An die Leser
[1]
An die Leser.
Von Rudolph Lavant.
Wo einst gegirrt die wilde Taube
Und Blüthenschnee gefüllt die Schlucht,
Da rauscht Dein Fuß in welkem Laube,
Da winkt der Brombeerstaude Frucht.
Und lauschst Du träumend Nachts empor,
So schlagen wirre, bange Rufe
Der Wandervögel an Dein Ohr.
Vorbei das sommerliche Schweifen
Die braunen Haselnüsse reifen
Und früher bricht die Nacht herein.
Es tanzen Schatten auf und nieder
Im Lampenschimmer an der Wand
Von einem inhaltreichen Band.
Die Stille ladet Dich zum Lesen,
Zum Grübeln und zum Träumen ein;
Du fragst Dich, wie es sonst gewesen
Und folgst, von Wundern rings umgeben,
Auf schwacher, oft verwischter Spur
Den Führern, die den Vorhang heben,
Zum Hochaltare der Natur.
Von Bildern, die dem Blick erscheint
In oftmals trügerischer Hülle,
Suchst Du das Band, das alle eint,
Und in dem Drängen der Gestalten
Suchst Du das unentwegte Walten
Des Fortschritts, der Gerechtigkeit.
Und wenn die Zeilen leicht verschwimmen
Dem Blicke, der auf ihnen ruht,
Dir in die Seele Trost und Muth,
Und mancher alten Zwingburg Zinnen
Siehst Du mit Reisigen und Roß
Verwehn, zerfahren und zerrinnen
Für solche stille, nächt’ge Stunden,
Da Du auf Geisterpfaden gehst,
Hast einen Führer Du gefunden
In uns, wenn Du uns recht verstehst.
Des Tages grauer, dumpfer Wust
Und jeder Laut der Klage findet
Den Widerhall in unsrer Brust.
Befrage jene, die uns kennen,
Du brauchst uns ihnen nur zu nennen –
Wir dürfen ihrer sicher sein.
Sie werden nimmer sich besinnen
Und froh der Treue Bund erneu’n,
Du wirst’s gewißlich nie bereu’n!
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- Pionier: Illustrirter Volkskalender 1905, Seite 15.digital