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Sakarra, die Stadt der Gräber

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Sakarra, die Stadt der Gräber
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 315–317
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Gegend um Iraklio/Creta
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[315]
Sakarra, die Stadt der Gräber.
Aus einem Tagebuche.

Wir hatten vierzehn Tage unter der Akropolis von Nauplia (Napoli di Romania) gelegen, als Baron Bruck, der Commandant unserer Kriegsfregatte „Erzherzog Friedrich“, den Befehl gab, die Anker zu lichten, um weiter nach Süden zu gehen. Anfangs vom herrlichsten Wetter begünstigt, sahen wir erst nach drei Tagen die Insel Milo am Horizonte auftauchen; denn nur am Tage durchfurchte unser Schiff die Salzfluth, am Abend wurde „beigelegt“, so daß wir uns ungestört an den herrlichen Sonnenuntergängen ergötzen konnten, welche die tiefblauen Wasser des Archipels mit dem prächtigsten Violett färben. Ein aufsteigender Sturm zwang uns, in den tiefen, von hohen Bergen umschlossenen Hafen zu laufen, in den sich bereits mehrere Kauffahrteischiffe geflüchtet hatten.

So gewannen wir Gelegenheit, die schönen Schwefelbäder der vulcanischen Insel zu genießen, besuchten das große, in Felsen gehauene Amphitheater und erstiegen den hohen Berg, auf dem das Dorf Antimilo gelegen ist und von dem aus wir einen köstlichen Blick auf die Gruppe der Cykladen hatten. Nach vier Tagen erst stachen wir wieder in See, umschifften Cap Matapan, die südlichste Spitze des europäischen Festlandes, und landeten auf Cerigo, dem Kythere der Alten. Sie ist die südlichste Insel der ionischen Republik, reich an üppigen Olivenwäldern und Weinbergen, im Alterthum hochberühmt und heilig durch den Cultus der Venus, die, dem Meerschaum entstiegen, einst hier landete. Wir sahen in zwischen nur die steilen, kahlen Küsten und hatten kaum die Zeit, den Leuchtthurm zu besuchen, der auf Cap Spati thront: unsere Fahrt ging immer südlicher, unser nächstes Ziel war Candia, der äußerste Punkt Europa’s. Die Fregatte hatte jedoch Befehl, zuvor einige Wochen hier zwischen Morea und Candia zu kreuzen.

Es waren dies herrliche Tage, noch herrlichere Nächte; rings um uns nur Meer und Himmel, Himmel und Meer – selten

[316]

Sakarra, die Stadt der Gräber.
Originalbild von Emil Mann in Triest.

[317] nur tauchten am Horizonte die Gipfel des Eilands Cerigotto auf, oder im fernen Süden die Schneehäupter der weißen Berge auf Creta, Alles in den schärfsten Umrissen, greifbar, klar, wie die Contouren auf der Leinwand des Malers. Am Tage fesselten mich besonders die Aquarellarbeiten unseres Landschafters Emil Mann an dessen improvisirte Staffelei, und ich sah hier die Skizzen der herrlichen Gemälde entstehen, die später den Ruf des Malers begründen sollten. Wenn aber der heitere Abend niedersank, wurden die Becher mit edlem Malvasier oder Muscat gefüllt, von welchem letzteren schon das alte Volkslied singt:

„Der liebste Buhle, den ich hab’, der liegt beim Wirth im Keller,
Er hat ein hölzli Röcklein an und heißt der Muscateller!“

es wurde gescherzt, geplaudert, auch manches Glas der Göttin der Liebe geweiht; ja, wir sahen hier oft den Tag sich wieder röthen, so sehr fesselte uns die Frische der Nacht und das imposante Schauspiel des Meerleuchtens, das fast jede Nacht neue Schönheiten vor uns aufrollte.

Endlich führte uns unser Pilot, den wir von Milo mitgenommen, in den Hafen von Canea, der Hauptstadt eines der drei Sandschaks, in welche Creta getheilt ist. Sie liegt an einer flachen Bucht der Nordküste, rings von hohen Kreidefelsen umschlossen, deren untere und mittlere Theile eine reiche Vegetation schmückt. Cypressen und Oliven schlingen sich durch die zerstreut liegenden Häuser mit flachen Dächern, über die viele griechische Klöster mit ihren Kuppeln und Heiligenbildern hervorragen. Nicht ohne heiligen Schauer betrat ich die Insel, seit urältester Zeit berühmt und noch heute mit zahlreichen Spuren ihrer einstigen Größe bedeckt. Hieher führte schon Zeus die geraubte Europa, hier reichte die liebende Ariadne dem Theseus den Faden der Rettung aus dem von Dädalus erbauten Labyrinth, hier hauste das Scheusal Minotaurus, hier waltete Minos, der König, ein Bild der Weisheit. Griechische, römische, byzantinische, arabische, venetianische und türkische Kämpfer stritten später um den Besitz des blühenden Eilands, das in seiner schönsten Blüthe eine Million Bewohner zählte, und noch heute stößt man auf zerfallene Bauten aller Jahrhunderte, auf eine in Stein geschriebene Geschichte.

Gern hätte ich die Inseln nach allen Richtungen durchstreift, aber unsere Fregatte konnte nur sieben Tage im Hafen verweilen, sie mußte nach Messina und Palermo. Zum Glück wurden wir durch die Verwendung unseres liebenswürdigen Commandanten von der Quarantäne befreit und konnten somit doch einige Tage ausbeuten. Vor Allem zogs mich nach der Sakarra, im Volksmunde „Stadt der Gräber“, welche, auf dem Landwege in fünf Stunden erreichbar, in der tiefen Meeresbucht gelegen ist, die von den beiden Landzungen gebildet wird, in welche Candia gegen Nordwest ausläuft und deren westlichste mit dem Kreidefelsen des Caps Metera abschließt. Die ganze Gegend ist reich an Füchsen, darum beschloß ein Theil unserer Marineofficiere, sich der Excursion anzuschließen. Sie zogen eines Nachmittags mit Flinten und Dolchen gut bewaffnet über die Berge, während ich mit unserm Maler das Gig (Schiff des Commandanten) bestieg, welches mit geröstetem Hammelfleisch, Melonen und Mastika, einem süßen, weißen Branntwein, reichlich beladen und mit zwölf rüstigen Matrosen bemannt wurde. Pfeilschnell segelten wir an der Küste hin, von Bucht zu Bucht, von Vorsprung zu Vorsprung, umklungen vom Rauschen der sanften Wellen oder der schönen Pinienhaine, die weithin das flachere Ufer bedecken.

Gegen Abend erschien Metera, als wir um die Spitze der östlichen Landzunge bogen, und wenige Minuten später der gewaltige, jähe Porphyrfelsen, auf welchem Sakarra, die stolze Begräbnißstätte der maurischen Könige, welche einst über Candia geherrscht, im goldnen Abenddufte ruhte. Die durch das Land gezogenen Officiere unserer Expedition konnten unmöglich das Ziel derselben schon erreicht haben; wir hemmten deshalb den Flug des Gigs und schwammen langsam durch die warme Bucht, um das Bild der herrlichen Landschaft ganz in uns zu saugen. Endlich hatten wir das innerste Ufer erreicht, das rings mit den Trümmern einer venetianischen Veste bedeckt ist, und stiegen aus. Unser Maler faßte sofort Posto auf dem Bogen einer Brücke, den noch ein verstümmelter Marcuslöwe zierte, um das gewaltige Motiv zu skizziren, die Matrosen befestigten das Boot mit starkem Tau an einen Pinienstamm, während ich durch das dichte Gestrüpp und die massigen Ruinen nach dem Gipfel des Felsens mich hindurchzuarbeiten suchte. Bei jedem Schritte klang der Boden dumpf und unheimlich; zahlreiche unterirdische Gewölbe, die von dem weiter oben liegenden venetianischen Schlosse einen geheimen Ausgang nach dem Meere gebildet zu haben scheinen, durchziehen ihn.

Endlich hatte ich Steingeröll und Trümmerhaufen, deren Pforten und Wände viele Löwen der zertrümmerten Venetia tragen, glücklich überwunden; noch ein kleiner, steiler und kahler Weg hinauf, und ich stand auf der Spitze des Felsens, vor den zerfallenen Königsgräbern. Ein verschütteter Gang führte mich durch die Umfassungsmauer, die nach dem Innern ringsherum mit casemattenähnlichen Vertiefungen versehen ist, nach dem freien Platze, welcher vielleicht 130 Fuß lang und 80 breit ist. In seiner Mitte erhebt sich das Hauptmausoleum, ein massives Gebäude mit thurmähnlichem Aufbau, den eine Kuppel abschließt und dessen Höhe wohl 120 Fuß betragen mag. Die Decke des oblongen Gebäudes ist zusammengestürzt – hoch schaut Nachts der Himmel mit seinen ewigen Sternen herein, die schweigend über die Trümmer zerfallener Menschengröße hinweggehen, während am Tage sich Hirten oder verirrte Wanderer vor drohendem Sturme hierherretten.

Abu Caab, der Stammvater der cretensischen Emire, soll mit seinem Sohne Saib und dessen Sohne Babdel nebst andern Nachfolgern hier begraben liegen. Es war unter Kaiser Michael II. (823), als er von Westen her nach Creta kam, mit sich führend abenteuerliche Rotten Araber, die sich in Spanien vom Heer der Ommajaden getrennt hatten und in den benachbarten Ländern des Mittelmeeres raubten. Erst waren nur wenige gelandet; aber das blühende Creta gefiel ihnen so wohl, daß sie ihre in Alexandrien zurückgelassenen Genossen herüberholten, zunächst ihr Lager verschanzten, später aber die feste Stadt Chandax gründeten, auf deren von der Natur stark befestigte Lage ein Einsiedler sie aufmerksam gemacht hatte. Von den 29 Städten der Insel mußten sich 28 unterwerfen, die alle zu einem selbständigen Reiche vereinigt wurden, das weder vom Chalifat zu Bagdad, noch von der Dynastie der Ommajaden irgend wie abhängig war. Wohl schmerzte der Verlust der schönen Insel die Kaiser von Byzantium tief; als dem Constantin Porphyrogennetus die auf seinen Befehl abgefaßte Chronik vorgelesen wurde, fügte er da, wo es hieß, daß Creta auch jetzt noch den Arabern gehöre, mit bewegter Hand die Worte ein: „Wofür Gott sorgen wird, aber auch wir wollen dafür sorgen, die wir Tag und Nacht unsere Seele über diese Insel mühen.“

Aber ihre Mühen waren lange vergeblich; schon Michael’s Feldherrn waren dreimal geschlagen worden; eine neue, bedeutende Niederlage erlitt Theoktistus, der General der Kaiserin Theodora (844), welche den Emir so kühn machte, daß er Constantinopel selbst angegriffen haben würde, hätte nicht der Sturm seine Flotte an der Küste Lydiens zerschmettert. Erst 962 wurde die Insel wieder griechisch, und als 1204 französische Kreuzfahrer das byzantinische Reich zertrümmerten und ein lateinisches Kaiserreich gründeten, kam sie an Venedig. Ob schon damals, als die arabische Herrschaft nach heldenmüthigem Kampfe zusammenbrach, die übermüthigen Sieger die heilige Ruhestätte der feindlichen Fürsten zerstörten, oder ob die Türken, die Creta 1645 eroberten, beutegierig hier nach Schätzen wühlten, ist unbekannt – die Grabkammern aber sind leer, verfallen, zerbrochene Marmorquadern liegen über die ganze „Stadt der Gräber“ verstreut, und nur die Sage schmückt noch die Stätte des Todes, während die Natur um sie, wie um die Trümmer der venetianischen Bauten einen üppigen Kranz voll ewiger Schönheit schlingt. –

Ein Schuß am Ufer schreckte mich aus meinen Träumen auf; er signalisirte die Ankunft der Freunde und die nahe Abfahrt des Gigs. Ich mußte eilen; denn mit jedem Augenblicke wurde der Weg bei einbrechender Dämmerung gefährlicher; auch mußten wir vor Nacht unsere Fregatte in Catania laut Commandantenbefehl bestiegen haben. –

Wir geben unsern Lesern eine Ansicht dieses interessantesten Punktes der Insel Candia nach der herrlichen Landschaft des Malers Emil Mann in Triest, der, ein talentvoller Schüler Schirmer’s und Calame’s, schon durch seine frühern italienischen und Schweizerlandschaften sich einen klangvollen Namen in der Künstlerwelt errungen hat.