Aus dem Lande der Sarden
Baron Maltzan, der vortreffliche Archäolog und bekannte Reisende, sagt in seinem Werke über Sardinien: „Daß das Land einige landschaftliche Schönheiten besitzt, daß es eine interessante Fauna aufzuweisen hat und daß sich daselbst große, geheimnißvolle Denkmäler, die Nurhagen, befinden, das wäre so ziemlich Alles, was man in unserem Vaterlande über Sardinien wissen dürfte.“
Und doch – welche landschaftliche Schönheiten bietet es dem Reisenden in seinen riesigen immergrünen Eichenwäldern, die dem Beschauer die wunderbaren Compositionen eines Claude und Poussin in’s Gedächtniß rufen! Wie großartig sind die weiten Steinflächen seiner wilden Gebirge! Da zieht der gigantische Geier noch ganz unscheu nahe beim einsamen Reisenden seine stillen Kreise. Und seine malerischen Bewohner haben sich in Tracht und Sitte noch urfrisch bewahrt. Alles dies giebt dem Griffel und dem Pinsel einen großen Stoff. Dem Eisenbahn-Touristen freilich, der an die Bequemlichkeiten des italienischen Festlandes, der Schweiz etc. gewohnt ist, der mit dem rothen Buche in der Hand gedankenlos von Stadt zu Stadt eilt und hier Galerie um Galerie, Kirche um Kirche, oft ohne das geringste Verständniß dafür zu besitzen, durchwandelt, ihm würden die Schönheiten des Landes, die er auch wohl in hundert Fällen gar nicht zu würdigen wüßte, die Beschwerden gar nicht aufwiegen, welche damit verbunden sind, das Innere der Insel Sardinien zu bereisen. Solche Touristen sollen aber auch gar nicht nach Sardinien kommen; sie sollen dieses schöne Land nicht verunzieren durch ihre langweiligen Gestalten.
Wie denke ich in stiller Wehmuth an dich zurück, du heiliger Wald am Monte Creria, an der Gebirgskette des Gennargento! Wie majestätisch durchzog die Flumentosa deine heiligen Hallen im stillen Thale! Wie ernst ruhig ragtet ihr Riesenbäume in dunkler Pracht gegen das tiefblaue Firmament! Armer Wald! In dem Augenblicke, wo ich diese Zeilen niederschreibe, steht von dir vielleicht nichts mehr. Der Herbstwind geht über die Stätte, wo noch vor kurzer Zeit unter deinem Schutze der wilde Eber und das stolze Rothwild gewandelt. – Auch du bist der Speculation, die in den fernsten Welt-Winkel dringt, zum Opfer gefallen.
Und doch dankten wir, mein Freund F. und ich, diesem Umstände den Aufenthalt, welchen wir acht Tage in diesem herrlichen Walde nehmen konnten. Wir lernten zufällig den Eigenthümer dieses Waldes kennen, der denselben an sich gebracht hatte, um ihn fällen zu lassen und die riesigen, gesunden Stämme zu Schiffsbauzwecken zu verwenden. Aus allen anderen sollte Soda bereitet werden. Um aber den Transport der Bäume nach Arizzo herunter zu ermöglichen, von wo aus sie weiter geschafft werden können, mußte eine eigene Straße nach dem Walde gebaut werden. Und diese Straße, an der hunderte von Arbeitern beschäftigt waren, ging eben jetzt ihrer Vollendung entgegen. Im Walde wohnten die Arbeiter in Baracken und Herr C. bot uns, nachdem er erfahren, daß wir behufs künstlerischer Studien die Wälder besuchen wollten, Wohnung in einer der Baracken an, welche nicht übel eingerichtet war.
Wenn wir dann des Abends am Kaminfeuer saßen und der riesige brennende Eichblock darin sein Licht bis in den fernsten Winkel schickte, während draußen, dicht am Hause, die tausendjährigen Eichen ihre Häupter schüttelten, dann überkam mich oft tiefe Wehmuth – ich gedachte des Schicksals all dieser Baumriesen. Als wir endlich Abschied nahmen und ich Eichendorff’s schönes Lied: „Lebe wohl, du schöner Wald!“, in deutschen Tönen sang, die vielleicht zum ersten Male hier oben erklangen, war es mir, als nähme ich Abschied von einem theuren Freunde auf immer; denn führt mich jemals mein Weg wieder dorthin, dich finde ich ja doch nicht wieder, herrlicher Wald am Monte Crecia! Die Straße braucht nur noch wenige Wochen bis zu ihrer Vollendung; dicht an deinem Rande arbeiten schon Hunderte an deiner Leichenstraße. Als wir schon weit, weit von dir entfernt waren, tönten noch ein paar dumpfe Donner uns nach. Man hatte Steinblöcke gesprengt. Ich aber nahm es als deinen Scheidegruß, du schöner Wald.
Wir hatten uns in Ajaccio eingeschifft und liefen nach einer ziemlich stürmischen siebenstündigen Fahrt in den beinahe rings ummauerten kleinen Hafen von Porto Torres, dem Turris Libyssanis der alten Römer, ein, und ich betrat nun den Boden des Landes, mit dem sich meine Phantasie schon so lange beschäftigt. Der erste Anblick war ein ziemlich trostloser. Ein paar Straßen mit kleinen Häusern, eine alte Kathedrale und ein Haufen zerlumpter Kerle, die sich bei unserer Landung wie die Geier auf unser Gepäck stürzten – das war der erste allgemeine Eindruck.
Von Porto Torres nach Sassari führt eine Eisenbahn. Wir lenkten also unsere Schritte nach dem nahen Bahnhof. Es war ein eigenes Gefühl für mich, wieder eine Eisenbahn zu sehen, denn wir hatten uns schon einige Zeit in dem ein solches Beförderungsmittel nicht besitzenden Corsica herumgetrieben. Auf dem Bahnhof wurde mir zum ersten Male Gelegenheit geboten, sardinische Landleute zu sehen. Wild und verwegen sahen dieselben zwar aus, wir überzeugten uns jedoch später, daß hier der Schein trügt, denn wir haben die verrufensten Gegenden besucht, ohne daß uns ein Haar gekrümmt worden wäre. Zur Ehre der Sarden sei es gesagt: sie sind zu stolz zum Rauben. Wohl wallt ihr hitziges Blut leicht auf, und sie sind dann auch schnell mit der Waffe zur Hand, denn Morde aus Rache gehören gerade nicht zu den Seltenheiten.
Indeß, wie oben gesagt, verwegen schauten die Kerle auf der Station doch aus. Unter der schwarzen, auf der einen Seite über das Ohr herunterhängenden, in einem langen Sack endenden Mütze wogten wilde, rabenschwarze Haare bis auf die kräftigen Schultern herab und verloren sich da in den schwarzen zottigen Haaren des aus Ziegenfellen gearbeiteten, ärmellosen Rockes, Bestipede (Fellgewand) genannt. Wild blitzten die kleinen, schwarzen, feurigen Augen aus dem mit dunkelem Barte umrahmten verwetterten braunen Antlitz. Die Weste, Corpetto geheißen, war von rother Farbe und nach der Seite zu mit eng aneinandergereihten kleinen, runden, locker hängenden Knöpfen geschlossen. In manchen Gegenden ist die Weste ebenfalls schwarz und vermehrt so das Düstere des ganzen Anzuges. Nach oben weit, meist viereckig ausgeschnitten, ließ sie das weiße Hemd sehen, welches, ebenfalls weit ausgeschnitten, an dem braunen, sehnigen Halse durch zwei in der Regel von kostbarem Metall sorgfältig gearbeitete Knöpfe zusammengehalten wird. Der Kragen des Hemdes ist breit und geht über Weste und Rock. Die bauschigen weißen Hemdärmel bilden einen angenehmen Contrast zu dem dunklen Schwarzbraun des sardischen Fellgewandes. Ueber die weiten, weißen Beinkleider von Leinen (carzones) hängen die Sarden kurze, faltenreiche Röcke (ebenfalls carzones genannt) von schwarzer Farbe, die frauenartig bis zur Hälfte des Oberbeines reichen und an den Hüften durch einen breiten Ledergurt von derselben Farbe gehalten werden. In derselben stak der lange dolchartige Säbel. Die weißen Beinkleider verloren sich in bis über die Kniee reichende schwarze Stoffgamaschen, die auf schwere, nägelbeschlagene Schuhe fielen. Einige hatten kurze, dunkle, meist schwarze, ebenfalls mit kleinen silbernen Knöpfen versehene Capuzenröcke, welche in der Regel nur umgehängt getragen werden. Denke man sich nun dazu ein meist sehr langes, oft schwarzgeschäftetes Gewehr, so hat man das Bild eines sardischen Bauern, der, nach unseren Begriffen, allerdings eher einem Räuber, als einem Landmanne gleicht. Jedoch man wird gestehen müssen, daß der Eindruck eines so Gekleideten von ungeheuer malerischer Wirkung ist.
Von Porto Torres trug uns die eherne Bahn durch eine große, zum Theil durch Olivengärten unterbrochene, höchst malerische Ebene. Wunderbar rein war die Luft, nur einige langgezogene Silberwölkchen standen tief, tief am Horizont. Das auf den Weiden zerstreute kleine sardische Rindvieh und die Ziegenherden bildeten gar schöne Unterbrechungen der Landschaft, welche hier wahrhaft wunderbare elastische Linien zeigte. Leider ist das Fieber, dieser Tyrann Sardiniens, hier zu Hause. Was klimatische Verhältnisse anbelangt, ist das ganze schöne Land fast [487] überall ungesund, und es ist daher für den Fremden rathsam, nur im Winter die Insel Sardinien zu besuchen.
Es war ein Sonntag bei unserer Ankunft in Sassari, dieser zweitgrößten Stadt Sardiniens. Bald nach dem vortrefflichen Dejeuner im „Hotel Bertrand“ an der Piazza Castello, wo wir uns einquartiert, machten wir uns auf, Sassari zu besichtigen. Die Bewohner der Stadt haben schon längst das Costüm ihrer Heimath mit der modernen französischen Tracht vertauscht. In der Hauptstadt des Landes, in Cagliari, fanden wir später das Gegentheil. Dort trugen sich, im Mittelstande wenigstens, noch Viele in der Tracht der Sarden.
Die Sassaresen können, wie ihre ganze Stadt, wenig Interessantes bieten. Aber heute, als an einem Sonntage, waren Landleute massenhaft in der Stadt; sie durchzogen die Straßen Sassaris theils zu Pferde, theils zu Fuße. Im Gegensatz zu den schon oben beschriebenen Costümen der Männer, die fast immer dieselben sind, fielen die Trachten der Frauen durch ihre Verschiedenheiten und zum großen Theile schreienden Farben auf. Die Kleidung der Frauen von Osilo ist mit Recht als eine der schönsten bekannt. Dieselben tragen einen rothen Unterrock, eine vorn offene rothe Jacke und ein hellblaues Mieder, das mit Silberfäden geschlossen ist; auf dem Kopfe haben sie einen hellen Schleier von Flor. Nicht minder schön kann man auch das Costüm der Frauen von Ploaghe nennen, welches höchst malerisch ist. Dieselben trugen dreifarbige Röcke und zwar unten blau, in der Mitte schwarz und oben roth. Eine rothe Jacke mit geschlitzten Aermeln, ähnlich denen der Mexicanerinnen, ließ das faltige weiße Hemd hervorquellen. Ihr Kopfputz bestand aus hellblauem Stoffe, auf welchem ein gelbes Kreuz aufgenäht war. Die Costüme der sardischen Frauen sind von unendlicher Mannigfaltigkeit; ich führte hier nur die in Sassari am meisten auffallenden an. Auf einer Tagereise kann man eine ganze Masse verschiedener Frauentrachten bewundern.
Unter all’ diesen Beobachtungen war uns der Nachmittag ziemlich schnell und angenehm vergangen. Andern Tages zeigte sich Sassari jedoch bedeutend langweiliger, und es unterschied sich auf seinen Hauptverkehrsadern durch nichts von einer Stadt des italienischen Festlandes. Nur etwas war stark in die Augen fallend und originell, die unzähligen, winzigkleinen Esel, welche den Sassaresen das Wasser zutragen. Diese Thiere tragen je zwei kleine lange Fässer, welche an einen Holzpack befestigt sind, der auf dem Rücken der Langohre liegt. Den ganzen Tag gehen sie mit ihren Führern zu den zwei Brunnen Sassaris, deren einer, der größte, die „Fontana del Rosello“, immer belagert ist von einer ganzen Anzahl Esel, die gar oft in edler Einigkeit ihr trauriges Schicksal in herzzerbrechenden Tönen dem Himmel klagen. Von da aus tragen sie in fleißig trippelndem Schritte das Wasser in alle Theile der Stadt. Wird ein Fäßchen heruntergenommen, so stützt der Führer unter das andere das Marterinstrument der Esel, den Stock, damit das Thierchen, dessen einer Vorderfuß bei dieser Gelegenheit in die Höhe gebunden ist, nicht das Gleichgewicht verliere und umfalle. Das übrige Leben an dieser Fontana del Rosello, Pferde, die da getränkt werden, Frauen, die ihren Bedarf an Wasser in Krügen holen, und was sonst noch Alles, machten mir diesen Platz, zunächst dem Markte, während meines Aufenthaltes in Sassari zu einem Lieblingsaufenthalte.
Regelmäßig Morgens besuchte ich den Markt in Sassari. Die Baulichkeiten bieten nichts des Interessanten. Es ist ein mittelgroßer mit Arcaden umgebener Platz, unter welchen Verkäufer von allerlei Lebensmitteln ihre Plätze haben. Mitten auf dem Platz wird das vom Lande hereingebrachte Gemüse, Früchte etc. auf der Erde feilgeboten.
Das Alles war es aber weniger, was mich anzog. Mein Lieblingsplatz war außerhalb des eigentlichen Verkaufsmarktes. Vor dem Markt, zu dem große Thore führen, waren an Schragen oder zu diesem Behufe in die Mauer eingelassenen Ringen die Pferde der Landbewohner angebunden. Wagen giebt es wenige; der größte Theil der Bauern bringt seine Erzeugnisse auf Pferden. Manch schönes Thier, dem man seine edle Abkunft ansah, befand sich unter den Pferden. Das in Sardinien sogenannte sardische Pferd ist andalusischer Abkunft, jedoch etwas kleiner und härter als seine Stammeltern. Die schöne lange Mähne, der bis zur Erde herabhängende Schweif und das leicht gebogene Nasenbein lassen seine Ahnen erkennen. Eine kleine Art von Pferden sind die Achettone, welche früher auf der Insel waren, ehe die spanische Race eingeführt wurde, so daß eigentlich diesen der Name „sardisches Pferd“ gebührte, den jetzt ausschließlich die von spanischer Abkunft führen. Bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts gab es in Sardinien noch eine Race wilder Pferde, von sehr kleiner Figur. Diese Thiere ließen sich jedoch nie zähmen.
Bunt durcheinander standen da auf dem erwähnten Platze die Pferde, und ich konnte mein Skizzenbuch reichlich füllen. Hier und da sah man auch einen Ochsen mit riesigem Sattel, da diese Thiere in Sardinien theilweise auch zum Tragen und Reiten verwendet werden.
Die mitgebrachten Vorräthe sind verkauft. Es naht die Stunde, wo das Leben auf dem Marktplatze aufhört. Einer nach dem Andern kommt, schaut nach seinem Thier, dann schwingt er sich in den Sattel, und stolz zu Pferde sitzend trabt er ab. Nie habe ich Männer gesehen, welche schöner reiten, als die Sarden. Ich kenne so ziemlich alle Reitervölker bis hinauf zum Beduinen der Wüste, aber Keiner reitet so schön, wie der Sarde. Stolz und ernst sitzt er in bewunderungswürdiger Haltung auf seinem Pferde, welches er, wenn es selbst der älteste Gaul ist, zur schönsten Gangart zwingt.
In der Nähe der oben erwähnten „Fontana del Rosello“ befindet sich ein kleines Local, wo ebenfalls Pferde untergebracht werden und ein guter sardischer Wein zu haben ist. Von da aus theilen sich zwei Landstraßen nach verschiedener Richtung. Dorthin lenkte ich denn oft meine Schritte, wenn sich das Getümmel des Marktes zu lösen begann. An diesem erwähnten Local trafen die meisten der Landleute zusammen. Dann trennte sich Trupp um Trupp, und indem die Männer erst im Trabe dahinritten, bildete sich oft durch die Anregung irgend Eines, der sein Pferd zu schnellerer Gangart zwang, ein Wettreiten daraus. Wild jagten dann die Andern nach. Die Riemen sausten klatschend nieder auf die Thiere; der Sporn wurde auf das Schulterblatt gegeben, und dahin ging es, daß bald nur noch eine Staubwolke zu sehen war. Nur schwach noch tönten die Jauchzer der aufgeregten Reiter zu mir herüber, dann war Alles hinter einem Hügel verschwunden. Goldig schimmerte der Staub in der Sonne; leise, leise senkte er sich wieder auf die Straße und auf die an derselben wuchernden Aloen und Cacteen. Bald wurde er jedoch wieder emporgewirbelt von einer neuen Reiterschaar, Wenn aber die letzten der Reiter davon gesprengt waren, dann herrschte wieder die schöne, sonnige, feierliche Ruhe.
Ich aber lenkte meine Schritte zum Hotel, zum Diner, denn die Arbeit bei diesem gehörte, dank der Fürsorge des freundlichen Monsieur Bertrand, ebenfalls zu meinen Lieblingsbeschäftigungen in Sassari.