Abdul-Medschid

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Titel: Abdul-Medschid
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 391–392
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[391] Abdul-Medschid. Wie gerecht und tolerant der jetzige Sultan gegen seine Unterthanen verfährt, davon nur ein Beispiel: „Nicht weit von Bebek, einem niedlichen Dorf am Bosporus, wohnte noch im Frühjahr 1830 ein armenischer Kaufmann, der sich ein ansehnliches Vermögen erworben hatte und beträchtlichen Einfluß in seiner Gemeinde besaß. Die Gegenstände, mit welchen er handelte, waren solche, die nur einen geringen Raum einnehmen: Juwelen, Rosen-Essenz, Parfüms, kostbare Droguerieen, Stickereien, Kaschemir-Shawls und dergleichen, von welchen er in der erwähnten Zeit sein Haus voll hatte. Dieser Mann war veranlaßt worden, die Predigten der Missionäre in Bebek zu hören, die eine so große Wirkung auf ihn hervorbrachten, daß er sich von der armenischen Kirche lossagte und Protestant wurde. Die Priester seines früheren Glaubens thaten Alles, was in ihrer Macht lag, ihn durch Ueberredung, Schmeichelei, Drohungen, Bitten von seinem Vorsatz abzubringen – vergebens: der Kaufmann hatte die Wahrheit erkannt und war entschlossen, sie nicht zu verläugnen. Man wandte sich an den Patriarchen. Bekanntlich giebt es nicht nur einen griechischen, sondern auch einen armenischen Patriarchen, der dieselben Mittel gegen den Abtrünnigen versuchte, die seine Untergebenen gebraucht hatten, ohne aber ein besseres Resultat zu erzielen. Seiner fruchtlosen Bemühungen überdrüssig, gab er endlich Befehl, den unglücklichen Kaufmann in den Bann zu thun und ihn vom Altar herab als eine exkommunizirte Person zu verkünden. Einige [392] Tage darauf versammelte sich eine zügellose Rotte von Griechen und Armeniern, bewaffnet mit allen möglichen Werkzeugen der Zerstörung, vor dem Hause des Schuldigen, verjagte die erschreckte Familie, die sich größtentheils bei ihrer Annäherung geflüchtet hatte, riß das Gebäude dann von Grund aus nieder und machte ein Freudenfeuer aus den Geräthen und Waaren.

Der Mißhandelte begab sich zum Großwesir, um über die Zerstörung seines Eigenthums Klage zu führen und Gerechtigkeit zu fordern. „Ich sehe nicht ein“, erwiederte der Wesir, „Was ich dabei thun kann. Wenn ich mich einmische, so wird es ein außergerichtliches Verfahren sein und denjenigen eine Handhabe geben, welchen schon Alles, was sie Neuerungen nennen, zuwider ist. Die Alt-Türken nennen mich bereits Diaul(Teufel-) Pascha, was würden sie erst sagen, wenn ich mich zum Richter zwischen Christen aufwürfe?“ Indessen schien es doch, als ob der Vorgang mit dem Armenier den Wesir auf einen neuen Gedanken gebracht habe. „Komm morgen wieder“, sagte er, „und obgleich ich selbst Dir nicht helfen kann, will ich Dich zu Einem führen, der es vermag.“ … Am folgenden Morgen lag eine Kaika bereit, und zu des Kaufmanns Schrecken fand er sich bald in der „Allerhöchsten Gegenwart“. Der letzte Theil des vorhergehenden Tages war zu einer genauen Untersuchung verwandt worden, und der Minister hatte einen Bericht über den Vorgang an den Sultan abgestattet, der, wie ein wahrer Harun-al-Raschid, die Sache selbst in die Hand zu nehmen beschloß. Sobald der Armenier seine Unterthänigkeit bezeugt und seine Freude darüber ausgedrückt hatte, daß man ihn der Ehre gewürdigt, den Bruder der Sonne und den Monden zu erblicken, stürzte der Großherr sich augenblicklich in medias res. „Man berichtet mir“, begann Se. Hoheit, „daß die Armenier in Bebek und der Nachbarschaft Dein Haus zerstört und Dein Eigenthum verbrannt haben. Das ist sehr unrecht, sehr unrecht; aber sage mir nun auch, was Du ihnen gethan hast, denn ohne Ursache reißt Niemand das Haus eines Anderen nieder. Welches Verbrechen hast Du begangen?“ – „Geruhen Ew. Hoheit“, erwiederte der Armenier, „ich habe kein Verbrechen begangen: ich verließ nur, was sie den Glauben nennen.“ – „Es ist ein schlimmes Ding“, sagte der Sultan, „den Glauben zu verlassen; aber welchen Glauben hast Du verlassen?“ – „Ich verließ den Glauben, der mir befahl, mich vor der Panagia (der Jungfrau Maria) und den Heiligen zu verbeugen und sie anzubeten.“ – „Was? jene gelb gemalten Dinge, von denen man mir sagt, daß die Christen sie verehren?“ – „Ja, Ew. Hoheit, aber es sind nicht Christen, welche sie verehren. Seitdem ich ein Christ bin, habe ich mich nicht mehr vor der Panagia gebeugt.“ – „Du thust ganz recht; es giebt nur einen Gott, und Muhammed ist sein Prophet.“ – Der Kaufmann verneigte sich ehrerbietig bei den Worten den Sultans, obwohl ohne Zweifel mit einem stillen Vörbehalt; allein Niemand darf es wagen; dem Beherrscher der Gläubigen zu widersprechen. Abdul-Medschid fing nun an, sich über die Einzelnheiten des Vorgangs genau zu erkundigen, und da er fand, daß die Aussage des Armeniers vollkommen mit dem übereinstimmte, was der Wesir gemeldet hatte, so ward der Kaufmann entlassen, und es erging ein Befehl an den Patriarchen der armenischen Kirche, sich am nächsten Tage zu derselben Stunde in Beschiktasch einzustellen.

Mit Furcht und Zittern erschien zur bestimmten Zeit der Prälat. Der Sultan war augenscheinlich übler Laune: er wartete kaum, bis die stereotypen Kniebeugungen vorüber waren, als er ihm zurief: – „Was soll das bedeuten, daß Eure Leute die Habe meiner Unterthanen verbrennen und ihre Häuser niederreißen? Bin ich nicht der Sultan-ad Din? Untersteht man sich, meiner Gewalt zu spotten?“ Der bestürzte Patriarch versuchte eine Erklärung zu stammeln. „Nichts!“ schrie der Sultan, „ich weiß Alles, was vorgegangen, und habe meinen Entschluß gefaßt.“ – „Möge es Deiner Hoheit gefallen –“ „Es gefällt mir nicht, und deshalb eben habe ich Dich rufen lassen. Nun höre, was ich zu sagen habe. Ich verfolge keinen wegen seiner Religion und will nicht erlauben, daß Du es thust. Gott ist groß; Ihr aber betragt Euch nicht besser, als die Schweine. Dieser Mann setzt sein Vertrauen in Gott und ruht in unserm Schatten; er soll nicht beraubt werden. Vernimm nun“, fuhr Abdul-Medschid fort, von dessen Gesicht alle Spuren von Zorn verschwunden waren, „dieser Kaufmann muß für seinen Verlust entschädigt werden. (Der Patriarch erblaßte.) Da der ihm zugefügte Schaden von meinen Unterthanen herrührt, so muß meine Schatzkammer denselben vergüten. Niemand soll Uns vergeblich um Schutz gegen Unterdrückung anflehen.“ – Se. Heiligkeit schöpfte wieder Athem. „Deine Hoheit ist die Quelle des Trostes und die Rose der Gerechtigkeit“, fing er an. – „Ohne Zweifel bin ich das. Demzufolge muß ich auch alles Unrecht wieder gutzumachen suchen, das gegen diejenigen begangen wird, die unter dem Schatten des grünen Banners ruhen. Bliebe ich jedoch hierbei stehen, so würden alle wahren Gläubigen mich anklagen, da ich ihnen dann eine Last auflegen würde, um die Verbrechen von Hunden und Ungläubigen zu sühnen. Wenn ich also den Kaufmann entschädige, so mußt Du mich entschädigen.“ Jede Spur von Farbe verschwand bei diesem Ausspruch vom Gesicht des Patriarchen. Er öffnete den Mund, vermochte aber nicht, ein Wort hervorzubringen. Es war auch nicht nöthig; der Sultan machte ihm ein Zeichen, daß er zu schweigen habe. „Künftige Woche um diese Zeit wird dem Armenier sein Schaden ersetzt werden; an demselben Tage in der darauf folgenden Woche wirst Du den Betrag an Unsere Schatzkammer einzahlen, und dann wird Dir, sobald Du willst, Unsere kaiserliche Erlaubniß und Ermächtigung ertheilt werden, die Uebelthäter, welche durch Dich, o Vater des bösen Raths! zu diesem Vergehen aufgestachelt wurden, Deinerseits zum Schadenersatz anzuhalten. Jetzt habe ich nur noch die Summe anzugeben, um deren Wiedererstattung es sich handelt; der Kaufmann schätzt seinen Verlust auf achtmal hunderttausend Piaster (ungefähr funfzigtausend Thlr.); da jedoch in der Eil und Verwirrung, die von einem solchen Vorfall unzertrennlich sind, viele werthvolle Gegenstände seinem Gedächtniß entfallen sein müssen, so wollen wir diesem Betrage noch die Hälfte hinzufügen und ihn auf zwölfhunderttausend Piaster feststellen, was den Gekränkten einigermaßen für die Leiden entschädigen wird, die er unschuldigerweise erduldet. Unser Schatzmeister wird ihm künftige Woche 1,200,000 Piaster auszahlen, und in der folgenden wirst Du uns diese erstatten.“ – Noch einmal versuchte Se. Heiligkeit zu sprechen, aber der Sultan klatschte in die Hände. „Es ist genug!““