Abend auf dem Chiemsee
[708] Abend auf dem Chiemsee. (Zu dem Bilde S. 705.) Der Abend sinkt herein über den Spiegel des Chiemsees, langsam gleitet das Schifflein durch die Fluten, während drüben die Bergkette beginnt, sich in blauen Duft zu hüllen und im Osten der Vollmond heraufsteigt. Seitwärts ruht die Fraueninsel mit ihren vielhundertjährigen Linden und dem uralten Kloster wie ein Eiland des Friedens über dem stillen Wasser; nur das Horaglöcklein tönt über den weiten Seespiegel hin; sonst kein Laut ringsum als das leise Geplätscher am Schiffsende, wo die alte Fischerin lässig das Ruder bewegt. Still bleiben auch alle Insassen des Kahnes, die Nonne, deren Blick sich von dem Andachtsbuch in ihrer Hand dem sacht aufglimmenden Sternlein am Himmel zuwendet, die junge Klosterschülerin, welche beflissen die altertümlichen Schnörkel und Bilder auf den vergilbten Blättern betrachtet, und endlich das kleine Enkeltöchterlein der Fischerin, das gar nichts denkt, sondern nur den linden Abend wohlig genießt. Sie alle stimmen ebensogut zu dem tiefen Frieden ringsum, als sie recht eigentlich zur Chiemseelandschaft gehören. Denn Fischer und Klosterleute fuhren hier vor tausend Jahren wie heute. Br.