Aus dem Klosterleben

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Titel: Aus dem Klosterleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 696–699
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[696]

Aus dem Klosterleben.[1]

Nr. 1.
Die erste Messe eines jungen Priesters – Geistliche Hochzeit – Im großen Speisesaale – Klosterball.

Als ich noch so dastand und mich in allerhand Gedanken über den Abschied meines Freundes, der mich hierher begleitet hatte, vertiefte, schlug heftiges Peitschengeknall an mein Ohr. – Sollte der Freund umgekehrt sein? – Da fuhren aber auch schon zwei Bauerwagen durch das Thor in den großen Hof herein. Die hübschen, jungen, feurigen Pferde waren mit Blumen und buntfarbigen Bändern geschmückt. Auf den mit Kränzen behangenen Leiterwagen saß eine Menge gastlich geputzter Leute. Es waren die Eltern, Geschwister, Verwandten und Freunde Arderian’s, eines neugeweihten Priesters, der morgen in unserm Stifte seinen Ehrentag (geistliche Hochzeit) feiern, d. h. seine erste Messe lesen sollte.

Das war ein Leben und Gedränge, eine Fröhlichkeit und Plauderei dieser mährischen Landleute, die dem Anscheine nach alle der wohlhabenderen Classe des Bauernstandes angehören mochten. Die irdische Seligkeit, das Glück, die Freude – Alles stand deutlich in ihren Mienen und Gebehrden gezeichnet. Bald kamen auch Arderian und der Gastmeister in den Hof, sie zu begrüßen. Das war eine Herzlichkeit! Die Mutter Arderian’s, eine kräftige Frau mit hochrothen Wangen, sprang wie ein junges Mädchen auf ihren geistlichen Herrn Sohn zu und weinte, ihn umhalsend, laut auf vor Wonne und Glück.

Mir traten auch die hellen, warmen Thränen in die Augen, denn ich gedachte meiner eigenen Eltern und Geschwister. Allein und verlassen stand ich da, schmerzvoll und bedrückt; aber im Grunde der Seele regte sich das frohe Hoffnungsgefühl, daß auch für mich einmal ein so rührend schöner Tag kommen werde, an dem ich die Meinigen in einem ähnlichen Entzücken sehen könne. Darum weideten sich meine Augen an der herrlichen Scene, die sich vor mir aufthat.

Wie der alte Vater sich bemühte, seinem nun hochwürdigen Sohne die Hand zu küssen, und dieser mit aller Macht abwehrte! Wie dann die Geschwister, zwei herrliche Bursche und zwei niedliche Mädchen, ein größeres und ein kleineres, Alle zugleich den Bruder umringten, sich seines Halses, seiner Arme und Hände bemächtigten und ihn mit wahrer Herzenslust abküßten! Wie dann endlich die Freunde halb schüchtern herantraten und dem jungen Priester ehrerbietig die Hände boten! – O, es war ein reizender Anblick, ein lebendes Bild, wie ich noch keines je gesehen hatte. Des Grüßens und Dankens, des Stoßens und Fragens war fast kein Ende, und das Alles im großen Wirthschaftshofe zwischen Pferden und Wagen. Von ferne gafften die Klosterknechte und Mägde, die einander laut herbeigerufen hatten, das Schauspiel gerührt und schweigsam an.

Bald gab es für mich nichts mehr zu schauen. Ich wanderte hinaus in’s Freie, wo ich mir das eben gesehene Bild eines Familienglücks weiter ausmalte und für mich die entsprechende Nutzanwendung davon machte. Ja, es ist etwas Großes – sagte ich mir – seinen Eltern eine solche Seligkeit zu bereiten, und sollte sie auch theuer erkauft werden müssen! Hier kostet es einige Selbstverleugnung. Aber was will das für einen jungen Menschen sagen! – Glücklich in diesen Gedanken schlief ich Abends spät ein.

Vielstimmiges Glockengeläute, das mich weckte, trieb mich an mit meinem Anzüge zu eilen. Auf ein Frühstück wartete ich vergebens. Auf dem Corridor des Gastflügels war viel Leben, Gerede, Hin- und Herlaufen, Rufen von mancherlei Stimmen. Die Dienerschaft mochte heute viel zu thun haben. Da erklangen von ferne die Töne eines Festmarsches, und ich eilte hinab in den Hof, der Gegend zu, woher die Musik erschallte.

Es war der Prälatenhof, von festlich geputzten Stadt- und Landleuten gedrängt voll. Das Prälatenthor stand angelweit offen, um der immer noch zuströmenden Volksmenge Einlaß zu gewähren. Aus dem großen Speisesaale über die breite Galatreppe herab kam nun der Festzug. Voran zwei Fahnenträger, in roth und weiße, mit goldenen Tressen besetzte Kirchengewänder gekleidet. Ihnen folgten etwa 12 Musiker, auf ihren mit Blumen gezierten Blechinstrumenten die fröhlichsten Weisen blasend. Dann kam eine Schaar paarweise geordneter Chorknaben, ebenfalls mit betreßten weißen und rothen Kleidern angethan. Alle hatten Kränze von künstlichen, mit Silber- und Goldfäden durchwirkten Blumen je um den linken Arm gebunden. Zwei von ihnen trugen hohe silberne Kirchenleuchter mit brennenden Kerzen, andere hatten gottesdienstliche Geräthschaften in Händen. Dann folgte die Geistlichkeit in ihren reichen, weißen, mit Silber und rosenfarbiger Seide gestickten, schweren Ornaten. Zuletzt der Primiziant, begleitet von dem Prior. Die Meßkleider, welche die Beiden anhatten, strotzten von Gold- und Silberstickereien, zwischen denen farbige Edelsteine schillernd hervorleuchteten. Jeder Geistliche trug am linken Arme einen strahlenden Kranz von feinen, mit Gold und farbigen Steinen durchwirkten Blumen.

Der Primiziant hatte ein verklärtes Angesicht und sah ernst, blaß, aber ruhig vor sich hin. Seine Miene gefiel mir sehr gut, aber sie war himmelweit verschieden von jener, die mich gestern so angenehm befangen hatte. – Ihm auf dem Fuße nach trippelten seine zwei Schwestern, als Brautjungfern weißgekleidet und bekränzt. Jede trug auf reich gesticktem Sammtkissen einen dem geistlichen Bräutigam gehörigen Kirchenkranz. Derselbe hatte die Gestalt einer Königskrone und war der eine von natürlichen, der andere von künstlichen Blumen gebaut. Die zwei Mädchen sahen recht hübsch und höchlich vergnügt aus. Dann schritten Vater und Mutter des Primizianten, Geschwister, Freunde, Verwandte und mehrere geladene Gäste paarweise einher, immer Mann und Frau, Jüngling und Mädchen. Mönche, die beim Gottesdienst nicht beschäftigt waren, bewegten sich mitten in der Kirche und schlossen sich da und dort an. Die Zuschauermenge drängte unordentlich nach. Ich nun mit.

Als wir in der Kirchenthür anlangten, hatte sich schon zum Schalle der Thurmglocken und Musik noch ein rauschendes Orgelpräludium gesellt. Das gab eine Disharmonie, die aber Niemanden störte. – Die Kirche war nach Möglichkeit geschmückt; alle Altäre glänzten in reicher Pracht; überall brannten Kerzen, die mit Blumen geziert waren; der Fußboden des Ganges, den die Procession betreten hatte, war reich mit Gras und Wiesenblumen bestreut, so daß mir das Gehen im Gedränge etwas schwer wurde. Eine dreifache Intrade von Pauken und Trompeten, die den schon vorhandenen feierlichen Lärm übertönte, zeigte an, daß der Festzug am Hochaltar angelangt sei. Die Geistlichen und Hochzeitsgäste nahmen in den Chorstühlen Platz. Der Primiziant wurde unter Assistenz der Priester zum Prälatensitze als seinem heutigen Ehrenplatz geleitet. Die Kranzjungfern stellten sich neben ihm auf; die Eltern saßen ihm gegenüber auf dem Platze des Priors. Die Trompeten schwiegen; das Glockengeläute erstarb; der Organist modulirte in sanftere Accorde über, und das Predigtlied begann.

Ich wurde vom Volke immer mehr und mehr nach vorwärts gedrängt, bis ich an eine Stelle kam, wo mich der kleine, häßliche Revisor Br–., der Neffe des Prälaten, der einen für Beamte abgeschlossenen Betstuhl inne hatte, erblickte und zu sich hineinwinkte. Bei ihm nahm ich nun Platz. Gleich darauf betrat ein mir ganz unbekannter Priester von kleiner, aber sehr belebter Gestalt die Kanzel. An seinem weiß-schwarzen Ordensgewande, das mit einem Chorhemde von zarten Spitzen bedeckt war, konnte man den Gast aus irgend einem andern Orden errathen. Als das Predigtlied zu Ende war, begann er zu sprechen. Seine Stimme war klar, seine Redeweise eindringlich und überzeugend. Ich hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu, weil er ein Thema behandelte, das auch mir nahe lag. Ich kann sogar sagen, daß diese Rede mich tief bewegt habe. Sie ging von dem Schrifttexte aus: „Ein Größerer ist nicht vom Weibe geboren“ – und umfaßte ungefähr folgende Darlegungen: [697] Wenn der Täufer Johannes den Vorzug hat, welchen Jesus ihm als dem Prediger in der Wüste, als dem Bekehrer der Sünder, als dem Täufer der Bußfertigen und als dem ersten Spender des schuldlösenden Sacraments zuerkennt: so theilt jeder wahre und würdige Priester nicht nur den Beruf dieses glorreichen Mannes, sondern hat auch Anspruch an die unübertreffliche Verheißung des Herrn: es sei kein anderer vom Weibe Geborener größer, weß Standes und Berufes er auch sonst sein möge. – Die erhabene Würde des christlichen Priesterthums erweiset sich aus der wundervollen Wirksamkeit des Opferdienstes, kraft dessen schon in den ältesten Zeiten jeder Priester in seiner Person vor den Augen der übrigen Menschheit geheiligt sein mußte, wie ja Jehovah selbst zu den Kindern Israels gesprochen hat: „Niemand von den Nachkommen der Priester, der ein Gebrechen hat, soll opfern dürfen. Sie sollen Alle geheiligt sein, wie ich, der ich sie mir geheiligt habe.“ – Wenn nun Gott selbst den Priesterstand für seinen besonderen Dienst erwählt hat, so liegt eine Würde darin, der auf Erden keine andere gleich kommt. – Auch ist nur dem Priester vorbehalten, mit geweihter Hand die Geheimnisse der göttlichen Liebe zu begehen, wie sie von unserem Religionsstifter in seiner Kirche niedergelegt worden sind. Was der Herr dem Apostelfürsten Petrus sagte: „Dir sind die Schlüssel des Himmels übergeben“ u. s. w., gilt jedem gesetzlich beorderten Stellvertreter der Apostel, jedem geweihten Priester. Dieser ist es auch, der das Amt des Johannes in der Wüste zu verwalten hat durch Belehrung und Erklärung. Alles Krumme wird gerade und gut gemacht durch des Priesters heiligende Predigt. Nur diese ist es und keine andere, die Antwort auf jene bedenkliche Frage giebt, welche die Frauen einst an der Gruft des Auferstandenen ausgesprochen haben: „Wer wird uns den Stein vom Grabe wälzen?“ Wer anders, als er, der dazu den Beruf und die Weihe hat.

Den Schluß der Rede bildeten Ansprachen an Vater und Mutter, Angehörige und Freunde; mit bewegter Stimme und bebendem Gefühle vorgetragen, verfehlten sie die beabsichtigte Wirkung nicht. Das erwies sich in dem lauten Weinen und Schluchzen fast sämmtlicher Zuhörer. Dann folgte eine Mahnung an den jungen Priester selbst, sein heiliges Amt segensvoll zu verwalten. Zuletzt erging noch ein Aufruf an das gesammte Volk, in dem Neugeweihten nicht nur den Diener des Herrn, sondern auch den rechtmäßigen Führer zum Heil zu ehren.

„Danken wollen wir dem Herrn “ – so schloß der Prediger mit erhöhter, eifriger Stimme – „daß die Quelle des Heils noch nach Jahrhunderten fließt und daß sie nach seiner Fügung niemals versiechen kann. Denn es erstehen immer wieder neue Arbeiter im Reiche der Gnade, wenn die alten zur ewigen Freude abgerufen sind. Und bitten wollen wir den Herrn, daß seine Diener auch stets dem großen Vorbilde nachstreben, auf dessen heiligsten Namen sie gesegnet sind in alle Ewigkeit.“ – „Amen,“ platzte die ganze Versammlung nach. Das wohlbekannte Schlagwort „in alle Ewigkeit“ hatte selbst mich dazu verleitet, obgleich es – aufrichtig gesagt – gegen meinen Willen geschah.

Nach der Predigt trat einer der assistirenden Priester vor den Hochaltar und stimmte einen Gesang an mit den Worten: Asperges me, den die Sänger auf dem Musikchor unter Orgelbegleitung weiter ausführten, während der Priester das Weihwasser nahm und allen in den Chorstühlen Versammelten, dem Neugeweihten zuerst und jedem der Gäste besonders, darreichte, damit er sich mit den Fingerspitzen selber die Stirn benetze. Dem übrigen Volke wurde das Weihwasser nicht eigentlich gereicht, aber der Priester besprengte es massenweise, indem er in der Kirche auf und abging.

Ich bekam zufällig keinen Tropfen, aber mein hinkender Nachbar, der sich zu dieser Ceremonie besonders hoch und gerade aufgerichtet hatte, desto mehr. Eine ganze Portion fiel auf sein schneeweißes Vorhemdchen und schien ihm eben nicht sehr willkommen zu sein, denn er brummte etwas vor sich hin. Das Wasser der Weihe hatte ihn mindestens in seiner Andacht gestört.

Nach der Ceremonie mit dem Weihwasser begann das Hochamt. Da ich von dem Hochaltare, an welchem es begangen wurde, etwas entfernt war und eine große Zahl Priester und Ministranten dort durcheinander wogte, außerdem aber auch die aus den auf glühende Kohlen gestreuten Weihrauchkörnern entwickelten Wolken, im Sonnenstrahl spielend, die Scene verhüllten, so konnte ich nicht genau erkennen, wie Alles vorging, was da geschah. In meinen Betstuhl gebannt, begnügte ich mich der aufgeführten rauschenden und vollstimmigen Musikaufführung zuzuhören. Nach meiner oberflächlichen Schätzung mußten mindestens sechszig Personen, Sänger und Instrumentalisten, thätig sein. Außerordentlich gefiel mir eine weibliche Alt-Stimme, die sich mehrmals Solo vernehmen ließ. Ihretwegen sah ich mich öfter nach oben um, konnte aber kein Mädchen bemerken. Mein Nachbar, der auch ab und zu aus seinem Gebetbuche heraus und umherblickte oder vielmehr so gräßlich schielte, daß ich in der That oft nicht wußte, ob er nach rechts oder links hinsehen wolle – mag errathen haben, warum ich so oft der schönen Altstimme nachsehe, denn er sagte leise und zutraulich : „Es ist kein Frauenzimmer, sondern einer der Sängerknaben; die Messe, die aufgeführt wird, ist von Eybler; ich weiß es g’wiß, weil mir’s der Pater Regenschori selber g’sagt hat.“

Ich wollte eben noch weitere Fragen thun, aber das Ertönen eines Glöckleins, das alle Andächtigen zum Knieen aufforderte, verscheuchte augenblicklich alle sündhafte Neugierde aus meinem Innern. Am Hochaltar sah ich ein Hin- und Hergehen, Niederknieen und Aufstehen der Geistlichkeit, ohne zu errathen, was vorgehe. Die Bedeutung der kirchlichen Ceremonien ist mir in keiner der zurückgelegten Schulen bekannt gegeben worden. Ich weiß, daß dieser Fehler im Christenthum allgemein ist.

Auch die Kranzjungfern konnte man von Zeit zu Zeit beschäftigt sehen. Bald standen sie von ihren mit rothem Damast drapirten Knieschemeln auf und brachten die Kränze dem Bräutigam der Kirche, bald wieder holten sie dieselben ab, um sie auf einem mit brennenden Kerzen besetzten Seitentische niederzulegen.

Das Hochamt mit allen seinen Abwechselungen dauerte etwa anderthalb Stunde, und mir fiel während dieser Zeit öfter ein, daß ich nicht gefrühstückt habe. Zuletzt verdrängte ein gottloser Hunger die heiligsten Interessen. Ich fragte meinen Nachbar, wie lange diese Ceremonien wohl noch dauern könnten, und er sagte mir, daß das Hochamt selbst nun bald zu Ende sein würde, daß aber darum an ein Fortgehen nicht zu denken sei. Man müsse doch auch den Segen des Neugeweihten erhalten, und da dieserhalb großes Gedränge entstehen werde, so könne es wohl noch eine gute Zeit dauern, bis wir daran kämen. Vordrängen könne er sich nicht und mir wolle er auch nicht dazu rathen.

„Werden denn nicht Alle auf einmal gesegnet?“ fragte ich etwas voreilig.

„Nein. Jeder erhält seinen besonderen Segen. Die Verwandten, Angehörigen und distinguirte Leute bekommen ihn mit Auflegung beider Hände, die Uebrigen aber paarweise je mit einer Hand, so daß der Primiziant immer zwei zugleich segnet.“

Unüberlegter Weise fragte ich, ob wir denn durchaus dabei sein müßten.

Der Gezeichnete sah mich mit dem einen Auge sehr scharf an, während das andere treulos abschweifte, sagte aber nichts. – Es geschah übrigens, wie er ausgesprochen hatte: als das Hochamt zu Ende war und sowohl die assistirenden Priester als auch alle Ehrengäste ihren Specialsegen erhalten hatten – ein großer, allgemeiner Segensspruch war ohnehin schon vorher am Schluß der Messe ertheilt worden – drängte das ganze Volk zum Hochaltar hin, um auch eine besondere Händeauflegung und Einsegnung zu erhalten. Ich und mein Nachbar blieben in unserem Betstuhle und entgingen in diesem Asyl wohl manchem Rippenstoß und Fußtritt, der als Zugabe der heiligen Handlung dort vorn verabreicht worden sein mochte.

Da ich nur Hunger hatte, dachte ich nicht weiter daran, mich früher zu entfernen, als mein Nachbar, und bekämpfte lieber das allerdings unangenehme, alle Poesie der religiösen Gebräuche zerstörende Gefühl. „Die Kirche ist wohl heute ganz ungewöhnlich voll?“ sagte ich zu meinem Nachbar, der schon längst sein Gebetbuch in die Tasche gesteckt hatte und müßig herumschaute.

„O ja! Zu solchen Gelegenheiten kommen die Leut’ viele Meilen weit.“

„Warum? Wer das einmal gesehen hat, der müßte – denke ich – genug davon haben, und so gar selten können solche Feierlichkeiten auch nicht sein.“

Wieder sah mich der Kleine mit dem einen Auge wie vernichtend an, sagte aber mild: „Sie vergessen die große Bedeutung, die der Segen eines Neugeweihten hat. Der gemeine Mann hält noch zehnmal mehr davon, als unsereins, und er unterläßt es nicht leicht, ihn so oft, als es möglich ist, zu bekommen. Da ist Mancher heute dabei, der an der Kirchthür umkehrt und sich noch einen [698] holt für den Fall, daß ihm der erste zu wenig ausgiebig scheinen sollte.“

„Muß denn das aber gleich sein, das – ich meine – gleich am Tage der ersten Messe?“ – Der Gefragte mochte einsehen, daß ich sehr unwissend oder vielleicht noch Schlimmeres, ein Spötter sei, und nahm deshalb eine strenge, belehrende und zurechtweisende Miene an, indem er sagte: „Die besondere Kraft des Segens eines neugeweihten Priesters dauert zwar acht Tage lang, aber das kann sich Jeder sagen, daß sie am ersten auch am frischesten ist. Das weiß auch jeder Bauer. Und unsere Bauern sind noch gut, sie haben noch Religion. Deshalb wird ihnen auch nichts zu sauer und nichts zu schwer, was die Religion von ihnen fordert. Es wär’ ein Unglück, wenn auch bei uns die alberne Freigeisterei und der naseweise Unglaube der Stadtleute überhand nehmen sollte. Die Vornehmen und Reichen, die Studirten und selbst schon einige Geistliche sind davon angesteckt, wohin soll das noch führen? – Ein Mensch ohne Religion ist aller Schlechtigkeiten fähig.“

Er erzählte mir dann noch Mancherlei über den kirchlichen Sinn des Landvolkes und seine Andachten. Mit der größtmöglichsten Harmlosigkeit hörte ich ihm zu; ich ahnte auch wirklich nichts Schlimmes. Dieser kleine, gezeichnete Schwätzer zeigte sich mir einfach als einen guten und eifrigen Katholiken. Das konnte ich ihm nicht verdenken. Manchmal drängte sich mir freilich das alte Sprüchwort auf: „Hüte dich vor Gezeichneten!“ – aber da ich darin immer eine große Ungerechtigkeit fand, so setzte ich auch hier den möglichsten Widerstand Allem entgegen, was mir an ihm verdächtig erscheinen konnte.

Endlich hatte das größte Gedränge aufgehört, und mein Kleiner erklärte, nun auch vortreten zu wollen. Ich ging mit und sah, daß ihm viele Leute, die ihn kannten, mit einiger Ehrerbietung Platz machten, worauf er auch – wie seine Mienen anzeigten – gerechten Anspruch zu machen schien. So kamen wir bald auch an die Reihe und knieten nieder. Pater Arderian schritt langsam die Reihe entlang, mit hochrothem, in Schweiß gebadetem Antlitz und sichtlich abgespannt legte er auf einen kurzen Augenblick die eine Hand auf mein, die andere auf des Kleinen Haupt und sprach dazu etwa drei Worte eines lateinischen Segensspruches, welchen er bei Andern, denen er weiter die Hände auflegte, fortsetzte, so daß sich wohl 12 bis 16 in das eine Gebet zu theilen hatten. Da sah ich zum ersten Mal die Wohlthat ein, die im Gebrauche der lateinischen Sprache beim priesterlichen Dienste – wenigstens hier in diesem besonderen Falle – liegt. Die Bauern, die gewiß den Trost haben, daß ihnen der Segen ungeschmälert zu Theil geworden ist, könnten das nicht glauben, wenn sie verständen, was der Priester zum Händeauflegen spricht. Ja, sie würden vielleicht mißvergnügt werden, wenn sie das heilige Bruchstück zum meilenweiten Weg in Anschlag brächten. Das sind ja gerade die Leute, die immer ihren vollen Preis herausbekommen müssen. Auf der andern Seite aber müßte so ein Neugeweihter bei solch großem Andränge des Volkes seinen Geist aufgeben, wenn er über jeden Gläubigen den vollen Segensspruch hersagen müßte und ihm das abgekürzte Heilverfahren nicht gestattet wäre. Wann auch würde er damit fertig, wenn ihn die Kräfte nicht verließen? –

Ich ging daher zufrieden mit meinem kleinen Antheil von dannen. Eine besondere Wirkung konnte ich davon nicht erwarten, das war selbstverständlich. Mein Hunger hatte zugenommen. Als ich mit meinem Nachbar vor die Kirche hinaustrat, schlug die Thurmuhr Eins.

„Nun wollen wir aber auch gleich in den Speisesaal hinaufgehen,“ sagte mein hinkender Begleiter, „denn um Eins soll gegessen werden.“

Das war süße Melodie für mein Ohr. Ich hatte keine Sorge um Arderian, der noch lange in der Kirche zu thun hatte, um an der Tafel erscheinen zu können, sobald das Essen begann. Ich dachte jetzt nur an mich. Wir traten in den Saal. Er hat die Pracht der Ausstattung wie die Bibliothek, ist aber kleiner. Glänzender Marmor, bunte Frescogemälde, Arabesken und Goldverzierungen aller Art bedecken sämmtliche gerade und krumme Flächen des Raumes. Auf der in Hufeisenform aufgestellten weitläufigen Tafel mochten über hundert Gedecke bereit liegen.

Eine Menge Gäste und Geistliche, die Verwandten des Primizianten, die Kranzeljungfern und mehrere geputzte Damen sind schon anwesend. In Gruppen stehen sie umher und sind in eifrigen Gesprächen begriffen. Den alten Eltern wird von älteren Geistlichen, den Mädchen und Frauen von jüngeren der Hof gemacht.

Endlich erscheint auch der Primiziant – früher als ich je geglaubt hätte – mit ihm der Prior. Den Beiden fast auf den Fersen folgen die Diener mit gewaltig großen Suppentöpfen.

Der Prior hatte kaum die Eltern des Neugeweihten an die Hand genommen und ihrem Platze an der Tafel zugeführt, als er auch schon sein Sammtkäppchen vom Kopfe nahm. Ein mehrseitiges Sst! Sst! forderte die Versammlung auf, dem Gespräche schnell ein Ende zu machen. Ein kurzes, stilles Gebet – und man setzte sich mit dem in einer so großen Gesellschaft unvermeidlichen Geräusch an die Tafel. Es dauerte aber nicht lange; auch die Andern schienen Hunger zu fühlen, wie ich.

Den Vorsitz führte der Neugeweihte; ihm zur Rechten und Linken saßen Vater und Mutter, Geschwister und Freunde; ihm gegenüber der Prior mit den zwei Kranzeljungfern und dem Festprediger.

Alle übrigen Tischgenossen setzten sich nach Gefallen in bunter Reihenfolge zu Tische; weder Rang noch Ansehen, noch das heilige Recht des Alters kam diesmals zur Geltung. – Da ich bescheiden wartete, bis für mich ein Platz übrig bleibe, so gerieth ich auch an das eine Ende der Tafel unter die kleinen Klosterbeamten. Nikodem und der Pater Gastmeister saßen auch da. Der Letztere war heute als Küchen- und Kellermeister voll Geschäftigkeit und stand oft von seinem Sitze auf, um die Dienerschaft zu commandiren, um die Tafel die Runde zu machen oder am Kredenztische Anordnungen zu treffen. Acht Diener waren in geordneter Bewegung an der Tafel, andere gingen aus und ein und schleppten auf langen Bretern volle Schüsseln herbei, leere fort. Jeder schien ein bestimmtes Geschäft zu haben. Der Binder (Küper), die rechte Hand des Kellermeisters, füllte die Wein- und Wasserflaschen und hatte mit einem ihm untergeordneten Burschen vollauf zu thun. Jeder Tischgenosse hatte nämlich zwei Flaschen, mit Wein und mit Wasser gefüllt, vor dem Teller stehen, die oft gefüllt werden mußten, denn es war ein heißer Tag und der Durst groß. – Neben der Dienerschaft war auch noch der Förster und sein hübscher Sohn, Beide in der kleidsamen Waidmannsuniform, mit Bedienung der Gäste beschäftigt.

Als die mannigfachen Braten aufgetragen wurden, erhob sich der Pater Prior von seinem Sitze und brachte mit weicher, milder Stimme und in wenigen Worten auf die Gesundheit des Primizianten und seiner Eltern ein Hoch aus, das im Nebenzimmer in einem dreimaligen Tusch von Pauken und Trompeten seinen Wiederhall fand. Mehr Toaste wurden nicht gebracht, aber Alles war sehr vergnügt, und es wurde sonst recht viel gelärmt und gelacht. Verschiedene Extraweine in großbäuchigen Flaschen wurden auf die Tafel gesetzt und ziemlich rasch in die Unterwelt befördert.

Arderian mußte die Tafel, die von halb zwei bis sechs Uhr dauerte, frühzeitig wieder verlassen, weil sich auf den Treppen und im Hofe ein paar Tausend Menschen versammelt hatten, die ihn um seinen Segen bitten ließen. Es waren die Leute, welche am Vormittag verhindert gewesen, oder deren Weg zum Kloster zu entfernt war. Arderian erfüllte ihre Wünsche mit all der Resignation, die dem heiligen Priesteramte eigen ist. Als er matt und müde wieder zurückkam, wurde die Tafelei geendet. Man stand auf, wurde still und betete oder that wenigstens so. Dann machte Jeder einen Rundgang, um dem Primizianten und seinen Angehörigen ein freundliches „Wünsch’ wohl g’speist zu haben“ auszudrücken.

Als ich meinen Rundgang machte und jedem der mir Begegnenden den so wunderbaren Wunsch lachend zuwarf, kam ich auch an meinen Freund, den alten Nikodem, der wohl glauben mochte, daß ich dem Weine etwas stark zugesprochen habe. „Na, Herr Candidat,“ sagte er, „machen wir jetzt auch ’n Tanzerl?“

„Tanzerl? Was meinen Sie, alter Herr?“

„Was ich mein’? Das sollen S’ bald seh’n. Kommen S’ nur immer mit.“ Und indem er mich am Arme mit sich fortzog, sprach er weiter: „Auch bei ’ner geistlichen Hochzeit darf der Tanz nicht fehlen. Capiren S’? –Weil aber der Prälat davon nichts merken soll und will, so wird der Hochzeitsball im Gastflügel abg’halten. Geh’n S’ nur mit.“

Wir langten im Gastflügel an und traten in einen kleinen Saal. Da es noch heller Tag war, so fehlte mir zu meinem Begriffe von Ball eine der Hauptsachen: Beleuchtung. So ein Städter [699] hat nun einmal seine beschränkten Begriffe wie der Landbewohner. – In einer Ecke saßen Musikanten um einen Tisch herum und rüsteten sich eben zur Arbeit. Im Nebenzimmer standen Spieltische nebst einem wohl versorgten Schenktisch. Der Platz füllte sich bald mit Gästen. Der Primiziant führte die Kranzeljungfern herein, die Eltern folgten, und bald ging der Tanz los.

Arderian eröffnete ihn mit seiner älteren Schwester. Andere folgten. Die jüngeren Mönche bemächtigten sich der Frauen und Mädchen, die da waren und tanzen mochten, und bald war mehr als die Hälfte der Gesellschaft in kreisender Bewegung, Nikodem mitten darunter. Der alte Mann! – Aber auch das alte Elternpaar fehlte nicht.

Die Musikanten spielten einen reizenden Oberländler. Gern hätte ich mitgetanzt, aber keine Tänzerin war übrig geblieben. O wie gerne hätte ich das hübsche, derbe Zimmermädel gefaßt, das sich im Spielzimmer allerhand zu schaffen machte; aber das ging nicht an. Ich tröstete mich demnach und sah zu. Mein Schicksal theilten indeß mehrere der jungen Beamten. Es lag überhaupt nichts Auffallendes darin, daß ich müßig dastand, indem es genug Zuschauer gab; aber meine studentische Eitelkeit war verletzt.

Der Primiziant wechselte beständig seine Tänzerin. Er führte nach und nach alle anwesenden Frauen und Mädchen, selbst seine in Wonne strahlende Mutter zum Tanze. Der gute Arderian! Seine Arbeit mochte jetzt ebenso anstrengend sein, als die des Segengebens am Vor- und Nachmittage; aber vielleicht war sie ihm doch etwas angenehmer. Mindestens sah er nicht matt und blaß aus.

Die Zuschauer verzogen sich später in das Spielzimmer und in die Nähe des Schenktisches. Auch mehrere Tänzer ließen von ihrem Eifer ab, und so kam ich denn auch glücklich daran zu tanzen. Der Pater Gastmeister, der zwar nicht tanzte, dein man es aber ansehen konnte, daß ihn die allgemeine Fröhlichkeit ergötzte, hatte mich schon einige Male scherzend aufgemuntert; jetzt faßte er mich an der Hand und führte mich zu einer der fein geputzten Frauen. Mich vorstellend sprach er:

„Da, Frau Verwalterin! bring’ ich Ihnen ’n Tänzer aus ’ner Hauptstadt; der kann’s recht.“

Ohne alle Ziererei und mit großer Freundlichkeit stand die junge Frau von ihrem Sitze auf und stellte sich an meine Seite. Bald wirbelte ich mit ihr im Galopp durch den Saal. – Daß ich mich dann auch an die andern Tänzerinnen wagte, versteht sich von selbst.

Zuletzt schien auch der schwache Nest von Etiquette, die bisher beobachtet worden war, zu schwinden, denn ich sah die beiden hübschen Zimmermädchen mit Geistlichen und Beamten tanzen, und es dauerte gar nicht lange, so hing auch ich an der schmucken Dienerin, die Freund Professor so reizend gefunden hatte.

Als ich wieder stille stand und Athem schöpfte, Himmel! da fuhr ein Blitzgedanke mir durch den Kopf: der Novizenmeister, der grobe strenge Herr meines sich entspinnen sollenden Klosterdaseins. Indessen scheuchte ich bald alle Bedenklichkeiten fort und sagte mir, was man sich, wenn man jung ist, in ähnlichen Fällen zu sagen pflegt: Wer weiß, ob er etwas davon erfährt. – Ich verharrte also im Genusse des frohen Augenblicks.

Gegen 9 Uhr wurden Lichter gebracht und die Gesellschaft verringerte sich ganz bedeutend. Arderian und seine Angehörigen, die älteren Geistlichen und die Beamtenfrauen nebst ihren Töchtern gingen zur Abendtafel und kamen nicht wieder. Die jüngeren Mönche und Beamten und einige Gäste von außerhalb blieben zurück, spielten, tranken und schwatzten. Ich blieb auch. – Bald sammelte sich in den geöffneten Thüren ein Zuschauerpublicum von Köchinnen, Lehrmädchen, Mägden und dergleichen. Der hübsche Theil derselben wurde zum Tanze geholt, und so dauerte die Lustbarkeit bis gegen Mitternacht. Müde und befriedigt suchte und fand ich bald mein Zimmer und entschlief auf dem bequemen Lager mit dem ernsten Gedanken, daß ich den Pater Gideon beim Klosterballe nicht gesehen habe. –

Zwei Tage blieben noch die Angehörigen Arderian’s im Stifte, ich bekam sie aber wenig zu sehen. Nach zwei Tagen endlich fuhr die Hochzeitsgesellschaft wieder ab und Arderian mit ihr. Er hatte auf acht Tage Urlaub erhalten, um das Fest der ersten Messe in seinem Geburtsorte, im Vaterhause, in seiner Dorfkirche noch einmal zu begehen. Bei solchen Dorfprimizen soll es noch viel feierlicher und fröhlicher hergehen als im Kloster. Da Arderian’s Eltern wohlhabende Leute sind – sagte man mir – so können sie es sich etwas kosten lassen. Solche Leute pflegen sich zu sagen, solches Glück und solche Ehre werde nicht Jedem zu Theil. Auch soll die Idee, daß den Eltern eines geistlichen Herrn Sohnes als des Vermittlers zwischen Jenseits und Diesseits der bessere Theil gesichert sei, nicht wenig zum Glücke der Angehörigen beitragen. Meine Eltern scheinen dieser Idee auch nicht fremd zu sein. Ihr guten Eltern! –



  1. Der Verfasser dieser Skizze, der noch einige andere folgen werden, war 13 Jahre lang Benedictinermönch und als solcher Mitglied eines der ansehnlichsten Stifter Oesterreichs. Seit einem Jahre in Preußen ansässig, arbeitet er augenblicklich an seinen Erinnerungen, die viel Interessantes enthalten und nächstens erscheinen werden. Wir freuen uns die Leser der Gartenlaube mit einem Theile dieser Erinnerungen überraschen zu können, denn besonders für unsere protestantischen Leser dürften diese Mittheilungen viel Neues enthalten. – Der Verfasser schildert in obigem Capitel seine Erlebnisse als Novize des Stiftes in den ersten Tagen seines Eintritts, und namentlich die priesterliche Weihe eines jungen Geistlichen.     D. Red.