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ADB:Gartner, Andreas

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Artikel „Gartner, Andreas“ von Jakob Franck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 373–376, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gartner,_Andreas&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 13:28 Uhr UTC)
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Gärtner, Andreas
Band 8 (1878), S. 373–376 (Quelle).
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Gartner: Andreas G. (Gartnerus), aus Marienberg in Sachsen (Mariaemontanus), Verfasser einer in der zweiten Hälfte des 16. und dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in sehr großem Ansehen gestandenen Sprichwörtersammlung. Seine Lebensverhältnisse sind völlig dunkel und wir wissen nur, daß er in Diensten des Rechtsgelehrten Dr. J. Knaust (Cnaustinus: Goedeke Gr. I. 198) stand, welcher auch der ersten Ausgabe der Sammlung einige empfehlende Worte vorausschickte und ihn bei diesem Anlasse „puer (in späteren Ausgaben: Notarius) meus et Amanuensis“ und „boni ingenii magnaeque spei Juvenis“ nennt. Indessen hatte G., der sich selbst in der Vorrede zur ersten Ausgabe seiner Sprichwörtersammlung (Bl. A 3 b) „Gartner“ unterschreibt, jedenfalls eine gelehrte Bildung genossen, wie ihm denn auch Agricola’s und S. Franck’s Sprichwörter nicht fremd waren und scheint in seinen freien Stunden mit schriftstellerischen Arbeiten sich beschäftigt und sein Brodherr ihn hierin gefördert zu haben. Nach einem in der Ausgabe der Sprichwörtersammlung von 1619 (Bl. T 5 a) enthaltenen lateinischen Briefe des Verfassers lebten ihm zwei Brüder, ein „Georgius“, sowie ein anderer „Johannes G. civis Annaebergensis“; das Vorwort des Knaust und eben so die Vorrede des G. zur ersten Ausgabe sind datirt: „Erpfordiae, Calendis Januarij. Anno 1566“, in welcher Stadt Knaust lebte. Die erste Ausgabe der Sprichwörter (es ist bis jetzt nur 1 Exemplar, auf der Augsburger Stadtbibliothek, von mir aufgefunden worden) und welche sämmtlich in rasch aufeinander folgenden Auflagen, mit Ausnahme der letzten vom J. 1619, in Frankfurt „apud Haeredes Christ. Egenolphi“ in kl. 8. erschienen sind, führt den Titel: „Prover- | bialia Dicteria, | Versibvs [374] Rhytmaticis, | … Etlich Teutsche Sprich- | wörter | in Lateinische Verßlin | … gefaßt … Per Andream Gartne- | rum Mariaemontanum … M.D.LXVI“ 40 Bl. Diese Ausgabe enthält lediglich gegen 1950 deutsch-lateinische Sprichwörter und Sprüche, sowie die schola salernitana und loci aliquot Phil. Melant. in libro de Anima … Die Ausgabe ist dedicirt dem D. Matthias Meinher „Antigrammateo in Metallicis Annaebergensibus“ und trägt keinen Ort, ist aber wahrscheinlich gleichfalls ein Erzeugniß der Presse des Chr. Egenolph. Von größerer Bedeutung sind die folgenden Ausgaben; sie erschienen: 1570. 1572. 1573. 1574. 1575 (Halle: Universitäts-Bibliothek), 1578. 1582 (München: St.-Bibliothek), 1585. 1591. 1598 (Augsburg und München, wo defect) und 1619 Francof. Typis J. N. Stoltzenbergeri, impensis Vinc. Steinmeyeri (Straßburg: Stadtbibliothek, untergegangen am 24. Aug. 1870), und sind sämmtlich mit verschiedenen nicht uninteressanten Beigaben „Extraordinaria quaedam“ und welche letzteren gerade, wie es scheint, dem Buche seine Beliebtheit und große Verbreitung verschafften, bereichert worden. Diese sind: Marcolphus, Regulae nuptiales, Sortilegium rhythmaticum, Prognostica seu practica perpetua, Praecepta valetudinis et morum und Monopolium philosophorum. Unter diesen begreifen die Praecepta die Regeln der sogen. schola salernit., die Prognostica die Praktik Henrichmann’s (vgl. d. Art.) vom J. 1506 und das letzte Stück ist die akademische Scherzrede (quaestio fabulosa) des Barthol. Gribus von Straßburg (vgl. d. Art.). Was aber die lateinisch-deutschen Sprichwörter betrifft, so ordnet sich in den späteren Ausgaben deren Inhalt unter 355 durch das Alphabet bestimmte Loci communes in der Art, daß jedem deutschen Spruche, deren Gesammtzahl 1731, sein sinnentsprechender lateinisch (öfters auch deren zwei) vorausgeht, welche letzteren mit Ausschluß aller in den „Extraordinaria“ enthaltenen auf 1702 sich belaufen. Der Verfasser beruft sich in seiner Dedication an Christian, den Sohn August’s, Kurfürsten von Sachsen, zur Entschuldigung und Rechtfertigung seiner Arbeit auf das Beispiel Luther’s und Melanchthon’s, welche sich nicht gescheut hätten, in ihren Schriften von solchen alterthümlichen Reimen Gebrauch zu machen. Zu der Zahl der älteren Sammler, welche erwiesenermaßen die „Proverbia Communia“ (vgl. über diese berühmte Sprichwörtersammlung von 1480–95: Suringar, Over de Proverbia Communia, Leyden 1864. 4.) mehr oder minder, sei es direct oder indirect als Gemeingut angesehen und benutzt haben, gehört auch G. Nach Suringar’s Untersuchung S. 105 sind von den 803 lateinischen Versen der P. C. 570 und selbst nicht wenige ihrer deutschen Sprichwörter in die Dicteria übergegangen. Ob aber G. unmittelbar oder erst durch das Medium der „Loci Communes proverbiales“ Basil. Opor. 1568. 8. des Bruno Seidelius (vgl. d. Art.) aus der niederdeutschen Sammlung geschöpft habe, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Wenn man nun aber auch in Betreff der Plagiate damals andere Ansichten hatte als heute, so ist doch in Betreff einiger Nebenstücke der Dicteria Gartner’s Verfahren nicht mehr ein Benutzen oder Entlehnen, sondern im wahren Sinne ein Plagium zu nennen, wenn sich derselbe erlaubte – abgesehen davon, daß er in der Einleitung zu den Prognostica sagt, er, G., habe diese aus dem Deutschen übersetzt, während sie doch ein wörtlicher Abdruck der des Henrichmann sind – in dem vollen Henrichmann’schen Originaltitel dessen Namen zu streichen und dafür den seinigen zu setzen, und ein sehr grobes Plagium, wenn er das von Henrichmann selbst seinem Schriftchen vorgesetzte Tetrastichon als sein eigenes, des „Andreae Gartneri“ carmen ausgibt und betitelt – ein sehr freies Verfahren, welches er obendrein auch für dessen ganze Vorrede an Schwartzenberg und Bebel, welche dort mit 1508, hier mit „Erfordiae 1591“ unterzeichnet ist, angewendet, klüglicher Weise aber doch nicht vergessen hat, am Schlusse der Prognostica die im Original [375] stehenden Initialen „I. H.“ zu streichen. Dies erregt kein günstiges Vorurtheil für das Uebrige. Wie dem aber auch sei; die weitaus größere Anzahl der deutschen Sprüche (worunter sehr seltene) bleibt dennoch sein unbestreitbares Eigenthum. Auch haben seine Sprichwörter und Sprüche einen um so größeren Werth als sie, etwa zur Hälfte, nicht wie in so vielen gleichzeitigen Sammlungen in harte Reime gezwängt sind, sondern in guter kräftiger Prosa, wie sie dem 16. Jahrhundert in seinen besten Schriften eigen ist, sich darstellen. Dazu kommt, daß auch ihre Auswahl und Anordnung eine sehr geschickte Hand zeigt, indem sie zu nicht geringem Theile durch Humor und Schalkhaftigkeit ergötzen. Auch die verschiedenen Beigaben liefern einige deutsche Sprüche in lateinischem Gewande, daß endlich selbst der lateinische Marcolphus eine erkleckliche Anzahl weit zurückreichender echt germanischer Sprichwörter biete, ist bekannt; vgl. Salomon und Morolf in Hagen und Büsching, Deutsche Gedichte des Mittelalters, Berlin 1808, I. Einleitung S. 1–24. Eine Fortsetzung der Sprüche des G., die jedoch nur handschriftlich als Unicum auf der Münchener Staatsbibliothek (Cod. lat. 10751) vorhanden ist, verfaßte Anthonius Huseman. Das Manuscript in Mönchsschrift in kl. 8., 258 (geschr. 257) einseitig bezifferte Blätter enthaltend, führt den Titel: „Perpulchri aliquot versus Rhytmici: partim ex vetustis manuscriptis Codicibus; partim etiam ex familiaribus bonorum virorum et Amicorum colloquijs, summo tum studio tum labore nunc primum conscripti, et celeberrimo huic opusculo Proverbialium Dicteriorum Andreae Gartneri Tc. quasi Appendicis loco adiecti. Per me F. Anthonium Huseman Beckemensem, sacrẹ Benedictinę Religionis apud Lisefontanos alumnum. Anno redemptionis nostrae 1575“. Wer und was der Verfasser war, läßt sich durch die Titelworte nur unvollkommen, aus dem Inhalte der Sammlung gar nicht entnehmen. Daß er aber jedenfalls ein Niederdeutscher und zwar ein Westfale war, zeigt nicht nur seine Sprache, sondern auch die Angabe seines Geburtsortes „Beckum“, in dessen Nähe auch „Lisefontani“, die Benedictinerabtei Liesborn im münsterschen Sprengel lag. Huseman schrieb nach Bl. 229b noch im J. „1580“. Was den Werth dieser größtentheils in niederdeutscher mit Anklängen an die hochdeutsche Mundart geschriebenen und schon von Mone (Anzeiger d. german. Museums 1838, 501 und öfters) vorübergehend benutzten Handschrift für die Sprichwörterkunde anbelangt, so ist derselbe ein nicht zu unterschätzender. Sie enthält eine äußerst wichtige Sammlung deutscher und lateinischer meist gereimter Sprichwörter und Sprüche in ähnlicher Weise und zum Theil in derselben Ordnung wie jene des G., dessen Ausgaben bis zum J. 1575 dem Verfasser bekannt waren. Unter den 253 deutschen Sprichwörtern finden sich sehr gute seltener begegnende Volkssprüche, auch fünf Priameln, und was die leoninischen Verse (1023) betrifft, so lassen sich auch aus diesen nebst Denk- und Sittensprüchen, Bauern- und Wetterregeln u. dergl. eine nicht unbeträchtliche Menge vortrefflicher alter deutscher Sprichwörter herauslesen, die, wie sich dies in der Regel bei dieser Versart findet (sie findet sich schon in Codices des 9. Jahrhunderts, vgl. Suringar a. a. O. S. 21), in weit entlegene Zeiten zurückreichen. Auch der übrige lateinische Inhalt (nur ein einziges Stück ist ganz deutsch) bietet manches sonst wenig oder gar nicht bekanntes, für die Sittengeschichte älterer Zeit aber sehr merkwürdige Beiträge. So finden sich Bl. 204 eine Saufmesse, Bl. 213 ein allerliebster „Cantus de lepore“, Bl. 214 ein Eselstestament und Bl. 192 eine Predigt über den h. „Invicem“. Vgl. die Abdrücke und deren eingehende Besprechung durch Wattenbach in seinen „Geistliche Scherze d. Mittelalters“ im Anzeiger f. Kunde d. d. Vorzeit, 1868, S. 38 ff.

Vgl. meine Abhandlung „Zur Quellenkunde d. deutschen Sprichworts“ in Herrig’s Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr. u. Lit. Bd. XL. S. 99–116 [376] u. 140–42 und meinen Aufsatz im Anzeiger 1867, S. 10–13 (Der Verfasser d. Loci Communes Proverb. Basil. Opor.), sowie meine „Antiquarische Bemerkungen zu einer Studienordnung d. lat. Schule zu Landau vom Jahre 1432“, S. 12. Einen Abdruck der Huseman’schen Sprüche in deren Originalschreibweise und mit vortrefflichen Wort- und Sacherklärungen hat Fr. Weinkauff besorgt in R. Pick’s Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde I. S. 465–82 und 576–91.