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Künstler und Landwirth

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Textdaten
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Autor: Alfred v. Menft
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Titel: Künstler und Landwirth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 769–764
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Künstler und Landwirth.

Ein Erinnerungsblatt zum fünfundzwanzigjährigen Sängerjubiläum Heinrich Vogls.

An einem Augusttage des Jahres 1865 war eine kleine musikalische Gesellschaft im schmucklosen Probezimmer des kgl. Hoftheaters in München zusammen: der Intendanzrath Schmitt, die Kapellmeister Franz Lachner, Rheinberger und Meier, der Regisseur Sigl und der Hofopernsänger August Kindermann. Vor diesem gestrengen Kollegium stand ein junger Mann, der gewiß klopfenden Herzens die ganze Wichtigkeit jener Stunde für sein künftiges Leben empfunden hat – der 20jährige Schullehrergehilfe Heinrich Vogl. Er, der heute in der musikalischen Welt der große Wagner-Sänger genannt wird, sollte damals Probe singen.

In der Vorstadt Au geboren, ein richtiges „Münchener Kindl“, hatte es der junge Vogl drei Jahre vorher mit mehr Fleiß als Behagen zum Schullehrergehilfen in Ebersberg gebracht. Die schöne kräftige Tenorstimme, die in ihm nach Bethätigung rang, ließ jedoch keine rechte Befriedigung in ihm aufkommen. Er faßte sich ein Herz und bat seinen Kreisschulrath um Versetzung von der einsamen Filialschule nach einer größeren Stadt. Der Kreisschulrath aber – es thut nichts, wenn der Name des gestrengen Herrn nicht auf die Nachwelt kommt – wies dem jungen Lehrer in der schroffsten Weise die Thür. Da raffte sich Vogl zu einem heldenhaften Entschluß auf: er brach alle Brücken hinter sich ab und meldete sich zum Theater – als Chorist. Und nun sang er Probe. Nachdem er die A-Dur-Arie aus Méhuls „Joseph“ und die in Es-Dur des Tamino aus der „Zauberflöte“ von Mozart vorgetragen hatte, trat der alte Lachner, der schon früher erfreut geäußert hatte: „Nun, Stimm’ wär’ ja da!“ auf Vogl zu und sprach zu dem erwartungsvoll dastehenden: „Als Choristen können wir Sie nicht brauchen, aber“ – schmerzliche Pause – „als – Solisten“, und er bot dem glücklichen Schullehrer einen fünfjährigen Vertrag.

Heinrich Vogl als Lohengrin.
Nach einer Photographie von Jos. Albert in München.

Nun ging es ans Studieren. Lachner übernahm die gesangliche, Schauspielregisseur Jenke die darstellerische Ausbildung des hoffnungsvollen Tenoristen. Aber nicht nur Stimme, das kostbare und nie hoch genug anzuschlagende Material, war in reichem Maße da, auch Talent, schnelle Auffassung und jene außerordentliche Sicherheit im Treffen, jener durch und durch musikalische Sinn, der damals wie heute Heinrich Vogl vor so vielen seiner berühmtesten Fachgenossen auszeichnete. – Am 5. November 1865 betrat Heinrich Vogl zum ersten Male jene Bretter, die ihm zur Heimath werden sollten, als Max in Webers unsterblichem „Freischütz“. Sophie Stehle, damals ein Liebling des Münchener Publikums, sang die Agathe, Frl. Deinet (spätere Frau Possart) das Aennchen, der berühmte Bariton Kindermann den Caspar. Ein übervolles Haus erwartete mit Spannung den Neuling, den viele als liebenswürdigen Menschen, wenige als Schullehrer, der seinen Beruf verfehlt hatte, kannten. Als Vogl die erste Phrase „O diese Sonne!“ – mit seiner jugendfrischen prächtigen Stimme gesungen hatte, ging schon eine starke Bewegung durch das Haus; der Debutant hatte gewonnenes Spiel, das Publikum fühlte, daß es einen werdenden Künstler vor sich hatte, und Vogl trug an diesem Erstlingsabend vor nunmehr 25 Jahren einen so glänzenden Erfolg davon, wie er wohl nur selten einem Anfänger vergönnt gewesen sein mag.

Damals konnte man freilich den Werth und die Bedeutung seines Engagements noch nicht in ihrer ganzen Tragweite ahnen. Als Schüler Lachners stand Vogl zunächst noch auf streng klassischem Boden und hatte zu der „Wagnerfrage“, die ja gerade damals, nach der Berufung Wagners und Bülows durch den jungen König Ludwig II., hell aufgelodert war, so gut wie keine Stellung genommen. Später sollte sich dies ändern, ja gerade in das Gegentheil verkehren. Vogl hatte Wagner aus „Tristan“ vorgesungen, und „der Meister“ bestand darauf, daß der junge Sänger bei einem bestimmten Lehrer Gesangsunterricht nähme. Vogl nahm auch ein paar Stunden, ward aber nicht befriedigt und blieb aus. Wagner hat ihm dies sehr übelgenommen, bis auch er erkennen musste, daß er an dem jungen unscheinbaren Mann einen Interpreten seiner größten Bühnengestalten gefunden habe, wie ihm dazumal kein zweiter zu Gebote stand. Von dieser Zeit an verlor Vogl in den Augen Lachners und der Nachklassiker; erst später sollten diese mit Freude erleben, daß eine merkwürdige Vielseitigkeit und Stilgewandtheit den Künstler befähige, von der unendlichen Melodie unmittelbar in die strengen Formen der klassischen Musik überzugehen.

Die Wagnerianer nahmen Vogl als den Ihrigen in Anspruch vom „Tristan“ an, diesem „wagnerischsten“ der Werke Wagners, das an seinen Darsteller so fabelhafte Anforderungen stellt, daß diese Athletenleistung Vogls damals und noch lange als einzig und unerreichbar dastand. Das Werk selbst war am 10. Juni 1865, also vor dem Eintritt Vogls, zum ersten Male in Scene gegangen und dann dreimal wiederholt worden. Inzwischen hatte Vogl im Oktober 1867 die Tutzinger Schullehrerstochter Therese Thoma, die seit April desselben Jahres ebenfalls der Hofbühne als Sängerin angehörte, geheirathet. Die beiden kunstbegeisterten Leutchen hatten ganz für sich „Tristan und Isolde“ einstudiert, ohne vorläufig an eine öffentliche Verwendung zu denken. Da wünschte König Ludwig wieder einmal das Riesenwerk zu hören. Bachmann, welcher zum Tristan, und Frl. Seehofer, die als Isolde berufen war, erklärten, die Partien beim besten Willen nicht bewältigen zu können, und so frug man bei Vogls an, die auch bereit waren. Nach weiteren Vorbereitungen unter Bülow ging „Tristan und Isolde“ dank der wunderbaren Verkörperung der beiden Gestalten durch Vogl und seine ebenbürtige, ihn als Darstellerin sogar noch übertreffende Gattin am 20. Juni 1869 mit großem Erfolg über die Bretter. Der Ruhm Vogls und seiner Frau als „Wagnersänger“ verbreitete sich dann im Laufe der Jahre immer mehr, und wenn sich auch beide in zahllosen anderen Rollen nicht minder auszeichneten, so war es doch jene blendendere Eigenschaft, welche ihren Ruf begründete. Zahllose Gastspiele und – Bayreuth waren die Folge.

Vom Jahre 1875 bis in die jüngste Zeit haben Gastspielreisen den Künstler und seine Gattin fast in alle bedeutenderen Städte Deutschlands, ferner nach Wien, in die Schweiz, nach Riga und Petersburg, nach London etc. geführt und im vorigen Jahre zahlte Vogl auch dem Zug nach dem Dollar seinen Zoll und ging – nach Amerika. Es wäre ihm aber beinahe schlecht bekommen. An einem, wie sich erst später herausstellte, lebensgefährlichen Karbunkel leidend, betrat er das Schiff, das ihn übers große Wasser bringen sollte, und vom Schiff weg ging’s nicht ins stolze Metropolitan Operahouse, sondern ins deutsche Hospital, wo er dem Tode nahe ins Auge schaute, bevor er die großen Wagnerrollen singen konnte, welche ihm erst später die gewohnten Erfolge einbrachten.

Die gewohnten Erfolge! – Wenn Heinrich Vogl heute auf seine 25jährige Thätigkeit als Sänger und Darsteller zurückblickt, darf er sich ehrlich gestehen, daß er diese Erfolge stets nur der Anwendung rein künstlerischer Mittel verdankte. Von gewöhnlicher Mittelgröße und eher von untersetzter Gestalt, hat Vogl nichts von dem herkömmlichen blendenden Aeußeren, das sich bei so manchen Tenorgrößen mit einem beinahe sprichwörtlich gewordenen Mangel an höherer Intelligenz verbindet. Die Wirkung der Voglschen Rollen ist ausschließlich der edlen Stimme und dem künstlerischen Gebrauch derselben zuzuschreiben. Was immer wieder und auch jetzt noch, wo die Jahre immerhin einigen Zoll gefordert haben, an seinen Leistungen entzückt, ist die wunderbar innige Verbindung, die Ton und [770] Wort bei ihm miteinander eingehen. So voll und edel der Ton ist, so deutlich und durchdacht ist der Vortrag des Wortes.

Rechnet man hiezu noch die gediegene allgemeine musikalische Bildung, die Vogl besitzt, so überrascht es nicht mehr, daß derselbe als Konzertsänger nicht minder geschätzt ist wie auf der Bühne. Man weiß, daß der Konzertsaal für das Können jedes Sängers eine wahre Feuerprobe bedeutet; Vogl hat dieselbe nicht nur stets bestanden, sondern viele schätzen ihn sogar als Lieder- und Oratoriensänger noch höher wie als Opernsänger.

Neugierig, welche Rolle bei einem solchen Umfang künstlerischen Schaffens dem Sänger mit der Zeit wohl am liebsten geworden wäre, hat der Schreiber dieser Zeilen einmal danach gefragt. „Herrgott, das ist schwer zu sagen!“ antwortete Vogl, „ich singe gerne den Tamino, Adolar, Pylades, Achilles, den Evangelisten in der ‚Schöpfung‘, den Judas Maccabäus; ich singe leidenschaftlich gern schöne Lieder und den ganzen Wagner und hasse den Ritter Hugo in ‚Undine‘ und dergleichen Zeug. Was ich am liebsten singe? Ich weiß es nicht; alles, was ich kann.“

Und doch giebt es etwas, was der berühmte „Wagnersänger“ mindestens ebenso hoch stellt wie seine Bühnenerfolge – seine Oekonomie. Opernsänger und Oekonomie sind sonst Begriffe, die sich selten zusammenfinden, ja wohl meist gegenseitig ausschließen. Der kgl. Kammer- und Hofopernsänger Heinrich Vogl ist, fast möchte ich sagen, vor allem Landwirth. Im Jahre 1878 erwarb er das etwa eine Stunde oberhalb Tutzing am Starnberger See, der Heimath seiner Gattin, gelegene Landgut Deixlfurt mit 176 Tagwerk (etwa 60 ha) und 8 Stück Vieh. Heute ist das Gut auf etwa 1000 bayerische Tagwerk (340 ha) abgerundet und beherbergt 110 Stück Hornvieh, 12 Pferde etc. 500 Tagwerk sind 5 Fuß tief drainirt, eine Spiritusbrennerei von 1450 Hektolitern Kontingent ist eingerichtet, 350 Tagwerk umfaßt das Ackerland, eine rationelle Milchwirthschaft und gute Fischzucht hat er eingeführt; Jagd, Wiesen und Wald, alles findet bei dem bayerischen Opernsänger die liebevollste Pflege; denn Vogl läßt dies alles nicht etwa durch andere bewirthschaften, sondern lebt fast das ganze Jahr hier auf seinem selbstgeschaffenen Besitzthum, und fährt nur zu den Proben und den Aufführungen nach der Stadt in sein Absteigequartier in der Maximilianstraße. Er leitet alles selbst, fährt selbst auf die Viehmärkte, bewirbt sich um Preise auf landwirthschaftlichen Ausstellungen etc. Wenn man ihn an der Seite seiner Gattin und der blühenden Kinder durch sein ausgedehntes Besitzthum schreiten sieht, lernt man es fast verstehen, daß er auf diese bleibenden Spuren einer langjährigen gesegneten landwirthschaftlichen Thätigkeit noch stolzer ist als auf den schnell verwelkenden Lorbeer eines gottbegnadeten Künstlerthums, und man glaubt an das köstliche Wort, das er nach Vollendung einer „wagnerischen“ Gastrolle gesagt haben soll: „Heut’ hab’ ich mir einen Ochsen ersungen!“ –

Heinrich Vogl steht heute noch ungebrochen in der Vollkraft seiner Jahre und seiner Stimme, deren Metall und Ausbildung ihm noch Bürgschaft für eine Dauer von vielen Jahren geben. Er wird seiner Heimathbühne als Tenor das sein, was der Zeuge seines Probesingens, August Kindermann, als Bariton gewesen ist, bis ins hohe Alter – ein unvergänglicher Sänger! Alfred v. Mensi.