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Alexander des Großen Tod

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R. A.
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Titel: Alexander des Großen Tod
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 875–876
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[864]

Alexanders des Großen Tod.
Nach dem Oelgemälde von C. v. Piloty.
Photographie im Verlag von Fr. Hanfstängl in München.

[875] Alexanders des Großen Tod. (Mit Illustration S. 864 und 865.) Unter den großen Figuren der Weltgeschichte steht wie ein hellleuchtendes Sternbild der junge Heldenkönig, der in seinem kurzen Leben die höchsten menschlichen Güter genießen, die höchsten Leistungen vollbringen und auf dem Gipfel von Glanz und Glück scheiden durfte – wahrlich ein beneidenswerthes Los! Die Augen auch der heutigen Welt noch haften bewundernd auf dem märchenhaften Triumphzug, den er als Eroberer und Civilisator nach dem unbekannten Osten unternahm, einem Zug, den in seiner Gesammtausdehnung bis heute kein Einzelner wiederholt hat, der aber für jene Zeit eine der erstaunlichsten Leistungen war, ganz abgesehen davon, daß sich in der Person dessen, der Asien als Bahnbrecher griechischer Kultur durcheilte, die ganze damalige Weltgeschichte konzentrirte. Denn die Sonne Athens war auf dem Schlachtfeld von Chäroneia blutig untergegangen, und die Griechen durften sich noch sehr glücklich schätzen, daß der siegreiche Makedonierjüngling kein höheres Ziel kannte, als die geistige Erbschaft ihrer Heroen anzutreten, und keine größere Auszeichnung, als der Erste der Athener genannt zu werden. Im Gedanken an sie schlug er seine Schlachten, ertrug er Uebermenschliches in den baktrischen Wildnissen und der furchtbaren gedrosischen Steinwüste und kehrte endlich 323, nach zehnjähriger Abwesenheit mit seinen Heeressäulen aus der Dunkelheit wieder hervortauchend, nach dem unterworfenen Persien zurück als Herrscher der ganzen bekannten Erde, zu welcher er die größere Hälfte selbst hinzugefügt hatte. In Ekbatana feierte man dem nunmehr göttlich Verehrten glänzende Feste, Deputationen der Griechen kamen, ihm goldene [876] Lorbeerkränze zu bringen – da traf ihn als Mahnung des Schicksals der Tod seines Freundes Hephästion, der ihm vorausging wie Patroklos dem Achilles, und ganz wie Achilles warf sich Alexander laut stöhnend und verzweiflungsvoll über den Leichnam. Ihn zu bestatten, wie noch kein Fürst bestattet worden war, brach er nach Babylon auf, trüben Muthes, denn seine eigene Seele war voll Todesahnung, und als seine Seher ihn warnten, „gegen Westen“ (die Unterwelt) schauend, in die Stadt einzuziehen, suchte er, den Euphrat überschreitend, einen östlichen Eingang zu gewinnen, stieß aber auf ausgedehnte Sümpfe, so daß er unwillig den Vorsatz aufgab, und, dennoch nach Westen sehend, in Nebukadnezars Stadt einritt, deren Burgen und Thürme damals theilweise noch wohlerhalten standen.

Die brennende Qual um Hephästion, das Gefühl der furchtbaren Oede wich nicht mehr von dem Könige, auch nachdem er ihm einen goldüberdeckten Scheiterhaufen, ein architektonisches, statuengeschmücktes Prachtgebäude von ungeheuerem Werth, errichtet und 10 000 Stiere bei der Verbrennung geopfert hatte. Mit dem Freund war der beste Theil seiner eigenen Kraft vernichtet; keine der Frauen, die er sich zueignete, hat je seiner Seele nah gestanden, nicht die Dariustochter Statira, nicht Roxane, das wunderschöne baktrische Fürstenkind, das er auf seinem Zuge aus dem eroberten Felsennest ihres Vaters geholt. Von ihr aber hoffte er, in Bälde den Sohn zu erhalten, den Erben eines Weltreiches, das diejenigen der Pharaonen, Perser und Assyrerkönige weit übertreffen sollte. Riesenhafte Pläne wüchsen in seinem Geist: er wollte neue, kolossale Flotten bauen, Afrika damit umschiffen, Karthago erobern, ganze Völker von Europa nach Asien versetzen, und umgekehrt, keine Schranke mehr sollte ihm gebieten, den neuerdings die Götter selbst als einen der Ihrigen anerkannt …

Plötzlich, Anfang Juni 323, befielen ihn Fieberschauer. Er achtete ihrer nicht und saß noch mit seinen Generalen eine Nacht durch beim Wein. Am andern Morgen brach das Fieber aus. Zum Schutz vor dem glühenden Sonnenbrand ließ sich Alexander in die kühlen Terrassengrotten der „hängenden Gärten“ tragen; dort besorgte er von seinem Lager aus noch alle Regierungsgeschäfte, badete und opferte jeden Morgen und plauderte tagsüber mit seinen Freunden. Aber jeden Abend kehrten die Schauer wieder und setzten bald auch des Tags nicht mehr aus. Am siebenten Tag ließ sich der König in Nebukadnezars Burg zurückbringen, und als am achten früh seine Generale bei ihm eintraten, erkannte er sie wohl, konnte aber nicht mehr sprechen. Nun durchflog die Schreckenskunde: Alexander stirbt! mit Windeseile die Stadt, und das Heer, die Soldaten eilten schmerzerfüllt herbei, man konnte ihrem Andrang nicht gebieten und mußte ihnen das Sterbegemach öffnen. So zogen sie denn, Offiziere und Krieger, Mann für Mann, schweigend in tiefer Trauer an dem Todeslager ihres Königs vorbei. Er sah sie an und winkte einigen schwach mit der Hand; die ergrauten Veteranen schluchzten in fassungslosem Jammer bei seinem Anblick.

Diesen Vorgang hat Piloty zu der ergreifenden Darstellung gewählt, die zugleich die letzte Arbeit seines eigenen Lebens war und nicht zu völliger Vollendung gedieh. Aber wenn auch nur skizzirt, hebt sich doch des sterbenden Königs Haupt machtvoll heraus und die schon starr werdenden Augen lassen noch die Gewalt seines Blickes ahnen. Am Fußende des Bettes steht Roxane in feingefälteltem Byssosgewand mit traurig gesenktem Haupte, sie hält Alexanders Linke, während seine Rechte stürmisch umfaßt und geküßt wird von den Kriegern, die, das Stillegebot des chaldäischen Arztes nicht achtend, von ihrem Schmerz hingerissen zu seinen Füßen knieen. Andere drängen nach, herrliche Griechenjünglinge, wildaussehende Asiaten, sie haben Lorbeerkränze mitgebracht und werden sie zu Füßen des Götterbildes niederlegen, das die erflehte Heilung so wenig zu bewirken vermag wie der Kühltrank, welchen junge nubische Sklaven in der eisumgebenen Amphora bereiten. Die Schatten des Todes schweben über dem Haupte, das sonst siegreich voranleuchtend im kriegerischen Schmuck sein Heer von Triumph zu Triumph führte, das Heldengedicht von Alexanders Leben findet hier den Abschluß, welchen die Poesie für ihre glänzendsten Lieblinge fordert: auf schönster Höhe schnell zu enden, ohne den Rückschlag menschlicher Schicksale zu erleben.

Daß seine Figur mit ihrer leidenschaftlich glühenden Seele und fast übermenschlichen Thatkraft einen Künstler wie Piloty mächtig anzog, ist sehr begreiflich. Er hat sich mit dem gewaltigen Stoff des Bildes zwanzig Jahre lang getragen und ihn in immer wieder neuen Entwürfen geformt, bis er endlich die gegenwärtige Gestalt gewann. An ihre Ausführung hat der bereits Schwerkranke seine letzte Kraft gesetzt, und wo ihm der Pinsel entsank, da endete zugleich sein eigenes Leben. Das solchergestalt doppelt bedeutungsvolle Bild befindet sich heute in der Berliner Nationalgalerie, zu deren edelsten Zierden es gehört. R. A.