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Adolf Diesterweg

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Adolf Diesterweg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 770–771
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[770] Adolf Diesterweg. (Mit Bildniß.) Wir sehen ihn vor uns, den Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht; gewaltige Brauen beschatten die Augen, aus denen noch bis ins Greisenalter hinein das Feuer der Jugend leuchtete. Bis in die letzten Tage seines Lebens – er wurde am 7. Juli 1866 zu Berlin ein Opfer der Cholera – trat er mit jugendlicher Begeisterung für die Ideen ein, deren Verwirklichung er sich zum Ziel gesetzt und für die er auch gelitten hatte. Ja, gelitten! Der herbe Zug um seinen Mund läßt die Bitternisse ahnen, die ihm auf seinem Lebenswege beschieden waren, aber widrige Winde konnten ihn nicht von seinem Wege abbringen. Kühnen Wagemuth spiegelt sein Antlitz wieder, und es ist, als ob der fest geschlossene Mund sich zu dem von seinen Lippen so oft vernommenen Zuruf öffnen wollte: „Durch!“ Freilich hat er sich einen großen Theil der Gegner durch die herbe Art seines Auftretens selbst geschaffen. Wo er im Volks-, insbesondere im Schulleben Mißstände entdeckte, deren Beseitigung ihm dringend zu sein däuchte, da kannte er keine Rücksichten. Von den Sachen glitt er leicht auf die Personen hinüber, und mit diesen verfuhr er nicht sehr glimpflich.

Das Leben Diesterwegs, der am 29. Oktober 1790, also vor nunmehr hundert Jahren, geboren wurde, ist in der „Gartenlaube“ wiederholt geschildert worden. Es führte ihn durch verschiedene Lehrerstellungen in Mannheim, Worms, Frankfurt a. M, Elberfeld und Mörs 1832 an die Spitze des Berliner Lehrerseminars für Stadtschulen, wo seinem Eifer, für eine Verbesserung und Veredlung des Volksunterrichts zu wirken, das weiteste Feld erwuchs. Mit hoher Begeisterung für den Erzieherberuf erfüllt, wußte er seine Zöglinge zu idealer Auffassung ihres künftigen Lebensberufs zu führen und sie mit der Kunst, geistweckend zu unterrichten, vertraut zu machen. Auch auf die bereits im Amte stehenden Lehrer wirkte er in gleichem Sinne ein. Ihren Blick lenkte er nicht bloß auf die Vorgänge in der Schulstube; er schärfte ihn auch für die Vorkommnisse draußen im Volksleben; er wußte sie zu Volkspädagogen zu erheben. Für einen Lehrerstand mit zeitgemäßer wissenschaftlicher und beruflicher Bildung beanspruchte er aber auch eine bessere amtliche und gesellschaftliche Stellung. Die Schule wollte er neben, nicht unter die Kirche, die Lehrer nicht unter, sondern neben den Geistlichen gestellt sehen. Seine Forderung, Schule und Lehrer müßten durch Fachmänner beaufsichtigt werden, harrt in Deutschland heute noch fast überall der Erfüllung. Sie war es, die neben seinem leidenschaftlichen Eintreten gegen den dogmatischen Religionsunterricht in den Volksschulen das Mißtrauen einzelner Kreise gegen ihn wachrief.

Adolf Diesterweg.

Als in den vierziger Jahren aus den höheren Regionen herab andere Winde als unter dem verstorbenen Könige Friedrich Wilhelm III. wehten, Diesterweg aber seinen Mantel nach diesem Winde zu drehen nicht gewillt war – persönliche Gegensätze zu seinem nächsten Vorgesetzten, dem Schulrath O. Schulz, kamen hinzu – da war er (1847) genöthigt, einen „längeren Urlaub“ zu nehmen, dem 1850 seine Pensionirung folgte. Aber er gab es nicht auf, für seine Ideen weiter zu wirken. Die berüchtigten preußischen Schulregulative vom Jahre 1854, welche die Bildung der Lehrer ganz gewaltig herabdrückten und durch Ueberbürdnng der Volksschule mit Gedächtnißstoff einen bildenden Unterricht zur Unmöglichkeit machten, fanden in ihm ihren erbittertsten Gegner. Ihre Beseitigung, die er bereits am Anfange der sechziger Jahre nahe wähnte, sollte er nicht mehr erleben. Aber durch sein Wort, welches seit 1858 von der Tribüne des preußischen Abgeordnetenhauses herab erscholl, desgleichen durch seine Schriften hat er viel dazu beigetragen, daß die Regulative mehrfach geändert oder wenigstens in zeitgemäßer Weise ausgelegt wurden.

Wie hoch nun auch Diesterweg die durch die Volksschule zu vermittelnde Bildung anschlug, so war er doch weit entfernt von dem Glauben, daß durch die Schule allein die Welt verbessert werden könnte. Stets betonte er, daß zur Hebung der sozialen Schäden noch manch anderes Mittel versucht werden müsse. Er stand schon dem Gedanken nahe, dem später Schulze-Delitzsch durch Einrichtung des Genossenschaftswesens Leben und Gestalt verlieh. Alle freiwilligen Bemühungen der Begüterten, das Los der Armen erträglicher zu gestalten, konnten seiner Unterstützung sicher sein. Auch hier zeigte er sich als echter Pestalozzianer, „Humanität“ hatte er auf seine Fahne geschrieben.

Allerwärts hat sich die deutsche Lehrerschaft gerüstet, den hundertsten Geburtstag Ad. Diesterwegs festlich zu begehen. Sie feiert in ihm nicht einen Mann, der tiefsinnige pädagogische Systeme erfunden hat, sondern einen gottbegnadeten Erzieher, der für die geistigen und leiblichen Bedürfnisse des Volkes ein warmes Herz gehabt, seine eigene ideale Begeisterung für seinen Beruf in die Kreise der Lehrer getragen hat und in Charakterfestigkeit, Berufstreue und praktischem Geschick ein Vorbild für alle Volksbildner gewesen ist.