Am Sarge eines wahren Republikaners

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Autor: Adolf Douai
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Titel: Am Sarge eines wahren Republikaners
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 348–350
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Am Sarge eines wahren Republikaners.
Amerikanische Original-Correspondenz der Gartenlaube.
Von Adolph Douai.
New York, Ende April 1865.

Der Tod Abraham Lincoln’s durch die Hand eines Meuchelmörders infolge einer Verschwörung, welche zugleich gegen das Leben aller seiner Cabinetshäupter und des Obergenerals Grant gerichtet war, ist Ihren Lesern aus den Tagesblättern bekannt. Es war ein betäubender Schlag für das ganze Volk. Seit diesem Trauertage des 15. April leben wir in einer so all­gemeinen und tiefgehenden Aufregung; daß die Behauptung gerecht­fertigt ist, die Nation habe eine große Schule durchlaufen, eine unvergeßliche Lehre erhalten, und daß man alle die wichtigen Fol­gen davon noch kaum ermessen kann.

Abraham Lincoln ist als ein Blutzeuge seiner und unserer Sache gestorben. Die dankbare Nachwelt wird Alles vergessen, was ihm zu seinen Lebzeiten Uebles nachgesagt worden ist, und nur sein fleckenloser Ruf, sein gewissenhafter, großherziger Cha­rakter und seine weltgeschichtlichen Handlungen werden in der all­gemeinen Erinnerung fortleben. Wir selbst haben zu denen ge­hört, welche ihn früher oft hart tadelten; allein schon vor seinem Tode und noch mehr seitdem sind Beweisstücke an das Licht ge­kommen; welche ihn glänzender rechtfertigen, als wir jemals für möglich gehalten hätten. Es steht heute schon so ziemlich fest, daß die Welt in ihm einen ihrer größten und besten Männer ver­loren hat, der nur deswegen eine Zeit lang in Unbeliebtheit selbst bei vielen seiner Gesinnungsgenossen fallen konnte, weil er mit seltener Bescheidenheit und Zurückhaltung Manches verhüllte, was zu seinen Gunsten sprach, solange diese Schweigsamkeit durch die gefährliche Lage des Landes geboten schien. So sehr ihm auch alle glänzenden Eigenschaften der gewöhnlichen Sorte „großer Männer“ fehlten, durch welche das Urtheil der Menge so leicht sich bestechen läßt, so gewiß ersetzte er dieselben durch andere, welche ihn hervorragend zu den überaus schweren Pflichten seines Amtes befähigten, besonders durch eine seltene Besonnenheit, eine uner­schütterliche Festigkeit, eine fast völlige Unabhängigkeit der Ent­schließungen, eine genaue Kenntniß der Eigenthümlichkeiten seines Volkes, eine stete Bereitwilligkeit, Alles zu prüfen und das Beste zu behalten, eine unermüdliche Arbeitskraft, eine Reinheit der Sit­ten von fast kindlicher Art, einen gänzlichen Mangel an Hochmuth und Selbstüberhebung bei aller natürlichen Würde in der Vertre­tung eines großen Volkes und einer großen Sache und eine auf­ richtige Achtung vor dem ausgesprochenen Mehrheitswillen. Er war die fleischgewordene Demokratie mit allen ihren Tugenden, aber ohne deren augenfälligste Mängel und Rohheiten. Er war der getreueste Repräsentant des großen amerikanischen Mittelstan­des von angelsächsischer Abstammung mit deiner Gesetzesliebe, sei­ner Abneigung vor Ueberstürzungen bei allem rüstigen Fortschritts­trieb, seinem ruhigen und doch dabei schalkhaften und humoristi­schen Ernste und seiner unbestechlichen Freiheitsliebe. Das erklärt uns seine große Volksbeliebtheit einer- und manche räthselhafte Handlungen seines öffentlichen Lebens andererseits.

Das Vertrauen der unionstreuen Mehrheit des Volkes in ihn, seinen Scharfsinn, seine Tugenden und seine getreue Vertre­tung des amerikanischen Volkswillens war deshalb am Ende sei­ner ersten und beim Beginne seiner zweiten Amtsverwaltung un­begrenzt und ging soweit, daß in der Presse und im Volksmunde der Gedanke sich Bahn brach, man müsse ihm ganz allein ohne Dreinreden des Congresses die Verfügung über alle diejenigen Maßregeln überlassen, welche die sogenannte Reconstruction betref­fen, d. h. die Wiederherstellung der rebellischen Staaten zu ihrer vorigen Stellung innerhalb der Union, die Bestrafung der etwa zu Bestrafenden, die Begnadigung der etwa zu Begnadigenden, die Uebergangszustände, durch welche der unionsfeindliche Geist des Südens in sein Gegentheil gefahrlos umgewandelt werden sollte. Gewiß, ein so großartiger Fall von allgemeinem Vertrauen steht einzig in der Geschichte da, zumal hier, wo er von einem auf seine Selbstbestimmung so eifersüchtigen, freien und einsichtsvollen Volke erwiesen wurde. Vielen unter uns Fremdgebornen wurde es angst und bange bei diesem bedenklichen Vertrauen und bei der fast sicheren Aussicht, daß Präsident Lincoln – ganz gewiß im Sinne der riesigen Volksmehrheit – den unterworfenen Rebellen die großmüthigste Behandlung angedeihen lassen und dadurch dem übermüthigen Junkergeiste des Südens neuen Vorschub leisten werde. Aber ehren nicht diese Versöhnlichkeit und jenes Vertrauen gleich sehr den Präsidenten wie das Volk?

Ein politischer Meuchelmord, an einem solchen Manne be­gangen, und der Versuch desselben, gegen alle seine Verwaltungs­häupter gerichtet, mußten natürlich das Volk tief erschüttern und einen Umschwung in seiner Anschauung hervorrufen. Mit merk­würdigem Einmuth erhob sich das Volk aller Parteien zur lauten Wehklage, zur entrüsteten Verdammung der scheußlichen That und des giftigen Geistes, der sie wie den ganzen Sonderbund hervor­gerufen. Augenblicklich standen, ohne Befehl von oben herab, alle Geschäfte bis auf die unerläßlichsten still, hüllten sich die Bürger in Trauerkleidung und behängten fast ohne Ausnahme durch’s ganze weite Land ihre Wohnungen mit Floren und anderen Ab­zeichen tiefster Trauer. Die Wenigen, welche über den Meuchel­mord zu frohlocken wagten, wurden auf der Stelle niedergeschlagen, oder den Gerichten vorgeführt, wo sie sofort zu längerer Zucht­hausstrafe verurtheilt wurden. Nie, selbst nicht in der unvergeßlichen Zeit nach dem 19. April 1861, war die Nation so einig, so voll des heiligen Unwillens über das große Verbrechen, welches die Sonderbündler an ihr begangen. Daß die Hand, welche nach so langer Schonung endlich die Rebellion niedergeworfen hatte und gleich darauf eine allgemeine Amnestie unterschreiben wollte, welche segnen wollte, die ihr geflucht hatten, daran durch ver­schworne Meuchler gehindert werden sollte – das war der ganzen Nation ein Fingerzeig der Vorsehung, wie wenig so entmenschten Geschöpfen gegenüber Großmuth am Platze sei, welche nur eine Sprache verstehen: die der Peitsche und der unerbittlichen Strenge. „Gerechtigkeit, strenge Gerechtigkeit!“ ist heute der einmüthige Wahl­spruch dieses ganzen Volkes, sie erscheint ihm endlich um so mehr als eine politische und sittliche Nothwendigkeit, je mehr es vorher von Versöhnlichkeit übergesprudelt hatte.

Ich wünschte den Lesern der Gartenlaube, sie hätten Zeugen dieses erhabenen nationalen Aufschwunges im tiefsten Schmerz und in der begeistertsten Einigkeit sein können. Es ist das Größte mit, was man erleben kann, ein ganzes großes, freies Volk in seiner Majestät zu sehen, den Pulsschlag eines freien, nationalen Lebens durch Berührung mit jedem einzelnen Bürger in raschere Bewegung gesetzt zu fühlen und Zehntausende überall, allüberall eine Gesinnung, einen Willen, ein Bewußtsein gemeinsamer Größe und Bestimmung aussprechen zu hören. Ich weiß, solche Begeiste­rung und solche allgemeine tiefe Trauer halten nicht lange an, aber sie belehren außerordentlich Viele und bringen sie auf bessere Wege, die jeder anderen Belehrung unzugänglich waren. Ein solcher Grad des Parteihasses, wie er bis vor Kurzem unter uns herrschte, dürfte nie wieder entbrennen, zumal die Hauptwurzeln des bisherigen Zerwürfnisses durch den Untergang der Sclaverei und des südlichen Junkerthums beseitigt sind.

An Stelle einer Beschreibung der Leichenfeierlichkeiten bei Ein­holung der Ueberreste Abraham Lincoln’s, von der wir hier so­ eben zurückkommen, auf ihrer langen Reise von Washington über Baltimore, Harrisburg, Philadelphia, New-York nach Springfield im Staate Illinois, der ehemaligen Heimath des Verewigten, wo sie beerdigt werden sollen – an Stelle dieser wohl noch nie über­botenen Feierlichkeiten, welche Ihre Leser schon aus den Tages­blättern haben entnehmen können, gestatte ich mir nur einige ein­schlagende Bemerkungen. Eine aufrichtigere, freiwilligere Trauer um einen Dahingeschiedenen in hoher Stellung ist nicht wohl denkbar. Wenn man die Turbulenz hiesiger Volksmassen kennt, so fällt dem Beobachter zunächst die feierliche, ernste Stille dieser Massen bei Abraham Lincoln’s Leiche auf. In den Augen der stärksten Männer sind Thränen zu sehen, den Sängern, welche überall, wo es Gesangvereine giebt, die anlangende Leiche empfangen, stockt die Stimme beim Klagegesang, den Leichenrednern versagt die Rede. Aeußerungen des naivsten und ungeheucheltsten Schmerzes sind allerwärts zu hören, von Keinen aber so rührende

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Abraham Lincoln.

wie von den befreiten Negern, die zahlreich sich in die nördlichen Städte gerettet haben, und von den invaliden Kriegern, welche doch so manches Todesfalles Zeuge gewesen sind. Es ist eine all­gemeine Bemerkung, welche sich Begegnende mit einander austau­schen, daß die empfangenen Eindrücke in ihnen gar nicht aufhören wollen nachzuklingen, um der gewohnten Alltagsruhe Platz zu geben. In solchen Stimmungen sucht und findet das Volksgemüth Erleichterung durch große Entschlüsse, die es für die Zukunft nerven. Die Lehre, welche des großen und guten Lincoln Tod hier einem Jeden gegeben hat, ist: „neue opferwillige Liebe zum Vaterlande und unerbittliches Zusammenhalten gegen alle seine Feinde!“ Wahrlich, keines Gewaltigen Hingang hat je solche Wirkung erregt, und solch eine Leichenfeier mag von jedem Kaiser beneidet werden!

Kein Wunder, daß die Schreckenskunde von diesem Todes­falle an der Börse kein Steigen des Goldpreises zur Folge hatte und daß das neue Nationalanlehen fast doppelt so starke Abnahme als früher findet (vier bis sechs Millionen täglich, meist in Be­trägen von Fünfzig- und Einhundert-Dollar-Appoints).

Hier noch einige Züge des Charakters unseres todten Präsidenten, [350] welche noch wenig bekannt sind. Abraham Lincoln ist so arm gestorben, wie er sein Amt angetreten hatte. Wir wissen, daß er einen ganzen Jahresgehalt von 25,000 Dollars dem Staatsschatze geschenkt hat, wenn nicht mehr. Er entnahm während seiner ganzen Amtsdauer überhaupt nie mehr daraus, als er dringend brauchte, um dem Schatzsecretair die Mittel zu wichtigeren Zahlungen nicht zu schmälern, und verwandte öfters seine geringen Ersparnisse zum Ankaufe von Unions-Schuldscheinen, um ein gutes Beispiel zu geben.

Sein Leben war oft, ja fortwährend bedroht gewesen, seit er Präsident geworden war. Die Verschwörung ist bekannt, welche ihm bei seiner ersten Durchreise durch Baltimore am 1. März 1861 das Leben rauben wollte. Er wußte, daß seitdem im Auf­trage der Jefferson Davis’schen Regierung nicht weniger als vier Mal Anschläge auf sein Leben der Reife nahe gewesen und nur durch ein Zusammentreffen von Umständen vereitelt worden waren. Trotzdem litt er nie, daß umfassende Vorkehrungen zur Sicher­stellung seiner Person getroffen wurden, die ihn vom täglichen Umgange mit allen Schichten des Volkes hätten abschneiden müssen. Wir wissen jetzt aus guter Quelle, daß er noch voriges Jahr auf einer Reise nach Westpoint die Straßen von New-York allein und zu Fuße durchwandelt hat, wo er doch doppelt soviel bittere Feinde als Anhänger zählte. Als er am 3. April d. J. fast ohne Be­gleitung in dem eben gefallenen Richmond einritt und ihn Jemand auf die Gefahr eines Meuchelmordes und die traurigen Folgen desselben für das Land aufmerksam machte, antwortete er nichts als: „In den Händen des Vicepräsidenten (seines Nachfolgers) sind die Geschäfte des Landes vollkommen sicher.“

Der merkwürdigste und am längsten verkannte Zug an ihm war der, daß er, obwohl rasch entschlossen„ wo es rasches Han­deln galt, doch alle wichtigeren Schritte lange und reiflich über­legte. Er pflegte allen denen, welche ihm zu Maßregeln riethen, die er hernachmals ausführte, so viele gegentheilige Gründe zu entwickeln, daß es den Anschein gewann, als sei er ein Gegner dieser Maßregeln. Es geschah dies aber nur, um Alles zur Sprache zu bringen, was sich für und wider die Sache geltend machen ließ. War dies längere Zeit hindurch und Vielen gegen­über geschehen, so faßte er (und in den wichtigsten Fällen) seinen Entschluß, ohne vorher sein Cabinet um Rath zu fragen, weil er die Verantwortlichkeit dafür Niemandem als sich selbst aufbür­den wollte, und so erschienen seine Entschlüsse gewöhnlich uner­wartet und plötzlich. Hierher gehören z. B. alle seine Botschaften in der Emancipationsfrage, welche sein eigenstes Werk sind. Ein­mal gefaßte Beschlüsse machte er nie rückgängig, so wohl hatte er sie vorher überlegt, trotzdem daß er sonst so gutherzig und schwach erschien.

Bei einem so wenig ehrgeizigen Manne mußte es auffallen, daß er selbst seine Wiederwahl im Jahre 1864 betrieb, oder wenigstens seine Beamten für sich in diesem Sinne wirken ließ. Wir waren einer von denen, welche ihm dies zum Vorwurf machten. Das Räthsel ist seitdem gelöst. Bei der genauen Kenntniß des amerikanischen Volkscharakters„ welche er besaß, wußte er, daß unter den unionstreuen Bewerbern um die Präsidentschaft im Jahre 1864 keiner mehr Aussichten hatte als er selbst und daß jede Zersplitterung der unionstreuen Stimmen vermieden werden mußte, sollte die Union gerettet werden, und nur durch Aufstellung des stärksten Candidaten vermieden werden konnte. Die „Unionsligue“, eine geheime Verbindung von mehr als einer Million Unionstreuer, hatte ihn schon im Anfange dieses Jahres zu ihrem Can­didaten ausersehen. Diese Candidatur ausschlagen hieß den Wahl­sieg der Unionstreuen gefährden und die Emancipation in Frage stellen, die Union selbst auf’s Spiel setzen. Der Ausgang hat seine Voraussicht gerechtfertigt. Außerdem hielt er einen Wechsel der Administration während der Dauer des Bürgerkrieges für ge­fährlich und verglich einen solchen mit dem Verfahren jenes Mannes, „der die Pferde wechseln wollte, während er einen mäch­tigen Strom zu überschreiten hatte“. – Das werthvollste Zeugniß, welches wir jetzt besitzen, mißt ihm durchaus keinen persönlichen Ehrgeiz während jener Wahlbewegung bei. Bezeichnend hierfür ist eines von jenen guten Witzworten, durch welche er sich so sehr populär gemacht hat. Bekanntlich war er unerschöpflich im Er­zählen von Anekdoten, welche er bei passenden Gelegenheiten an Stelle einer Antwort vortrug, und die er mit der stehenden Ein­führung begann: „Das erinnert mich an eine Geschichte, welche ich einmal gehört (oder erlebt) habe.“ Als man ihm nun im Sommer des vorigen Jahres viel von seinen günstigen Wahlaus­sichten sprach, meinte er gutmüthig: „Es scheint, die Strömung geht durchaus in derselben Richtung, wie in der Straße von Gibraltar, in welche der atlantische Ocean hineinströmt, obwohl man das Gegentheil erwarten sollte.“

„Wissen Sie nicht, Herr Präsident,“ fiel hier einer der An­wesenden ein, welcher ihm den Glauben beibringen wollte, daß eine große Anzahl Unionstreuer gegen seine Wiederwahl wirkten, „wissen Sie nicht, daß es damit ist, wie mit dem mittelländischen Meere, welches nach neueren Entdeckungen eine starke Unterströ­mung aus der Straße von Gibraltar hinaus besitzt?“

„Ist es so?“ erwiderte Lincoln sehr ruhig, „nun, das erinnert mich allerdings an keine Geschichte, die ich je gehört hätte.“

So war der schlichte Mann, der sich ohne alle glänzende Begabung rein durch eigene Anstrengung und gewissenhafte Pflichterfüllung zu einer der stolzesten Stellen in der Welt hinaufgear­beitet und der in derselben, groß wie keiner seiner Vorgänger in gewissenhafter Pflichterfüllung, das schwer gefährdete Leben der Nation vom Untergange gerettet hat. Ein „selbstgemachter Mann“, wie es die englische Sprache schön bezeichnet, war er der beste sinnbildliche Vertreter einer „selbstgemachten Nation“.

Sein Nachfolger, der bisherige Vicepräsident Andrew Johnson, ist es kaum minder. Geboren 1811 im Staate Nordcarolina in den ärmlichsten Umständen, war er zuerst Schnei­dergesell, lernte erst von seiner Frau, einem trefflichen Weibe, lesen und errang durch eiserne Ausdauer und Willensstärke nach und nach eine politische Stellung nach der andern, bis er Reprä­sentant in der Gesetzgebung von Tennessee (zweimal) wurde, wohin er ausgewandert war, und dann, trotz der bitteren Feindschaft der großen Sclavenhalter-Aristokratie, Gouverneur dieses Staates und Senator im Unionscongresse. Er war von jeher ein Vertreter der ärmeren Weißen des Südens gegenüber dem Sclaven-Junker­thume und hat den Haß desselben reichlich empfunden, die Ge­brechen der Verfassung der südlichen Staaten aus eigener trauriger Erfahrung kennen gelernt. Wie er im Congreß von jeher einer der eifrigsten Verfechter der „Heimstätte-Bill“ und beim Ausbruche der Sonderbündelei deren schärfster Gegner war, so bewährte er sich seit 1862 als Militär-Gouverneur des eroberten Tennessee, das ihm seine Rückkehr zur Unionsgesinnung verdankt. Man sagte ihm nur die Schwäche nach, daß er am 4. März 1865 bei seiner Einführung als Vicepräsident im Senat des Congresses im trunkenen Zustande gewesen sein sollte. Diejenigen aber, welche ihn genauer zu kennen behaupten, erklären jene Thatsache dahin, daß er, als Mitglied eines Mäßigkeitsvereins, seiner Vereinspflicht stets getreu, an jenem Morgen einen betäubenden Trank erhalten – man spricht sogar in parteifeindlicher Absicht. Die Nation kommt ihm mit einem ehrenden Vertrauen und einer einmüthigen Unterstützung entgegen und erwartet von ihm Strenge gegen die verantwortlichen Häupter des Sonderbundes, Milde gegen die verführten und unterdrückt gewesenen südlichen Massen. Und wenn irgend Jemand der ge­eignete Mann ist, um die richtigen Mittel zur schnellen Beruhigung des Südens zu finden, so ist es der Südländer und arme Weiße Johnson, welcher aus eigener Erfahrung weiß, daß „Aristokraten nichts lernen und nichts vergessen“ und daß unerbittliche Strenge gegen sie Barmherzigkeit gegen die von ihnen so lange unterdrückten Schwarzen und ärmeren Weißen des Südens und eine Wohlthat für das ganze Land ist.

Auch so noch freilich wird die gerechte Strenge eines demo­kratischen Volkes weit zurückbleiben hinter jener, mit welcher in anderen Ländern Hochverrath an der Monarchie heimgesucht zu werden pflegt. Die durchgreifendste Maßregel wird höchstens darin bestehen, daß allen thätigen Rebellen das Stimmrecht und die Wählbarkeit entzogen wird, während nur den eigentlichen Häuptern Vermögens-Einziehung droht, der Strang aber ganz Wenigen – die ihn verdient haben.