Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube (Die Gartenlaube 1860/9)

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Textdaten
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Autor: Fanny Lewald
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Titel: Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 129
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.
Keine regenerirende Idee ist gleich fertig, gewappnet aus dem Schooße der Zeit gesprungen; alle Reformatoren haben für Aufrührer, für Unsittliche, für Empörer gegolten; alle neuen Seelen sind verspottet, mißachtet und wo möglich gekreuzigt worden. Geschieht dies jetzt nicht, so ist es wahrlich nicht die Schuld der Einzelnen, deren bestehende Rechte von den Reformatoren angetastet werden. Die Waldenser, Albigenser, die Hussiten, Savonarola und Wiklef mußten mit ihren Anhängern untergehen, ehe Luther das Werk der Reformation vollbringen konnte. Als er die päpstliche Bulle abriß von der Kirchenthüre zu Wittenberg, um sie unter dem Zujauchzen der Studenten auf offenem Markte zu verbrennen, als er, der Augustinermönch, dem Ehelosigkeit Gebot war, die Nonne Katharina von Bora aus dem Kloster führte und sich von einem seiner Freunde als Gattin antrauen ließ, da haben sehr viele diesen Empörer gegen Religion und Staat auch für einen höchst sittenlosen Menschen gehalten und ihm eben solche Gräuel angedichtet, wie den heutigen Reformatoren aufgebürdet werden. Hat doch selbst Christus, der sich mit Handwerkern umgab, der durch ununterrichtete Männer des Volkes die Schriftgelehrten und Pharisäer bekehren wollte, der mit eigner Hand die Geißel schwang gegen die Krämer im Gotteshause, für einen Aufwiegler, für einen Empörer gegolten und ist als solcher gekreuzigt worden. Wie mag man sich denn noch immer wundern, daß man auch jetzt die Menschen verleumdet, welche die Irrthümer, die furchtbaren Widersprüche unserer Zustände aufdecken und danach streben sie zu verbessern? Wie gibt es immer noch Menschen, die sich durch fremdes Urtheil irren lassen und davor erschrecken, daß man sie revolutionair und sittenlos nennt, weil sie den Muth haben, den alten Schlendrian der zur Sitte gewordenen Unsitte, den Schein des zum Recht erhobenen Mißbrauchs dreist und frei von sich zu werfen! Das hat Jeder thun, Jeder dulden müssen, der die Wahrheit gegen die Lüge, und sich selbst gegen das Beugen unter die Lüge vertheidigte, und als Christus den Tempel säuberte, Luther die Bannbulle verbrannte, da ist für den verständigen, für den innerlich freien Menschen auch die Furcht vor dem Götzen „Was wird man dazu sagen?“ verbrannt, der noch immer als erster Gott die Erde beherrscht und für die Schwachen die Stelle sittlicher Ueberzeugung vertritt.
Fanny Lewald.