Als der Heiden Götzenbilder ragten
Wenn heute der Berliner Ausflügler in einem besonders schönen Orte, an harzig duftendem Waldessaum oder an silbern blinkendem See sich mit dem frohen Ausruf niederläßt: „Hier ists gut fein, hier laßt uns Hütten bauen!“, um neben der Natur seine „Frühstücksstulle“ zu genießen, dann denkt er wohl selten an die grauen Zeiten, die der Ort gesehen, dessen freundlich blickende Häuschen ihm ein trautes Willkommen zuzublinken scheinen und dessen See mit seinen plätschernden Wellen das Landschaftsbild so anmutig belebt. Ein solch prächtiges Fleckchen Erde ist der Seeort Wandlitz, an der Reinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn gelegen, und wenn im menschlichen Leben eine „bewegte Vergangenheit“ gerade keine Empfehlung bedeutet, so ist ein Ort, wie unser Erholungsbad Wandlitz, von dem wir einige neu auf genommene Bilder bringen, mit Recht stolz auf seine, ein Jahrtausend zurückreichende Geschichte. Bis ins Ende des 12. Jahrhunderts geht die Geschichte von Wandlitz zurück und hier nun vermischen sich wie immer Tatsache und Sage, so daß man „Wahrheit und Dichtung“ nicht mehr auseinanderhalten kann.
In der Feldmark von Wandlitz findet man noch heute Ueberreste von Wällen und aus dem „Mutterschoß der heiligen Erde“ hat man Urnen mit den verschiedensten Gegenständen darin gefunden, die bei den slawischen Völkern in Gebrauch waren, und es geht über die Entstehung des Namens auch eine Sage, nach der Wandlitz die Bezeichnung von der altslawischen Göttin Wanda hat, die in dieser Gegend hauptsächlich verehrt werden sei.
Auf der Feldmark jenseits des Wandlitzer Sees, nördlich vom Dorfe, lag bis vor etwa 70 Jahren einer der größten alten Opfersteine, dessen Gestalt selbst den Unkundigen seinen früheren Gebrauch erraten ließ. Welche Beziehung allerdings die heiligen drei Pfühle (vergl. „Sagen aus dem Kreise Niederbarnim“) für den heidnischen Kultur gehabt haben, ist nicht nachzuweisen, auch nicht, ob die Bezeichnung „heilig“ sich auf die Heidenzeit beziehe oder aus christlicher Zeit stamme. Die Tatsache, daß gerade dort in der ältesten Zeit ein Kloster gegründet wurde, spricht jedoch dafür, daß unweit davon ein Hauptsitz heidnischen Gottesdienstes war, ja es ist wahrscheinlich, daß das
[60][61] Kloster bei der Germanisierung und dem Einzug des Christentums zur Zeit Albrechts des Bären oder doch Ende des 12. Jahrhunderts schon gestiftet worden ist. Dem Hauptsitze der Wanda gegenüber befand sich also eine Pflanzstätte christlichen Wesens und Lebens. Trümmer des Klosters sind in nicht zu großer Tiefe gefunden worden. Seine Stelle hat früher ein Kreuz bezeichnet.
Die Wanda ist in der polnischen Sagengeschichte gleichsam eine mythische Person, die schöne Tochter Krakus, dem zu Ehren und zu seinem Gedächtnis die Stadt Krakau erbaut sein soll. Wanda verblieb jungfräulichen Standes; sie wurde von einem deutschen Fürsten mit Krieg überzogen, der aber, überzeugt von der Unmöglichkeit, sie zu überwinden, vor inbrünstiger Liebe zu ihr und vor Verzweiflung sich in sein Schwert stürzte.
Eines Zurückgehens auf die sehr zweifelhafte Kunde von der altslawischen Göttin Wanda bedarf es jedoch zur Erklärung des Ortsnamens nicht; denn daß er echt slawischen Ursprungs ist, unterliegt keinem Zweifel.
Zu den häufigen Endsilben slawischer Namen gehört die männliche Bildungssilbe „ik“, die der weiblichen Silbe „ice“ entspricht, woraus später die deutsche Endsilbe „itz“ wurde. Beide Endsilben bezeichnen u. a. einen Aufenthalts- und Aufbewahrungsort derjenigen Gegenstände, welche durch das Wurzelwort ausgedrückt werden. Die Wurzel aber des Namens Wandlitz ist in dem altpolnischen Worte „Wada“ ausgedrückt, das bedeutet soviel wie Angel, Fischangel, die noch heute in Rußland, wenn sie eine besondere Form einer Reuse hat, „Wanda“ genannt wird.
So läßt sich der Name Wandlitz aus der Lage an einem großen fischreichen See auf die ungezwungenste Weise erklären. Den See in seiner heutigen Gestalt, der das Landschaftsbild auf das anmutigste belebt, zeigen die beigegebenen Bilder. Der Ort wird als Seebad, Luftkur- und Erholungsort seit Jahren rege besucht, und wer Wandlitz vor etwa 2 Jahrzehnten gesehen, würde es heute nicht mehr wiedererkennen. Es ist eine schmucke Villenstadt geworden, die neben einer bequemen [62] Verbindung mit Berlin noch durch andere Vorzüge in ihrer raschen Entwicklung begünstigt wird. Der Ort hat Gasbeleuchtung für die Straßen und für den Wohnungsverbrauch steht elektrisches Licht zur Verfügung, und wo früher einsame, sandige Seeufer lagen, blüht heut von „duftigen Gärten ein blütenreicher Kranz.“ Kultur und Natur sind auf das glücklichste vereint, um aus dem Ort ein kleines Eldorado zu machen, das den eingangs angeführten Ausruf berechtigt: „Hier ist’s gut fein, hier laßt uns Hütten bauen!“