Am Weißen Nil
[876] Am Weißen Nil. (Zu dem Bilde S. 861.) Nachdem der Nil seine Quellenseen verlassen, breitet er sich im Laufe gegen Norden in weiten grasigen Steppen aus. Breiter und weiter wird sein Bett, stellenweise teilt sich der Strom in eine Anzahl Nebenarme, und wo langsamer seine Wellen dahinziehen, faßt in ihm die Pflanzenwelt festeren Fuß und überzieht ihn mit einer grünen Decke. Da stehen am Ufer dichte Horste der klassischen Papyrus, aus der Flut steigen die schlanken rohrartigen Stämme des Ambatschholzes empor und schließen sich zu einem schier undurchdringlichen Dickicht zusammen, dazwischen wachsen allerlei Schilf- und Wasserpflanzen und viele von ihnen verschlingen sich auf dem Spiegel des Stromes zu einem so festen Filz, daß über diese schwimmenden Wiesen selbst Herden von Rindern hinwegschreiten können. Verhaßt sind den Menschen diese gewaltigen „Grasbarren“ des Nils, da sie den Fluß verstopfen, die Schiffahrt völlig unmöglich machen. Um so willkommener erscheinen aber diese ewig grünen Wasserwildnisse, mit ihren stillen Buchten, zahllosen toten Armen, mit Sümpfen und Morästen, der Tierwelt, die zu ihrem Lebensunterhalt kühlender Wasserflut und ruhiger Beschaulichkeit bedarf. So ist auch der Weiße Nil ein Paradies der Nilpferde. Hier hausen sie noch in großen Herden und ihr lautes Brüllen, Schnauben und Tosen erfüllt die tropischen Nächte mit lärmenden Lauten. Ungestört weiden sie die schwimmenden Wiesen und das Ufergelände ab, denn kein Raubtier wagt sich an die 4 bis 5 Meter langen und 1½ Meter hohen Ungetüme, der Leopard der Steppe geht ihnen aus dem Wege und das Krokodil in der Flut läßt sie in Ruhe – der Mensch aber, der Hauptfeind aller Tiere, kommt nur selten in diese Wildnis.
In der frühesten Jugend, im Säuglingsalter, drohen allerdings auch dem kleinen Nilpferd die mannigfachsten Gefahren, es wächst aber in der Regel munter und sicher heran, denn es steht unter dem sorgfältigsten Schutze seiner Eltern. Die Nilpferdmutter behütet das Junge wie ihren eigenen Augapfel; auf Schritt und Tritt folgt es ihm zu Lande und zu Wasser und wehe dem Geschöpfe, das Miene macht, das Junge anzugreifen, ja nur arglos in die Nähe des teuren Flußferkels kommt! Auch das Nilroß ist kein Rabenvater, man sieht ihn vielmehr stets in der Nähe seiner Familie.
Ein solches Kleeblatt hat Meister Specht auf seinem Bilde dargestellt. Die Alten haben eine von Wasserpflanzen freie Flußstelle gewählt, damit das Kleine sich austummeln, nach Belieben schwimmen und tauchen konnte; nun ruht es von dem ernsten Spiel auf der Mutter Nacken aus, während der Vater es freundlich anschnaubt. Als Zeugen dieses Familienglücks haben sich am sicheren Ufer Meerkatzen eingestellt. Die bunte Affenbande ist in voller Aufregung. Der pater familias, der als Vorderster auf einer Wurzel hockt, scheint Naturstudien zu machen und über den wunderbaren Bau des Nilpferdmaules, in dem er genug Platz finden könnte, nachzudenken; die jüngere Sippe aber scheint auf Schabernack zu sinnen, und das ahnt die Nilpferdmutter, die aufmerksam die kleinen Teufel mustert. Dieser und jener hebt schon vielleicht einen Stein zum lustigen Bombardement auf. Da brüllt das Roß zufällig auf; in wunderbarem Baß erzittert die Luft; es schnaubt einigemal und das tönt wie das Stöhnen einer Lokomotive. Selbst Affenohren können solche nervenerschütternden Töne aus nächster Nähe nicht vertragen. Im Nu ist die Bande verschwunden – und Friede und Stille herrschen wieder in der improvisierten Nilpferd-Kinderstube. *