An der Küste Hinterpommerns

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Textdaten
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Autor: Fr. W. Paul
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Titel: An der Küste Hinterpommerns
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 191–192
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Raub eines Kranichgeleges durch Krähen
illustriert von Guido Hammer
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[191]
An der Küste Hinterpommerns.


Bei dem Ueberschreiten einer der großen Moorflächen, welche die Küste Hinterpommerns theilweise umsäumen und die nur durch einen Dünenstreifen von der Ostsee geschieden sind, wurde meine Aufmerksamkeit auf eine Schaar Krähen gelenkt. Das

Der Kampf um die Eier.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

eigenthümliche Gebahren dieser stets beutegierigen Vögel hatte mich in jüngster Zeit bald hier bald dort auf den Mooren schon oft angespornt, ihr Treiben zu belauschen; immer aber war trotz der größten Vorsicht mein Nahen von ihnen bemerkt worden, und eilig hatten sie dann, augenscheinlich erbittert über die Störung, die Flucht ergriffen. Heute jedoch erlangte ich endlich die Gewißheit, daß meine Vermuthung, es handele sich hier um irgend einen Raubzug, vollständig begründet sei.

Eine offene Wasserlache breitete sich vor mir aus, bedeckt mit zahlreichen runden Erhöhungen, in einigen Gegenden Kampen genannt, deren Spitzen, mit kurzem Grase bewachsen, aus dem Wasser hervorlugten. Der Ort meiner Beobachtung wurde durch einige Weidenbüsche gedeckt, deren Zweige ich vorsichtig auseinanderbog, um so, ganz geschützt, dennoch Alles wahrnehmen zu können. Die Krähen hatten auf den eben erwähnten Kampen in der Weise Platz genommen, daß sie eine inmitten des Tümpels befindliche größere Fläche vollständig umzingelt hielten, und diese wiederum bildete den Punkt, auf welchen sie die heftigsten Angriffe richteten. Bald erhob sich die eine, bald die andere der Krähen, bald flatterten mehrere gemeinschaftlich auf, um mit lautem Gekrächze, das von den übrigen lebhaft unterstützt wurde, über die Fläche hinzufliegen und besonders die Mitte derselben mit heftigen Stößen nach unten heimzusuchen. Diese Mitte wurde von dem Neste eines Kranichpaares eingenommen, welches von [192] mir bei den häufigen Wanderungen über das Moor, die den Zweck hatten, das Leben und Treiben der zahlreichen Sumpf- und Wasservögel zu beobachten, bereits früher entdeckt worden war.

Den brütenden Kranich beunruhigten die Angriffe der Krähen auf das Aeußerste. Jedesmal bei dem Nahen eines Feindes erhob er sich blitzschnell, um mit kräftigen Schnabelstößen den Zudringlichen zu verscheuchen; immer aber entzog sich dieser den gefährlichen Hieben durch eilige Flucht. Da plötzlich wurde die ganze Krähenschaar mobil. Mit überlautem Krächzen näherte sie sich mehr und mehr dem belagerten Orte und besetzte auch die letzten der ganz nahe an der Fläche befindlichen Kampen. Jetzt, nicht mehr fliegend, sondern halb hüpfend, halb laufend, eröffneten die Muthigsten der großen Gesellschaft sogleich einen neuen heftigen Angriffskampf, bis endlich die eine der Krähen ihren Platz auf der Fläche selbst einnahm und gerade in dem Augenblicke, als von anderer Seite her der Kranich hart bedrängt wurde, sich mit Hast auf das Nest stürzte. Doch die Strafe ereilte die Habgierige. Der Kranich wandte sich um, und ehe ihr Zeit blieb, dem wüthenden Gegner zu entfliehen, trug sie einen so kräftigen Hieb mit dem scharfen, spitzen Schnabel davon, daß sie rücklings in das Wasser taumelte.

Immer heftiger entbrannte der Kampf. Der Kranich stand hochaufgerichtet inmitten des Nestes. Die Flügel schüttelnd und ein scharfes Zischen ausstoßend, wendete er die stets bereite Waffe, den von den Feinden mit vollem Recht gefürchteten Schnabel, den Krähen mit einer Schnelle entgegen, daß es diesen nicht möglich ward, auch nur den geringsten Vortheil zu gewinnen. Und wieder erhob sich die ganze Schaar. In heftiger Erregung schossen die Krähen immer und immer von Neuem auf das Nest herab, bis der Kranich, in die höchste Wuth versetzt, mit weit geöffnetem Schnabel pfauchend und zischend eine Krähe weit über die nächsten Kampen hinaus verfolgte. – Ein Siegesgekrächze ertönte. Mit Gier stürzte das Raubgesindel dem Neste zu und nach einem Augenblick des heißesten Ringens trugen einige Glückliche die Eier als Preis davon. Der erbitterte Kampf wurde nun in der Luft noch einige Zeit hindurch fortgesetzt, indem die eine Krähe der andern die leckere Speise zu entreißen suchte, bis endlich, immer noch lärmend und kämpfend, die ganze Schaar meinen Blicken entschwand. Etwas später fand ich eine bedeutende Strecke vom Neste entfernt im weichen Grase eine noch ganz frische, also eben geraubte Eierschale. Nur das stumpfe Ende derselben zeigte eine kleine, runde Oeffnung; auch nicht die geringste Verletzung war außerdem bemerkbar. Die Krähe hatte den ganzen Inhalt durch dieses eine Loch heraus gesogen. Auf welche Weise aber die Räuberin des wahrlich nicht kleinen Eies dieses hatte an sich reißen, trotz harter Bedrängniß festhalten und bis hierher schaffen können, ist mir immer ein Räthsel geblieben.

Ich wandte den Blick wieder dem Neste zu. Der Kranich stand trauernd am Rande desselben. Prüfend steckte er den Schnabel in die Mitte des Nestes, und so oft er sich überzeugt, daß keines der tapfer, wenn auch in Folge des überhand nehmenden Wuthausbruches ungeschickt vertheidigten Eier mehr darin sei, warf er den langen Hals gerade nach oben und stieß einen lauten, kläglich klingenden Schrei aus. Da ertönte ein Rauschen in der Lust. Pfeilschnell kam der zweite Kranich daher geflogen. Wie sein Gefährte setzte auch er sich auf den Rand des Nestes, dasselbe ebenfalls auf das Genaueste untersuchend. Dann stellten beide mit gesenkten Flügeln und eingezogenem Halse sich einander gegenüber, bis sie sich endlich nach längerer Zeit lautlos erhoben und der brausenden See entgegenflogen.

Fr. W. Paul.