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ADB:Zyrl, Christian

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Artikel „Zyrl, Christian“ von Johannes Bolte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 579–582, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zyrl,_Christian&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:43 Uhr UTC)
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Zyrl: Christian Z. (Zierle), elsässischer Dramatiker zu Ende des 16. Jahrhunderts. In den Jahren 1572–1592, während deren er als „teutscher“ Schulmeister in der Reichsstadt Weißenburg am Rhein lebte, veröffentlichte er drei biblische Dramen, die er zuvor mit seinen Schülern oder jungen Bürgern aufgeführt hatte: 1) „Rebecca. Ein schöne Hochzeit Comedia, Von der vermählung des lieben Isaacs vnnd Rebeccae, aus dem 24. Cap. des 1. buchs Mosi, Sehr lustig vnd lieblich zu lesen vnnd zu hören.“ Straßburg, Thiebolt Berger 1572. 47/8 Bogen, 8° (Widmung vom 12. Juni 1571). 2) „Die gantze Historia vom Joseph in ein schöne Christliche Comediam gefasset.“ Straßburg, Berger 1572. 127/8 Bogen, 8° (Widmung vom 5. Februar 1572). 3) „Vrteil Salomons, Ein new Schön vnd liebliche Comedia, In welcher die Weißheyt Salomonis mit Neun Vrteiln, sampt einem Herrlichen Gespräch so der König Salomon mit der Königin auß Reich Arabia helt, erweitert vnd gezieret würdt, gantz lustig vnd lieblich zu lesen vnd zu spielen.“ Straßburg, Jost Martin 1592. 87/8 Bogen, 8° (gespielt am 15. August 1587. Widmung vom 25. August 1591). – Es sind dies achtungswerthe Leistungen eines an guten Mustern gebildeten Geschmackes. An die Schweizer Dramatiker gemahnt der große Umfang des zwölfactigen Joseph, dessen Aufführung zwei Tage und ein Personal von funfzig Spielern erfordert, und des siebenactigen Salomo, der gleichfalls in zwei Tagewerke zerfällt und 42 Personen zählt. Außer Hans Sachs, den Z. in der Vorrede zum Joseph als „berümpten teutschen Poeten“ feiert, hat er nachweislich Schauspiele seines Landsmannes Gart, des Kölners Jordan, des Augsburgers Betulius und der Sachsen Rebhun, Tirolff, Baumgart gelesen und sich dadurch anregen lassen. Aber er wahrt im Einzelnen seine Selbständigkeit und darf seinerseits mit vollem Rechte 1591 den Heidelberger Steinmetzen Thomas Schmid, der 1579 Zyrl’s Joseph als sein eignes Werk hatte abdrucken lassen, wie er ein Jahr zuvor Wickram’s Tobias überarbeitet hatte, einen „faulen Bossen“ und dreisten „Comedien-Rapper“ schelten. Zyrl’s Rebecca gewinnt sehr durch eine Vergleichung mit Tirolff’s älterem Schauspiele (1539), das Z. gekannt haben wird, wenn er auch im Vorworte behauptet, diese Historie sei bisher „Comediens weiß nicht verhanden“. Von liebevoller Beobachtung des täglichen Lebens und Begabung zu charakteristischer Kleinmalerei zeugt die Familienberathung in Bethuel’s Haus über die Werbung Eleezer’s (im 3. Acte) und die folgende, zwischen Scherz und Ernst wechselnde Unterhaltung der Gäste beim Mahle. Alles geht sittsam in den Formen der guten bürgerlichen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts zu. Die Kinder des Hauses decken den Tisch; der Tölpel Laban, der dem Fremden zuwinkt statt ihn höflich zu laden, wird vom Vater zurechtgewiesen, der auch den Gast gegen Neckereien beim Essen in Schutz nimmt. Ebenso entschuldigt [580] die Hausfrau die eilige Zubereitung des Mahles und läßt durch den Sohn die Fremden zu Bett geleiten und ihnen „all Gelegenheyt“ zeigen. Züchtig dankt Rebecca dem Freiwerber für die überreichten Gaben jedesmal mit Handdruck und Verneigung und nimmt am andern Morgen vom Schwesterlein zärtlichen Abschied. Hübsch ist der Schluß: als Rebecca von Isaac empfangen und von Abraham begrüßt worden ist, setzen sich alle fröhlich zu Tisch, und dann erbittet Isaac vom Vater die Erlaubniß zu einem Tänzlein mit seiner lieben Braut. Dagegen wirkt die eingeschaltete Intrigue der Teufel Satan und Belial, die Isaac durch ein altes Weib Eisenbarbel von seiner Werbung abzubringen suchen und die Vettel im Schubkarren zur Hölle führen, bei ihrer von vornherein sichtbaren Nutzlosigkeit matt; dies Motiv stammt wohl nicht aus Petrus Prätorius’ (s. d.) Rebeccaspiel (1559), sondern aus Rebhun’s Hochzeit von Cana (1546). – Eine größere Aufgabe stellte sich unser Dichter im Joseph, für den er Gart’s und Jordan’s Stücke in Einzelheiten nutzte. Hier begegnen wir namentlich im ersten Teile, der bis zur Erhöhung des Helden zum ägyptischen Minister reicht, derselben Detailmalerei wie in der Rebecca. Geschickt und lebendig veranschaulicht Z. Joseph’s Einmischung in die Händel zwischen seinen gewaltthätigen Brüdern und dem rechtlichen Nachbar Joab und das Anwachsen des Hasses gegen ihn; passend erfindet er einen Anlaß zum Ankaufe Joseph’s durch Potiphar, dessen Gattin zufällig von seiner Schönheit hört, ihn betrachtet und heimlich zwanzig Gulden zum Kaufpreise zuschießt. Den in der Bibel gegebenen Gegensatz zwischen Juda und Simeon führt er weiter aus und legt den älteren Personen Sprichwörterweisheit in den Mund. Planmäßig erweitert er die Handlung mit Hülfe einer apokryphen Quelle, der zu Anfang des 2. Jahrhunderts entstandenen Testamenta duodecim patriarcharum (Migne, Patrologia Graeca 2, 1025. Deutsch: Straßburg 1539 und 1596, Augsburg 1544, Frankfurt 1569). Besser als in der Rebecca bereiten die Intermezzi der Teufel Satan und Belial auf kommendes Unheil vor. Allein wo man den bewegten Ausdruck der Leidenschaft verlangt, kommt Z. nicht über eine lahme Nachahmung der Gart’schen Sophora hinaus (Anaphora auf Bl. E 6 a, H 8 a, N 7 a); und im zweiten Teile, der überhaupt viel trockener und nüchterner ausgefallen ist, findet er für die Rührung bei der Wiedererkennung der Brüder und beim Wiedersehen Jakob’s und Joseph’s nur schwächliche Ausdrücke. – Im „Vrteil Salomon’s“ hat Z. ein älteres Stück „von newem zugerichtet“, vermuthlich ein um 1570 zu Straßburg ohne Verfassernamen gedrucktes Drama (Goedeke2 2, 390), das mir ebenso wenig zugänglich ist wie die deutschen Behandlungen dieses Stoffes durch C. Berthold (1572) und einen Straßburger Anonymus (1605) oder die lateinischen Comödien von B. Evrardus (1568), L. Houthem (1581) und G. Jansen (1600). Es läßt sich daher nicht entscheiden, ob die Uebereinstimmungen Zyrl’s mit der von H. Bayer verdeutschten Sapientia Salomonis von Betulius (1547; eine Ueberarbeitung des lateinischen Textes im Londoner Addit. Mscr. 20061, s. Jahrbuch d. Shakespeare-Ges. 34, 224) und mit J. Baumgart’s „Gericht Salomonis“ (1561) ihm oder seiner Vorlage zur Last fallen. Die Composition ist locker, da der Streit der beiden Mütter Bilcha und Fura nur den zweiten Act füllt. (Bei Betulius und in der Einschaltung des handschriftlichen Zürcher Auferstehungsspiels heißen sie Tecnophila und Tecnophone, bei Hans Sachs (1551) Thamar und Cleopatra, bei Baumgart Havabena und Bendebera, im lateinischen Iudicium Salomonis des J. Molanus [Hdschr. in Leiden] Raab und Bela, in einer anonymen deutschen Comoedia de iudicio Salomonis (Hdschr. in Wolfenbüttel) Glycerium und Bachis, bei Pondo (1601) Thais und Misis.) Voraufgestellt hat Z. als erste Regierungsmaßregel des jungen Königs die strenge Abrechnung mit Abiathar, Joab und [581] Semei und das Gebet Salomo’s zu Gibeon; die Antwort Gottes jedoch läßt er später (IV, 1) durch den Kämmerer erzählen, um ebenso wie Betulius und Sachs die Erscheinung Gottes zu vermeiden. Im vierten Acte folgt der Besuch der Königin von Saba, die dem weisen Herrscher unter andern Räthseln auch das der Sphinx vorlegt und von ihm Belehrung über das ptolemäische Weltsystem und über Erbsünde, Rechtfertigung und das Sühnopfer empfängt. Dagegen verzichtet Z. darauf, wie seine Vorgänger den prächtigen Hofhalt, den Tempelbau, den Streit zwischen Hofleuten und Propheten oder die in dem verbreiteten Volksbuche beschriebenen Narrenstreiche des Markolfus vorzuführen, die Hans Sachs und frühere Fastnachtdichter (Keller 2, 529) ohne Scheu mit dem salomonischen Urtheile verbunden hatten; absichtlich vermeidet er sogar seinem Hofnarren diesen berühmten Namen beizulegen, wie es Betulius unbedenklich gethan. Bei solcher Zurückhaltung muß uns der krasse Realismus auffallen, mit dem die Tödtung Joab’s im 1. und die Steinigung Doeg’s im 3. Acte durch rohe Söldner vor den Augen der Zuschauer vollzogen wird, umsomehr als im Joseph die Hinrichtung des ägyptischen Bäckers geflissentlich hinter die Scene verlegt war. Die eigenartigste Erweiterung aber des biblischen Stoffes bieten die schon im Titel angekündigten weiteren acht Urtheile, die Salomo im 3. und 5.–7. Acte fällt; augenscheinlich stammt die Anregung dazu von Baumgart her, der die Weisheit des königlichen Richters durch drei Contrastscenen, ein übelbestelltes Raths-, Schöffen- und Hofgericht, zu heben suchte. Die Stoffe sind aus verschiedenen weltlichen Erzählungen von scharfsinnigen Entscheidungen geschöpft: 1) Hans Sachsens Urtheil des Herzogs von Burgund (Folio-Ausgabe 1, 189, 2, 3, 21. Kirchhof, Wendunmut 6, 243); 2) Baumzeuge (Kirchhof 1, 179); 3) Ertrinkender mit Verlust des Auges gerettet (nach einem Flugblatte M. Lindener’s; vgl. Montanus, Schwankbücher 1899 S. 638); 4) Mutter küssen (Brutus bei Livius 1, 56); 5) Ehrlicher Finder und unehrlicher Verlierer (Pauli, Schimpf und Ernst Cap. 115); 6) Drei Prinzen sollen nach der Leiche des Vaters schießen (Hans Sachs 1, 174. Gesta Romanorum c. 45); 7) Fleischpfand (Frankfurter Liederbuch 1582 Nr. 138. Gesta Rom. c. 195); 8) Eid mit Gold im Stabe (H. Sachs, hsg. von Goedeke 1, 297. R. Köhler, Kleinere Schriften 1, 115).

Auch die metrische Form verräth Sorgfalt und Streben nach Abwechselung. Z. hält auf Reinheit des Reims und „leichte und linde Aussprechung der Silben“ (Vorrede zum Joseph); falsche Betonung begegnet bei ihm selten. Nach Rebhun’s Vorbild (Höpfner, Reformbestrebungen 1866 S. 11. Weilen, Joseph S. 71) variirt er das Metrum nach dem Charakter der Sprechenden. Alte Leute, wie Abraham und Mahal in der Rebecca und Jakob und Joab im Joseph, reden in Zehnsilblern, die „lind und langsam“ vorgetragen werden sollen, die Teufel in Sechssilblern, die andern in gewöhnlichen achtsilbigen Reimpaaren. Im Salomo setzt er statt der letzteren „in mittelmässigem Gezänck sechs, in ernstlichem Hader vnd Zancken vier, ja auch ettwa zwo Syllaben,“ so daß z. B. Fura auf ihre Gegnerin so eindringt: „Wolher geschwind! Wir wollens theyln Mit Püff vnd Beuln. Da ligts auffm Platz; Wer gwint, der hats, Sei dir ein Tratz, Gleich wie ein Katz Ich dich zerkratz, Du lose Zatz.“ Aus den Bühnenanweisungen, die sich auch auf die Rede selbst beziehen („pausando“; „schweigt ein weil“), lernen wir, daß auf verschiedenen Stellen des mit „Hütten“ oder scenae (im Joseph erscheinen sieben solche Zelte) bestandenen Schauplatzes agirt wurde. – Eine Nachwirkung scheint nur das Josephdrama, das außer von Schmid auch 1592 von A. Puschmann und 1593 von J. Schlayß benutzt wurde, ausgeübt zu haben.

Die benutzten Exemplare der drei Comödien liegen in Straßburg, Darmstadt [582] und Bern. Ueber den Joseph vgl. A. v. Weilen, Der ägyptische Joseph im Drama des 16. Jahrh. 1887 S. 103; über den Salomo Odinga, Vierteljahrsschr. f. Littgesch. 2, 234; auch W. Kawerau ebd. 6, 26.