Auf der Tränke

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl und Adolf Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf der Tränke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 118–120
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Vogelfang an der Tränke
Von den Geheimnissen der Vogelstellerei Nr. 1
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[118]
Von den Geheimnissen der Vogelstellerei.
Von Gebrüder Karl und Adolph Müller.
1. Auf der Tränke.


Die Erinnerungen aus der Jugend sind die lebhaftesten im Menschenleben. Vornehmlich bleiben die Eindrücke unverlöschlich, welche wir im unmittelbaren Verkehr mit der Natur und ihren Gebilden empfangen. Der Vogelfang und die Liebe zu den fröhlichsten Wesen der Fluren und Wälder bilden einen Mittelpunkt dieser Romantik und Naturpoesie des Volkes und der Jugend, und selbst der im Ernste des Lebens Stehende kann sich dem Zauber nicht verschließen, welchen die Erinnerung an die Beschäftigung jener Naturkinder auf unsere Seele ausübt. So steht noch jetzt, nach dreißig Jahren, die Gestalt des alten Fink, eines Vogelfängers unserer Vaterstadt, lebhaft vor unseren Seelen an jenem Tage, wo wir als Knaben ihn zum ersten Male auf den Finkenfang begleiten durften.

Der Eine von uns trug in drei niedrigen „Transportirkäfigen“ von Holz die „Lockvögel“, prächtige Distelfinken, einen Hänfling und einen Edelfinken; dem Andern hing Fink ein ziemlich umfangreiches Säckchen an, über dessen geheimnißvollen Inhalt er uns in spannender Neugierde und Erwartung ließ. Nach einem rüstigen Gang in der Septembersonne auf die benachbarten Ausläufer des Taunusgebirgs machte unser Führer plötzlich Halt in einem heimlichen Thälchen, durch das ein krystallheller Bach murmelte. Ihn umstanden Erlen und Ulmen auf einer Wiese, die an Felder mit Baumstöcken grenzte, durch welche im fernen Hintergrunde ein Dörfchen freundlich hervorblickte; von der Wiese ab dehnte sich einer jener freien Waldplätze, die der Forstmann als Blößen bezeichnet. Auf dieser mit Disteln über und über bewachsenen Steppe tummelten sich Gruppen Distelfinken herum. Ein Theil der Rührigen saß auf den Distelköpfen, ein anderer hing daran; hier kletterten von Stengel zu Stengel, von Kopf zu Kopf Ewigbewegliche, dort stritten sich Hähne mit dem hellen, zerrenden Kampfgeschrei um eine besonders reife, Samen versprechende Distelstaude herum und stiegen wohl auch manchmal, sich raufend, vor einander in die Höhe. Von den nahen Baumstöcken bis zur Distelsteppe hin flogen quälende ausgeflogene Junge um emsige Stieglitzenmütter mit ihrem unaufhörlichen „Zibet!“ – Töne, die von dem allen Fink mit dem Ueberschnappen der sich brechenden Stimme von Jüngling-Knaben verglichen wurden. Plötzlich rauschte, wie von einem unsichtbaren Ungefähr aufgeschreckt, der ganze Vogelschwarm von den Distelstauden, einen herrlichen Anblick von Gelb und Schwarz der ausgebreiteten Flügel darbietend, und nach einem Bogengang in den Lüften wieder in leisen Absätzen noch bunter als zuvor auf den Distelwald sich niederlassend. Uns ganz in das Treiben der Prachtvögel Versunkenen brachte Meister Fink zu einer etwas besonneneren Haltung mit der halblauten Mahnung: „Ihr Tausendsassa! mit Gucken und Lugen kriegt man keinen Vogel!“

Dabei schritt er auf eine breitere Stelle des Baches zu. Hier wurde das Bett desselben ganz seicht, so daß die weißen Kieselsteine überall heraussahen. Dieser Platz war eine sogenannte „Tränke“, eine Stelle, wo die Vögel an heißen Tagen besonders gern einfielen, um zu trinken und sich zu baden. Alle anderen seichten Stellen des Baches in der Nähe hatte der kluge Vogelsteller dicht mit Dornen belegt, um hier den Vögeln das Bad zu verwehren. An der Tränke bemerkten wir kleine Pfählchen, theils in das Ufer, theils in das Bachbett eingeschlagen. Sogleich schickte sich der Alte an, das Bündel auszukramen. Es enthüllte sich ein Netz von der Form eines länglichen Vierecks, aus viereckigen Maschen von feinem, aber starkem Bindgarn gestrickt, durch welche man knapp einen Finger durchstecken konnte.

Das Netz – „Garn“ genannt – mochte fünf bis sechs Fuß in die Breite und deren zehn bis zwölf in die Länge messen. Mittels starker Schleifen an den zwei Enden der Langseite wurde dasselbe in die zwei genau nach seiner ausgespannten Länge eingerammelten Pflöcke (aa) längs des Bachufers geschlungen und in eine schon vorhandene künstliche Erdrinne versenkt.

Die andere Langseite des Garnes (a’a’) – die sogenannte „Schlagwand“, lief an ihren beiden Ecken in zwei etwa acht Fuß messende „Leinen“ (a’b) aus; die ebenfalls in Schleifen endigten, um diese an die im Bachbette befindlichen, oben mit Haken oder Knöpfen versehenen Pflöcke (bb) zu schlingen – was Meister Fink das „Einbinden des Garnes“ nannte. Als dies geschehen war, holte dieser aus dem Säckchen zwei Stäbe von drei Fuß Länge (ss), die „Sprenkel“. Sie waren am einen Ende oben auf der Querschnittfläche mit einer Rinne versehen, welche in die Leine [119] der neben die erste Seite (aa) des Garnes angelegten und zusammengefalteten Schlagwand (a’a’) beiderseits rechtswinkelig eingeklemmt und mit dem andern Ende an die kaum über den Boden ragenden Pflöcken (cc) angestemmt wurden. Hierdurch war auf beiden Seiten die Leine mit der Schlagwand des Garnes äußerst stramm angespannt. Die Transportirkäfige mit den Lockvögeln wurden am Ufer gegenüber unter dem maserigen Wurzelstock einer Erle mit Zweigen sorgfältig bedeckt, was Fink in der Vogelstellersprache als „verblenden“ bezeichnete.

Die Lockvögel, bedeutete uns ferner der Alte, dienen dazu, die vorüberstreichenden Vögel durch Lockrufe heran und unter die Schlagweite des Garns zu locken. Inzwischen rollte unser Lehrmeister langsam ein Seil auf und führte dasselbe etwa sechszig Schritte weit in einem Winkel von ungefähr dreißig Graden schief zu den Garnwänden über den Bach hinüber zu einem dichten Erlengebüsch, wobei einer von uns dasselbe in der Nähe des Garns an einem Ende festhalten mußte, während Fink, rückwärts schreitend, es abwickelte. Indem der Alte nun vollends bei z das etwa halbfingerdicke Seil, die „Zugleine“ genannt, befestigte, ging uns Lehrlingen über die ganze Einrichtung des sogenannten „Zuggarns“ ein Licht auf. Als wir in dem Eifer unseres Verständnisses durch eine Bewegung mit der Hand uns unter einander zu verstehen gaben, daß hier ein Zug bewirkt würde, der durch rasche Hebung bei z die beiden Sprenkel um die Pflöcke (cc) wie um eine Achse schwinge und zugleich das ganze Garn in einem Bogen blitzschnell über das Bachbett hinziehe – da bedachte uns der Alte mit kurzen: „Habt’s verstanden, Pfifficusse!“ Wir begaben uns mit dem Vogelfänger nun in das Erlengebüsch, woselbst die Zugleine an einem Busche festgebunden wurde. Etwa zwölf Fuß von dem Garn entfernt, war sie durch eine in den Boden gesteckte Holzgabel gezogen, damit sie, hierdurch anderthalb Schuh über der Erde gehalten, beim Zuge die Schlagwand des Garns nicht allzu dicht über der Erde hinschnellte. Auch hatte Fink schließlich noch das Garn in der Rinne sorgfältig mit aufgestreuter Erde bedeckt, um es den Blicken der auf die Tränke einfallenden Vögel zu entziehen.

Der Alte lehnte inzwischen behaglich wider einen Erlenstock im Grase. Es war bereits sehr schwül geworden. Plötzlich ließ sich der lebhafte Ruf der Lockvögel vernehmen, dem aus der Luft herab sofort das helle, flinke „Stieglit“ und kurze Sätze aus dem schmetternden Distelfinkenschlage, sowie das muntere Krähen von Hänflingshähnen und das „Ju“ und „Fink“ der Edelfinken folgte. Augenblicks darauf fielen schon einige Flüge Distelfinken, Hänflinge und Edelfinken in kühnem Bogenschwung auf die Erlen ein. Erstere drehten sich mit gefächerten Schwänzen unter ihrem hellen Rufen auf den Zweigen und die Hänflinge mit den Buchfinken sträubten die Kopffedern unter beständigem, lustigem Krähen und Rufen. Der Alte ermahnte uns flüsternd, mausestill und regungslos zu sein. Wir lagen so unbeweglich auf der Erde hinter einem Erlenstrauch, wie das Garn am Bache, verloren aber keinen der Vögel aus den Augen. Aber die Finken mochten nicht zur Tränke herunter. Einige Stieglitze flogen wohl manchmal in kleinen Ansätzen nach der Tränke zu, allein sogleich in kurzen Wendungen unter ihrem eigenthümlich tiefen Warnpfiffe aus die Erlen zurück. Ebenso machten es unter Sträuben der Kopffedern die Buchfinken und Hänflinge, jene mit oft wiederholtem „Fink“, diese mit Krähen und Locken ihr Zögern verkündend.

Eben kam ein neuer Flug von Stieglitzen, Hänflingen, Finken, Zeisigen und sogar Goldammern mit Feldsperlingen auf den Erlen an.

„Wenn’s jetzt nicht geht, haben nie böse Beispiele und Gesellschaften gute Sitten verdorben,“ lautete das Selbstgespräch hinter dem Erlenstocke. Kaum waren die Worte geflüstert, als die Ammern mit den Sperlingen täppisch auf die Tränke einfielen und sich sogleich darauf breit machten; nun folgte ein Flug junger Zeisige, einiger unerfahrener Stieglitze, zu denen sich junge Hänflinge gesellten. So sehr die Sippschaft sich’s auf der Tränke wohl sein ließ – noch immer regte sich die Zugleine nicht. Wir schielten nach dem alten Finkler hin, aber der saß ruhig hinter dem Erlenstumpf und schaute, sein irdenes Pfeifchen rauchend, ganz gleichgültig von Zeit zu Zeit auf die Tränke, sogleich aber wieder mit prüfendem Blicke zu den Vögeln oben. Endlich waren die Gelbschnäbel und das Ammern- und Spatzenvolk des Trinkens und Badens satt und flogen schwerfällig mit durchnäßten Federn einer nach dem andern auf die niedrigen Aeste der Erlen, im Sonnenschein die Federn schüttelnd und ordnend. Doch kaum war der letzte nasse Ammer unbeholfen dem Bade zum nächsten überhängenden Zweige entflattert, da regte sich’s mit neuem Leben oben auf den Bäumen. Jetzt flog ein alter Distelfink nach dem Bachufer, gerade in die Schlagweite des Garns. Ihm folgte unter Anschluß der Hänflinge und Edelfinken ein Vogel hinter dem andern, so daß der Zug nach dem Garne bunten Fäden glich. Endlich, als der letzte Vogel auf der Tränke einfiel, schnurrte die Zugleine und wie der Blitz schnellte die Schlagwand über den Bach hin. Wie besessen fuhren wir hinzu, der Alte nach. Da zappelten, flatterten und steckten die Stieglitze mit dem ängstlichen Feuer in den Augen und mitten darunter ein Dutzend Hänflinge, Zeisige und Buchfinken, ihrer zusammen achtundvierzig Vögel. Behutsam holte der Meister einen um den andern der meist durchnäßten Gefangenen unter dem Garn hervor und barg sie in mehrere oben luftig gestrickte Beutelchen.

„Jetzt ist’s hier Feierabend,“ sprach der Alte vergnügt und setzte hinzu: „Gut’ Ding will Weile, aber auch sein Ende haben.“ Hurtig ging’s nun an das „Ausbinden“ des Garns, das, tüchtig ausgerungen, mit den Sprenkeln und der auf eine Holzgabel gewickelten Zugleine in das Bündel kam.

Auf dem Heimweg öffnete uns der Alte den Schatz seiner Erfahrungen über das Verhalten unseres Distelfinken und Hänflings in der Freiheit und dem Käfig. „Beide,“ sprach er mit Wohlbehagen, „sind vornehme Vögel, obgleich man sie fast allenthalben antrifft. Aber habt Ihr jemals einen Stieglitz oder Hänfling sich unter Spatzen und Gelbhasen“ – so taufte er die Goldammern – „auf dem Mist und der Straße herumtreiben sehen? Niemals. So war unser alter Hauptmann, der immer zu uns sprach: ‚Jeder brave Bursche meidet gemeine Kneipen und rohe Gesellschaft.‘ Ich hab’s auch meine Lebtage so gehalten, und wenn ich auch ein armer Vogelsteller bin, so hab’ ich doch meinen Sinn und meinen Kopf, den ich nicht für des Bürgermeisters und des ganzen Stadtraths seinen vertausche. Man ist eben gern, was man ist. Gerade so geht es unserm Distelfink und Hänfling. Beide nehmen nichts von andern Vögeln an, sie bleiben immer Stieglitze mit dem kecken gewandten Wesen, dem schönen Gefieder, der schlanken Gestalt und dem schmetternden, schwungvollen Gesang, der sich wie eine Reitermusik anhört; und die Hänflinge bleiben Hänflinge, die munteren, allerliebsten Himmelshähnchen mit ihrem weckenden, krähenden Schmettern, dem gelehrigen Wesen und den niedlichen Manieren. Wenn Ihr sie im Käfig lange gesund erhalten wollt, dürft Ihr ihnen nur mäßig Hanf geben, sonst werden’s Feinschmecker und faule Bäuche. Je nach der Jahreszeit reicht man ihnen Wegerich, Salatsamen, Mohn und geschälten Hafer, zuweilen auch Grünes. Dann ist Reinlichkeit und frische Luft, wie Sonne ebenfalls Bedürfniß. Vieler und freundlicher Umgang macht sie ebenso zahm wie gelehrig. Beide lernen vom Käfig aus- und einfliegen, wenn man ihnen außen nichts reicht, damit sie der Hunger und irgend ein Leckerbissen wieder in’s Gebauer bringt. Zu Hause hab’ ich einen Stieglitz, der sich sein Wasser und Futter in Eimerchen an Kettchen mit Schnabel und Beinen recht artig in die Höhe zieht, und einen Hänfling, der das ‚Wenn in die Ferne‘ von Eurem Vater gar schön pfeift. Der ist aber ein aufgezogener, den ich zu meinem eigenen Plaisir halte.“

Hier setzte unser väterlicher Freund noch die Ermahnung hinzu, bei Leibe keine Nester der „vornehmen Vögel“ auszuheben. „Ich könnte Nester voll Distelfinken die schwere Menge haben. Sie bauen mir ja alljährlich vor mein Haus, bald auf den großen Birnbaum, bald auf die andern Obstbäume und selbst auf die kleinen Stämmchen der Baumschule in meiner Nähe. Aber ich lasse sie gewähren. Hab’ ich doch viel mehr Freude an ihrem Treiben in der freien Natur, als wenn ich den armen Alten die Jungen nehme oder sie quäle, die Kleinen im Käfig vor dem Fenster aufzufüttern. Schon drei Jahre hintereinander ist so mein stilles Vergnügen die Brut eines Stieglitzenpaars vor meiner Wohnung. Meist auf dem überhängenden dünnen Gezweig des Birnbaums steht sein Nest. Da sollt ihr das Weibchen sehen, was das für ein Baukünstler ist. Wie das feinste Polster stickt und klebt es mit seinem spitzen Elfenbeinschnabel die Außenwand seines Nestchens von Moos und Flechten zurecht und rundet es inwendig mit Flügeln, Brust und Hals durch Anschmiegen, [120] Drehen und Wenden und durch Glätten mit dem Schnabel so nett aus Thier- und Pflanzenwolle und Roßhaaren, wie es keine Menschenhand kann. Dann legt das Weibchen fünf gar niedliche Eier mit hellrothen Pünktchen in das Nest und brütet sie in vierzehn Tagen aus. Getreulich wird es vom Hähnchen aus dem Kropfe gefüttert, so wie es die Tauben thun. Die niedlichsten Geschöpfe aber sind die Jungen. Sie wachsen wie das Gras und sind schon frühe rüstig und entschlossen wie die Alten, so daß sie bei der geringsten Störung aus dem Nest huschen. Bis zur Mauser im Herbst sehen sie auf dem ganzen Körper etwa so wie eine Lerche grau, mit Ausnahme der schwarzbraunen Flügel mit dem gelben Spiegel in der Mitte und der schwarzen Schwänzchen mit weißgetupften Enden. Auf den ersten Blick erkenn’ ich schon im Nest die Männchen: das sind die helleren mit den bleich graugelben Mäntelchen und wenigen Punkten auf der Brust; die mit der schwarzgrauen Färbung sind regelmäßig die Weibchen.

Die Hänflinge nisten weniger in der Nähe der Menschen. Das sind echte Waldvögel. Mit Ausnahme von manchen bebuschten Rainen, wählen sie immer am liebsten junge Fichten- und Tannendickichte zu ihrem Nistplatz. Da stehen gar oft die Nester dutzendweis. Sie sind zwar einfacher und nicht so schön gefilzt wie die Stieglitznester, aber immer niedlich und sauber, inwendig aus Roßhaaren oder Wolle, auswendig aus Würzelchen, Moos und Grashalmen geflochten. Die fünf bis sechs Jungen füttern die Alten wie die Stieglitze mit Sämereien aus dem Kropf und führen sie nach kurzer Zeit in die Felder, besonders an Rübsamen und Mohn. Gewöhnlich nisten sie, wie ihre Vettern Distelfinken, zwei Mal des Sommers. Die Schreier heute an der Tränke waren Junge von der zweiten Brut. So vermehren sich diese Vögel alljährlich nicht unbedeutend und thun manchen Schaden. Die Hänflinge sind die wahren Vögel im Hanfsamen, die Distelfinken besonders die Mohndiebe, welche mit ihren Schnäbeln die Mohnköpfe von unten anbohren, so daß aller Samen daraus zu Boden fällt. Aber diesen Schaden gleichen sie auch zum Theil wieder aus durch Verzehren von Unkrautsamen, und hundertfältig machen sie ihn wieder gut durch ihren Gesang, den die ‚Gabelschwänze‘“ – so nannte Fink die großen Exemplare unter den Stieglitzen – „fast das ganze Jahr über hören lassen.

Es giebt nämlich, müßt Ihr wissen, große und kleinere unter den Stieglitzen einer und derselben Gegend. Vornehmlich sind die großen, schöngefärbten Vögel auch die guten Schläger, während die trüberen kleinen meist einen stümperhaften Schlag führen, wie die Girlitze und Zeisige. Das sind Schwächlinge und meist Vögel von der zweiten Brut; aber keine besondere Art: denn ich habe gesehen, daß aus einem und demselben Neste Hähne von der großen und von der kleinen Sorte hervorgingen.“

„Auch von den Hänflingen,“ fuhr unser Naturweiser fort, „glauben die Leute gar oft Märchen. Sie meinen, die grauen, im ersten Jahr noch nicht ausgefärbten, oder die in den Stuben erzogenen, den Weibchen ähnlichen, seien eben graue Hänflinge, während die mit den blutrothen Brüsten und Scheiteln eine besondere Art, die Bluthänflinge, wären. Beide sind aber nichts anders als unser Hänfling, der sich allerdings in der Stube nie roth färbt, wie in der Freiheit. Da zieht er im zweiten und besonders im dritten Frühjahr ein wunderschönes blutroth gestreiftes Westchen über die beiden Seiten der Brust und eben solche Binde über den Scheitel und ein gelbes Halstuch um die Kehle und den Hals; da hat er eine rothbraune Capuze auf dem niedlichen Köpfchen über den Nacken herunter, die wie mit Reif überlaufen ist. Wird er gar im Freien ein altes Männchen, wie ich bin, so bekommt er statt des Blutroth ein Gelb, und dann nennen wir Vogelsteller unsern Liebling Steinhänfling. Ich muß gestehen, ich habe den Hänfling gar lieb, denn er ist eine heitere und dankbare Natur, die sich von augenblicklicher Noth nicht gleich einschüchtern läßt.“

Wir waren jetzt vor der Hütte Fink’s angekommen. Dankbar nahmen wir von dem erfahrenen Vogelsteller Abschied, der uns einen ebenso genuß- wie lehrreichen Tag verschafft hatte, an den wir uns noch heute mit innigem Vergnügen erinnern.[1]


  1. Fürsprecher oder gar Verherrlicher des handwerksmäßigen, leidenschaftlichen Vogelfangs zu sein, kann dem wahren Freunde der Natur, folglich auch uns, niemals in den Sinn kommen. Wir schildern in diesen und einigen weiteren Mittheilungen Erlebnisse, geben Bilder aus dem Leben und Weben der Vogelwelt, unbekümmert um pedantische Schranken engherziger Pädagogen oder um allzu zarte ängstliche Gemüther. Manchen interessanten Charakterzug, manches kluge, menschliche List geradezu überbietende und vereitelnde Benehmen und Verhalten lernen wir erst an dem Vogel in der Lage der Versuchung oder Bedrängniß kennen. Und eben die genaue Kenntniß seines Wesens nöthigt uns Achtung vor Seelenäußerungen ab, die dem vorurtheilsfreien Beobachter mehr sind, als der oft verächtlich gebrauchte Begriff „Instinct“ besagen will.