Aus dem Leben

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Textdaten
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Autor: M. R.
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Titel: Aus dem Leben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 677-680
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[677]
Aus dem Leben.[1]
1. Ein Partiechen.

„Wohin, liebes Väterchen?“ fragte die Hofräthin Steinert ihren Mann, der nach Hut und Stock gegriffen hatte, um des Abends auszugehen.

„Nach der Ressource. Ich bleibe höchstens nur ein Stündchen dort,“ entgegnete er, indem er den Paletot mit Hülfe seiner achtzehnjährigen Tochter Lina anlegte.

„Soll ich mit dem Abendbrode auf Dich warten?“ fragte die besorgte Hausfrau.

„Versteht sich; ich komme ganz gewiß. Du kannst Dich darauf verlassen; ich mache höchstens einen Rubber oder zwei.“

„Wenn es Dir nur nicht wieder wie neulich geht, wo Du erst nach elf Uhr gekommen bist! Der schöne Eierkuchen war vom Stehen ganz verdorben.“

„Du kannst den alten Eierkuchen, wie es scheint, nicht vergessen und mußt ihn immer wieder aufwärmen,“ bemerkte er in einem sonst nicht gewohnten verdrießlichen Tone.

Der Hofrath schien Eile zu haben, um nach seinem Whistclub zu kommen; er hatte die Thür bereits geöffnet, als ihn die sanfte Stimme seiner Frau zurückrief.

„Steinert!“

„Was gibt es denn schon wieder?“

„Du hast Etwas vergessen.“

„Den Hausschlüssel habe ich doch zu mir gesteckt.“

„Das nicht, aber einen Kuß. Sonst, wenn Du gingst, pflegtest Du mir doch Lebewohl zu sagen.“

„Verzeih! Aber ich bin seit einiger Zeit zerstreut.“

„Das merke ich.“

Er wendete sich noch einmal um, fast schien es, als ob er mit sich selbst kämpfte und seinen Vorsatz, nach der Ressource zu gehen, aufgeben wollte. Hätte die Hofräthin ihn zum Bleiben genöthigt, er wäre am Ende doch zu Hause geblieben, aber sie schwieg, wie es schien, verstimmt und machte ein ernstes Gesicht, indem sie auf ihre Arbeit niederblickte. Er gab ihr den gewünschten Abschiedskuß, den sie nicht mit ihrer sonstigen Zärtlichkeit erwiderte; [678] auch stand sie nicht von ihrem Sitze auf, um ihn zu begleiten, wie es sonst Brauch in diesem Hause war.

Fünf und zwanzig Jahre war sie in ihrer Ehe mit dem Hofrath glücklich gewesen, kein Wölkchen hatte den Himmel ihrer Häuslichkeit getrübt. Bei einem mäßigen Einkommen wußte sie ihr Familienleben reizend zu gestalten, sich und ihm das Haus so angenehm zu machen, daß Beide nur selten daran dachten, außerhalb eine Zerstreuung zu suchen. Die beiden Kinder, eine reizende Tochter und ein talentvoller Sohn, der in Kurzem sein Doctor-Examen ablegen sollte, verursachten ihnen die größte Freude und brachten durch ihre jugendliche Heiterkeit eine fröhliche Abwechslung in ihr stilles Dasein. Als die Kinder heranwuchsen, erweiterte sich auch der beschränkte Kreis; es kamen Freunde des Sohnes, Bewerber um die Hand der Tochter und damit eine neue Geselligkeit; man las, musicirte und spielte allerlei unschuldige Spiele, vergnügt bei einer Tasse Thee und einem frugalen Abendbrod. Wenn der Hofrath seine Arbeiten beendet und die Acten bei Seite gelegt hatte, nahm er an der Unterhaltung der jungen Leute Theil und scherzte um die Wette mit ihnen. Nirgends amüsirte man sich besser, als hier, und wenn man in der Stadt eine glückliche Familie nannte, so war es sicher das Steinert’sche Haus.

Allmählich und fast unmerklich hatte sich das geändert, seit einem halben Jahre ungefähr war die schöne Harmonie gestört, nicht für die Welt, die meist nur nach dem äußeren Scheine urtheilt, aber wohl für das schärfer blickende Auge der Hausfrau. Auf wiederholtes Drängen eines alten Freundes war der Hofrath Mitglied einer der vielen Ressourcen geworden, wo sich höhere Beamte und meist wohlhabende Kaufleute einfanden, um von den Geschäften des Tages sich zu erholen.

„Du lebst,“ sagte der wohlmeinende Freund, „wie ein Einsiedler in Deinem Hause und erfährst nicht, wie es in der Welt zugeht. In der Ressource findest Du Unterhaltung und Zerstreuung, alte Bekannte, mit denen man sich ausspricht, Männer von Bildung und Einfluß, die Dir später einmal nützen können. Du trittst dort Deinen Vorgesetzten näher, als auf Deinem Bureau, und ein einziger Augenblick, ein vertrauliches Wort zu rechter Zeit kann Dich weiter bringen, als Jahre langes Sitzen über Deinen Acten. Mancher hat schon sein Glück einer Whistpartie zu danken und durch feines Spiel die Protection eines hohen Gönners gewonnen. Bei Deiner jetzigen Lebensweise kannst Du nie vorwärts kommen; denn man muß sich der Welt zeigen, wenn man von ihr Etwas haben will. Bei Deiner Zurückgezogenheit kommt nicht viel heraus; versuche es daher einmal auf andere Weise.“

Diese Auseinandersetzung leuchtete dem Hofrath vollkommen ein; im Grunde genommen halte er selbst im Stillen zuweilen es schon empfunden, daß er doch ein gar zu beschränktes Familienleben führe und sich von der Oeffentlichkeit mehr zurückziehe, als es schicklich und vernünftig sei. Freilich waren diese Gedanken nur vorübergehend: er hatte sie bald wieder aufgegeben, da er sich bis jetzt innerhalb seiner vier Pfähle am wohlsten fühlte. Aber Zureden hilft und die wiederholten Aufforderungen des alten Freundes weckten von Neuem das frühere verlangen, bis er endlich den Entschluß faßte, der ihm vorgeschlagenen Ressource als Mitglied beizutreten. Es kostete ihm allerdings einige Ueberwindung, seine Frau mit diesem Vorhaben bekannt zu machen; er fürchtete nicht ihren Widerspruch, aber doch ihr damit weh zu thun, da bis jetzt ihre Unterhaltungen und Vergnügen stets gemeinschaftlich gewesen waren. Gegen seine Erwartung nahm sie seine Nachricht freundlich und gelassen auf.

„Du hast Recht,“ sagte sie beipflichtend. „Ein Mann muß zuweilen auch in die Welt gehen. Ich kann es Dir nicht verdenken, wenn Du mitunter ein Stündchen auf der Ressource zubringst, die Zeitungen liest und mit vernünftigen Leuten ein unterhaltendes Gespräch führst. Nur wünsche ich nicht, daß Du, wie so viele Männer, daraus eine Gewohnheit machst, den ganzen Abend und bis spät in die Nacht dort verweilst und darüber Deine Häuslichkeit aufgibst.“

„Das hast Du von mir nicht zu fürchten. Du weißt, daß ich am liebsten bei Dir und den Kindern bin. Auch in der besten Gesellschaft halte ich es nicht lange aus ohne Euch.“

In der That blieb auch der Hofrath die ersten Male nur kurze Zeit auf der Ressource; er kehrte immer schnell zu den Seinigen zurück. Im Vertrauen gestand er sogar seinem alten Freunde, daß er sich eigentlich dort langweile und durchaus nicht das Vergnügen finde, das er sich davon versprochen hatte. Die meisten Herren spielten, und die Unterhaltung drehte sich gewöhnlich nur um Politik oder um Geschäfte, die den Hofrath weiter nicht interessiren konnten. Fast war er schon entschlossen, wieder fortzubleiben, wenn ihn nicht die Hoffnung, einigen Vorgesetzten, welche sich ebenfalls einfanden, näher zu treten, noch zurückgehalten hätte.

„Das wird sich geben,“ tröstete ihn der gute Freund. „Du mußt nur öfters kommen und vor allen Dingen ein Partiechen machen; das vertreibt die Zeit und gewährt Unsereinem das beste Vergnügen.“

Der Hofrath hatte allerlei Bedenken, dem an sich unschuldigen Rathe zu folgen. Als junger Mann hatte er zwar zuweilen gespielt, aber seit seiner Verheiratung keine Karte mehr in die Hand genommen, da seine Frau stets dagegen eiferte.

„Man stellt sich immer,“ pflegte sie zu sagen, „ein geistiges Armuthszeugniß aus, wenn man zu den Karten greift; es ist dies gleichsam ein Geständniß, daß man sich nicht zu unterhalten weiß. Bei Geschäftsleuten, die der Zerstreuung bedürfen, will ich es mir noch gefallen lassen; sie kommen meist abgespannt und den Kopf voll Sorgen aus ihrem Comptoir. Aber ein Beamter, der keine gewagten Speculationen macht und regelmäßig alle Vierteljahre seinen Gehalt bezieht, bedarf nicht eines solchen Mittels, um sich von seiner Arbeit zu erholen.“

Einstweilen sah er daher aus purer Langweile den Spielern zu, bis er eines Tages eine Aufforderung erhielt, an einer Partie Theil zu nehmen. Er konnte unmöglich zurücktreten, da sich unter den Herren der Ministerialdirector befand, dessen Untergebener der Hofrath war. Sehr geehrt durch eine solche Auszeichnung und an die Worte seines Freundes denkend, nahm er an dem Spieltische Platz. Als dritter Mann hatte sich ein wohlhabender Kaufmann eingestellt, dessen einziger Sohn schon seit längerer Zeit in dem Hause des Hofraths viel verkehrte und, wie es schien, sich eifrig um Lina’s Hand bewarb.

Alles ging an diesem Abend auf das Beste; man spielte aus Grundsatz nicht zu hoch, nur um einen halben Groschen das Trick, so daß Niemand viel verlieren und dadurch in üble Laune gerathen konnte. Wie es zu geschehen pflegt, wurden die Herren während der Partie bekannter und fanden gegenseitig so großes Wohlgefallen an einander, daß sie mit dem Versprechen schieden, am nächsten Abend sich wieder um dieselbe Zeit einzustellen und ihr Spiel aufzunehmen. Der Hofrath begleitete den Ministerialdirector noch eine Strecke Weges in angelegentlichem Gespräche; nie war dieser so freundlich und vertraulich gegen ihn gewesen, zum Abschiede reichte er ihm sogar die Hand, was der etwas hochmüthige Vorgesetzte früher nie gethan hatte. Steinert träumte schon von Gehaltserhöhung, einem Orden, obgleich er sonst nicht an Eitelkeit litt, und vergaß darüber, daß es spät geworden war.

Aengstlich über sein ungewohntes Ausbleiben, trat ihm seine Frau entgegen; er beruhigte sie indeß und erzählte ihr haarklein die Ereignisse des heutigen Abends, indem er allerdings mit einigem Zögern ihr gestand, daß er auch Karte gespielt habe.

„Hm!“ sagte sie. „Das ist mir nicht lieb zu hören.“

„Aber, mein Kind!“ entgegnete er, „es ging nicht anders. Der Herr Ministerialdirector und der Vater des jungen Laurenberg, der uns in letzter Zeit so oft besucht, forderten mich dringend auf.“

„Du hättest nicht annehmen sollen.“

„Aber bedenke nur, ein Vorgesetzter, der mir zu befehlen hat –“

„So lange Du im Amte bist, nicht aber auf der Ressource.“

„Er war die Freundlichkeit selbst; ich habe ihn bis an sein Haus begleitet, und er hat mir die Hand gedrückt. Ich hoffe, daß diese Bekanntschaft von großem Nutzen für mich sein wird.“

„Auf solche Bekanntschaften, die man am Spieltische macht, lege ich keinen großen Werth.“

„Du bist ungerecht, weil Du einmal die Karten nicht leiden kannst. Mein Gott! es wird doch kein Verbrechen sein, wenn man von Zeit zu Zeit ein Partiechen spielt.“

„Gewiß nicht; dagegen habe ich auch nichts, wenn’s eben nur von Zeit zu Zeit geschieht, obgleich ich immer glaube, daß vernünftige Leute sich weit besser unterhalten können. Meine selige Mutter pflegte zu sagen –“

„Ich weiß schon, was sie sagte,“ unterbrach er sie gereizt.

„Es schadet aber nichts, wenn Du es noch einmal hörst. Die Karten sind des Teufels Gebetbuch und wer sie fürwitzig anrührt, kann sich leicht die Finger verbrennen.“

[679] „Ich bin kein Kind, das man mit altem Frauengeschwätze zu belehren braucht.“

Schon im nächsten Augenblicke bereute der Hofrath das harte Wort, wodurch sich seine Frau tief verletzt fühlen mußte, da ihr das Andenken an ihre verstorbene Mutter, eine der trefflichsten Frauen, besonders heilig war. Ohne ein Wort zu erwidern, wandte sie sich ab, um ihm ihre Thränen zu verbergen. Zum ersten Male in ihrer fünfundzwanzigjährigen Ehe drohte ein ernstliches Zerwürfniß dem bisher so glücklichen Paare.

Der Hofrath sah sein Unrecht ein und bat um Vergebung, aber ähnliche Scenen wiederholten sich jetzt öfters, da er nach und nach sich daran gewöhnte, jeden Abend auf der Ressource zuzubringen, häufig dort länger blieb, als er versprochen, und die Seinigen dann warten ließ. So war er mit der Zeit ein Gast in dem eigenen Hause geworden, da ihn sein Amt am Tage in Anspruch nahm. – Das Spiel selbst hatte einen eigenen Reiz für ihn gewonnen, obgleich er nach wie vor die Partie nur zu einem halben Groschen spielte, sodaß der bloße Gewinn, der meist unbedeutend war, ihn nicht verführen konnte. Es war mehr die Macht der Gewohnheit, die ihn beherrschte, als die dämonische Verlockung des Kartenteufels. Sobald es dunkel wurde, gerieth er in eine Unruhe; es litt ihn nicht mehr zu Hause, er mußte nach der Ressource gehen, wo er seine alten Bekannten schon versammelt fand. Zuletzt wurde es die Frau müde, ihn durch ihre freundlichen oder ernsten Reden zurückzuhalten; sie hatte sich bereits in ihr Schicksal gefunden. Nur zuweilen gab sie, wie an diesem Abende, ihm sanft ihre Mißbilligung zu erkennen, wodurch die vorherrschende Verstimmung nur noch gesteigert wurde.

Die Hofräthin suchte und fand ihren Trost bei ihren wohlgerathenen Kindern. Lina hatte sich mit dem jungen Laurenberg versprochen und war die glücklichste Braut, während der talentvolle Sohn sich zu seinem Examen vorbereitete und durch seinen Fleiß zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. An all’ diesen Vorgängen nahm jedoch der Vater nur einen vorübergehenden Antheil, und es schmerzte sie jetzt doppelt, daß er sich immermehr der Familie entfremdete und das schöne Band der Häuslichkeit durch seine Schuld gelockert wurde. Kaum daß er sich die Zeit gönnte, flüchtig die Seinigen zu begrüßen; selten oder nie kam er dazu, sich mit ihnen auszusprechen, und wenn die Hofräthin mit ihm über die Ausstattung der Tochter und über andere häusliche Gegenstände reden wollte, zeigte er nur ein geringes Interesse, da er seine Partie nicht im Stiche lassen wollte. Auch den Kindern war der Vater nach und nach fremder geworden, da sie ihn nur selten noch zu Gesicht bekamen; sie schlossen sich nun um so inniger an die Mutter an und erhöhten dadurch nur seine üble Laune.

In solcher Verstimmung war er auch heut’ auf die Ressource gegangen, wo er sich wieder zu zersteuen hoffte. Hastig griff er zu den Karten, welche hartnäckig für ihn so schlecht fielen, daß er fast die Geduld darüber verlor. Der Einsatz war an sich zu unbedeutend, als daß er deswegen sich betrüben durfte, aber der Hofrath war im Ganzen auf Sparsamkeit angewiesen, da sein nicht eben allzu hoher Gehalt gerade hinreichte, um ihn mit seiner Familie anständig durchzubringen. Eine gewisse Genauigkeit war ihm zur zweiten Natur geworden; selbst der kleinste Gewinn freute ihn, während der geringste Verlust ihn schon in Aufregung versetzte. Wie die meisten Spieler ärgerte er sich jedoch weit mehr über sein fortwährendes Mißgeschick, als über die kleine Summe, die er verlor. Auch nicht eine Partie zu gewinnen, war ihm unangenehm; er wurde immer reizbarer, bis er zuletzt in förmliche Wuth über sein heutiges Unglück gerieth. Wer aber den Schaden hat, darf für Spott nicht sorgen; der reiche Laurenberg hatte die üble Gewohnheit, seine Mitspieler bei solchen Gelegenheiten aufzuziehen. Er neckte sich gern, und je verdrießlicher der Hofrath wurde, desto mehr setzte ihm jener mit seinen schlechten Witzen und Spöttereien zu, indem er ihn bald einen „Pechvogel“, bald einen „Pfennigfuchser“ nannte und sich über seine verzweifelten Gesichter halb todt lachen wollte.

Nur mit Mühe hielt Steinert noch an sich; lediglich die Gegenwart des Ministerialdirektors und die Rücksicht auf die verwandtschaftliche Beziehung zu dem wohlhabenden Kaufmanne legte ihm einigen Zwang auf. In seinem Aerger spielte er jetzt so zerstreut, daß er Fehler auf Fehler häufte und dadurch seinen Vorgesetzten, dessen Partner er im Whist war, mit in seinen Verlust zog. Dieser ließ es nicht an Ermahnungen und, als die nicht halfen, an Vorwürfen fehlen, wodurch der Hofrath immer mehr die Besinnung verlor. Das Blut war ihm zu Kopf gestiegen, sein Gesicht glühte, der Schweiß stand in großen Tropfen ans seiner Stirn, und vor Wuth zitterten die Karten in seinen Händen. Unglücklicherweise fand Herr Laurenberg diesen Anblick so komisch, daß er in ein lautes Gelächter ausbrach.

Da sprang der Hofrath wüthend von seinem Stuhle auf und warf mit einem wilden Fluch die Karten so heftig auf den Tisch, daß sie dem Kaufmann in’s Gesicht flogen. Das gab nun einen heftigen Auftritt: der eitle, geldstolze Laurenberg war nicht zu beruhigen, der Ministerialdirector nahm seine Partei, ein Wort gab das andere und es fielen solche Beleidigungen vor, daß die früheren Freunde heut’ als die erbittertsten Feinde schieden. Am andern Tage erhielt der Hofrath einen vollkommenen Absagebrief von Herrn Laurenberg; die Verbindung seines Sohnes mit Lina wurde förmlich aufgelöst und für nichtig erklärt. Die jungen Leute waren recht unglücklich, da sie sich wahrhaft liebten, am unglücklichsten aber fühlte sich die arme Frau, deren schönste Hoffnungen durch die Schuld des Mannes vernichtet wurden. Da gab es in der sonst so beneideten Familie nur betrübte Gesichter, verweinte Augen und stille Vorwürfe.

Nun hielt es Steinert erst recht nicht in seinem Hause aus; sobald er nur konnte, stahl er sich fort und ging in die Ressource. Wie es häufig zu geschehen pflegt, gesellte sich zu dem Unrecht noch der Trotz; er wollte der Welt zeigen, daß er der Mann sei, um sich nichts gefallen zu lassen.

Bald hatte er statt der früheren Partie eine andere gefunden, wenn ihm auch seine Mitspieler nicht so ganz zusagten. Der Eine war ein pensionirter Hauptmann, so zu sagen mit allen Hunden gehetzt; der Andere ein praktischer Arzt, aber ohne Patienten, der jedoch mit einem außerordentlichen Glücke und mit großer Geschicklichkeit spielte, sodaß er meist so viel und noch mehr gewann, als er zum Leben brauchte; weshalb er in der ganzen Stadt nur unter dem Namen „der Kartendoctor“ bekannt war. Diesen Herren war es weniger um eine Zerstreuung, als um einen recht ansehnlichen Gewinn zu thun, weshalb sie gewöhnlich nur um einen hohen Einsatz spielten. Da der Hofrath keine andere Partie fand, so mußte er sich schon entschließen, an dem Tische, wo der Doctor und der Hauptmann saßen, Platz zu nehmen. Allerdings erschrak er nicht wenig, als die Herren ihm sagten, daß sie das Point mit fünf Groschen zu bezahlen pflegten; aber er konnte füglich nicht zurücktreten, ohne sich zu blamiren.

Im Anfange war das Glück ihm günstig; er gewann recht ansehnlich und war daher meist in der besten Laune. Nur wenn er zufällig nach dem Tisch hinüberschielte, wo Herr Laurenberg und der Ministerialdirector wie gewöhnlich saßen, gab es ihm immer einen Stich durch’s Herz. Der Letztere stand einmal, als der Hofrath sich umwandte, plötzlich hinter dessen Stuhl und drückte durch seine Gebehrden, wie es schien, deutlich seine Mißbilligung über das hohe Spiel aus. Auch die frühere Eingabe Steinert’s, worin derselbe um eine Gehaltserhöhung gebeten, erhielt er jetzt mit der Bemerkung zurück, daß kein Grund vorhanden sei, auf sein Gesuch einzugehen. Die ganze Fassung der abschlägigen Antwort verrieth eine gewisse Animosität, welche die Hand eines übelwollenden Vorgesetzten nicht verkennen ließ. Zu diesen Kränkungen gesellten sich noch mit der Zeit so erhebliche Verluste im Spiel, daß der Hofrath bei seinem beschränkten Einkommen sie kaum ertragen konnte; er mußte oft zehn bis zwanzig Thaler an einem Abende zahlen, und diese unangenehmen Ausgaben wiederholten sich, öfters in der Woche. In demselben Maße aber, wie er verlor, stieg auch seine Leidenschaft und der Wunsch, das eingebüßte Geld wieder zu gewinnen, obgleich, wie gewöhnlich, der entgegengesetzte Fall auch hier eintrat. Sein Gehalt reichte nicht mehr aus, um seine Spielschulden zu bestreiten, und zuletzt sah er sich genöthigt, seine Ersparnisse anzugreifen, aber auch mit diesen war er nicht glücklicher. Ein schadenfroher Dämon schien ihn zu verfolgen und alle seine Anstrengungen zu verspotten. Dies Treiben konnte natürlich der Hofräthin nicht verborgen bleiben; sie ermahnte, bat und warnte den schwachen Mann fast fußfällig, aber so oft er auch Besserung gelobte, er konnte nicht mehr von der Ressource und von seiner Partie lassen. In der größten Geldverlegenheit dachte Steinert nur daran, sich die Mittel zur Befriedigung seiner Leidenschaft zu verschaffen; er kannte keine Rücksicht mehr, Alles, selbst die Stimme der Pflicht und Ehre, war ihm gleichgültig geworden. Als er eines Tages in seinem leeren Schreibsecretair vergebens nach Geld suchte, fiel sein Blick auf ein versiegeltes Päckchen, das er nur mit einer Mischung [680] von Habgier und Scheu betrachtete; es war darin eine ansehnliche Summe enthalten, bestimmt die Kosten für das Examen seines Sohnes zu bestreiten. Mit zitternder Hand erbrach er nach kurzem Schwanken das Siegel und nahm einen Funfzigthalerschein heraus, den er mit seinem Gewinnst bald wieder zu ersetzen hoffte. Nur als ein Darlehn betrachtete er diesen Raub, mit dem er sogleich nach der Ressource eilte, um auch ihn zu verlieren. Bald war die ganze Summe erschöpft und bis auf den letzten Heller verspielt. Mit Schrecken sah der Vater den Tag nahen, wo der Sohn dies Geld von ihm verlangte. Was sollte er beginnen?

In einer schlaflosen Nacht stieg der Hofrath leise aus seinem Bette, indem er einen furchtsamen Blick auf die neben ihm liegende Frau warf. Sie schlief.

Vorsichtig schlich er sich zu dem alten Schrank, einem Erbstück ihrer Mutter, wo sie, wie er wußte, das Geld sorgsam verwahrte, das zur Ausstattung der Tochter bestimmt war; er nahm den Schlüssel, der auf dem Nachttisch neben ihr lag, und öffnete geräuschlos das knarrende Schloß. Darüber erwachte die Frau; in der Dunkelheit konnte sie nicht ihren Mann erkennen.

„Diebe, Diebe!“ schrie sie laut. „Steinert, so wach doch auf!“

Er glaubte vor Scham in die Erde sinken zu müssen.

„Um Gotteswillen!“ rief er ihr zu. „Sei ruhig! Dein Geschrei wird noch das ganze Haus aufwecken.“

„Wie, Du bist es? Was thust Du bei dem Schrank?“

Er hatte nicht den Muth, ihr eine Lüge zu sagen, da sie ohne hin Alles errathen hatte, indem er in der bebenden Hand den geraubten Beutel hielt.

„Also dahin ist es mit Dir gekommen!“ sagte die unglückliche Frau im schmerzlichsten Tone.

Mit beiden Händen hielt er sein Gesicht bedeckt, so war er weinend zu ihren Füßen hingesunken.

„Kannst Du mir noch verzeihen?“ fragte er nach einer bangen Pause.

Sie wandte sich erschüttert ab und dachte nur an ihre ihre Kinder.

Eine tiefe Stille herrschte in dem Zimmer, nur unterbrochen von dem Stöhnen des reuigen Mannes. Endlich siegte das Mitleid in der Brust der edlen Frau; sie reichte ihm die Hand, welche er mit seinen Thränen und Küssen bedeckte.

Seitdem besuchte der Hofrath nicht mehr die Ressource und rührte keine Karte an. Der häusliche Friede wurde wieder hergestellt, und auch der alte Herr Laurenberg ließ sich von den Bitten seines Sohnes rühren, indem er endlich nach einem Jahre sich mit Steinert wieder aussöhnte und seine Einwilligung zu der Verbindung mit dessen Tochter gab. Zu der Hochzeit wurde der Ministerialdirector ebenfalls eingeladen und aus Rücksicht auf ihn eine Spielpartie arrangirt.

„Kommen Sie,“ sagte freundlich der Vorgesetzte zu dem Hofrath, „wir wollen unser altes Partiechen wieder machen.“

„Sie müssen mich schon entschuldigen,“ entgegnete dieser fest, „aber selbst ein unschuldiges Partiechen kann unter gewissen Umständen das Lebensglück eines Mannes zerstören. Ich habe einen Schwur gethan, keine Karte jemals zu berühren.“

Der Hofrath hielt sein Wort und fand einen reichen Ersatz für die sich selbst auferlegte Entbehrung in der schönsten Häuslichkeit. Wollte man seitdem wieder eine glückliche Familie nennen, so führte man nur das Steinert’sche Haus an, wo jetzt zwar nicht Karte gespielt wurde, aber dafür Eintracht und Zufriedenheit in reichsten Maße zu finden war.

M. R.




  1. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe Skizzen aus dem häuslichen Leben bringen. Daß es dem Autor dabei nicht nur um Unterhaltung, sondern um Durchführung eines moralischen Grundgedankens zu thun ist, der vorzüglich belehrend wirken soll, werden unsere Leser bald herausfühlen.
    D. Red.