Am Wachtfeuer vor Rézonville
[756] Am Wachtfeuer vor Rézonville. (Mit Abbildung S. 753.) Eine treffliche und selbst durch ihre Entstehungsweise interessante Illustration von Fr. Schulz führt uns zu einer der letzten großen Schlachten zurück, zu der von Gravelotte. „Großer Sieg unter Führung des Königs!“ hatten die Morgenblätter des 19. August verkündet. Die französische Armee war von den deutschen Truppen unter des Königs eigener Führung und nach heißem neunstündigem Ringen aus ihren festungsähnlichen Positionen geworfen und in die Festung Metz zurückgeschlagen worden. Der König war den ganzen Tag von vier Uhr früh zu Pferde gewesen und hatte sich wiederholt dem feindlichen Feuer so ausgesetzt, daß er in seinem ausführlichen Briefe an die Königin wohl sagen konnte: „Die historischen Granaten von Königsgrätz fehlten für mich nicht, aus denen mich diesmal Minister von Roon entfernte.“ Das war namentlich bei dem letzten Vorstoß der Fall, als die dritte Division des zweiten Armeecorps unter der persönlichen Anführung des Generals von Fransecky die Höhen hinter Gravelotte im Sturme nahm. Auf den Abhängen derselben hatten sich die Franzosen in drei Etagen Schützengräben übereinander eingeschnitten, die über die Höhen hinlaufende Chaussee war in ihrer ganzen Ausdehnung mit Artillerie besetzt, und der Kampf, der sich hier bereits im Dunkel der Nacht entspann, war wohl mit das Furchtbarste, was die Kriegsgeschichte der Neuzeit seit der Verbesserung der Feuerwaffen kennt.
Der Kampf war mörderisch; „ich scheue mich, nach den Verlusten zu fragen und Namen zu nennen,“ schrieb der König am nächsten Tage, „da nur zu viele bekannte genannt werden, oft unverbürgt.“
Die Nacht traf den greisen König noch auf dem Schlachtfeld, vor einem halb verwüsteten Gehöfte des Dorfes Rézonville, an der nach Vionville führenden Chaussee, und hier, in Ermangelung eines Stuhles auf einem Sattel sitzend, dictirte er beim flackernden Schein eines Wachtfeuers dem vor ihm stehenden Bundeskanzler Grafen Bismarck das Telegramm, das die Königin von der glorreichen Waffenthat des deutschen Heeres unterrichten sollte. Dem König gegenüber hat, wie der Künstler uns schreibt, auf einem Fasse Prinz Karl, der Vater des Feldherrn Prinzen Friedrich Karl, Platz genommen, hinter dem König stehen die treuen Moltke, Roon und andere Generale, deren Namen wir aus Schulz’ Begleitbrief nicht entziffern konnten. Das Feuer, dem auf unserem Bilde eben der Major und Flügeladjutant des Königs, Graf v. Waldersee, in Gestalt einer Leiter neue Nahrung zuzuführen bestrebt ist und dem der Oberlieutenant Graf Lehndorf daneben das nöthige Brennmaterial entnimmt, die unentbehrliche, nach gethaner Arbeit doppelt willkommene Cigarre anzuzünden, beleuchtet rings die Spuren des wilden Kampfes, der hier getobt, Leichen, zertrümmerte Waffen, weggeworfene Tornister, Tragbahren.
„Ich stand nur wenige Schritte von der interessanten Gruppe,“ so schließt des Künstlers Brief, „und sah und hörte wie der König dictirte. Eigentlich wollte ich die Skizze nicht veröffentlichen, nachdem König Wilhelm mich mit der Ausführung derselben in Aquarell beauftragt hat. Wenn ich sie Ihnen nun aber heute doch schicke, so geschieht es nur, weil ein anderes Blatt dasselbe Thema schon mit einer seltsamen Variante behandelt hat: der König erhält von einem Marketender ein Glas Wein. Davon weiß weder der König noch sonst Jemand in seiner Suite Etwas; und ich darf getrost berichtigen, daß dieses Glas Wein nur in der thätigen Phantasie eines „Special-Correspondenten“ existirt. Schließlich wird Sie noch die Mittheilung interessiren, daß die mit Bleistift geschriebenen Notizen, welche sich unter der heutigen Skizze befinden, von der Hand des Königs selbst herrühren und Bezug auf die oben erwähnte Aquarellausführung haben.“