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Aus Oesterreichs Reichslanden

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Textdaten
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Autor: Heinrich Renner
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Titel: Aus Oesterreichs Reichslanden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 140–142
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus Bosnien und Herzegowina
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Aus Oesterreichs Reichslanden.

Von Heinrich Renner. Mit Zeichnungen von D. Israel.

Der österreichische Kaiserstaat ist nicht arm an sogenannten „interessanten Ländern“, die interessantesten jedoch und dabei wahre Perlen an landschaftlicher Schönheit sind die Provinzen, welche Oesterreich-Ungarn nach dem Beschluß des Berliner Kongresses 1878 militärisch besetzt und in Verwaltung genommen hat, Bosnien und Herzegowina. Im Munde der südslavischen Völker wurde Bosnien schon in alter Zeit die „zlatna Bosna ponosna“ (die „goldene glückliche Bosna“) genannt, aber fast vierhundert Jahre, während deren das Land unter türkischer Herrschaft stand, war diese Bezeichnung in keiner Weise gerechtfertigt, und erst, als im August 1878 Oesterreichs Doppeladler auf den Mauern der Serajewoer Festung aufgepflanzt wurde, begann eine Zeit der Entwicklung, welche staunenswerte Erfolge gezeitigt hat. Heute ist Bosnien neben Bulgarien das vorgeschrittenste Land des Balkans, und um so anerkennenswerter ist dieser Fortschritt, als noch vor wenig Jahren diese türkischen Provinzen gänzlich abgeschlossen vom Weltverkehr und ebenso unzugänglich waren wie gegenwärtig das Innere von Albanien. Harte Arbeit im Dienste der Kultur wurde hier geleistet; die äußerst geweckte und auffassungsfähige Bevölkerung kam den Bestrebungen der Behörden mit Vertrauen entgegen, und durch die volle Gleichberechtigung aller Religionsgenossenschaften, durch den verständnisvollen Schutz des mohammedanischen Elementes trat bald jene Ruhe und Zufriedenheit ein, welche allein eine gedeihliche Arbeit verbürgt. Heute durchziehen prächtige Kunststraßen und kühne Eisenbahnen das ganze Land, von den nördlichen Savegrenzen bis zu den Felsenbergen Montenegros. Bergwerke sind im ganzen Lande erschlossen, Viehzucht und Ackerbau gehoben, die Tabakkultur ist auf die höchste Stufe gebracht worden. Und daneben sorgen höhere und gewöhnliche Volksschulen in allen Orten für die geistige Erziehung der Jugend.

Bosnisches Café.

Es ist nicht die Aufgabe dieser Zeilen, ein vollständiges Bild der gegenwärtigen Zustände in den „occupierten“ Provinzen zu geben; nur gestreift sollten dieselben in großen Zügen werden. Haben doch auch Landsleute aus Deutschland einen ganz erklecklichen Teil an Bosniens Entwicklung. Blühende deutsche Kolonien, wie Ober- und Unter-Windthorst, Maglaj am Vrbas – jetzt Rudolfsthal (in der Nähe von Banjaluka), Franz Josefsthal zwischen Gradacac und Brtschka, sind von Hannoveranern, Oldenburgern, Rheinpreußen, Schlesiern, Schwaben und Badensern gegründet worden; neben ihnen haben sich Deutsche aus Ungarn und auch Südtiroler niedergelassen und hochauf ragen heute die stattlichen Gehöfte unserer Deutschen. Schulen und Kirchen bieten deutschen Unterricht und deutsche Predigt und meilenweit breiten sich die blühenden Fluren aus. Geachtet und geschätzt von der Landesregierung, leben die Kolonisten im besten Einvernehmen mit ihren bosnischen Nachbarn.

In den Städten Bosniens kommt die deutsche Sprache schon bedeutend zur Geltung. Daß die Beamten deutsch sprechen, ist selbstverständlich, aber neben der zahlreichen fremden Geschäftswelt weist auch die einheimische Bevölkerung schon ganz anständige Bruchteile Deutschsprechender auf. Ohne jeden Zwang hat sich dies vollzogen, und wenn einige serbische Agitatoren dagegen eiferten, weil das Volk seiner Eigenart entfremdet werden könne, so hat der Erfolg bewiesen, daß dies in keiner Weise der Fall ist. Bosniens Volk ist kerngesund; es entäußert sich nicht seiner Sitten und Gebräuche, es pflegt noch seine malerische Landestracht, und darum bietet Bosnien auch jetzt noch den Eindruck eines ganz orientalischen Landes.

Wenn man mit der Bahn die Hauptstadt Serajewo erreicht, macht diese mit ihren vielen Neubauten in der Ebene allerdings zuerst einen recht europäischen Eindruck, aber die hundert Moscheen mit ihren schlanken Minareten, die bis hoch an die Berglehnen sich hinanziehenden Türkenviertel mit ihren malerischen Häusern inmitten grüner Gärten, das bunte Getümmel auf den Straßen läßt bald erkennen, daß man sich im echten und gerechten Orient befindet. Wohl giebt es ganze Straßen mit hohen europäischen Steinhäusern, mit prächtigen Läden, große Gasthöfe und glänzende Cafés, mächtige Regierungspaläste und Kasernen, eine stolze griechische Kirche und eine gotische katholische Kathedrale. Macht man jedoch nur wenige Schritte seitwärts, so befindet man sich mitten im vollen orientalischen Leben. Das Handelsviertel, die „Tscharschija“, hat sich mit seinen sechzig und mehr Gassen noch ziemlich unverfälscht erhalten. Es ist ein malerisches Winkelwerk, so recht für den Stift des Zeichners geschaffen. Nach der Straße zu ist der Geschäftsladen nur eine vorspringende Holzbude, in welcher der Verkäufer mit gekreuzten Beinen hockt, wo aber auch handwerksmäßige Arbeit verrichtet wird. Hier hausen die Mohammedaner, Serben und Spaniolen (Nachkömmlinge der einst aus Spanien vertriebenen Juden) friedlich miteinander und warten auf Käufer; wenn die verlangte Ware in einem der Läden nicht vorhanden sein sollte, wird der Suchende ohne weiteres an den Nachbar gewiesen. Es ist dies noch ein Stück der alten Duldsamkeit, die nur durch die fremden Kaufleute so manchen Riß erleidet. In der Tscharschija erhalten diese aber fast nie einen Laden. Hier [141] besitzt der „Wakuf“ seine Gründe und im Bazarviertel wie im Besistan – der uralten Verkaufshalle – duldet der mohammedanische Kirchenfonds nicht, daß sich Fremde festsetzen. Da muß jeder Mieter einheimisch sein, die Religion bleibt Nebensache. Der Wakufverwaltung kann dies nicht verdacht werden, denn mindestens in den gedeckten Gassen des bombenfesten Besistan, welcher den Brand der Stadt unter Prinz Eugen und die furchtbare Feuersbrunst 1879 glücklich überdauert hat, muß das heimische Gewerbe, die heimische Industrie, welche auch von der Landesregierung begünstigt wird, einen Schutz finden. Hier muß der Mohammedaner so weit sicher sein, daß er nicht neben sich einen europäischen Nebenbuhler findet, der ihm die Kunden vermöge seiner größeren Beweglichkeit vor der Nase wegschnappt. Für die Europäer ist die Franz Josefstraße, die Kaiser- und Theresien-, zum Teil auch die Tschemaluschastraße da. Dort grenzt Laden an Laden, und die eingewanderten Geschäftsleute haben alle Gelegenheit, ihre Leistungsfähigkeit in vollem Lichte erstrahlen zu lassen.

Der Marktplatz von Serajewo.

Zum Bazarviertel gehören auch jene zahlreichen Gäßchen, in denen je bestimmte Handwerke getrieben und die Erzeugnisse von der Werkstatt weg verkauft werden. Da giebt es, wie in vielen deutschen Städten des Mittelalters, eine Schmiede-, Schuhmacher-, Lederer-, Schneidergasse etc. Hierher muß man seine Schritte lenken, wenn man nationale Arbeit sehen, wenn man gute Einkäufe machen will. Da sieht man die prächtigen verzinnten Kupfergeschirre mit wundervollen Verzierungen, hier werden die schönen Filigranarbeiten, die Cigarrenspitzen, Broschen, Ohrringe und Haarnadeln hergestellt, die auch in unseren Ländern schon teilweise einen Markt gefunden haben, da werden die türkischen Schuhe (Paputschen), die weichen gelben Stiefel für die Frauen gefertigt, die weiten Hosen und die mit Stickerei verzierten Jacken genäht, welche einen Hauptbestandteil der Volkstracht bilden. Ein reges Leben, ein Gewühl von Menschen und Tieren herrscht in diesen Gassen. Neben den einheimischen Käufern sieht man solche aus den verschiedensten Teilen des Landes, aus dem Paschalik Novibazar und aus Albanien. Neben der schon halb französisch gekleideten Serbin besorgt die Türkin in langem dunklen Mantel, das Gesicht dicht verschleiert, so daß nur die Augen sichtbar werden, ihre Einkäufe. Frauen von Beamten und Offizieren suchen von den Preisen etwas abzuhandeln; ihre Aufmerksamkeit richtet sich meist auf die berühmte durchsichtige, oft mit Silberfäden durchwobene bosnische Leinwand, welche in den Harems angefertigt wird und die sich so gut zu duftigen Sommerkleidern eignet. Die Spaniolin ist auch heutzutage noch ganz orientalisch gekleidet; das Gesicht wird wohl nicht mehr verschleiert, doch trägt sie noch immer den grell geblümten Shawl in Form einer Binde um den Kopf, der außerdem mit Reihen von Goldmünzen geschmückt wird. Bosnische Bäuerinnen in weißen, farbig gestickten Leinenanzügen, stets Silberschmuck um den Hals und im Haare tragend, bieten Geflügel oder andere Erzeugnisse ihrer Wirtschaft aus, türkische Mädchen im rot-weiß oder grün-weiß gestreiften kattunenen Umhängetuch drängen sich durch die Menge; ihre frischen meist hübschen Gesichter, die bis zum Eintritt des heiratsfähigen Alters unverschleiert bleiben, bilden eine angenehme Abwechslung. „Kafedschijas“, welche den schwarzen Mokkatrank in kleinen Schalen ihren Kunden in die „Dutschans“ (Läden) bringen, eilen hin und her; Brotverkäufer, das flache Gebäck auf großen Brettern tragend, [142] rufen ihre Ware und den Preis derselben aus. Und durch das Gewühl winden sich Tragpferde von der kleinen bosnischen Gebirgsrasse, beladen mit Holz oder Holzkohlen.

Nur eine Eigentümlichkeit des alten Serajewo ist fast ganz verschwunden: die zahllosen herrenlosen Hunde, welche sich auf den Straßen aufhielten und die oft blutige Schlachten lieferten, wenn ein anderer Hund sich in eine ihm nicht zustehende Gasse verirrte. Die Einführung eines Abdeckers und die Hundesteuer haben die alte Sanitätspolizei – und diese üben die Hunde ja in der Türkei aus – fast verschwinden gemacht. Nur vereinzelte Exemplare sind noch da und verkriechen sich scheu, wenn sie einen Europäer nahen sehen. Dagegen sind die Katzen das Lieblingstier geworden. In jedem Laden sitzen ein oder zwei Exemplare von oft erstaunlicher Größe.

Der Marktplatz, welchen unsere Abbildung S. 141 zeigt, liegt auf dem alten Wege zur Festungsstadt, die sich hoch über der eigentlichen Stadt erhebt. Hier wird das Grünzeug verkauft, hier befinden sich Fleischbänke und der Fischverkauf. Auch mehrere „Hans“ (Einkehrwirtshäuser) sind in diesem Marktviertel und viele Garküchen. Diese bestehen nur aus einem Raume; darin steht der große Herd, auf dem es in verschiedenen großen Töpfen brodelt. Die bosnische Küche ist schmackhaft, wenn auch manche süß zubereitete türkische Speisen das Wohlgefallen eines europäischen Magens nicht finden.

Die Zahl der türkischen Kaffeehäuser ist Legion. Meist sind es kleine fast finstere Räume, in denen man sich vergeblich nach Tisch oder Sessel umschauen würde. Rings um die Wände ziehen sich hohe hölzerne breite Pritschen, auf denen die Gäste mit untergeschlagenen Beinen sitzen. Eine merkwürdige Ruhe herrscht in einem solchen Kaffeehause. Die Gäste grüßen gewöhnlich nur durch eine Handbewegung, die vom Herzen zum Munde und dann zur Stirn führt. Dieser Gruß wird von allen Anwesenden erwidert und höchstens ein „merhaba“ (sei glücklich!) hinzugefügt. Jeder Gast raucht einen Tschibuk, zu dem der Wirt bereitwillig mit der Zange die glühende Holzkohle bringt, oder sein Nargileh, seine Wasserpfeife, zu welcher persischer Tabak (Tumbeki), in größere Stücke geschnitten, gehört. Das jüngere Geschlecht hat sich schon an Cigaretten gewöhnt. In diesen Cafés, die im ganzen Lande ziemlich gleich ureinfach sind (vgl. die Abbildung S. 140), herrscht aber an Festtagen, in den von Christen besuchten auch manchmal sonst des Abends, reges Leben. Da treten Sänger auf mit der Gusla – einem eigentümlichen einsaitigen Musikinstrument, das einen dumpfen Ton hervorbringt – und tragen die alten Heldensagen des Volkes vor; dann glänzen die Augen der Zuhörer und reiche Geschenke sind meist des Guslar Lohn.

So oft ich in Serajewo weilte, zog mich mein Herz stets in die alte Stadt, in die Festung. In der türkischen Zeit durfte sich in diesem von Mauern umfriedeten Teil nie ein Christ ansiedeln; auch durchschreiten durfte er ihn nur auf der Hauptstraße. Heute ist dies anders geworden; aber das unverfälschte mohammedanische Gepräge hat der Ort behalten, wenngleich bei einem Kaffeehause deutsch aufgeschrieben steht: „Hier sind Tabak und Cigarren sowie Bier zu haben.“ Da wandert man noch durch die engen Gassen mit dem holprigen Pflaster und weicht den Pfützen aus, die sich vor einzelnen Häusern gebildet. Hin und wieder begegnet man einem Moslim; mit mißtrauischem Blicke mustert er den Eindringling, der sich ohnehin kaum getraut, die Augen auf die mit Holzstäben vergitterten Fenster zu richten, hinter denen vielleicht dunkeläugige Schönen ihr Dasein vertrauern. Selbst die jungen Mädchen ziehen hier das Tuch über das Gesicht, sobald sie dem Fremdling begegnen, der in die Abgeschiedenheit des mohammedanischen Mittelalters sich hineingewagt hat.

Wie heute so muß es hier schon vor Jahrhunderten ausgesehen haben; denn dieser Teil der Stadt blieb vom Brand verschont, damals unter Prinz Eugen und wieder vor 15 Jahren, als die Flammen über der unteren Stadt zusammenschlugen. Einen schönen Anblick von außen bieten diese Häuser nicht, aber im Innern ist man erstaunt über die peinliche Sauberkeit, welche in allen Teilen herrscht. Da begreift man, warum die Stiefel beim Betreten der Stiegen und der Wohnräume ausgezogen werden müssen, und unaufgefordert that ich bei Besuchen dasselbe. Blütenweiß ist alles gescheuert; im „Selamlik“ (Herrengemach) war nicht ein Stäubchen zu entdecken und eine deutsche Hausfrau hätte ein Vergnügen an dieser Reinlichkeit gehabt. Was mich aber an den alten Türkenhäusern der Festungsstadt besonders wohlthuend berührte, das waren die schönen gutgepflegten Gärten, die lauschigen Haine und Hecken, die man nie hinter den verfallenen Mauern vermuten würde. Dazu Vogelgezwitscher überall, in jedem Busch eine Nachtigall, kurz, ein Stillleben, wie es sich die arabischen Dichter nicht besser erträumten …

Doch bald ist der Fremde wieder ins europäische Dasein versetzt. Oesterreichische Soldaten halten die Thortürme besetzt und an der Einmündung des Vischegrader Thores steht ein Zolleinnehmer, welcher den Bauern das Vieh besteuert. Das ist sehr abendländisch, und wir schauen, daß wir wieder ins Freie kommen. Am Wege liegt ein altes Kaffeehaus, ein Lieblingsort der Muselmanen, in welchem auch die Kronprinzessin Stefanie 1888 einmal ein Täßchen Mokka trank. Eine Veranda hängt förmlich über einem Abgrund und eine vielhundertjährige Linde beschattet den ganzen Platz. Der Blick fällt von hier weit ins Miljackathal – an welchem Flusse auch die Stadt liegt – in die wundervolle Gebirgsgegend an der Kozija-Tschuprija, der kühngebauten Ziegenbrücke. Wie Silberstreifen schlängeln sich die Straßen nach Mokro und nach Rogatica am Bergabhange hin, während unmittelbar in der Tiefe unten ein klarer Gebirgsbach sein Wasser, Hunderte von kleinen Fällen bildend, der Miljacka zuführt.

Auf steilen Ziegenpfaden und dann auf der neuen breiten Festungsstraße kann der Rückweg nach der Unterstadt angetreten werden. Längs der Miljacka trifft man auf zahlreiche türkische Kaffeegärten. Da ist besonders Bendbaschi hochberühmt, wegen seiner lauschigen Gänge und Sommerhäuschen fast über dem Flusse, gerade dort, wo derselbe aus den Felsen hervor sich der Stadt zuwendet. Von hier sieht man eine Menge der prächtigen Steinbrücken, die über die Miljacka führen. In den Ramazannächten, wann die Mohammedaner ausschwärmen, herrscht hier das regste Leben; arabische Musik und Tänzerinnen treten auf, mit bunten Lampen ist der Garten illuminiert. Sobald aber der Muezzin bei Sabah (Morgendämmerung) von den Minareten zum Gebet ruft, verstummt das laute Leben, und auch der albanesische Kafedschija verrichtet in der Moschee seine Morgenandacht.

Bis zum Jahre 1854, wo eine Revolution der bosnischen Begs – der mohammedanischen Großgrundbesitzer – gegen den Sultan wegen Einführung gewisser Reformen durch Omer Pascha blutig niedergeschlagen wurde, residierte der Wali von Bosnien nicht in Serajewo, sondern in Trawnik, einer auf der Linie Banjaluka-Serajewo in romantischer Gebirgsgegend gelegenen Stadt von ungefähr 6000 Seelen, die auch heute ein ganz orientalisches Gepräge trägt. Das Bazarviertel, von welchem unsere Abbildung S. 145 einen Teil zeigt, ist nur klein. Das Gebäude zur linken Hand mit dem auf gewöhnlichen Holzbalken ruhenden balkonartigen Vorbau ist ein Han, ein Einkehrwirtshaus. Die unteren Räumlichkeiten werden zu Ställen benutzt; im Oberstock befindet sich stets ein Café; daneben liegen die Zimmer für die Reisenden; diesen wird freilich außer einem Teppich, der auf die „Minderluks“ – die hölzernen Pritschen – gebreitet wird, keine weitere Bequemlichkeit geboten. Bettzeug und Decken mußte der bosnische Reisende bis vor kurzem stets mit sich führen; erst die neueren Gasthäuser, die schon überall vorhanden sind, haben darin Abhilfe geschaffen.

Unverfälschtes bosnisches Leben ist es, welches unsere Bilder zeigen, und es dürfte noch lange währen, bis die eigentümlichen Bauten verschwinden, wie sie in diesem Teile der Balkanhalbinsel gebräuchlich sind. In Bosnien wird sich auch der Mohammedanismus erhalten, denn seine Bekenner werden in jeder Weise geschützt und zeigen sich des in sie gesetzten Vertrauens vollkommen würdig. Serbien und Montenegro haben die meisten ihrer mohammedanischen Unterthanen durch allerlei Chikanen zur Auswanderung gezwungen, in Bulgarien ist die Auswanderung der meisten Türken freiwillig vor sich gegangen, nur in Bosnien behauptet der Islam seine alte Stärke, denn seine Bekenner sind Söhne des gleichen Volksstammes wie die christlichen Bewohner des Landes, sie lieben den Boden ihrer Väter und unter dem Schutze Oesterreichs können sie sich frei entwickeln nach ihren Fähigkeiten. Es giebt mohammedanische Richter, Beamte, Soldaten und auch bereits einzelne Offiziere, ein Beweis, daß die mit der Occupation übernommene Kulturaufgabe nicht in engherzigem Sinne seitens des Kaiserstaates aufgefaßt wird.


[145]

Bilder aus Bosnien: Das Bazarviertel in Trawnik.
Nach einer Originalzeichnung von D. Israel.