Am Strande (Lavant)
[1572]
Am Strande.
Auf offnem Meer im leichten Segelboot
Ward von der Nacht ich gestern überfallen,
Die Flut, die eben noch das Abendroth
Weithin gefärbt mit Schimmer der Korallen ―
Mit ihr verändert war des Windes Stimme,
Denn in das Segel stieß er hohl und dumpf,
Als ringe er mit seinem eignen Grimme.
Die Woge widerstrebend wich dem Kiel
Mein Fischer knurrte: „Ferne noch das Ziel!
Ich wär’ ihm gern um eine Stunde näher.“
Ich sah ihm zu und habe nichts gesagt,
Und wurden etwas bleicher auch die Wangen
Es war kein weibisches, kein feiges Bangen.
Doch Bangen war’s, das da mich überfiel,
Und ich gesteh‘ es ohne mich zu schämen;
Mit Grauen sah ich unser Boot ein Spiel
Was Oede heißt ― dort hab‘ ich es gefühlt,
Und die dahin auf ihrem Wellenrücken
Uns trug und schob, die Flut, vom Wind zerwühlt,
War gleich dem Sturme wild und voller Tücken.
Des Leuchtthurms Feuer durch die Nebel grüßte ―
Da schwebte er wie der Verheißung Stern
Ob dieser weiten, schauerlichen Wüste.
Und als uns endlich murrend an den Strand
Da grüßt’ ich dankend mit gehob’ner Hand
Das milde Licht, das uns den Weg gewiesen.
Und heute klomm ich in des Morgens Glanz
Zu ihm empor auf ungezählten Stufen
Und hätte spottend fast hinabgerufen:
„Ja, grolle nur! Hier steh’ ich frisch und roth,
Ich bin der Nacht, dem Sturme, dir entronnen.
Wenn uns am ärgsten eine Tücke droht,
Doch sprach ich’s nicht ― der Jubel ward erstickt
Und tiefem Mitleid mußte rasch er weichen.
Mit wunder Brust, das Schwingenpaar geknickt,
Lag es umher von kleinen Vogelleichen.
Das Herz voll Ahnung von des Ostens Rosen,
So flog sie, vom Licht gelockt, daher,
Um sich am Glas die Köpfchen einzustoßen.
Vom Tod ereilt, statt der Verheißung Land,
Und einen Vogel nahm ich in die Hand
Und sah ihn lange an in trübem Sinnen.
Auf seinen Lidern lag es wie ein Traum,
Als müsse noch das Herz in Sehnsucht klopfen,
Stand der verhängnisvolle rothe Tropfen.
Ich stieg hinab, bekümmert und gedrückt,
Doch denken mußt ich: „Siehe da das Leben!
Wo dem Alltäglichen die Rettung glückt,
Dies Erdendasein ist ein wüstes Meer
Und flammte nicht ob den empörten Wellen
Das Ideal, ein Leuchtthurm hoch und hehr,
Die Menschheit müßte stranden und zerschellen.
Das Ideal da droben will erfliegen,
Voll zarten Sinns und schöner Leidenschaft
Und heißen Sehnsuchtswehs, muß unterliegen.
Dem Schiffer, der im wüsten Meer verirrt,
Der Vogel aber, der zum Lichte schwirrt,
Zerstößt das Köpfchen sich an harten Scheiben.
R.L.
Anmerkungen (Wikisource)
[Bearbeiten]Zuerst erschienen in:
- Neue Illustrirte Zeitung für Gabelsberger’sche Stenographen, 1886, Nr. 8, Seite 118.