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Aus dem amerikanischen socialen Leben

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Textdaten
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Titel: Aus dem amerikanischen socialen Leben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 308–311
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[308]

Aus dem amerikanischen socialen Leben.


Vater Washington, wie ihn die Amerikaner nennen, war ein großer Staatsmann und Kriegsheld, das wissen wir Alle; aber was vielleicht nicht Alle wissen, ist, daß George Washington auch ein galanter Cavalier war. Er betrachtete das weibliche Geschlecht vor allen Dingen als das schwächere und ließ es sich daher angelegen sein, ihm einen ganz speciellen Schutz zu gewähren. Wir brauchen nur einen Blick auf die von ihm ausgegangenen Gesetze zu werfen, um zu sehen, wie weit dieser Schutz geht, welcher der amerikanischen Frau zu Theil wird. Dies weiß aber auch die zärtliche Misses, und ihre Erkenntlichkeit gegen den hochherzigen Beschützer ist groß; sie bewundert in ihm nicht allein den schönen anmuthigen Cavalier, denn es ist bekannt, daß George Washington einer der schönsten Männer seiner Zeit war, sondern sie verehrt auch in ihm den Mann, der sich ihrer großmüthig angenommen und sie unter schützende Gesetze gestellt hat. Der beste Beweis für die Dankbarkeit der amerikanischen Frauen ist wohl der, daß sie vor zwei Jahren den Platz, wo seine Gebeine ruhen, mit großem Kostenaufwande erkauft haben, um ihn der Nation als Geschenk darzubringen und so die Ruhestätte des Mannes, welchen das ganze amerikanische Volk gewissermaßen als sein Eigenthum betrachtet hatte, auch wieder zu einem wahren Nationaleigenthum zu machen.

Dieser Ankauf ist ein höchst interessanter. Der Begräbnißplatz war durch Erbschaft einem Nachkommen Washington’s zugefallen, [309] der, kaum noch daran denkend, daß er sich im Besitze der heiligsten Reliquie Amerika’s befand, das ohnehin schon bescheidene Grabmal vollkommen verfallen ließ; Unkraut und Gestrüpp wucherten rundherum; kaum ahnte der vorübergehende Wandrer die Nähe dieser Grabstätte. Niemand rief ihm die Worte zu Sta, viator, heroem calcas! Da traten vor etwa zwei Jahren die Damen New-Yorks zusammen. Ein Meeting wurde abgehalten, und es wurde beschlossen, durch freiwillige Beiträge die zum Ankaufe erforderliche Summe aufzubringen.

Ein Gefederter.

Man fragte den Besitzer nach dem Preise. Er forderte die ungeheure Summe von 50,000 Dollars für die wenigen Morgen Land, welche die Grabstätte bildeten. Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung erhob sich; mit flammender Schrift donnerten die Zeitungen Amerikas gegen den frechen Forderer. Dieser bestand jedoch, über die niederschmetternden Artikel lächelnd, auf seiner Forderung, und in wenigen Wochen hatte der nunmehr vollkommen zum Paroxysmus gelangte Patriotismus der amerikanischen Frauen die Summe aufgebracht.

Triumphirend begab sich ein Comité der schwarzäugigen Ladies zu dem habsüchtigen Yankee, und in blank gemünztem Golde wurden ihm die verlangten 50,000 Dollars auf den Tisch gezahlt.

Der edle Nachkomme Washington’s überlegte. Er war zwar Yankee im wahren Sinne des Wortes und obendrein ein glühender Patriot, aber er liebte vor allen Dingen das Geld. Wenn 50,000 Dollars in so kurzer Zeit zusammengekommen sind, dachte er, so wird es zwar wohl eine längere Zeit dauern eine größere Summe zusammenzubringen, aber es wird doch geschehen, denn Amerika ist ja groß und die amerikanischen Frauen verehren Washington. Er forderte 200,000 Dollars und strich vergnügt lächelnd und mit einem Fluche betheuernd, daß er ein glühender Patriot und schwärmerischer Verehrer seines großen Vorfahren sei, die 50,000 Dollars als Abschlagszahlung ein.

Ein furchtbarer Schrei der Entrüstung durchhallte die ganzen Vereinigten Staaten! Vernichtender schmetterten die Journalisten ihre Donnerkeile auf den übermüthigen Frevler herab, und man glaubte schon die zarten amerikanischen Ladies sich wie eine Bande gereizter Hyänen zusammenrotten zu sehen, um den schändlichen Wucherer mit ihren weißen Zähnen zu zerreißen. Dieser kaute indessen ruhig seinen Tabak, las mit frischem Gleichmuthe die vernichtenden Artikel und rieb sich vergnügt lächelnd die Hände, wenn er aus den Blättern ersah, daß aus allen Theilen der Republik Beiträge eintrafen, um die 200,000 Dollars zu vervollständigen.

Bald war dies bewerkstelligt. Das Comité erschien zum zweiten Male. In blankem Golde rollten die noch fehlenden 150,000 Dollars auf den Tisch, während die schwarzäugigen Ladies Blicke der Verachtung und des Hasses auf den schändlichen Empfänger warfen. Dieser schien nicht übel Lust zu haben, da es so gut ging, auch diesmal die ganze Summe nur als eine Abschlagszahlung anzunehmen, doch wurden jetzt die Blicke so drohend, die schönen Stirnen falteten sich mit solcher Strenge, daß er dies Project aufgab. Er strich holdselig lächelnd das Geld ein und begleitete die Damen höflich bis zur Thür, indem er sich hoch und theuer verschwor, daß er der kerngesundeste, gesinnungstüchtigste Patriot sei, und sich ihrer Aller Unterstützung ausbat, falls es ihm einmal in den Sinn kommen sollte, als Candidat für den [310] Stuhl aufzutreten, den sein edler Vorfahr mit so viel Ruhm eingenommen.

So ehrten die amerikanischen Frauen das Andenken des Mannes, der sich ihrer so schützend angenommen. Dieser gesetzliche Schutz nun geht auch wirklich weit, und allmählich hat sich denn auch der Amerikaner, trotzdem er nur einen Gott hat, dem er alle seine Talente und Empfindungen zum Opfer bringt, das money making, daran gewöhnt, die Frau auf das Zuvorkommendste und Artigste zu behandeln und überall schützend für sie aufzutreten.

Man sieht dies am besten, wenn man in Amerika reist. Auf Eisenbahnen, Dampfschiffen, in dem Postwagen und Omnibus wird stets der Amerikaner einer Dame den besten Platz, und wenn er auch die gerechtesten Ansprüche auf denselben hat, einräumen, ihr über Alles bereitwilligst Auskunft geben und rasch bei der Hand sein, um einen Aufdringlichen oder Ungeschliffenen zu züchtigen. Eine Frau reist in Amerika allein eben so sicher, ich möchte fast sagen sicherer, als unter männlicher Begleitung, denn im ersteren Falle werden sofort Hunderte für sie auftreten, wenn sie beleidigt werden sollte, während man im letzteren dies ihrem Begleiter überlassen würde, der, wenn er ein Ehemann ist, dies möglicherweise so schlecht wie möglich besorgen wird.

Diese Galanterie hat freilich viel Gutes. Der höfliche Umgang mit dem weiblichen Geschlechte, die zarte Behandlung desselben veredelt den Menschen, indem er die Rohheit der Sprache ablegt und sein ganzes Benehmen ein gefälligeres, geselligeres wird, aber gerade auf Reisen kann diese Art und Weise der Galanterie doch manchmal sehr lästig werden. Ein guter Freund von mir, ein echter Vollblut-Yankee, trägt noch heute seine Nase in ziemlich windschiefer Richtung, weil er sich eines Tages einfallen ließ, die Geliebte eines echten New-Yorker Rowdy’s den übertriebenen Zärtlichkeiten dieses letzteren gegenüber in Schutz zu nehmen, und ich selbst denke noch mit wahrem Grauen an eine Nachtreise von Chicago nach St. Louis, während welcher ich wenigstens zehnmal von ein und derselben Lady von meinem Platze verjagt wurde.

Am schlimmsten ist es nun aber, wenn die Liebe mit in’s Spiel kommt. Da treten die schützenden Gesetze erst in ihrer ganzen Kraft und Strenge auf. Wie mancher flatterhafte Sohn Deutschlands hat sich schon in die Netze einer geschickten amerikanischen Sirene locken lassen! Es wurde erst ein wenig getändelt und geliebt, dann flocht sich vielleicht hier und dort schon eine galante Phrase in die Unterhaltung; in einem günstigen Augenblicke wurde dann eine feurige Liebeserklärung vom Stapel gelassen, und ein feuriger Kuß besiegelte das Versprechen einer unverbrüchlichen Treue, einer glücklichen, segensreichen Ehe. Da kam der deutsche Jüngling erst wieder zur Besinnung, er sah ein, daß er seine Gefühle nicht an den richtigen Mann gebracht. Das Einfachste war daher ein Schnippchen zu schlagen, die sentimentalen Schwüre ewiger Treue, wie so viele derartige, zu vergessen und die Dame seines Herzens in die Gallerie der früheren Angebeteten zu hängen. Doch halt! – Die feurig liebende Jungfrau vergaß nicht, sie stürzte sich nicht einmal wie eine verlassene Ariadne vom Felsen herab, und eines schönen Morgens, als der biedere, deutsche Jüngling so eben ein lustiges Liedchen „Ander Städtchen, ander Mädchen“ vor sich hinpfeifend seine Koffer packte, klopfte die rächende Nemesis in Gestalt eines revolverbeladenen Polizisten an die Thüre und überreichte ihm die schwere Note: Gefängniß oder Hochzeit.

Die beleidigte Schöne hatte dem Friedensrichter, einem echten Yankee, die Schwüre ewiger Treue wiederholt, welche dem gefühlvollen Herzen des deutschen Jünglings entströmt waren, sie hatte beschworen, daß er ihr die Ehe versprochen, und sofort war der verhängnißvolle Verhaftsbefehl ausgefertigt worden. – Da blieb dann nur eine Wahl – die Ehe. Immerhin ein Unglück, aber doch nicht ein so großes als das Gefängniß, denn wenn es einer Frau in Amerika so leicht ist zu einem Manne zu kommen, so ist es dafür in einigen Staaten auch wieder sehr leicht auseinander zu kommen. Für zehn Dollars ist man z. B. in Illinois in Zeit von acht Tagen rechtskräftig geschieden, und wenn man ein guter Kunde ist, so thut’s der Richter auch für sieben.

Doch so wie nun in diesen Fällen das Gesetz die Frau schützt, so thut dies, wo eine wirkliche systematische Verführung zu Tage liegt, die Volksjustiz. Wer hätte nicht schon von dem sogenannten „Federn“ gehört, eine Strafe, welche wir schon in den ältesten Zeiten in unserem eigenen Vaterlande vorfinden, und der ebenfalls schon damals böswillige Verleumder, unvorsichtige Galane und überhaupt die, welche die Ehre der Frauen antasteten, unterworfen wurden.

Die beigefügte Skizze schildert eine solche Begebenheit in einer kleinen Stadt von Illinois, der ich vor einigen Jahren beiwohnte. Der dicke John war ein bekannter Don Juan, und hatte als solcher schon manche Tracht Prügel mit dem sogenannten Ochsenziemer, einer Peitsche, welche aus der getrockneten Haut eines Ochsenschwanzes gemacht wird, davongetragen. Dies verhinderte ihn indessen nicht, nach wie vor den jungen Schönheiten des Städtchens nachzustellen, worüber seine biedere Ehehälfte, die er bei Gelegenheit eines Liebesabenteuers auf die oben beschriebene Art „Gefängniß oder Hochzeit“ überkommen hatte, nicht wenig erzürnte. Seit langer Zeit nun hatte der dicke John seine Netze nach einem jungen, hübschen Mädchen ausgestellt, und nur die riesigen Gestalten ihrer beiden Brüder, von deren einem der dicke John sogar noch von einer anderen Begebenheit her einige dicke Striemen an seinen corpulentesten Theilen aufzuweisen hatte, schreckten ihn einigermaßen von gewagteren Versuchen ab. Doch der dicke John faßte sich schließlich ein Herz; die letzten Spuren der Bekanntschaft mit dem gewichtigen Ochsenziemer waren eben vernarbt, und er konnte daher wieder einmal das Risico einer neuen verbesserten Auflage übernehmen. Aber wie gesagt, die Dame seiner Nachstellungen hatte zwei Brüder, welche nicht mit sich spaßen ließen, und am andern Morgen, als der dicke John noch behäbig in Morpheus’ Armen lag und wahrscheinlich einen süßen Traum träumte, in welchem er selbst über den kühnen Unternehmungsgeist des Helden, seiner selbst, erstaunte, wurde leise die Thüre aufgemacht, und ein halbes Dutzend stämmiger Kerle traten, von den zwei gefürchteten Brüdern geführt, in das Zimmer. Sie hatten eigenthümliche Apparate mit, diese frühzeitigen Ruhestörer. Ein Eimer, in welchem eine zähe schwarze Flüssigkeit enthalten war, wurde vor das Bett gesetzt, ein riesiger Quast kam zum Vorschein, und ein ziemlich großer Sack, mit allerhand Federn von wildem Geflügel gefüllt, wurde auf der Diele geleert. Jetzt ging’s dem dicken John zu Leibe. Ein fettes Theerpflaster vor den Mund schreckte ihn aus seinen Träumen. Im Nu war er an Händen und Füßen gebunden und der ominöse Quast, von einer erfahrenen Hand geführt, bedeckte bald die fetten Reize des dicken John mit einer saftigen Lage schwarzen Theers. Dann rollte man den kugelrunden Leib des unglücklichen Don Juan einige Male in den auf der Erde ausgebreiteten Federn, bekleisterte noch hier und dort einige unbedeckte Stellen mit einer Handvoll bunter Daunen, und da stand der dicke John, halb Paradiesvogel, halb Schimpanse, ein wahres Monstrum von lächerlicher Häßlichkeit.

Jetzt wurde eine Art Bahre hereingebracht. Kunstgerecht wurde der befiederte John auf derselben befestigt, das Theerpflaster wurde ihm vom Munde genommen, und fort ging’s mit lautem Hurrahruf auf die belebte Straße. In Zeit von fünf Minuten wußte die ganze Stadt, daß der dicke John „gefedert“ worden sei, und in langer Procession ging’s durch sämmtliche Straßen des Ortes. Faule Eier, Düten mit Mehl und gelben, rothen und grünen Farben flogen jetzt platzend und farbige Wolken ausstreuend dem armen Opfer an den Kopf, und bald war das Costüm des armen John ein so gemischtes, etwas so Unerklärliches, die ganze Figur hatte in ihrer zusammengekauerten Stellung etwas so unförmlich Groteskes, daß ein Fremder wirklich in Verlegenheit gewesen wäre, zu sagen, von welchem Gehalte und welcher Gestalt, überhaupt was dieser Gegenstand eigentlich war, den sechs Männer im Triumphe durch die Stadt trugen.

So ging’s mit lautem Hurrahruf, in welchen sich das zeternde Geschrei des gerächten Geschlechtes mischte, bis an die Grenze der Stadt. Hier wurde der große Federballen von der Bahre heruntergenommen, in kunstgerechter spannendster Stellung über einen gefällten Baum gelegt, und nachdem vorher einer seiner Körpertheile vermittelst eines hölzernen Spahnes von der Theer- und Federkruste gereinigt worden war, begann der unvermeidliche Ochsenziemer seine Thätigkeit. Dies war der Schluß der Feierlichkeit. Dem dicken John wurde durch Zerschneiden der Bande der Gebrauch seiner Gliedmaßen wiedergegeben, und die letzten Hiebe des unerbittlichen Ochsenziemers begleiteten ihn noch auf seinen ersten drei bis vier gewaltigen Sprüngen in das nächste Gebüsch. Wie und auf welche Art der dicke John sich seiner theerigen Federjacke entledigt, kann ich nicht sagen, aber in der Stadt wurde er nie [311] wieder gesehen. Seine ihm treu gebliebene Ehehälfte verkaufte in Kurzem all’ sein Eigenthum und folgte ihm in’s Exil.

Das schöne Geschlecht war gerächt, und noch lange wird die Erinnerung an den dicken John die verwegenen Don Juan’s der Stadt abhalten, eine ähnliche Scene auf ihre Kosten herbeizuführen.