Altdeutscher Hochzeitszug
[163] Altdeutscher Hochzeitszug. (Zu dem Bilde S. 145.) Sitten und Gebräuche wechseln mit der Zeit, und so hat auch der Akt der Eheschließung im Laufe der Geschichte verschiedene Wandlungen durchgemacht. Der heidnische Germane raubte in ältester Zeit seine Braut, später kaufte er sie von ihren Eltern. Weltlichen Charakter behielt die Eheschließung auch in den ersten Jahrhunderten nach der Einführung des Christentums; erst am Tage nach der Hochzeit begaben sich die Neuvermählten in die Kirche, um sich dort von den Geistlichen einsegnen zu lassen. Später, vom 13. Jahrhundert an, wurde der Grundsatz aufgestellt, daß die Frau dem Manne von dem Priester übergeben werde, und so erfolgten die kirchlichen Trauungen zunächst vor der Kirchenthür und dann im Gotteshause selbst. In diese Zeit, am Ausgang des Mittelalters, versetzt uns das stimmungsvolle Bild Brunners. Die Neuvermählten, ritterlicher Abkunft, verlassen die Kirche, die junge Frau trägt die Brautkrone, während die Brautjungfern ihr Haupt mit Kränzen geschmückt haben. Die Spielleute empfangen das junge Paar mit einem Tusch, und bald wird sich der Zug ordnen und nach der nahen Burg sich wenden. Schon damals war die Sitte allgemein, daß bei der Hochzeit die Gäste den Neuvermählten wertvolle Geschenke überreichten. So sehen wir auch auf unserem Bilde einen mit allerlei Geschenken, Truhen und Geräten, hochbeladenen Wagen, der sich dem Hochzeitszuge anschließen wird. In jener lebensfrohen Zeit suchte jeder nach seinem Vermögen die Hochzeit möglichst glänzend zu gestalten, und der Luxus wurde so weit getrieben, daß die Behörden sich veranlaßt sahen, ihn durch Erlaß von Hochzeitsordnungen zu beschränken.