, dazu im Winter erfrorene Füße. Sein ohnehin verzagtes Gemüth ängstigte der Schulrector noch mehr durch gräßliche Schilderungen der ewigen Höllenstrafen und die Weissagung, daß Hohenstein wegen der Höllenbrut auf den Schulbänken das Schicksal Sodoms treffen werde. Wegen seiner vorwitzigen Fragen: Warum Gott die verführende Schlange im Paradiese geduldet, warum er Lot’s Weib lediglich darum, daß sie ein einziges Mal nach ihrer brennenden Vaterstadt zurücksah, in eine Salzsäule verwandelt, warum er Pharao’s Herz zehnmal verhärtet, folglich ebensoviele Plagen über Aegypten gehäuft habe, da er es doch bei den Läusen, welche die ägyptischen Hexenmeister nicht nachzumachen im Stande gewesen, hätte können bewenden lassen, wurde er von seinem gestrengen herrnhutischen Meister ein Grundtöffel gescholten, auch der Verstandesteufel oder Vernunftesel handgreiflich ihm ausgetrieben. Nachdem er vor offener Meisterlade losgesprochen und zum Junggesellen auf und angenommen worden, ging er auf die Wanderschaft, um Länder, Städte und fremde Sitten kennen zu lernen. Doch ist’s ihm, wie er spottet, gar nicht so gut wie den Kindern Israel in der Wüste geworden, denn die Schuhe wurden alt an seinen Füßen. Heimgekehrt, ist er auf Wunsch seiner Mutter Meister und Bürger geworden. Angeregt durch einen Kalender machenden Webermeister erwachte sein Wissenstrieb: ein Gelehrter war in seinen Augen das edelste, vollkommenste und erhabenste aller geschaffenen Wesen. Er verschlang Wolff’s Anfangsgründe der mathematischen Wissenschaften bis auf die Exponential- und Differentialrechnung, streifte, die Oryktognosis zu kosten, seinen Hammer in [318] der Tasche, Sonn- und Feiertags auf den umliegenden Bergen umher und übte sich in astronomischen Berechnungen. Jede von ihm vollkommen eingesehene mathematische Wahrheit war ihm eine unbeschreibliche Seligkeit. Nach dem Tode seiner Mutter probirte er’s, sein Einkommen zu verbessern, als hausirender Handelsmann. Als diese „Schacherspeculation“ mißlang, beschloß er, sein Fortkommen auf dem Ocean und in Ostindien zu suchen. Er verkaufte seinen Webstuhl, packte seine mathematischen Handzeichnungen, Boussole und Logarithmentafeln in einen Tornister und wanderte nach Leipzig, von dort, nach Ankauf einiger nautischer Bücher, seinen Weg nach Holland fortzusetzen. Hohensteinische Landsleute und den Autodidactus in mathematicis anstaunende Studenten hielten ihn zurück. „Nicht aufs Meer, nicht nach Indien! Studiren muß Er!“ So ward Leipzig sein Vorgebirge der guten Hoffnung. Eine Interimsstelle im Convictorium und, wenn diese versagte, ein Dreigroschenbrod wöchentlich füllte die Lücken seines Magens aus. Das Abschreiben von Collegienheften und Portraitiren von Studenten ließ seine Börse ebenso wenig leer werden, als der Prophet Elias den Mehlkasten der Witwe zu Zarpath. „Da erschien im August 1769 jener große Komet und bewies mir, daß das von mir angebetete höchste Wesen, welches die ganze Welt erfüllt und Alles regiert, mich durchaus wollte studiren lassen.“ Er construirte nämlich hölzerne Kometenplanetarien, die ihm nicht bloß gute Preise, sondern auch eine ordentliche Convictsstelle und ein meißnisches Procuraturstipendium eintrugen. In der Theologie ein halber Ketzer, auch die Jurisprudenz scheuend, da er die Vertheidigung offenbarer Ungerechtigkeiten würde übernehmen müssen, wählte er die Medicin. Nach Vollendung seiner Studien (1772–76) wurde er Doctor der Philosophie und Medicin und erhielt 1784 einen Ruf als Professor der Mathematik und Physik nach Frankfurt a. d. O. Nachdem er 1825 sein Magisterjubiläum gefeiert hatte, starb er am 28. Mai 1828 als Emeritus. Seine Bücher: „Kosmologische Unterhaltungen für junge Freunde der Naturkenntniß“ (3 Th. 1770. 2. A. 1791); „Gedanken über den Ursprung der Sprachen, Verfassungen, Künste, Religionen und Wissenschaften“ (1782); „Rabbinismus oder Sammlung talmudischer Thorheiten“ (1789); „Neue Theorie der Atmosphäre und Höhenmessung mit dem Barometer“ (1782); „Lucifer oder Nachtrag zu den bisher angestellten Untersuchungen über die Erdatmosphäre“ (1803); „Beleuchtung einiger in der Naturlehre überflüssig eingeführter Stoffe und Kräfte“ (1809); „Philosophische Beleuchtung einiger in der heutigen Naturlehre gebräuchlichen Stoffe und Polarisirung derselben“ (1824) werden wohl kaum noch gelesen oder von Fachgenossen berücksichtigt. Aber sein Name ist sowol in die classische Litteratur als auch in die Theologie gekommen, allerdings nur etwa in der Art, wie Pontius Pilatus ins Credo. Seine „Versuche und Beobachtungen über die Farben des Lichts“ (1792), darin er nicht mit Newton 7, sondern nur 3 einfache Farben annimmt, hat Goethe mit dem Xenion bedacht:

Gelbroth und grün macht das Gelbe, grün und violblau das Blaue!
So wird aus Gurkensalat wirklich der Essig erzeugt.

Zu Wünsch’s Entgegnung in der Jenaischen Litteraturzeitung (1807) bemerkt Goethe: „Herr W. muß einen sehr schlechten Magen haben, daß er den Gurkensalat immer noch nicht verdauen kann.“ Auf die erwähnten „Kosmologischen Unterhaltungen“ wird das Xenion „Der gestirnte Himmel“ bezogen:

So erhaben, so groß ist, so weit entlegen der Himmel!
Aber der Kleinigkeitsgeist fand auch bis dahin den Weg.

In der Theologie ist er bekannt oder berüchtigt worden durch das anonyme Buch „Horus oder astrognostisches Endurtheil über die Offenbarung Johannis und über die Weissagungen auf den Messias wie über Jesum und seine Jünger“ [319] 1783, nach Angabe des Verfassers zu Ebenezer (Halle) im Verlage des Vernunfthauses (andere meinten: des Tollhauses) erschienen. Die alttestamentlichen Weissagungen, insbesondere die eines Messias, sind ein Aegyptiacismus. Die ägyptischen Priester hatten einige Geheimnisse, die aber zuletzt in bloßen alltäglichen astronomischen Kenntnissen bestanden. Sie machten die Sonne zum Osiris, den Mond zur Isis, von beiden erzeugt entstand der Horus, die belebte und vegetirende Natur. Moses und die Israeliten hatten von den Aegyptern und ihrer Weisheit allerlei aufgefangen, sie benutzten diese wenigen erlangten Kenntnisse und machten Bilder zukünftiger Begebenheiten für ihr Volk daraus, die Astrologie der Chaldäer und Perser späterhin noch dazu nehmend. Bei Moses wurde aus der Sonne der Geist Gottes, aus dem Monde das Wasser, worauf er schwebte. Der von beiden Erstgeborene ist das Licht, auch das Wort (Logos) genannt, weil durch das göttliche Machtwort entsprungen. So sind die Christen zur Dreieinigkeit gelangt. Aus der vegetirenden Natur entstand der ägyptische Horus, aus dem jungen Helden Horus der jüdische Messias. Die Feinde, die der Herr nach Ps. 2 in seinem Grimm wie Töpfergeschirr zerschmeißen soll, sind die Feinde des Horus (der Saat), nämlich Mäuse, Maulwürfe, Raupen und Schnecken. Jes. 53 ist ein sehr treffendes Leichencarmen auf den (wenn in Aegypten die Aecker unter Wasser stehen) sterbenden Horus. Durch diese dunklen astrologischen Grillen der alten hochmüthigen und höchst geizigen Priester und Mystagogen ward Jesus irre geführt und in großes Leid gestürzt. Er und seine Jünger waren nicht Betrüger, aber einfältige und irrende Enthusiasten, denen der Kopf durch die fälschlich sogenannten Weissagungen verrückt worden ist. Sie bildeten sich ein, Jesus wäre der Messias und wendeten nun die Aussprüche der Propheten, die bloße astrologische Grillen waren, auf ihn an. Johannes oder wer sonst der Verfasser der sogenannten Offenbarung ist, hatte den ganzen Kopf davon voll. In der Bibel kommen neben manchen guten Sachen offenbare Gotteslästerungen und Huronengesänge vor. Moses erscheint als Betrüger und zugleich Pyrotechniker. Er ließ eine Art von Schwärmer (feurige Schlangen 4. Mos. 21, 6) unter das Volk werfen. Er lösete das goldene Kalb auf, d. h. machte aurum fulminans (Knallgold) daraus, womit er hernach den Korah mit Andern im Namen Gottes in die Luft sprengte. Die Säure, als er sie zur Auflösung des Goldes gebraucht hatte, vermischte er dann mit Wasser, um Kühltränkchen für seine Leute daraus zu machen. Als Aaron das erste Brandopfer vor der Stiftshütte zubereitet hatte, warf ein anderer Priester einen brennenden Wollenbüschel, der mit Terpentin und Kampher versetzt war, unbemerkt auf den Altar. Daß Moses zu sehr mit Feuer und giftigen Dampfkugeln um sich geworfen, erhellet auch aus den Feuerstrahlen, welche auf die 250 vor der Stiftshütte mit Räucherpfannen versammelten Männer von dem Herrn ausfuhren. Jesus, ein gutherziger und sanftmüthiger Mann, war doch nicht frei von Intoleranz und Uebereilungen, und seine Jünger verfluchten die Leute. Was in seiner Moral gut ist, das hatten die griechischen Moralisten schon längst gesagt. Jairi Tochter war bloß ohnmächtig. Lazarus stellte sich auf der listigen Schwestern Rath todt. Jesus selbst lag auch nur in einer Ohnmacht und konnte darum leicht auferstehen. Aber er vernachlässigte hernach seine Wunden, ein Wundfieber schlug dazu, daß er wirklich in allem Ernste starb. – An den „Horus“ schließen sich Wünsch’s „Esoterica oder Ansichten der Verhältnisse des Menschen zu Gott, nebst neuen Erörterungen über die heilige Urkunde der Geschichte der Menschheit, nur für die heiligen Statthalter Gottes auf Erden, keineswegs aber für das Volk“ (2 Th. 1818), worin er die messianischen Weissagungen wiederum aus mißverstandenen Hieroglyphen der Aegypter und Chaldäer von der Sonne erklärt; der Mensch Jesus beschließt, sie, damit sein Volk nicht [320] länger umsonst warte, so gut als möglich zu erfüllen und bedient sich dabei physicalischer Kunststücke zur Unterstützung seines Ansehens. – W. nährte in seiner Bonhomie die Hoffnung, durch den „Horus“ den schädlichen Folgen des längst eingerissenen Unglaubens vorbeugen zu können. Seine Gegner (die Gegenschriften sind in Danz’ Universalwörterbuch der theolog. Literatur S. 49 verzeichnet) belehrten ihn eines Anderen. Hamann nannte den „Horus“ eine Mißgeburt à la Boulanger. Die Allgemeine deutsche Bibliothek fand in demselben zwar nicht Ruchlosigkeit, aber Thorheit und aberwitzige Träume. Andere schalten den Verfasser einen rasenden Feind des Christenthums und wollten wenigstens in Bezug auf ihn die Möglichkeit oder Hoffnung nicht aufgeben, daß ein Esel in ein vernünftig redendes Thier verwandelt werden könne. W., wahrscheinlich darüber erschrocken, daß man über den „Horus“ in Leipzig „auf gut Spanisch ein Auto da fé gehalten“, wollte die Verfasserschaft nicht Wort haben. Aber gewisse Aeußerungen (z. B. der Cherub ein durch die Tradition den alten orientalischen Völkern überliefertes Bild eines merkwürdigen Gestirns) und Urtheile (z. B. über den scilicet frommen Lot, dessen mit seinen Töchtern in der Völlerei erzeugte Kinder nicht viel nüchterner geworden sein mögen, als er selbst war) in seiner Selbstbiographie und das Vorkommen derselben Kosmogenie (die Planeten durch erstaunliche Explosionen aus der Sonne geworfene Massen) in beiden Büchern lassen keinen Zweifel übrig, daß die allgemeine Meinung Recht hat. Gerade dem „Horus“ soll er seinen Ruf nach Frankfurt zu verdanken gehabt haben. An den Wahrheiten der natürlichen Religion hat W. festgehalten. Er glaubte an die Existenz eines besonderen Wesens, des gütigen Schöpfers, und sein ihm oft gezeigtes Wohlwollen. Frühere Zweifel am ewigen Leben sind ihm von Grund aus behoben worden. Wenn er, schon in der Jugend mit der Anschauung der Herrnhuter von der Gnade des Lammes in Collision und durch ihren „hohen Heiligkeitsdünkel“ geärgert, mit Voltaire übereinstimmte, daß Glaubenszänkereien den unversöhnlichsten Haß und unauslöschliche Rachsucht gebären, so wollte er gleichwol von den Voltairianern nichts wissen, die er nur als Schurken kennen gelernt habe. Das allgemeine Urtheil bezeichnet W. als gutherzigen Menschen, dem es nicht an Gedanken, aber an wissenschaftlicher Vertiefung fehlte.

Seine Selbstbiographie erschien unter dem Titel „Biographie meiner Jugend. Auch eine Bestätigung des Glaubens, daß Gottes Vorsehung über die Menschen waltet“. Frankfurt u. Leipzig 1817. – Frank, Gesch. d. protest. Theologie III, 151. – Aeltere Literatur in Fuhrmann’s Handwörterbuch der christl. Religions- u. Kirchengeschichte III, 982.