Auf Vorposten in Dorf und Schloß
Auf Vorposten in Dorf und Schloß.
Montfermeil, Anfang November 1870.
Den ganzen deutschen Siegesmonat October habe ich an diesem reizenden Orte zugebracht, und nun erfreut mich hier noch die Ueberraschung der vom hohen Obercommando der Maas-Armee mir ausgestellten Erlaubniß, mich „innerhalb der Grenzen der Maas-Armee, behufs Aufnahme von Zeichnungen für die Gartenlaube, bewegen zu dürfen.“ Ich werde nun meine Schritte über den beschränkten Kreis hinaus setzen können, in welchem die kriegerischen Aufgaben meiner sächsischen Feldzugsgenossen mir bisher allein die Bahn frei hielten; aber wie weit auch der neue Kreis sich ausdehnen möge, immer werde ich mit Dankbarkeit und Treue an die ereignißreichen Tage zurückdenken, welche ich mit meinen tapferen Landsleuten von den dreizehner Jägern verlebt habe.
Schon zu Anfang des October, wo unser Bataillon noch nicht auf Vorposten kam, sondern täglich zum Schanzenbau auszog, glaubte man, daß in kurzer Zeit ein befestigtes deutsches Lager rings um Paris fertig sein werde. Bei diesen Erd- und Holzbauten geht es natürlich mit Terrain und Material überall ohne Erbarmen zu. Ob der Park noch so herrlich, die Rasen- oder Blumenfläche noch so reizend, einerlei, die Laufgräben werden mitten durch geschnitten, die Brustwehren aufgeworfen, und in ihnen verschwinden unzählige der feinsten Obstbäume und Zierwäldchen, ja ganze Weinberge, kaum vom Segen der Früchte befreit, werden umgelegt, daß man, wenn einst der Friede schaudernd in diese Fluren zurückkehrt, ihre Spur wird suchen müssen. Uns hier an Ort und Stelle, die wir Tag und Nacht unter der Musik der Kanonen der Forts und Schanzen leben, ficht natürlich keine Sentimentalität solcher Betrachtungen an: unser gehetztes Leben läßt uns keine Zeit dazu.
Alle Vorposten hatten damals den Befehl, sich in kein Gefecht einzulassen, sondern sich entweder zu decken oder zurückzuziehen. Wie mir die patrouillirenden Jäger erzählten, ist es 1hnen das allerunheimlichste Gefühl, wenn sie auf ihren nächtlichen Streifereien plötzlich aus der Finsterniß durch das elektrische Licht in Tageshelle versetzt werden; diese überraschende schöne Aussicht hat stets ihre Gefahren, da zu gleicher Zeit „die feurigen Bomben zu erschallen“ pflegen, die, wenn sie auch selten für uns persönlichen Schaden anrichten, doch alle Mannschaft in recht munterer Aufregung erhalten.
Trotz alledem gehört unser Lagerleben zum interessantesten der Welt; um keinen Preis möchte ich einst die Erinnerung daran hergeben.
Unsern Aufenthaltsort, die, ehe sie von den Ihrigen in unbeschreiblich kopfloser Hast verlassen worden war, wunderschöne Villa des Architekten Depardon, haben wir nach einwöchentlicher Arbeit aus einer Stätte der abscheulichsten Verwüstung wenigstens wieder in ein wohnliches und behagliches Quartier umgewandelt. Freilich gebührt uns das Verdienst dieser Localveredelung nicht allein, unsere Feldgensd’armerie beansprucht auch einen Theil davon, denn ihr verdankt man die strenge Durchführung des Befehls an die Truppen, die von ihnen bewohnten Straßen und Häuser täglich zu reinigen. Das ist keine geringe Wohlthat für die Gesundheit im Heerlager.
Ein neues Jägerstückchen muß ich Ihnen erzählen. Am Nachmittag des Siebenten dieses Monats patrouilliren etliche Jäger vom ersten Bataillon Nr. 12 auf das Dorf Villemomble los. Wie sie in die Nähe kommen, sehen sie mehrere bespannte Wagen, welche soeben französische Soldaten aus den Häusern mit Lebensmitteln beladen. Als ausgelernte Jungen verstecken sich unsere Füchse und verhalten sich mäuschenstill, bis der harmlose Feind die Wagen sämmtlich hübsch voll geladen hat; dann aber brechen sie mit einem fürchterlichen Hurrah hervor und stürmen so wild auf die Franzosen ein, daß diese nicht erst die Waffen, sondern gleich die Flucht ergreifen. Ein junges hübsches Kerlchen mit fein gedrehtem Schnurrbart und nagelneuer Uniform wird dabei gefangen, und am Abend kehren die Jäger mit der Beute stolz in’s Quartier zurück.
Gleich am folgenden Tag, Sonnabend den Achten, kam die Ordre, daß unsere Compagnie am Zehnten die Feldwache zu beziehen habe. Die beiden Tage, Sonnabend und Sonntag, herrschte das schaurigste Wetter, kalt und regnerisch, so daß mich ein Grauen vor dem Nachtlager draußen ankam. Denn in unserm Montfermeil fühlten wir uns nicht blos wohlig, sondern auch ganz sicher, seitdem wir es in vollständigen Vertheidigungszustand gebracht, jedes Gartenhaus mit Schießscharten, jedes Fenster mit starken Brustwehren versehen, hinter allen Umfassungsmauern und Zäunen Schützengräben gezogen hatten, während links auf den Anhöhen von Maison-Guyot die Läufe unserer Artillerie hervorlugten und hinter jedem Häuschen ein Posten aufgestellt war.
Der Montag begrüßte uns jedoch mit dem schönsten Herbstwetter. Mittags rückten wir aus und kamen durch verschiedene Feldbefestigungen und an dem prächtigen Schlößchen Maison-rouge vorüber nach Gagny.
Am Ende dieses Dorfes blieb die Hälfte der Compagnie unter unserm Hauptmann Walde als Soutien (Unterstützung) zurück, die andere Hälfte bezog in der Richtung nach Raincy hinter einem Kalkofen die Feldwache, für welche dort die Pionniere einen Schutz in Dachform angebracht hatten. Durch das Regenwetter war das Feld vor uns in einen furchtbaren Morast verwandelt. Der Infanterieposten vom ersten Bataillon des hundertsechsten Regiments wurde abgelöst, und einige Schleichpatrouillen traten ihren allezeit gefährlichen Gang an.
Sie müssen es sich, verehrter Herr Keil, sammt Ihren Lesern gefallen lassen, einmal in diese kleinen Züge des großen Krieges mit hineingeführt zu werden; wenn ihnen auch der Reiz überraschender Erfolge abgeht, so vervollständigen sie doch das Bild [804] der außerordentlichen Kriegsmühen, welche Tausenden auferlegt sind und die schließlich doch den endlichen Sieg vorbereiten und schon darum auch ihr Theil Anerkennung von Seiten der Daheimgebliebenen verdienen.
Es war drei Uhr geworden, als es vor uns in den Wäldern leise zu knallen und zu donnern anfing. Ich stand gerade auf der Anhöhe, von wo ich aus dem Fort Rosny die Dampfwolken in die Höhe steigen sah, denen bald darauf der Knall und dann das uns allen nunmehr sehr bekannte Sausen in der Luft folgte, welches den Lauf der Kugel merklich anzeigte. Die Kugeln schlugen seitwärts hinter den Vorposten ein. Eine halbe Stunde später mußte das Gefecht mindestens von einigen Bataillonen aufgenommen sein. Unsere Lage wurde höchst unbehaglich. Vergeblich spähten unsere Posten nach allen Richtungen aus, der Wald verdeckte alle Fernsicht, und so befanden unsere Soldaten sich in unmittelbarer Nähe eines Feuerns, das sie ruhig geschehen lassen mußten. Lieutenant Kaurisch ließ die Feldwache unter Gewehr treten, Regimenter, welche links von uns ihre Posten hatten, schickten Ordonnanzen zu uns herüber, um sich nach dem Stand des Gefechts zu erkundigen, sogar drei württembergische Dragoner langten zu demselben Zwecke an, Alles vergeblich. Mit der einbrechenden Nacht hörte jedoch das Gefecht auf und mit der Zurückkunft unserer Schleichpatrouillen auch die Ungewißheit über das Vorgefallene.
Der Sergeant Engelmann kam nämlich mit seinen zwei Jägern und dazu noch zwei gefangenen Franzosen auf der Feldwache an und rapportirte Folgendes: Als das Feuern immer lebhafter wurde, war er mit seinen paar Leuten durch den Wald tapfer drauflosgegangen und kommt plötzlich jenseits an den Waldsaum. Aber gleich beim ersten Schritt in’s Freie sausen ihnen die Kugeln um den Kopf, denn kaum zweihundert Schritt davon steht der Feind, jedoch in geringer Anzahl. Sofort decken die Jäger sich, legen an und feuern. Ein Franzose stürzt. Schnell geladen und wieder gefeuert; da ergreifen die Gegner die Flucht und unterwegs stürzt noch einer zu Boden. Jetzt, nachdem vor ihm die [805] Luft rein, beschreitet der Sergeant sein Schlachtfeld, um zu sehen, was er geleistet hat. Und siehe da, zwei unverwundete Franzosen, davon einer ein Corporal, liegen, flehend um ihr Leben, im Grase, und der Eine will vor lauter Angst sogar seine Uhr verschenken. Der großmüthige Sieger nahm ihnen jedoch nur Gewehr und Munition ab und überlieferte dann seine Gefangenen der Brigade. Nach ihrer Aussage gehörten beide zum fünfundneunzigsten Regiment der Linie; an ihrem Ausfall aus Paris hätten vier Regimenter theilnehmen sollen, aber nur zwei Bataillone hätten gehorcht, die anderen den Ausmarsch verweigert. Sie müßten, bei ihren geringen Portionen von Fleisch und Gemüse, täglich vor den Forts exerciren und dabei den Vorpostendienst gleich praktisch üben. Daher also das Trommeln und Signalblasen, das die Unseren beständig von dort zu hören haben. Diese Aufklärungen erschienen uns als ein nicht unwichtiger Gewinn des Tages.
Noch muß ich erwähnen, daß die erbeuteten französischen Gewehre nebst Munition jetzt stets an die besten Schützen unserer Vorposten abgegeben werden, weil man deren Vorzüglichkeit und Ueberlegenheit über unsere Schießwaffe nunmehr vollauf zu schätzen gelernt hat.
Der Abend wurde recht kalt, der Mond zog in vollem Glanz herauf; überall tiefe nächtliche Ruhe, wie in einem Lande des Friedens, nur bisweilen unterbrochen durch das Bellen einiger von der allgemeinen Flucht zurückgebliebener Hunde und von aufsteigenden Leuchtkugeln. – Gegen zehn Uhr machte Hauptmann Walde, die Runde bei sämmtlichen Posten; ich begleitete ihn. Unsere Soldaten waren alle „auf dem Zeug“, zu keinem derselben konnten wir hinankommen, ohne angerufen und nach Feldgeschrei und Losung gefragt zu werden. Das Vorwärtskommen auf den schmalen, lehmigen, nassen Feldwegen war sehr ermüdend, die Nacht verlief ruhig.
Der nächste Tag führte sich mit einem dichten Morgennebel ein. Ich benutzte ihn in Begleitung eines mir befreundeten Arztes [806] zur Aufsuchung eines detachirten Infanteriepostens auf einer Anhöhe seitwärts von Gagny. Die Aussicht war zwar auch hier von der Nebelwand geschlossen; desto mehr erfreute mich hier ein Anblick in nächster Nähe: am Stamme einer Ulme hatten die Soldaten eine richtige Schwarzwälder Uhr aufgehangen, die hier ihren Pendel so gemüthlich schwang wie in der glücklichsten schwäbischen Bauernstube.
Auch zu einem andern gemüthlichen Anblicke und zugleich zu einem Bilde verhalf mir der Nebel dadurch, daß er uns vom Berge vertrieb und dann als Regen niederfiel. Im Dorfe Gagny hatte auf einem freien Platze die zweite Compagnie des Infanterieregiments Nr. 106 ihre Feldwache unter ihrem Hauptmann von Brzeski. Mein erstes, diesen Brief begleitendes Bild stellt denselben nebst Dr. Larras und einem Officier in der lustigen Behausung dar, welche der Bausinn ihrer Leute ihnen an einer Gartenmauer errichtet hatte. Offenbar ist das Baumaterial dazu nicht weiter her, als der Baustyl. Fensterläden und Fenster, Thüren und Bettstatttheile, Fässer und Bretter hatten genügt, um eine Bude herzustellen die gegen Wind und Regen wenigstens auf einigen Seiten schützte. Desto glänzender war die Ausmöblirung: prächtige Sammetsessel, ein Tisch mit stattlicher Decke, feines Geschirr und selbst die Bretterwand nicht ohne den Schmuck der bildenden Kunst. Außer der Mannschaft, deren Gewehrpyramiden vor der Officierswohnung paradirten, belebten den Platz unzählige Katzen und Spatzen, welche sich bei der feindlichen Einquartierung furchtlos zu Gaste luden, nach den hingeworfenen Brodbröckchen haschten und den brachgelegten Fleischgeruch an den Feldflaschen und Tornistern übten.
Bei der Rückkehr zu unseren Jägern erfreute mich die Nachricht, daß unser Hauptmann ein unter Beeten verborgenes Weinlager entdeckt habe; es wurde von dem trefflichen Funde der Mannschaft redlich mitgetheilt, und halb zwei Uhr marschirten wir aus dieser unserer ersten Feldwache nach Montfermeil zurück.
Am Dreizehnten, einem Donnerstag, zog unser Jägerbataillon zum ersten Male im Ganzen auf Vorposten, und dies sollte nun bis auf Weiteres in Abwechselung mit den drei Bataillonen des 106. Regiments alle vier Tage an uns kommen. Diesmal kam unsere erste Compagnie in Reserve nach Maison-rouge, dem wirklich allerliebsten Besitzthum des Herzogs von Orleans, wie man mir sagte. Ich war so oft an dem reizenden Ding vorübergekommen, hatte mich ganz in dasselbe verliebt und war nun sehr befriedigt von der schönen Gelegenheit, es endlich innen und außen mit größter Gemüthsruhe durchforschen zu können.
Beim Eintritt in das Portal empfängt uns ein hoher mächtiger Vorsaal, dessen Wände und Decke mosaikartig mit Eichenholz ausgelegt sind. Im Hintergrund dieses Vorsaals führt eine breite Treppe, ebenfalls von Eichenholz, nach oben. Ueberall am rechten Ort sind in diesem Raume Vasen und Gemälde zum Schmuck der Wände und der Treppe geschmackvoll vertheilt. – Im Parterre öffnet sich uns zuerst das Zimmer zur Linken: hier ist jetzt das Officiersquartier, und ich theile dasselbe in meiner zweiten Illustration hier mit und zwar zugleich mit den Portraits der damaligen Insassen, des Herrn Major v. Götz, des Herrn Hauptmann Walde und des Adjutanten Herrn Premierlieutenant v. Haußen. Auch in diesem Zimmer tragen Wände und Decke Eichenholztäfelung mit feinsten Holzschnitzereien; ferner schmücken den fürstlichen Raum ein Kamin von Marmor und mit großem Spiegel, seidene Sessel, Divans, ein Pianino, Tisch mit ausgelegter Arbeit und sonstige Erforderniß des Geschmacks der vornehmsten Welt. Auch der große helle Saal vom Eingang rechts, ehemals der Speisesaal, widerspricht in seiner Verzierung dem nicht, was das Aeußere des Schlößchens verspricht, und nur die dermalige Bestimmung als Aufenthaltsort unserer Compagnie ist beim Bau schwerlich mit in den Plan gebracht gewesen. Im ersten Stock waren die Schlafgemächer mit hohen breiten Himmelbetten, Spiegeln und Gemälden an allen Wänden; von den Bildern sind freilich viele jetzt nicht mehr vorhanden. – An das Schlößchen stieß ein der Größe desselben entsprechender Park, geziert mit schönen und üppigen Statuen. Wahrlich, wenn irgend ein heimlicher Winkel, so war dieser dazu gemacht, glückliche Menschen zu beherbergen.
Das wird für lange Zeit wohl ein Wunsch bleiben; der neue Friede hat erst andere Menschen für solch ein Glück zu erziehen, und das wird länger dauern, als die Wegräumung der Bollwerke und Schützengräben, die jetzt auch dieses kleine Paradies theilweise zur Einöde gemacht haben.
Soweit für heute. In meinem nächsten Briefe werden wir die schöne Aussicht vor Chelles auf das Thal und die Ferne bei Fort Nogent, um die uns diesmal der Nebel gebracht, um so klarer auch im Bilde genießen. Bis dahin die besten Wünsche und Grüße!