Aus dem musikalischen Vogtland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus dem musikalischen Vogtland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 891–892
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Heinrich Gebauer: Die Volkswirtschaft im Königreiche Sachsen, 1893, SLUB Dresden
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[891] Aus dem musikalischen Vogtland. Zu den eigenartigsten Zweigen der sächsischen Industrie gehört die Fabrikation musikalischer Instrumente im Vogtland. „Aus unbedeutenden Anfängen,“ so schreibt über sie Heinrich Gebauer in seinem ungemein reichhaltigen und schätzbaren Werke „Die Volkswirthschaft im Königreiche Sachsen“ (Dresden, W. Baensch), „in einem weltverlorenen Winkel des Gebirgs entstanden, hat sie sich zu einer Ausdehnung und Vielseitigkeit entwickelt, die ihresgleichen sucht, und beherrscht jetzt von ihrem abgelegenen Sitze aus den Weltmarkt.“

Um das Jahr 1580 flüchteten Protestanten, die um ihres Glaubens willen verfolgt wurden, aus ihrer böhmischen Heimath auf das nahe

[892]

Neujahrspost.

sächsische Gebiet, wo ihnen Kurfürst August I. gerne Aufnahme gewährte. Sie ließen sich in dem damals Neukirchen, jetzt Markneukirchen genannten Städtchen nieder, bereitwillig empfangen von der wenig zahlreichen Bevölkerung. Unter diesen böhmischen Flüchtlingen waren auch einige Geigenmacher, die ihr Gewerbe in der neuen Heimath fortsetzten. Sie fanden in der waldreichen Gegend im Ueberflusse die Hölzer, welche sie für den Bau ihrer Instrumente brauchten; von der Bevölkerung, welche sich bis dahin von Waldarbeit und Bergbau nur kümmerlich genährt hatte, wandten sich viele dem neuen Beschäftigungszweige zu, und schnell wuchs die Anfertigung von Geigen und Bässen zum Haupterwerbszweige der Stadt und ihrer Umgebung heran, bis der Dreißigjährige Krieg eine gewaltsame Unterbrechung herbeiführte. Neue Verfolgungen nach dem Kriege veranlaßten in Böhmen aufs neue viele Handwerker zur Flucht, und diese wandten sich theils ebenfalls nach Markneukirchen, theils ließen sie sich in dem Thale der Zwota nieder, unweit der Stelle, wo dieselbe aus Sachfen nach Böhmen tritt. In dem von dunkel bewaldeten Bergen umgebenen Thalkessel der „Höllengrund“ genannt, lag ein Eisenhammer, der „Höllenhammer“, welcher 1580 von böhmischen Bergleuten errichtet worden, während des Dreißigjährigen Krieges aber wieder eingegangen war. Nach dem Besitzer des Hammers, Klinger, nannten die Böhmen, die sich hier niedergelassen hatten, den Ort „Klingenthal“ und führten hier dasselbe Gewerbe ein wie in Markneukirchen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die blühende Geigenindustrie des Vogtlandes, Markneukirchen und Klingenthal traten einem Cremona und Mittenwald zur Seite.

Ein großer Erfolg für die Markneukirchener Geigenmacher war es, als sie 1873 auf der Wiener Weltausstellung den Sieg über die Mittenwalder davontrugen, Sie verdankten dies hauptsächlich dem Umstand, daß auch sie, wie ihre Nebenbuhler, angefangen hatten, die alten italienischen und tirolischen Meister zu studieren und von ihnen zu lernen.

Außer Geigen und anderen Streichinstrumenten, Cellos, Bässen etc., werden im Vogtland auch Guitarren, Zithern, Mandolinen verfertigt. Ja es versieht sogar die Neger Afrikas und Amerikas mit einem „nationalen“ Saiteninstrument, dem „Banjo“, und dieses letztere, ein Mittelding zwischen Guitarre und Mandoline, hat noch das Merkwürdige an sich, daß es sich einer besonderen Beliebtheit in den vornehmen Salons von London erfreut, seit der Prinz von Wales eine Vorliebe dafür an den Tag legte. Auch Gladstone und der russische Kaiser spielen Banjo, zum großen Vergnügen ihrer Umgebung und – der Fabrikanten von Markneukirchen.

Selbstverständlich mußte sich neben der schwunghaften Geigenmacherei auch die Fabrikation von Fidelbogen und Darmsaiten entfalten. Auffallenderweise geschah dies zum Theil erst spät; die Bogenmacherei wurde in Markneukirchen nicht vor der Mitte, in Klingenthal erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts eingeführt, während man den Bedarf bisher aus Schmalkalden bezogen hatte, und ähnlich ging es mit den Darmsaiten, die man sich lange aus Böhmen, Bayern, Tirol und Italien schicken ließ, bis man sie endlich 1730 in Markneukirchen selbst zu fertigen begann. Jetzt steht gerade dieser Fabrikationszweig dort in besonderer Blüthe.

Aber mit den genannten Instrumenten ist das Orchester der vogtländischen Industrie noch immer nicht erschöpft, auch die Blech- und Holzblasmusik bezieht einen großen Theil ihres Bedarfs aus dieser Gegend; Markneukirchen und sein Gebiet hat z, B. im Jahre 1876 nicht weniger als 17000 Flöten geliefert. Und so sind wir bereits nicht mehr überrascht, wenn wir vernehmen, daß man dort auch Harfen, Trommeln, Pauken, Tamburins, Aeolsharfen, Becken, Triangeln, Glockenspiele, Schellenbäume und Kastagnetten macht. Als besondere Eigenthümlichkeit hat endlich Klingenthal seit etwa siebzig Jahren seine Harmonikafabrikation, welche Mund- und Ziehharmoniken in Massen in die Welt sendet. Auch Kindermusikinstrumente gehen von dort aus, und als Krone und Zusammenfassung für alles wurde 1889 in Klingenthal sogar eine Orchestrionfabrik errichtet.

Wer also ein Orchester auszurüsten hat, der ziehe ins sächsische Vogtland; dort findet er auf dem Umkreis von ein paar Quadratkilometern alles beisammen, was er braucht: von der feinsten Violine bis zum Kolophonium, vom mächtigen Bombardon bis zum Notenpult.