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Ein Käfer als Lebensretter

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Textdaten
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Titel: Ein Käfer als Lebensretter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 352
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[352] Ein Käfer als Lebensretter. Im Jahre 1793 irrte ein Mann von etwa dreißig Jahren, verkleidet und verlassen, den Schrecken der Revolution entflohn und überall mit dem Tode bedroht, in Frankreich umher. Seine Lieblingswissenschaft, die Insectenkunde, war das Einzige, was ihm in so trüben Tagen Erheiterung schaffte. Wo er nur hinkam, da sammelte und beobachtete er Insecten. So kam er denn auch in die Nähe von Bordeaux, und hier ereilte ihn endlich das längst gefürchtete Schicksal, gefangen zu werden. Vor den Thoren der Stadt überfiel ihn eine Schaar zerlumpter, fanatischer Weiber und brachte ihn in das Gefängniß. Schon nach sechs Stunden war sein Proceß entschieden, da er frei und offen gestanden, wer er sei; schon am nächsten Tage sollte das Todesurtheil an ihm vollzogen werden. Während er seine Mahlzeit hielt, erzählte ihm sein Kerkermeister von den Hinrichtungen, die bis jetzt stattgefunden, kam dabei auch auf den Präsidenten des Gerichts zu sprechen und bemerkte dabei, daß dieser sich keine andere Erholung von seinem blutigen Amte gönne, als im Freien herumzuschweifen und Schmetterlinge und Käfer zu suchen.

Dies err[e]gte natürlich sogleich die Aufmerksamkeit des Gefangenen und schnell gefaßt nahm er einen seltenen Käfer aus seiner kleinen Sammlung und steckte, indeß der Kerkermeister erzählte, dies Insect geheimnißvoll mit einer Nadel unten an den Pfropfen seiner Flasche. Dem Kerkermeister war dies nicht entgangen, er vermuthete darin wahrscheinlich etwas Gefährliches, sagte zwar nichts, eilte aber mit der Flasche und dem Käfer sogleich zum Präsidenten. Bald darauf sah man Letzteren und den Gefangenen, Alles um sich her vergessend, als Freunde und nicht als Richter und Verurtheilten lange beisammen sitzen. Der Käfer hatte den jungen Mann, wie er gehofft, gerettet. Er erhielt von dem Präsidenten Geld, Empfehlungsschreiben und die besten Zeugnisse seiner republikanischen Gesinnung. Der Gerettete war der später so berühmte Naturforscher Pierre André Latreille, der am 6. Februar 1833 als Professor der Entomologie am Museum der Naturgeschichte in Paris starb.