Abhärtung

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Textdaten
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Autor: Friedrich Dornblüth
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Titel: Abhärtung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 268–271
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Abhärtung.
Von Fr. Dornblüth.

Die ursprünglich so weiche und empfindliche Haut der Hohlhand und der Finger wird bekanntlich durch häufiges Handhaben harter Gegenstände allmählich so fest und widerstandskräftig, daß sie ohne Schaden Reibungen verträgt, welche ungewöhnten Händen Schwielen und Blasen verursachen würden. Ferner ist bekannt, daß durch regelmäßig gesteigerte Ausarbeitung der Muskeln in Verbindung mit methodischem, anfänglich sanftem, aber allmählich nachdrücklicherem Reiben und Kneten das Fleisch so fest wird, daß endlich selbst derbe Stöße und Schläge, die bei nicht Abgehärteten Beulen und Blutunterlaufungen hervorrufen, gar keine merklichen Folgen nach sich ziehen.

Durch Emittelung des specifischen Gewichts ist es dem Professor Jäger in Stuttgart gelungen, nachzuweisen oder wenigstens höchst wahrscheinlich zu machen, daß solche Abhärtung auf einer Verminderung des Körpergehaltes an Wasser und Fett gegen eine Vermehrung der festen, eiweißartigen Körperbestandtheile beruhe. Diese Umwandlung geschieht dadurch, daß Gewöhnung und Uebung vermehrten Zufluß von Ernährungssäften und gesteigerte Ernährung der betreffenden Körpertheile hervorrufen; der Saftzufluß darf aber nicht das Aneignungs- und Wachsthumsvermögen der Theile überschreiten, denn alsdann sind Ausschwitzungen wässeriger oder blutiger Flüssigkeiten (Wasser- und Blutblase), Störungen des Zusammenhanges und der Ernährung der verletzten Theile u. dergl. m. die Folge der übermäßigen Reizung. Diese Art von Abhärtung gelingt also nur bei vorsichtiger Reizung, bei nicht zu häufiger Wiederholung und nicht zu rascher Steigerung derselben, sowie bei genügender örtlicher und allgemeiner Ernährung.

Mit geistigen Anstregungen ist es nicht anders: mäßige und vorsichtig gesteigerte Geistesarbeit vermehrt die Geisteskräfte; übermäßige Anstrengung erschöpft sie. Letzteres sehen wir z. B. bei Kindern, die zu früh in die Schule kommen oder mit Lernen und anderen Schularbeiten überlastet werden. Die Geistesarbeit vollzieht sich auf Kosten der im Gehirn vorräthigen Stoffe und Kräfte; wird von diesen mehr verbraucht, als in Ruhepausen – durch Schlaf und Nahrung – ersetzt werden kann, so leidet die Leistungsfähigkeit. Wenn es von Schülern heißt, sie halten in späteren Jahren nicht, was sie früher versprochen haben, so dürfte meistens Ueberanstrengung die Schuld tragen, und wenn man nicht bei den ersten Zeichen der Ermattung für Schonung und Ersatz sorgt, so wird man den Schaden nur schwer wieder gut machen können.

Haben wir bisher mäßige, aber oft wiederholte Reizungen als wesentliche Grundlage der Abhärtung kennen gelernt, so verhält es sich bei der Abhärtung gegen Witterungseinflüsse ganz ebenso, wenngleich der Zusammenhang oft nicht so klar und einfach erscheint. Wer eine mehrwöchentliche Sommerfrische am Meer oder im Gebirge durchmacht und sich dabei zweckmäßig verhält, der [270] wird weit weniger empfindlich gegen Hitze und Kälte, gegen Wind und Regen nach Hause zurückkommen; wer indessen in der thörichten, aber viel gehegten Meinung, am Meere erkälte man sich nicht, oder die Gebirgsluft mache alle Fehler wieder gut, seine Sommerfrische mit Unvorsichtigkeiten beginnt, der wird ebenso sicher Katarrh und Rheumatismen oder noch schlimmere Dinge davontragen, wie der solcher Arbeit Ungewohnte vom Turnen und Rudern Beulen und Schwielen, vom Bergsteigen lahme Beine. Auch hier gilt es, den Reiz der Leistungsfähigkeit anzupassen, durch öftere Wiederholung der Reizung und durch die erforderliche Pflege aber die Organe allmählich an immer stärkere Reize zu gewöhnen und dadurch auch gegen bedenkliche Einflüsse abzuhärten.

Am wichtigsten ist auf diesem Gebiete die Abhärtung gegen Erkältung, von der zu einem nicht geringen Theil unsere ganze Gesundheit und selbst unsere Lebensdauer abhängt. Den abkühlenden und erkältenden Einflüssen aber ist vorzugsweise unsere Haut ausgesetzt; erst in zweiter Reihe die Athmungswerkzeuge, die viel seltener die Folgen eingeathmeter kalter Luft, als die Folgen einer Hautverkühlung zu tragen haben; noch seltener werden die Verdauungswerkzeuge (durch kalten Trunk oder Gefrorenes) unmittelbar erkältet, vielmehr haben auch sie öfter die Folgen einer Erkältung der Körperoberfläche zu büßen und sind ebenso wie die übrigen im Unterleibe eingeschlossenen Organe besonders durch Erkältung der Füße gefährdet. Die Abhärtung gegen Erkältung hat dem zufolge vorzugsweise die Haut in’s Auge zu fassen, namentlich die weiche, leicht schwitzende Haut, welche deshalb am meisten gefährdet ist, weil die Verdunstung der Hautfeuchtigkeit beträchtliche Wärmemengen bindet, sodann aber auch deshalb, weil diese Haut weniger Widerstandskraft gegen schädliche Einflüsse hat, als die feste, derbe Haut. Die planmäßige Abhärtung wird also diese Neigung zum Schwitzen zu beseitigen streben, womit dann zugleich eine größere Festigung des ganzen Hautorgans erzielt wird.

Das mildeste Reizmittel für die Haut ist die Luft, welche durch ihre ungehinderte Einwirkung den Blutzufluß zur Haut und dadurch deren Ernährung fördert; die Einwirkung kühler Luft macht zugleich die Athembewegung tiefer und kräftiger, fördert den Blutkreislauf und steigert hierdurch den allgemeinen Stoffwechsel und die gesammte Ernährung. Wird der Körperoberfläche mehr Wärme entzogen, als aus dem Innern ersetzt werden kann, so leidet der Organismus durch die zu große Abkühlung; daher können Leute mit schwachem Stoffwechsel, mit bleicher, kühler Haut, Blutarme und Herzschwache, weniger Wärmeverlust ertragen und müssen ihre Abhärtungsversuche auf anderem Wege betreiben. Ihnen gebührt zunächst allgemeine Kräftigung durch gute Ernährung mit sehr mäßiger Körperbewegung; der Genuß der freie Luft ist auch ihnen unumgänglich nothwendig, aber sie bedürfen des Schutzes wärmerer Kleidung, wie sie auch im Winter mehr Wärme nöthig haben. Da sie nicht fähig sind, sich durch kräftige und langandauernde Bewegung genügend zu erwärmen, so ist wenig anstrengende, von Ruhezeiten unterbrochene, aber häufiger wiederaufgenommene Körperbewegung erforderlich, und wie hierdurch allmählich Kräfte und Wärmebildung gemehrt werden, so muß dann in gleichem Schritte die Wärme des Zimmers und der Kleider heruntergesetzt werden.

Zum Schweiß geneigte und sich leicht erhitzende Personen dagegen bedürfen, wenn nicht eine besondere Krankheit zu Grunde liegt, geringerer Zimmerwärme und weniger dichter Kleider (und Betten), wie überhaupt bei ihnen alles vermieden werden muß, was den Schweiß hervorrufen oder vermehren könnte, mit Ausnahme kräftiger Körperbewegung, welche durch sich selbst Gegen- und Heilmittel bietet. Die Zimmer und die Kleidung solcher Menschen müssen besonders luftig sein, weil der beständige Luftwechsel die Schweißbildung erschwert; dagegen ist es oft nöthig, daß sie leichte wollene Unterkleider tragen, welche den Luftwechsel nicht hindern, im Gegentheil wegen ihrer Porosität sogar begünstigen, aber die Haut gegen rasche Temperaturwechsel mehr schützen, als leinene oder baumwollene Unterkleider. Diese Leute werden auch gut thun, wollene Hemden zu tragen, wenn sie eine Sommerfrische am Meere oder im Gebirge zur Abhärtung benutzen wollen, weil sie in diesem Schutze sich sicherer den Wärmewechseln aussetzen können, was doch für die Erreichung ihres Zweckes unbedingt nothwendig ist. Kräftige Körperbewegung bei mäßiger, nicht erhitzender und fettarmer Nahrung ist daneben zur Kräftigung unerläßlich. So wird die meist vorhandene Neigung zum Fettansatz bekämpft und der Säftestrom von der Haut abgeleitet.

Die Kräftigung der Haut erfordert aber neben diese Maßregeln noch unmittelbare Eingriffe: nämlich kalte Waschungen, Abreibungen mit dem naßkalten Leinentuch, Regen-, Fluß- und Seebäder, besonders die vorzüglich wirksamen Meerbäder. Der hautabkühlenden und hautkräftigenden Wirkung des kalten Wassers müssen starke Reibungen und ausreichende, aber nicht übertriebene Körperbewegung, wenn irgend möglich im Freien, folgen, wodurch Erkältungen zugleich am sichersten vermieden werden. Bei schwächeren Personen, namentlich auch bei jüngeren Kindern, beginnt man mit den milderen Formen der Wasseranwendung, in der so eben genannten Reihenfolge, und steigt allmählich zu den kräftigeren auf. Die Seebäder sind um so wirksamer, je kühler, salzreicher und bewegter das Wasser ist. Dies der Vorzug der Herbstbäder, namentlich in der Ostsee, wobei aber auch die kühlere Luft von Wirksamkeit ist.

Wenn die Haut und das Gefäßsystem sehr empfindlich und erregbar sind, was sich durch Blutwallungen, fliegende Hitze, Herzklopfen und Neigung zu Blutungen neben der leicht eintretenden Schweißbildung zu erkennen giebt, so ist besondere Vorsicht und ärztliche Ueberwachung nöthig. Hier ist die Cur oft mit warmen Sool- oder Seebädern zu beginnen, die aber immer nur mäßig warm und allmählich kühler genommen werden müssen und sehr zweckmäßig mit einer kühlen Uebergießung oder Abregnung zur schnelleren Festigung der Haut geschlossen werden.

Bei mageren, dürftig genährten und im Allgemeinen schwächlichen Personen, sowie auch bei ganz kleinen Kindern würde die beträchtliche Wärmeentziehung durch kaltes Wasser in fast jeder Form der Anwendung zu viel Kräfte hinwegnehmen; hier sind zunächst lauwarme Bäder (warm genug, um kein Frieren zu veranlassen) und höchstens kühle Abreibungen oder Abwaschungen einzelner Körpertheile in Anwendung zu bringen, bis durch gute Nahrung, Aufenthalt und Bewegung im Freien etc. der Körper hinreichend gestärkt ist, um die kräftigeren Methoden der Kaltwasserbehandlung zu ertragen. Oft ist es nöthig, durch warme Einhüllung, sogar im Bette, oder durch erwärmende Getränke den nach dem Bade fortdauernden Wärmeverlust zu beschränken und die Wärmeerzeugung zu befördern. Die abkühlende Behandlung – das darf nie vergessen werden – kann nur dann von Nutzen sein, wenn ihr durch die innere Kraft des Organismus erhöhte Erwärmung nachfolgt; denn wie bei allen anderen Arten der Abhärtung soll auch bei der Abhärtung der Haut gegen Erkältungen ihre Festigung durch vermehrten Blutzufluß und bessere Ernährung ihrer Bestandtheile, einschließlich ihrer Nerven und Blutgefäße, erreicht werden.

Zugleich mit der Kräftigung der Haut und der allgemeinen Ernährung durch die oben geschilderten Abhärtungsmethoden gewinnt auch die Schleimhaut der obere Athemwege, besonders der Nase und des Halses, sowie der größeren Luftröhren, welche besonders Erkältungen ausgesetzt sind, eine größere Widerstandskraft gegen jene Reizungen, und selbst die so viel tiefer und geschützter liegenden Organe des Unterleibs nehmen an der allgemeinen Kräftigung theil. Wesentlich verhilft dazu auch das bereits erwähnte durch Bewegung, namentlich im Freien, und durch die vorübergehende Hautreizung angeregte Bedürfniß zu tieferen Athemzügen, wodurch die Lunge besser ausgelüftet, das in derselben kreisende Blut vollständiger von Kohlensäure befreit und reichlicher mit Sauerstoff versehen, das Athmungsorgan selbst allmählich vergrößert wird. Diese mit den abhärtenden Hautreizungen verbundene Steigerung der Athmungsthätigteit mahnt uns aber wieder zu der Vorsicht, daß wir nicht solche Abhärtungsversuche unternehmen, wenn irgend ein Theil der Athmungswerkzege sich in gereiztem oder krankem Zustande befindet; denn jedes geschwächte oder kranke Organ verlangt Ruhe und Schonung, so viel ihm davon bei den unaufschiebbaren Bedürfnissen des Lebens gewährt werden kann; die Athmungsorgane verlangen also unter solchen Umständen Verringerung des Athembedürfnisses durch Ruhe und Vermeidung jeder Reizung, durch Aufenthalt in warmer, aber reiner Luft, sowie geeignete Behandlung der gereizten Schleimhäute und Beseitigung des Hustenreizes.

Bei aller Verschiedenheit des Abhärtungsverfahrens im Einzelnen läßt sich, wie wir sehen, der Grundsatz feststellen, daß die Reizung des abzuhärtenden Organs nicht größer [271] sein darf, als um einen mäßigen, zu seiner besseren Ernährung ausreichenden Blutzufluß hervorzurufen, und daß sie deshalb die Fähigkeit des Organismus zur Gegenwirkung nicht übersteigen darf; ist letzteres der Fall, oder kehrt der Reiz zu häufig wieder, so ist nicht Stärkung, sondern Schwächung (oder Krankheit) die Folge. Auch ergiebt sich hieraus, daß Abkühlung nicht gleichbedeutend ist mit Abhärtung, denn die Abkühlung kann nur dann als Reizung dienen und als Nachwirkung den Blutzufluß und die Ernährung steigern, wenn sie rasch vorübergeht, während andauernde oder zu lange fortgesetzte Abkühlung die Blutströmung und Ernährung herabsetzt. Unter solcher Verkennung der Verhältnisse haben besonders häufig Kinder zu leiden, die sich nicht zur Wehre setzen und nicht einmal klare Auskunft über ihre Gefühle geben können. Weit ausgeschnittene Kleider, kurze Röckchen, die kaum bis an die Kniee reichen, baumwollene Socken und Schuhe mit papierdünnen Sohlen bilden oft die ganze Kleidung der Kinder, und darin sollen die zarten Geschöpfe, die vermöge ihrer kleineren Körpermasse weniger Wärme erzeugen, aber verhältnißmäßig mehr abgeben als Erwachsene, ihre Eigenwärme erhalten. Am besten ergeht es ihnen noch bei bedeutender Kälte, wo blaugefrorene Arme und Gesichter nebst Frost an Händen und Füßen schreiend an Abhülfe mahnen; sonst werden Durchfälle, die von Erkältung des Unterleibes und der Füße herrühren, gern irgend einer kleinen Süßigkeit, Husten und Schnupfen dem unvermeidlichen „Zug“, Mandelanschwellung und Stockschnupfen den Scropheln zugeschrieben. Kinder sollen gleich den Erwachsenen in ihren Kleidern wie in ihren Betten sich behaglich warm fühlen; nur dann können sie sich gesund entwickeln und die Widerstandskraft ausbilden, deren sie zum Leben bedürfen und die wir durch ein vernünftiges Abhärtungsverfahren zu stärken suchen.

Gute Ernährung, aber keine Ueberfütterung, Schutz gegen schwächende Einflüsse aller Art, gegen Entbehrungen ebenso wohl wie gegen Kälte oder Hitze, gegen Frieren wie gegen Schwitzen, Gewöhnung an die freie Luft und an kräftige Körperbewegung und endlich sorgsame Hautpflege durch vernünftige Benutzung des Wassers: das sind kurz die Grundzüge der Abhärtungslehre, deren verständige Befolgung viel Leid und Ungemach verhüten, Gesundheit und Schönheit begründen und sicherstellen kann.