Aus dem Tigerleben
Der Tiger auf dem Bilde ist jedenfalls ein glücklicher Tiger, obgleich man ihm das weder auf diesem Portrait noch in der Wirklichkeit ansieht. Er ist glücklich darüber, daß ihm sein Wärter seinen langen Backenbart durch Kämmen reinigt und ordnet, wie sich das für einen Tiger des Zoologischen Gartens zu Berlin schickt; auch ist ihm das ein angenehmes Gefühl, sintemalen aller Creatur, soweit sie Haare oder Federn hat, das Krauen oder Kämmen in denselben sehr gut thut. Jedes Mal wenn der wackere Peens, sein Freund und Wärter, mit dem Kamme ihm nahte und einige andeutende Bewegungen machte, legte sich das Thier sofort an das Gitter, den Kopf dicht an dasselbe drückend, und sobald das Kämmen begonnen hatte, fing er an die Zähne zu fletschen und die gräulichsten Töne hervorzustoßen. Als ich dies zum ersten Male sah, war ich in der That betroffen über diese [786] Art und Weise, sein Behagen, denn das war es doch offenbar, kundzugeben, aber die Scene wiederholte sich oft genug, um keinen Zweifel über diesen sonderbaren Ausdruck des Wohlgefallens übrig zu lassen. Warum auch nicht? So gut wie schon unter den Menschen manche Völker ganz sonderbare Manieren haben, sich ihr Wohlgefallen gegenseitig kundzugeben, ebenso gut muß das Recht, seine Freude und Zufriedenheit anders zu äußern als wir, einem Tiger oder Löwen zustehen. Uebrigens vergißt der Tiger bei diesem Hochgenuß keineswegs sich selbst, denn sowie der Wärter aus Versehen ihm einmal weh thut, schnauzt er denselben mit grimmigem Aufbrüllen an, als wollte er ihn schleunigst fressen, was natürlich auf einen Augenblick, aber auch nicht länger, die Toilette unterbricht.
Als ich diesen Tiger vor mehreren Jahren, noch vor der Wiedergeburt des Berliner Zoologischen Gartens, zuerst dort sah, mußte er schon auffallen durch den besonders kräftigen Bau seiner Glieder und durch seinen schönen Kopf; aber dieser letztere wurde im Laufe der Jahre immer schöner durch eine ganz außergewöhnliche Entwickelung seines prächtigen lockigen Backenbartes, wie man dies selten wieder bei einem derartigen Thiere finden wird. Es ist überhaupt – doch halt! erst möge ein- für allemal gesagt sein, daß hier bei Leibe niemals naturwissenschaftliche Bemerkungen aufgestellt werden sollen; denn das ist erstens gefährlich, und zweitens muß Folgendes erwogen werden: so wie es von einem Stern geradezu eine unbegreifliche Dreistigkeit ist zu existiren, so lange er, von einem Laien zuerst entdeckt, von Fach-Astronomen noch nicht festgestellt ist, so haben auch alle naturwissenschaftliche Bemerkungen aus Laienmunde einen Werth gleich Null. Ich wollte also sagen: es ist eine bei manchen Säugethieren eigenthümliche Erscheinung, daß einzelne, welche wenig behaart sind, diese wenigen Haare mit der Zeit auch noch lassen müssen, während andere mit dichterem Haarwuchs begabte mit steigendem Alter immer haariger werden. „Wer da hat, dem wird gegeben, wer da nicht hat, dem wird auch genommen, was er hat,“ das gilt auch hier. Solche Thiere sehen sich in der Jugend und im Alter oft so unähnlich, daß man sie für zweierlei Thiere halten möchte. Die Zoologischen Gärten bieten eben den schönen Vortheil, daß sie reichen Stoff auch zu derartigen Beobachtungen gewähren.
Unser Tiger – denn so kann ich ja wohl nach der nun vermittelten Bekanntschaft sagen – wurde vor ungefähr sechs Jahren vom Thierhändler Hagenbeck in Hamburg an den Berliner Zoologischen Garen verkauft. Hagenbeck hatte ihn ganz jung bekommen, und bei ihm machte das Thier auch den gefährlichen Zahnwechsel durch. Hierbei ist der Tiger damals fast erblindet und ganz hinfällig geworden, so daß Hagenbeck täglich zu ihm in den Käfig gehen und ihm die Milch, welche er bekam, selbst einflößen mußte. War es zu verwundern, wenn der Mann sich jedes Mal bei der Hinkunft nach Berlin freute über die herrliche Entwickelung seines früheren Pfleglings? In den betreffenden Kreisen sagt man den Thierhändlern nach, daß, wenn sie einmal ein Thier verkauft haben, ihnen an dessen Fortexistenz nichts mehr liegt, aber der vorliegende Fall beweist das Gegentheil und straft diesen schnöden Leumund Lügen.
Die Gefährtin unseres Tigers ist schon längst verendet. Dafür kaufte ein Berliner Maler – man sieht, Maler können auch Geld übrig haben und nobel sein – eine andere Tigerin. Aber sonderbarer Weise verzichtete das Tigerpaar, so lange es in dem alten Raubthierhaus der früheren Aera sich befand, auf Nachkommenschaft. Sowie aber unter Bodinus’ Direction das neue prachtvolle Raubthierhaus fertig und die Uebersiedelung der Tiger dahin geschehen war, beglückten sie die Theilnehmenden mit zwei kleinen Tigern. Ein besseres Vertrauensvotum hätte sich der bereits berühmt gewordene Reorganisator des dortigen Zoologischen Gartens gar nicht wünschen können. Es war ein reizender Anblick, die Tigermutter mit ihren Kindern zu sehen; besonders als dieselben schon etwas herangewachsen, boten sie einen höchst interessanten Vergleich mit jungen Löwen; denn die viel größere Sprungkraft und Beweglichkeit des Tigers im Vergleich zum Löwen trat schon in diesen jungen Tigern auf eine auffallende Weise zu Tage. Der Papa war natürlich abgesperrt – in den naturgeschichtlichen Büchern steht es ja schon längst, daß der Tigervater immer Sehnsucht hat, seine Jungen aufzufressen.
In dieser und auch der folgenden Zeit kam mir unser Tiger stets höchst aufgeregt vor. Der Geifer stand ihm oft vor dem Maul, und mit Wucht schleuderte er denselben von sich ab. Dieses Geifern sollte nach des Wärters Ansicht davon herrühren, daß der Tiger die Halme einer Grasart, welche in seinem Lagerstroh sich fanden, fraß; ob dies wirklich der Fall, mag dahingestellt sein. Aber auch abgesehen von diesem Geifern, lief er oft knurrend und mit gewaltigen Schritten in seinem Käfig auf und ab. Standen dann Beschauer vor demselben, so schnauzte er dieselben wohl plötzlich mit einem so jähen Aufbrüll an, daß selbst ganz „unverfrorne“ Berliner, in deren Wörterbuch das Wort Verlegenheit sonst nicht zu finden war, doch auf kurze Zeit ganz stumm und betroffen wurden und ihre unvermeidlichen Kalauer vergaßen.
Manchmal habe ich mich gefragt: was in aller Welt macht den Tiger so aufgeregt? Er ist glücklicher Gatte und Familienvater, ohne doch Nahrungssorge zu haben; er braucht kein Schulgeld zu bezahlen, ist keiner Beamtenflegelei ausgesetzt, und für das Fortkommen oder Dableiben seiner Kinder sorgt Bodinus. Der bis jetzt noch nicht aufgeklärte Fall, daß in Baiern kürzlich ein Minister gestorben mit nur einem Orden, macht ihm doch gewiß auch keine Schmerzen, und wenn nach Bebel’s Ansicht die Dogmen den Reichstagsmitgliedern „wurst“ sind, so sind sie unserem Tiger gewiß noch „wurster“. Woher also seine Aufregung? – Da, endlich löste sich das Räthsel. Als die jungen Tiger bereits von der Mutter getrennt und Tiger und Tigerin wieder vereinigt, aber keineswegs einig waren, erfuhr ich durch den Wärter Peens im vertraulichen Gespräch, daß Alle, Löwe, Tiger und Leopard, mit ihren Frauen in Uneinigkeit leben und sich vor ihnen fürchten. Dies mußte also aufregend selbst für ein Tigerherz sein. Aber es ist eben die alte Geschichte, daß, wenn der Mann im Bewußtsein seiner Ueberlegenheit sich scheut, der Frau gegenüber davon Gebrauch zu machen, diese solche Schonung für Schwäche hält und den Mann tyrannisirt. Es ist hier blos von Löwen, Tigern und Leoparden die Rede.
Um diesem Artikel nach einer anderen Seite hin ein größeres Interesse zu gewähren, habe ich schon vorher einen mir durch Herrn Hagenbeck bekannt gewordenen Thierhändler aus London, den jüngeren Herrn Jamrach,[WS 1] welcher selbst viele Tiger aus Ostindien geholt hat, gebeten, mir, wenn es sein geschäftliches Interesse erlaube, Einiges für die Gartenlaube über den Fang der Tiger und das damit Zusammenhängende mitzutheilen. Mit einer höchst dankenswerthen Gefälligkeit hat derselbe meine Bitte erfüllt, und ich kann nichts Besseres thun, als die ganze mir zugekommene Mittheilung wörtlich abdrucken zu lassen, blos mit der vorausgeschickten Bitte um Entschuldigung, wenn etwa einzelne indische oder englische Wörter durch meine Schuld nicht ganz richtig übersetzt sein sollten. Herr Jamrach schreibt:
„Ueber den Tigerfang in Ostindien kann ich Folgendes erzählen. Ausgewachsene Tiger werden höchst selten gefangen, hauptsächlich weil der Transport eines solchen Thieres sehr kostspielig ist und die respectiven Liebhaber in Europa solche wilde Thiere nicht gern kaufen. Große Tiger, frisch vom ‚jungle‘ (Wildniß) sind nicht zu zähmen, sie zerbeißen die hölzernen Theile ihrer Käfige, sitzen immer in der Ecke und schnauben und zeigen sich wenig am Licht. Durch das viele Liegen und Kauern entstehen gewöhnlich Geschwüre an ihren Hinterbeinen; auch der Rücken verkrümmt sich, und das Thier verliert sein gutes Aussehen. Ich gebe meinen Shikarees strengen Auftrag, Tiger im Alter von vier bis sechs Monaten zu fangen. Hat ein Tigerpaar sein Lager aufgeschlagen, so weiß der Shikaree beim ersten Anblick des Weibchens ungefähr, wann die Jungen zu erwarten sind. Er wartet seine Zeit ab und wird zuletzt gewahr, daß das Männchen allein ausgeht. In diesem Fall stellt er sich auf die Lauer, und ehe der Vater Zeit hat, seinen Kindern guten Morgen zu sagen, ist er gewöhnlich getödtet, sein Kopf vom Rumpfe gehauen und nach der Kutcherree gebracht, wo ein Beamter vom Gouvernement dem Shikaree fünfzig Rupees auszahlt. Das Weibchen wird dann sorgfältig mit ihren Jungen bewacht, die nach und nach weiter vom Nest abgehen. Weiß der Shikaree, daß dieselben die Mutter nicht mehr brauchen, was er an der Gleichgültigkeit derselben sehen kann, so wird die Alte getödtet, und die Jungen lassen sich leicht fangen, da sie gewöhnlich beim todten Körper der Mutter bleiben und schreien. Der Kopf der Alten kommt, wie der ihres Herrn Gemahls, nach [787] der Kutcherree, wo noch einmal fünfzig Rupees bezahlt werden, und die Jungen bringt man dann nach Calcutta. Da eine solche Reise zu Fuß aus dem Innern zwei bis drei Monate dauert, so bekommen wir die Tiger gewöhnlich im Alter von vier bis sechs Monaten. Der Shikaree legt sich nun auf die faule Haut, bis sein Verdienst aufgezehrt ist; deshalb muß man viele solcher Leute halten, die eine eigene Kaste in Indien bilden und ausgezeichnete Schützen sind, obgleich man noch das alte Feuerzeug bei ihnen findet. Das Zahnwechseln ist die schlimmste Periode bei Tigern, wie bei allen Katzenarten, weshalb ich dieselben gewöhnlich vorläufig in Calcutta behalte und einer besonderen Pflege unterwerfe; später werden dieselben in Käfige gesperrt und so nach Europa transportirt. Auf diese Art habe ich fünfundsiebenzig Tiger von hundertzweiundzwanzig gefangenen nach Europa gebracht. Mein größter Abnehmer war der Sultan, der augenblicklich die schönsten Exemplare besitzt. Tiger fängt man vielfach in Gruben. Hat man den Pfad des Tigers gefunden (sie gehen alle Abende denselben Weg zum Wassertrinken), so wird ein tiefes Loch gegraben, gehörig mit leichtem Stoff zugedeckt und eine lebende Ziege daraufgebunden. Von Weitem steht der Jäger mit einem Faden in der Hand, der mit den Beinen der Ziege in Verbindung steht. Dieser wird zu wiederholten Malen stark angezogen, um die Ziege zum Schreien zu veranlassen, welches man in der Wildniß weit hören kann. Der Tiger hat scharfe Ohren und auch einen scharfen Geruch; im Nu ist er da, springt zu, fällt durch und auf einen sehr spitzen, aus Teakholz gemachten, vier Fuß langen hervorstehenden Pfahl. Man läuft hinzu und giebt ihm mit der Kugel den Rest.
Vor zwei Jahren erhielt ich in Calcutta eine Depesche von einem Bekannten, der neunzig (englische) Meilen von dort entfernt wohnte, des Inhalts: ich solle sofort kommen, da er eine Tigerspur unweit seiner Wohnung gefunden habe. Ich machte mich Nachts auf, ging über Burdwan, und befand mich nach einer zweistündigen Fahrt vom Bahnhof in seinem Hause. Er zeigte mir die Grube, und Alles war bereit für den Abend. Um acht Uhr Abends setzten wir uns auf zwei hohe Bäume, Jeder gut versehen mit einer Spencer-Flinte und Patronen, um ihm, im Fall er uns bemerken und das Weite suchen sollte, eine tüchtige Ladung nachzusenden. (Tiger, wenn sie nicht hungrig sind, fürchten sich vor dem kleinsten Geräusch.) Die Ziege schrie unaufhörlich, und bald stellte sich auch Madame Tigerin ein, und zwar mit drei Jungen, jedes nicht größer als ein Hase. Wir verhielten uns ganz ruhig, aber nach einigen Minuten hörten wir ein furchtbares Geräusch, und Pern, mein Junge, kam angelaufen, schreiend: ‚Sahib, Sahib, Bagh Pinjura se bheeta lai, margeer!‘ Das sollte heißen, die Tigerin sei in der Grube, sterbend! Wir eilten an die Grube. Wirklich! sie war so genau auf den Pfahl gefallen, dessen Spitze ein scharfgeschliffenes Bajonnet war, daß all ihr Wühlen und Wälzen sie nur noch fester darauf spießte. Sie tobte sich aus und starb nach zwanzig Minuten. Die Jungen nahmen wir mit nach Hause, wo ich die Nacht verblieb. Am nächsten Morgen wurden sie in ein leeres Branntweinfaß gesteckt; ich setzte mich auf dasselbe, fuhr damit nach dem Bahnhof, kam spät Abends in Calcutta an, fand alle meine Freunde beim Diner und wurde nun herzlich ausgelacht, da ich so früh wiederkam. ‚Das Abendessen ist zu Ende,‘ sagten sie; da kam aber der Diener mit einer schweren Schüssel angelaufen und setzte dieselbe auf den Tisch. Man nahm den Deckel ab, und zur Verwunderung aller Herren und Damen sprangen die kleinen Tiger aus derselben heraus und auf dem Tische herum; sie hörten nicht auf zu schreien. Diese drei habe ich mit vieler Mühe groß gefüttert und glücklich nach Europa gebracht.
Im vorigen Jahr erhielt ich einen großen Tiger von Assam, ein Prachtthier. Wie derselbe in Calcutta vom Wagen genommen wird, bricht der Boden los; die Wärter lassen den Käfig fallen und zwar auf die Seite; das Thier springt heraus, läuft im vollsten Galopp Jann Bazar hinunter bis an Circular Road, wo ihm eine Dampfwalze entgegenkommt. Dies erschreckt das Thier dermaßen, daß es mit einem Male umkehrt, denselben Weg zurückläuft und, die Pforte von Nr. 33 Jann Bazar offen findend, in’s Haus läuft. Hier springt es im Nu über den Tisch, an dem vier Personen beim Frühstück sitzen, aus der Hinterthür hinaus und in die Küche hinein, wo es sich in den Winkel setzt. Der Koch lief heraus und hatte noch die Vernunft, die Thür hinter sich zuzuziehen. Nach zwei Stunden hatten wir das Thier mittelst einer lebenden jungen Ziege wieder in den Kasten gelockt.
Wenn man die jungen Tiger an den Umgang mit Menschen gewöhnt, so bleiben dieselben immer zahm, doch muß man denselben zur Fütterungszeit niemals nahe kommen. Mein Gehülfe August Engelke brachte auf einem Segelschiff einen großen, zwei Jahre alten Tiger von Calcutta bis London. Er spielte mit Jedem auf dem Schiff und wurde nur Nachts in seinen Käfig gesetzt. Sein bester Freund war ein Hund, ein Rattenfänger, und Beide sind zusammen in einem Käfig nach Amerika gebracht worden. Oft habe ich versucht, Tiger mit anderen Thieren zusammen groß zu ziehen. Am besten gelang mir dies mit dem gemeinen indischen Schakal. Der Geruch dieses Thieres, glaube ich, hält den Tiger vom Streit ab. Außer dem Menschen giebt es keinen größeren Feind für den Tiger als den Affen. Es ist interessant, die Courage und Gewandtheit eines Affen zu sehen, wenn er sieht, daß kein Ausweg für ihn ist. Einen großen Hamadryas (Mantelpavian) setzte ich mit einem beinahe ausgewachsenen und jung eingefangenen Tiger zusammen. Der Hamadryas stürzte sich mit furchtbarer Macht auf den Rücken des Tigers und biß sich fest; dieser konnte ihn nicht abschütteln, und mit großer Anstrengung nahmen wir den Hamadryas heraus. Da greift er von außen durch das Gitter, hat seinen Feind beim Kragen und rächt sich mit seinen Zähnen am eisernen Gitter. Diesen Versuch machte ich nie wieder. Auch habe ich es sehr schwierig gefunden, mehrere Tiger verschiedenen Alters zusammenzusetzen; es gelang zwar verschiedene Male, aber wir mußten die Thiere bei der Fütterung von einander trennen. Vier von einer Brut gingen im letzten Jahr zusammen nach Amerika. Später hörte ich, man habe ihnen noch vier zugesellt; ich glaube, dieses ist das erste Beispiel von acht abgerichteten Tigern in einem Käfig. Im Jahre 1866 schenkte mir eine große Dame Calcuttas zwei kleine Tiger; diese Thiere waren neun Monate alt und nur neun Zoll hoch; sie kamen nach einer viermonatlichen Reise glücklich nach London, wobei sie nicht wuchsen. Keiner wollte diese Monstrositäten ansehen, und nachdem ich dieselben bis zum Winter am Leben erhalten, starben sie kurz nacheinander.
Große Schwierigkeiten hatte ich während der Jahre 1865 bis 1867 zu überwinden, um lebende Tiger zu erhalten, da die indischen Juweliere fünf und sechs Rupees pro Stück für Klauen zahlten, welche zum Schmuck gebraucht wurden. Die Shikarees fanden es daher besser, die Tiger zu schießen, als sie lebend zu fangen. Jetzt ist eine gute Haut in Indien auch zwei- bis dreimal soviel werth, als in Europa. Man zahlt zum Beispiel hundertzwanzig bis hundertfünfzig Rupees für eine gut gezeichnete Haut. Da die Nachfrage nach lebenden Tigern beinahe nicht mehr vorhanden ist, so legen die Shikarees sich hauptsächlich auf’s Tödten dieser Thiere. Obgleich Hunderte alle Jahre getödtet werden, giebt es noch eine Unmenge. Man lese nur die englischen Zeitungen Indiens; es ist kaum glaublich, wie viele Menschen jährlich von Tigern zerrissen werden. Ein Tiger wird gewöhnlich Menschenfresser, wenn es ihm an anderer Nahrung fehlt, und hat er erst einen Menschen erlegt, so bleibt er dabei. Ich glaube mit Sicherheit, daß alle Tiger auf der Insel Singapore Menschenfresser sind; denn andere Nahrung giebt es da nicht viel für diese Bestien; daß im Durchschnitt täglich ein chinesischer Holzhauer verschwindet, ist bewiesen worden. Ich habe viele Tiger von Singapore gesehen, junge und alte, niemals aber einen zahmen. In Madras auf einem Steamer der P.- u. O.-Comp. wurde mein Gehülfe Nachts aus dem Bette aufgeschreckt, da ein Tiger sich durch das Dach seiner Cajüte durchgefressen hatte. Es war einer aus Singapore,
Ehe der Suez-Canal eröffnet wurde, waren große Schwierigkeiten mit dem Herbringen der Tiger verbunden; so hatte ich zum Beispiel sieben Tiger in einem Schiffe und als Futter zweiundzwanzig Ochsen, wovon siebenzehn in acht Tagen an einer Seuche starben. Da Fleisch jetzt knapp war, so mußte jeder Tiger sich mit zwei Pfund pro Tag begnügen, bis in der Capstadt mehr angeschafft wurde.
Bastarde von Löwe und Tiger hat man vielfach in englischen Menagerien gehabt, sie werden aber nie groß.“
So weit Herr Jamrach, dessen Mittheilungen gewiß jeden Leser höchlich interessirt haben werden. Auf meine nachträgliche [788] Frage, ob denn Tigerin und Tiger noch zusammen bleiben, nachdem die Jungen auf der Welt sind, hat er mir geantwortet, daß nach der Mittheilung seiner Leute die Tigerin, wenn sie geworfen hat, das Männchen von sich treibe, da dasselbe die Jungen sonst auffresse. Das steht zwar, wie gesagt, schon in den naturwissenschaftlichen Büchern, aber ich setze es als eine Bestätigung der Mittheilungen jener Bücher noch ausdrücklich her, weil gerade über das Zusammenleben beider Eltern mit den Jungen oder nur der Mutter noch sehr viel Unerwiesenes in den Büchern zu lesen ist und schon Vieles hat berichtigt werden müssen.
Ueber die prachtvolle Erscheinung des Tigers, besonders wie sie durch unsern Berliner Tiger repräsentirt wird, ein Wort zu sagen, ist eigentlich überflüssig, denn er bietet für jeden empfänglichen Beschauer einen fast berauschend schönen Anblick. Wohl hat ein edles Pferd eine größere Formenschönheit, wohl imponirt uns der Löwe mehr durch den stolzen Ausdruck der Majestät und Kraft, und viele Vögel übertreffen den Tiger an Farbenpracht, aber eine solche Vereinigung von Formenschönheit, von Ausdruck und herrlicher Farbenpracht, wie sie der Tiger bietet, dürfte sich doch kaum bei einem zweiten Thiere finden, und bei aller Feindschaft, die wir ihm als freiem Thiere schuldig sind, tritt doch auch hier, wie oft im Menschenleben, der Fall an uns heran, daß wir den Feind bewundern müssen. –
Der Leser wird vorher schon gestaunt haben über die Menge von Tigern, welche Herr Jamrach aus Indien geholt hat; noch anschaulicher wird ihm aber dieser Handel werden, wenn er erfährt, daß der Thierhändler Hagenbeck in Hamburg von 1866 bis September 1872 verkauft hat: 111 Hyänen, 106 Bären, 80 gefleckte Katzen (Leoparden, Jaguare etc.), 18 Königstiger, 110 Löwen, 36 Giraffen, 61 Elephanten, 5 Rhinocerosse, 332 Hirsche, Antilopen (überhaupt Wiederkäuer) und Einhufer, 342 große Schlangen, 252 Krokodile, 3000 Affen etc.
Diese Zeilen waren bereits vollendet und sollten gerade zum Druck kommen, als der Verfasser erfuhr, daß vor wenigen Tagen das schöne Thier, welches den Gegenstand derselben bildet, leider verendet ist. Ich hörte dies vom Wärter selbst, und die einfachen Worte, mit denen mir derselbe das Sterben des Thieres schilderte, haben mich, ich schäme mich des Geständnisses gar nicht, schmerzlich berührt. Im Sterben hat der Tiger immer kläglich und schmerzlich miaut, und nur wenn sein Wärter zu ihm getreten ist und dem Thiere, das mit dem Kopfe am Gitter lag, die Backen gestreichelt hat, ist es ruhig geworden, hat aber gleichsam wieder nach demselben gerufen, wenn er sich entfernen mußte. Niemand braucht sich der warmen Theilnahme für eine solche Scene zu schämen, denn wir haben es hier nicht mit dem freien, von der Natur auf Blut und Mord angewiesenen Raubthiere zu thun, dem wir unbedingt entgegentreten müssen, sondern mit einem wehrlosen Gefangenen, der auf unsere Rücksicht und Theilnahme angewiesen ist. Jedenfalls legt auch diese Scene ein warmes Zeugniß ab von der Humanität, mit welcher die Thiere des Berliner Raubthierhauses von ihrem Wärter behandelt werden, einer Humanität, welche sie lehrt, in demselben nicht ihren Peiniger, sondern ihren wohlwollenden Freund zu erkennen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ vermutlich der Tierhändler William Jamrach, Sohn von Charles Jamrach (1815–1891)