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Aus Robert Blum’s Leben (6)

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Textdaten
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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 6. Liebe und Ehe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 414–418
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[414]
Aus Robert Blum’s Leben.
6. Liebe und Ehe. Ein Capitel für unsere Leserinnen.

Es ist ein bemerkenswerther Zug in Robert Blum’s Wesen, daß er, sobald er nach langem hartem Ringen den festen Boden einer gesicherten Existenz unter den Füßen hatte, mit sehnsüchtiger Eile danach strebte, ein geliebtes Weib zur Genossin seines bescheidenen Glückes zu machen. Der erste Versuch mißlang. Ein reizender Mädchenkopf (Aquarelle) in Etui unter convexer Glasdecke, eine bräunliche Locke, die das Oval des Bildes umschließt, einige leidenschaftlich unglückliche Gedichte an Auguste (Forster) sind die einzigen Erinnerungen, die Robert Blum an seine erste tiefe Herzensliebe bewahrt hat. Um die Mitte der dreißiger Jahre, eher später, ist dieser Traum entstanden und dahingegangen zwischen dem Morgenroth zweier Tage. Der Inhalt der Gedichte läßt keinen Zweifel darüber zu, daß das schwere Wort „Untreue der Geliebten“ den Hoffnungen seines Herzens ein Ziel setzte.

Im Herbste 1837 wurde Blum durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser. Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!

Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelaide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“ Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheid’s steht vor mir in Lebensgröße, vom Maler Storck in Oel gemalt, in ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; Maler Storck war kein Schmeichler.

Ein einziges Gedicht an Adelheid hat Robert Blum uns erhalten. Es ist der Braut zu ihrem neunzehnten Geburtstage (1. Mai 1838) gewidmet. Es beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja – ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit. Erst am 18. August konnte Blum daran denken, eine Hochzeitsreise nach Berlin anzutreten, die er mit einer Geschäftsreise verbinden konnte und die leider die Ursache zu seinem ungeahnten tiefsten Unglück werden sollte. Am 9. September 1838 schrieb er darüber an seine „liebsten Eltern“:

„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger[1] im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Da führte mir der Zufall eine Arbeit zu, die sehr schwierig aussah, aber schnell vollendet sein mußte; ich nahm sie für vierzig Thaler an und vollendete sie in einer Woche Nachts. Dieser Verdienst, an den ich nicht dachte, den ich als gefunden betrachten mußte, veranlaßte mich, meiner Frau die große Freude zu machen, sie mitzunehmen. Heute würde ich untröstlich sein, wenn ich ihr diesen Wunsch versagt hätte. – Am 20. August reisten wir froh und munter ab“ – die Postfahrt dauerte etwa achtzehn Stunden – „und Adelheid hatte eine unendliche Freude, als sie die pompöse, riesige Stadt sah. Dienstag und Mittwoch war sie ganz wohl und heiter; Donnerstags bekam sie ein leichtes Erbrechen, was wir jedoch ihren Verhältnissen und dem Umstande zuschrieben, daß sie Vormittags ein Glas Eis gegessen hatte; auch war sie zu Mittag ganz wohl und ließ sich sogar den Champagner trefflich schmecken. Freitags war sie unwohl, hatte Kopfschmerz, Erbrechen, keinen Appetit, und da wir Abends reisen wollten, so fragten wir einen Arzt, ob es nicht besser sei, die Reise nun einen Tag zu verschieben. Dieser aber, als er hörte, daß wir von einen Gastmahl zum andern geschleppt worden waren, erklärte ihre Unpäßlichkeit für eine Magenüberladung, und hieß uns muthig reisen. So reisten wir denn Abends ab.“ (25. August.) Die Krankheit der Frau wird nach der Ankunft in Leipzig, die am Sonntag Mittag (26. August) erfolgte, immer schlimmer. Ein Arzt und außerdem Professor Braune werden gerufen. Durch energische Mittel wird das Fieber so weit gemildert, daß die Kranke sich bis Mittwoch (29. August) leidlich wohl fühlt. Gegen halb elf Uhr Nachts tritt eine Frühgeburt ein. Obwohl die Hebamme Alles für ungefährlich erklärt, schickt Blum „zum Hofrath Jörg, dem ersten Geburtshelfer Sachsens und hinsichtlich seines Ruhmes von ganz Deutschland, mit dem ich durch seinen Sohn, der mein innigster Freund ist, bekannt bin. Er erklärte, meine Frau wenigstens sehen zu wollen. Beim ersten Anblick nahm er mich bei Seite, erklärte mir, daß die Frau sehr krank sei, und ließ sich ihre Krankheitsgeschichte ganz genau erzählen, prüfte dann alle Recepte, billigte das Verfahren des Professor Braune und verschrieb vier verschiedene Arzneien. Der Hofrath blieb bis ein Uhr“ (Nachts den 30. August) „bei mir, gab selbst die erste Arznei, entließ die Hebamme, gab mir die genauesten Anweisungen und hieß mich jeden Athemzug bewachen. Als ich ihn begleitete und meine Frage wiederholte: ob die Sache lebensgefährlich werden könne? sagte er: ‚Es thut mir von Herzen leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist schon lebensgefährlich. Wenn sie ruhig bleibt, so haben wir Hoffnung; wird sie unruhig, so hat unsere Kunst ein Ende.‘ Mit welchem Gefühle ich mich nun an’s Bett setzte, könnt Ihr leicht ermessen, nie habe ich so ängstlich Secunden und Athemzüge gezählt wie die folgende Stunde. Adelheid war ganz ruhig, nahm ihre Arznei und klagte nur zuweilen mit tiefer Schmerzensstimme: ‚Ach, Robert, mir ist’s sehr schlecht.‘ Gegen halb zwei Uhr schlief sie ein; das Herz schlug weniger stark, und ein Hoffnungsblitz zuckte durch meine Seele. So dauerte es fort; die alte Mutter legte sich auf’s Sopha; ich, der ich drei Nächte nicht geschlafen hatte, fühlte mich sehr müde und legte mich um drei Uhr auf’s Bett auf Zureden der Wartefrau, der ich den Befehl gab, mich bei der geringsten Anwandlung von Unruhe, bei jedem stärkeren Athemzuge zu wecken. Ich war wohl kaum eingeschlummert, als sie mich aufrief. Adelheid war erwacht; die Herzschläge wurden wieder heftig; der Puls zeigte Fieber; sie hatte heftigen Durst und wollte nicht ruhig liegen. Jetzt kannte ich mein fürchterliches Loos, und während mir das Herz brechen wollte, mußte ich mit der scheinbar größten Ruhe für sie sorgen. Gegen vier Uhr wurde das Fieber heftiger, die Unruhe krampfhaft; der Verstand entwich, und nur ich war der leitende Faden in ihren Phantasien. Ich ließ Eltern und Brüder wecken, schickte eiligst zu allen drei Aerzten und hielt mit allen Leibeskräften [415] mein leidendes Weib. Den Jammer der Mutter erkannte sie, ohne ihn zu verstehen. Vater und Brüder erkannte sie nicht mehr; mich umklammerte sie fest und bat um Schutz und Hülfe gegen wer weiß welche äußere Dinge; der Todeskampf schien die Gestalt äußerer Anfeindungen für sie angenommen zu haben. Um fünf Uhr kamen die Aerzte zusammen, deliberirten lange, verschrieben noch eine Arznei, legten Senfpflaster hin und wieder; leere Versuche, sie war hin! Um sechs Uhr kam der letzte Krampf; sie hatte Streit mit Jemand in der Theaterloge und drohte, ihren Mann zu rufen. Auf meine Frage, ob sie noch erkenne, schlang sie einen Arm heftig um meinen Nacken und sagte: ‚Ich heiße Karoline Blum, und mein Mann heißt Robert.‘ Das waren ihre letzten Worte; die Pulse stockten plötzlich; sie hatte ausgelebt und ausgelitten! Das Herz schlug noch heftig bis gegen sieben Uhr; die Lippen zuckten convulsivisch, aber die Seele war entflohen; ein Nervenschlag hatte ihrem Dasein ein Ende gemacht.“

„Ich unternehme es nicht, Euch unsern Jammer zu schildern; wozu soll ich Worte machen über Dinge, die sich nicht beschreiben lassen. Von allen Aussichten, von allen Glücksträumen, die ich mir mit so vielen Mühen, Sorgen und Kosten erworben hatte, ist mir nichts geblieben: das ist die ganze Ernte von dem üppig prangenden Felde meiner Hoffnungen. Was ich im vorigen Jahre so sehnsüchtig zu verlassen wünschte, das öde, einsame, herzlose Junggesellenleben, ich werfe mich jetzt in dasselbe zurück, um den marternden Erinnerungen zu entfliehen die in meiner zertrümmerten Häuslichkeit mich verfolgen. Ich muß mein schönes, freundliches Logis verlassen, denn ich kann keine Ruhe und keinen Arbeitsmuth darin finden, und doch muß ich arbeiten, viel, viel arbeiten, wenn ich die drückenden Nachwehen der entsetzlichen Woche verlöschen will. ... Ach, das Schicksal hat uns fürchterlich betrogen; nur den kürzesten Frühling hat es uns gegeben und dann ungerechter Weise den herbsten Winter folgen lassen. Doch ich will ja nicht klagen.“

„Sonntags den 2. September wurde Adelheid beerdigt; der traurige Fall hatte die Stumpfheit der Menschen ungewöhnlich aufgeregt und Theilnahme erweckt; Sarg und Träger vermochten kaum die Kränze zu fassen, die von allen Seiten geschickt wurden. Schaarenweise waren die Menschen gekommen, sie zu sehen. Ach, sie sah so friedlich still und lieb aus; ihre schönen Brautkleider hatte sie seit der Trauung nicht wieder angezogen, jetzt liegt sie darin im Sarge. Fürchterlicher Wechsel, einmal zur Trauung, einmal im Sarge! und in so kurzer Zeit. – Wir hatten nur drei Wagen angenommen, die der Leiche folgten, aber alle meine Bekannten kamen uneingeladen in eigenen Wagen, und es wurde ein langer feierlicher Zug. Auf dem Gottesacker waren Hunderte von Menschen zusammen; das ganze Theaterpersonal stand um das Grab und empfing den Sarg mit feierlichem Gesange; Düringer hielt eine vortreffliche Rede; ein erhebender Chor von Stegmayer componirt zu diesem Zwecke folgte darauf, und der Geistliche, der uns getraut hatte, sprach den letzten Segen. Dann sank mein armes junges Weib in die Tiefe, aus der sie ewig nie wiederkehrt. Ich habe von alle dem fast nichts bemerkt, denn alle meine Sinne hafteten auf dem schwarzen Sarge und dem tiefen Grabe, aber ganz Leipzig sprach drei Tage lang von dieser Leichenfeier, wie selten eine gesehen wurde. Der oft verketzerte Schauspielerstand hat sich darin ein schönes Monument gesetzt. ... Es ist dies der bitterste Brief, den ich in meinem Leben geschrieben habe.“

Arbeit die Fülle fand Robert Blum in seinem tiefen Schmerze. Aber Trost gewährte sie ihm auch nicht. Als Wochen später ein ferner Freund ihm verspätet zur Hochzeit Glück wünscht, schreibt er verzweifelt an die Eltern: „Glück – und ich!“ Vergeblich suchten die Freunde ihn zu zerstreuen. Bis zu Visionen steigerte sich sein aufgeregter Seelenzustand. Am 24. September und 1. October erschien ihm die Verstorbene und führte lange Gespräche mit ihm, die er niederschrieb. Noch lange klingt der wilde Schmerz seiner Seele in den Briefen an Eltern und Schwester fort. Da wird es mit einem Mal stiller. Nur Eins konnte ihn trösten für das so plötzlich vernichtete Liebesglück: eine Liebe, die ihm voll ersetzen könnte, was er verloren. Und diese glaubte er nun erhoffen zu können in dem Hause seines treuen Freundes Dr. Georg Günther.[2]

Mit diesem ihrem einzigen Bruder hatte Eugenie Günther (geb. 13. Februar 1810) dem Hochzeitsfeste Robert Blum’s mit Adelheid Mey beigewohnt. Schon damals erschien ihr der bedeutende Mann nicht gleichgültig, und ein unbeschreibliches Gefühl, als ob sie ein theures Gut für immer verliere, drückte ihr Gemüth an seinem Hochzeitstage. Als Blum als Wittwer häufig das Haus ihres Bruders aufsuchte, mit dem Eugenie zusammen wohnte, und fast täglich mehrere Stunden in gemeinsamem Gespräch verstrichen, fühlte sie den Bann, den die Vollkraft des Charakters, der Reden und Gedanken dieses Mannes auf sie ausübte, immer enger und fester die Freiheit ihrer Neigung und Empfindung umstricken, und um sich mit Gewalt aus diesen drückenden Fesseln zu befreien, trat sie vor ihren Bruder und beschwor diesen, Blum nicht zu trauen, er meine es nicht ehrlich mit ihm, könne es nicht ehrlich meinen.[3] „Der Bruder tobte und schimpfte auf mich,“ schreibt Eugenie später, und – Blum kam tagtäglich wie zuvor. Er kam anfangs nur um Zerstreuung zu finden im Freundesgeplauder – er fand mehr als das. Er ahnte in Eugenie mehr und mehr die Einzige, an deren Seite er wieder glücklich werden könne. Aber er barg diese leise Hoffnung, die ihm der Frühling 1839 brachte, still und verschwiegen in seinem Busen; weder Georg noch Eugenie erfahren ein Wort. Nur der Klang der Stimme, nur die Augen hatten bis dahin gesprochen.

Aber andere Leute hatten auch Augen und dachten und wußten viel genauer, was den Wittwer Blum zu Günther’s führe, als die jungen Leute selbst es wußten. Hervorragend in dieser Erkenntniß war vor Allen die „betrogene“ Mutter der todten Adelheid, und sie beeilte sich, in sehr klaren Briefen an ihren Schwiegersohn „die zitternde Hand an die Feder zu legen“, und ihm die Früchte ihrer vernichtenden Menschenbeobachtung angedeihen zu lassen. Nach Empfang dieser Briefe faßte Blum einen raschen Entschluß. Er theilte Freund Günther deren Inhalt mit, und beschwor ihn, die Schwester aus Leipzig zu entfernen, um zu verhindern, daß die wüsten Laute solcher Dissonanzen etwa auch an ihr keusches Ohr drängen. Der Bruder beeilte sich, dem Rathe zu folgen. Jenny erhielt eine Einladung nach Kappel bei Chemnitz von ihrem Schwager Jost; im Hause des Fabrikanten Schnäbeli sollte sie wohnen. Am 5. Mai 1839 wurde die Reise angetreten. Dieser Reise danken wir eine Correspondenz, die ein wahrer Schatz genannt werden kann. Hier gebietet schon die Rücksicht auf den Raum, auf Weniges sich zu beschränken,[4] was für Blum’s Denkweise und Charakter von besonderer Wichtigkeit ist.

Bei der Abfahrt der Freundin war der Freund aus naheliegenden Rücksichten nicht zugegen. Er sandte ihr dagegen ein Briefchen zum Abschied. Dieser Brief mußte natürlich beantwortet werden. Man fuhr damals dreizehn und eine halbe Stunde von Leipzig nach Chemnitz. Es ist daher jedenfalls eine achtbare Leistung, daß Eugenie ihre Antwort noch am Abend ihrer Ankunft zur Hälfte vollendete. Blum antwortete erst am 14. Mai. „Soll ich mich entschuldigen? Der Civilisationsmensch hat immer eine große Schublade voll Entschuldigungen bereit liegen, von denen er bei jeder Pflichtversäumniß dem ersten Besten eine Hand voll ohne Wahl in’s Gesicht wirft. So kann und will ich Sie nicht behandeln, daher kurz: es ging halt nicht! – Daß Sie glücklich angelangt, hat mich herzlich gefreut, mehr noch, daß Sie auch meiner noch gedachten, als eine schöne Natur Sie mit ihren Reizen umgab und Ihrem Geiste eine schöne Feierstimmung mittheilte ... Aber ungerecht ist es, daß Sie uns das Trennungsweh vergrößern. Nicht genug, daß Sie uns verlassen haben; nicht genug, daß Sie in den Bergen umhereilen und den ganzen Frühling allein verzehren, Sie beschreiben uns Ihre Genüsse noch so reizend, daß uns Armen, die wir auf der ödesten Fläche des mercantilen Materialismus in dem traurigen dumpfen Gefängnisse einer Stadt eingesperrt sind, der Aufenthalt noch unerträglicher wird. – Wie es mir geht? Nun, ich könnte sagen schlecht und recht! Ich habe sehr viel zu thun. Die Messe über muß man pro patria schwärmen, muß bald mit diesem, bald mit jenem verzweifelnden Provinzialen [416] sich zusammen setzen, Hoffnungen affectiren, wenn auch complete Trostlosigkeit im Herzen wohnt, und so die Leute davor bewahren, daß sie nicht ganz versauern. Nach der Messe erschrickt man vor der Arbeit, die sich anhäufte.“ Endlich sagt er: „Sie haben Anlage zur Dichterin. Es würde nur auf einen Versuch ankommen, auch der Form zu genügen. Wollen Sie denselben nicht machen? Doch wozu? Die Poesie ist ein weiter Wiesenplan, auf dem tausend Blumen form- und regellos emporschießen, aber sie sind reich an Duft und Farbe und erfreuen und erheben Geist und Auge. Ordnet man sie nach Gattung und Farbe, bindet sie an den Stab der Form und schneidet jeden frisch hinaustreibenden Schößling ab, um der Pflanze die schmächtige Gestalt modernen Geschmackes zu geben, so vernichtet man den schönsten Reiz. Senden Sie also zuweilen ein rein der Natur entkeimtes Blümchen mit einem grünen Hoffnungsblättchen Ihrem dankbaren Freunde Blum.“

Auf die rasche herzliche Antwort der Freundin erwidert er nach seiner Dresdener Reise, wie schwer es ihm werde, seine Empfindung in Worte zu fassen: „Mögen Sie den Vergleich arrogant finden, ich kann nicht anders, als mich mit einer Blume vergleichen, die dasteht auf dem ausgedörrten weichen Boden der Zeit und des Lebens, versengt ist von brennenden Strahlen schwerer Schicksalsschläge und welk geweht von den Stürmen unserer Verhältnisse. Geben Sie ihr den belebenden Thau, das erquickende Wasser, sie wird die Wollust des neuen Lebens fühlen bis in die äußersten Fasern ihrer Form. Aber sie bedarf Zeit, um die welken Blätter wieder aufzurichten und Ihnen ihren Dank zu bringen in der freudigen Entfaltung ihres neuerweckten Organismus. ... Ob das Werk es verdient, ob es Ihnen lohnen wird? – wer weiß das vorher bei unserem Thun; wenn die Handlung an und für sich keinen Reiz hätte, so würde wenig Gutes geschehen auf dieser elenden Welt.“ Der Rest des Briefes gilt der Dresdener Reise.

Unsere Leserinnen mindestens, wahrscheinlich aber auch unsere Leser, werden ahnen, was nun folgt, nachdem schon der Anfang dieses Briefes einer unterdrückten Liebeserklärung so ähnlich gesehen. Eugenie schlug dem Freunde vor, nach Amerika zu ziehen, wenn ihm Europa unerträglich geworden. Darauf antwortete er am 14. Juni: „Nein, liebe Jenny, nach Amerika gehen wir nicht, wenigstens nicht, so lange noch ein Fünkchen Hoffnung vorhanden ist, für die Freiheit und einen besseren Zustand des Vaterlandes wirken zu können. Ja, wenn hinten weit in der Türkei die Völker nicht auf einander schlagen, wenn Louis Philipp seine ganze Nichtswürdigkeit durchsetzt; wenn Ernst August[5] triumphirt und, wie sich von selbst versteht, einige Dutzend Nachahmer findet – dann wollen wir wieder davon reden, das heißt, wenn wir dann noch können und nicht füsilirt sind. Das Wirken für die Freiheit, nur die Aussicht, die entfernte Hoffnung dazu, ist äußerst reizend und wohl eines trübseligen Harrens werth. Aber ich glaube nicht, daß das Streben nach dieser einen, allerdings heiligsten Pflicht es ausschließt, daß wir uns das einmal unvermeidliche Harren so angenehm wie möglich machen; ja insofern eine das Herz und den Geist gleichmäßig befriedigende Existenz dazu dient, uns zu veredeln und unsere Kräfte zu stärken und zu entwickeln, so dürfte es nicht bloßer Egoismus sein, wenn wir trachten, uns eine solche Existenz zu begründen. Eine solche fehlt mir, und mein Herz sehnt sich darnach mit aller Inbrunst, sehnt sich hinaus aus dem öden farb- und reizlosen Allein. – Können und wollen Sie’s versuchen, mir einen stillen, freundlichen Tempel der glücklichen, anspruchslosen Häuslichkeit zu bauen und das traulichste Plätzchen darin nach eigener Wahl für sich zu behalten? ihn ganz und gar mit mir theilen, bis uns eine höhere Pflicht hinausruft in das rauhe Leben, oder in das unerforschte Jenseits? – Sehen Sie, wie ich anfing, stand ein langer Brief vor meiner Seele, mit dieser einen gewichtigen Frage aber bin ich erschöpft; ich lege sie Ihnen trocken vor, ohne Schmuck, ohne Commentar. Sie kennen die Verhältnisse, Sie glauben den Menschen zu kennen. ... Nun harre ich Ihrer Entscheidung entgegen; sagen Sie nein, so thun Sie das kurz, ohne Gründe, ohne Bedenken. Sie wissen, ich habe eine derbe Schule durchgemacht und kann etwas vertragen. Denken Sie dann, ich habe Ihnen einen neckischen Traum erzählt, Sie haben darüber gelächelt und ihn vergessen. Aber darum bitte ich dringendst, stehen Sie mir deshalb in der Folge nicht ferner als bisher! Lassen Sie, liebe Jenny, nicht zu lange zwischen Hoffnung und Furcht schweben Ihren Robert.“

„Und ich sollte nein sagen?“ beginnt Eugenie am 15. Juni ihre Antwort und schließt sie mit „Ewig Deine Eugenie“.

„So ist denn mein Loos gefallen, und ich habe den glücklichsten Wurf gethan,“ schreibt Blum am 16. zurück. „Mein Leben hat wieder ein Ziel, mein Streben einen erkannten Zweck, und die Mühen, die täglichen Begleiterinnen meines Lebens, werden süß und leicht in dem Hinblicke auf den Genuß ihrer Frucht. ... So haben wir denn, liebe Jenny, den Grundstein unserer Zukunft gelegt; laß uns vereint daran fortbauen und uns bestreben, unter den tausend unglücklichen Ehen eine glückliche zu bilden! Es scheint mir dies so leicht, da der innige Anschluß an ein anderes Herz dem Menschen unerläßliches Bedürfniß ist, und es nur in seinem Willen liegt, das Band, das die Natur gegeben, so fest wie möglich zu schlingen. Wir wollen mit unbegrenztem Vertrauen, begründet auf Wahrheit und Offenheit uns entgegenkommen. Sage mir ohne Rückhalt, was Dir an mir mißfällt. Gestatte mir dasselbe und sei dabei der zartesten Schonung gewiß! Du wirst allerdings bei diesem Contracte sehr im Vortheil stehen.“

Und dann folgt die schöne Stelle, in der er ihr einzureden versucht, mit dem Bunde der Herzen sei auch die Ehe schon geschlossen, und darum – „laß mir wenigstens die süße Pflicht für Dich zu sorgen! Betrachte Dich als mein und nimm von mir Deine Bedürfnisse! Du erleichterst dadurch zugleich Deinem – nein unserem Bruder seine Lasten, deren er viele zu tragen hat, wie Du selbst am besten weißt. Also keinen Widerspruch, Weib, ich bin der Herr der Schöpfung und ‚soll Dein Herr sein‘ (die alte Ausgabe mit ‚Narr‘ wird confiscirt). Gehorche!“

Nicht unmittelbar nach Empfang dieses Briefes, aber später, in ruhigen Stunden, ist der Braut das schmerzliche Bewußtsein ihrer Armuth aufgestiegen, und sie hat ihrem Robert mit Nachdruck vorgehalten, daß sie nichts, gar nichts an Aussteuer ihm zu bieten habe. Darauf legte er seinem Briefe vom 13. Juli 1839 das nachstehende Gedicht bei:

„Du hättest nichts dem Bräutigam zu bieten
An Werth und Schmuck? Das thut mir wahrlich leid;
Man zieht solch’ inhaltleere Menschen-Nieten
Nicht gern in unsrer materiellen Zeit.
Und bringst Du mir nicht Heirathsgut und Schätze
An Silber, Gold und Perlen reichlich ein,
So sag’ ich nach modernem Zeitgesetze:
Laß’ ab von mir, mein Kind, es kann nicht sein!

Ja, Silber will ich! Zwar nicht jenes weiße
Und glänzende Metall, das aus dem Schooß
Der Erde holt der Mensch in blut’gem Schweiße,
Damit zu feilschen und zu prunken blos; –
Ich will das Silber innig wahrer Liebe,
Die sich als haltbar, ächt und rein bewährt,
Die selbst der Schicksalswolken bange Trübe
Mit mildem Glanz erhellet und verklärt.

Und Gold will ich! Zwar nicht das vielverfluchte,
Das in der Berge tiefen Gründen ruht;
An das der Menschen Habgier, die verruchte,
Die Seele setzt und Ehre, Recht und Blut; –
Ich will das Gold der felsenfesten Treue,
Das jeder Probe, auch der schärfsten, steht;
Das Gold, das stets im Herzensschacht auf’s Neue –
Wie viel man auch davon verbraucht – ersteht.

Und Perlen will ich! Zwar nicht aus den Tiefen
Des Meers, wo von Dämonen sie bewacht
Den süßen Schlummer des Vergessens schliefen,
Eh’ sie die frevle Gier an’s Licht gebracht.
Ich will die Perlen heiliger Empfindung,
Des Mitgefühls bei Andrer Schmerz und Lust,
Das Sinnbild göttlich-menschlicher Verbindung,
Wie’s thront im Tiefen einer edlen Brust.

Und daß zum Reichthum Reichthum sich geselle,
Biet’ ich Dir – karg zwar – gleiche Mitgift dar;
Wir bergen für des Lebens Wechselfälle
Die Güter auf der Laren Hochaltar. –
Du hast und bringst mir reichlich diese Schätze!
Und wüßt’ ich nicht, Du brächtest sie mir ein,
Dann nach dem ewigen Vernunftgesetze
Sagt’ ich: laß ab, es kann, es darf nicht sein!“

[417] Genug an diesen Proben! Wohl könnte noch eine große Zahl gleich schöner geboten werden. Aber die Versicherung mag genügen, daß dieser Briefwechsel, der sich mit kurzen Unterbrechungen von wenig Tagen, an denen die Brautleute sich in Kappel und Leipzig sahen, bis zum April 1840 hinspinnt, für die Charakteristik beider Theile, vor Allem für diejenige Robert Blum’s, ein wunderbar reiches Quellenmaterial bietet. Kein Interesse der Zeit, ja man kann wohl sagen keins der ewigen Interessen der Menschheit, bleibt hier unberührt. Doch durch alle Glückseligkeit der Liebe dringt immer wieder Blum’s ruhig-überzeugte Mahnung, daß er sein Heim nur gründe mit dem Vorbehalte, seine Schuld an das Vaterland abzutragen, sobald dieses rufe.

Er dachte wohl selbst kaum an diesen Vorbehalt, als am [418] 29. April 1840 der Pastor von St. Thekla bei Leipzig seine und seiner Eugenie Hand, und die Hand ihres Bruders Georg mit der Hand der geistvollen Lina Böhme zusammenfügte. Und über dem Häuschen, in dem Blum mit seiner jungen Frau allein wohnte, dem letzten einstöckigen Hause, das zur „kleinen Funkenburg“ an der Frankfurter Straße in Leipzig gehört, und über dem großen Garten, der sich daran schloß, stand nicht eine einzige trübe Wolke ein ganzes Jahr lang und länger. Hier erlebte Robert Blum im Juni 1841 und im September 1842 die ersten Vaterfreuden. Hier sah er seine „Herren Jungens“ mit dem Schäfer bis zum Thore ziehen, und hinter dem Hause auf der großen Wiese die Seiltänzer während der Messen anstaunen und zu den Aprikosenbäumen, die zu stark waren, um geschüttelt zu werden, sprechen: „Bitte, bitte!“ Hier wohnte er noch, als sein Name schon weit über das Weichbild der Stadt hinausgedrungen war.

Hans Blum.
  1. Die Verleger des Theaterlexicons, Pierer.
  2. Der damals die „Leipziger Allgem. Zeitung“ von Brockhaus redigirte.
  3. Noch im Jahre 1848 schrieb Fanny Lewald über Blum, er habe etwas dämonisch Anziehendes in seiner Natur.
  4. Auch ist Eugenie schon einmal von anderer Hand („Gartenlaube“ 1874, S. 726) liebevoll gezeichnet worden.
  5. Der verfassungsbrüchige König von Hannover.