ADB:Gart, Thiebolt

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Artikel „Gart, Thiebold“ von Wilhelm Scherer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 372–373, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gart,_Thiebolt&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 01:49 Uhr UTC)
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Gart: Thiebold G., Bürger zu Schlettstadt und Dramatiker. Sein „Joseph“ (Straßburg 1540, Augsburg 1542, Nürnberg o. J., Straßburg 1559)[1] gehört zu den bedeutendsten und einflußreichsten deutschen Spielen des 16. Jahrhunderts. Er folgt im allgemeinen dem Vorbilde der berühmten Comoedia sacra gleiches Namens von dem Amsterdamer Schullehrer Cornelius Crocus (1536), ist aber im einzelnen ganz selbständig. Er führt uns zur Exposition gleich in die böse Stimmung der Brüder gegen Joseph ein, zeigt, wie sie dieser durch eine unvorsichtige Traumerzählung noch verschärft, und verfolgt dann die Geschichte seines Helden bis zum Empfange Jacobs und seiner Söhne bei Pharao. Der Glanzpunkt ist der zweite Act, wo Sophora, die Gattin Potiphar’s, [373] in einem nach damaligem Maßstabe ausgezeichneten Monolog ihre Empfindungen für Joseph, aber auch ihr inneres Schwanken, ihr Bewußtsein des Unrechts, ihr schamhaftes Zagen, sich dem Geliebten zu entdecken, darlegt und schließlich durch die Gunst des Augenblickes und die Gewalt der Leidenschaft zu den Geständniß hingerissen wird, welches dann immer tiefer und tiefer in Sünde führt. Der Dichter gibt wirklich psychologische Entwicklung, er zeigt uns das Wachsthum des Bösen in ihrer Seele, und er bedient sich dabei einer nicht blos äußerlich durch Reim und ungewöhnlich sorgfältigen Versbau, sondern auch durch innere Form poetischen, überall knappen und inhaltsreichen Sprache. Auch Nebenpersonen weiß er mit ein paar Strichen vortrefflich zu charakterisiren; fast keine Situation geht verloren, er weiß etwas Empfundenes oder Beobachtetes hineinzulegen. Der Rathschluß der Brüder gegen Joseph folgt in wirksamem Contraste auf ein anmuthiges kurzes Pastorale; auch die Brüder unter sich werden contrastirt; nachdem Joseph in die Grube geworfen ist, schmeckt dem Juda das Essen nicht („Mir ist so thörlich und so bang“); der verkaufte Joseph muß „erlaufen“, was Ismael, der Käufer, reitet; Pharao redet den Jacob „mein Alter“ an und fragt ihn, wie alt er sei etc. Es fehlt nirgends an kleinen Zügen, welche dem biblischen Stoffe mehr Leben und Gegenwart verleihen. Wenn Christus mit Propheten und Aposteln „in einem Winkel“ steht und gelegentlich das Wort ergreift, um diese Begleiter Parallelen zu seinem eigenen Leiden und Auferstehen ziehen zu lassen, so gewöhnt man sich bald an solche didactische Zwischenacte, die weit weniger stören, als die leidige zu jener Zeit so gewöhnliche Manier, die innere Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Gesinnungen und Handlungen zu vernichten, indem man die Personen des Dramas selbst von Lehrhaftigkeit überfließen läßt. Das Stück hat schon auf Andreas Diether (s. diesen Art. oben 5, 164) leise gewirkt, stärker auf Christian Zyrl (1573) und durch diesen auf Johann Schlayß (1593) und Joseph Göze (1612).

Lorenz-Scherer, Gesch. d. Elsasses 2, S. 265. 266. Palm, Beiträge, S. 97.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 372. Z. 8 v. u.: Eine neue Ausgabe von Gart’s Joseph besorgte Erich Schmidt, Straßb. b. Trübner 1880 (als 2. Theil der von Schmidt und Martin herausg. Samml. elsäss. Litteraturdenkmäler des 16. Jahrh.). [Bd. 12, S. 795]