Aus den Frankfurter Parlamentstagen
In der Handschriftensammlung, die aus dem Nachlaß des Generals von Radowitz an die königliche Bibliothek in Berlin übergegangen ist, befindet sich eine Anzahl Gedenkblätter von Abgeordneten der constituirenden Nationalversammlung, des deutschen Parlaments, das 1848 bis 1849 in Frankfurt am Main getagt hatte. Die Blätter stammen zum größten Theil aus der Zeit, in welcher die Hoffnungen auf außerordentliche Erfolge schon ziemlich herabgestimmt waren. Es ist zwar nicht anzunehmen, daß sie gerade für Herrn von Radowitz selbst bestimmt waren; die Parteistellung der meisten Männer zu ihm ist für diese Annahme zu verschieden, – Itzstein widmet sein Denkblatt ausdrücklich „unserem H. Mager“, dem würtembergischen Studienrath – immerhin aber sind sie zur Charakteristik der Männer, die sie geschrieben haben, interessant genug, um in unseren Tagen als heitere Erinnerung an überstandene Mißstände mitgetheilt zu werden.
Die Mittheilung ist wörtlich, nur daß den Namen der einzelnen Männer Heimath und Stand, Wahlkreis etc. zu leichterer Erinnerung hinzugefügt wurden.
Bassermann, Buchhändler aus Mannheim, Reichs-Unterstaatssecetär (Gestaltenseher in Berlin; Bassermann’sche Gestalten): Wer für die Menschen wirken will, der muß sie lieben und verachten zugleich. Frankfurt a. M., 21. December 1848.
Bauer, aus Bamberg: Nie verzagen! Auch heute nicht verzagen, wenn auch hier die Hoffnungssterne bleichen. In der Paulskirche am verhängnißvollen 21. Mai 1849.
von Beckerath, aus Crefeld, Reichsfinanzminister: Die Erinnerung, mitgewirkt zu haben zum Wohl des Ganzen, ist der edelste Besitz des Einzelnen. Frankfurt a. M., 9. Januar 1849.
Berger, aus Wien. Abg. für Schöneberg, Mähren: Der Zwiespalt der deutschen Vertreter ist die Einheit der deutschen Fürsten – das Grab der deutschen Freiheit. Frankfurt a. M., 22. März 1849.
Beseler, Wilhelm, aus Schleswig Holstein: Thue recht und scheue Niemand!
Beseler, G., aus Greifswalde: Langsam im Rath, schnell in der That. St. Paulskirche, den 23. März.
Biedermann, Professor aus Leipzig: Zum großen Werke auch das Kleinste beigetragen zu haben, ist belohnendes Gefühl. Frankfurt a. M., den 16. November 1848.
Buß, Professor aus Freiburg in Baden: Treue für die deutsche Nation – und Gerechtigkeit vor Allem.
Dahlmann, Professor aus Bonn, Abg. für Schleswig-Holstein: Die Freiheit ist kein Zustand des Genusses, nein, die spätreifende Frucht mannigfacher Entsagung und Arbeit. Frankfurt a. M., 5. December 1848.
Droysen, Joh. Gust., Professor in Kiel, Abg. für Schleswig-Holstein: Magnae molis erat Romanam condere gentem. (Es war ein schweres Stück, das römische Volk zu einen.) Ein Trost für Deutschland. In der Paulskirche, 23. Mai 1849.
[291] Eisenmann, Dr. med., aus Nürnberg, Abg. für Würzburg: Der brave Mann denkt an sich zuletzt. Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Eisenstuck, Bernhard, Kaufmann aus Chemnitz, Abg. des achtzehnten sächsischen Wahlkreises: Die Freiheit der Völker ist die Mutter des Muthes – nur in der Wiege des Absolutismus wird die Feigheit gedeihen. Frankfurt a. M., 21. Mai 1849.
Freudentheil, Dr. jur., aus Stade, Abg. für Hannover: An’s Vaterland, an’s theure, schließ’ dich an, das halte fest mit deiner ganzen Kraft! Frankfurt a. M., 16. November 1848. Zur Erinnerung an die großen Tage in Frankfurt.
Fröbel, Julius, aus Grießheim, Abg. für Reuß jüngere Linie: Für die, welche nicht an der Souveränetät des Staates Antheil haben, sind die Gesetze nichts Anderes, als die Methodik der Gewalt. Frankfurt a. M., 14. December 1848.
Giskra, Dr., aus Wien, Abg. für Mährisch-Trübau: Die Einheit Deutschlands muß uns werden, und sollten darüber alle Kronen ihren Glanz verlieren, sollten darüber alle Throne brechen. St. Paulskirche, 20. October 1848.
Gombart, Oberappellationsrath aus München:
Laetus in praesens animus quod ultra est
Oderit curae, et amara lento
Temperet risu. Nihil est ab omni
Parte beatum.
(Wer sich der Gegenwart freut, sorgt nicht in’s Weite, er mildert das Herbe; nichts befriedigt vollständig.) Frankfurt a. M., 21. December 1848.
Hartmann, Moritz, Abg. für Leitmeritz in Böhmen: Die Freiheit ist ein Kampf – die Liebe ist ein Kampf – der Kampf ist das Glück – ist das Leben.
Heckscher, Advocat aus Hamburg, Reichsminister des Aeußeren: Lassen Sie uns in dem ehrlichen Kampfe für ein ganzes Deutschland beharren! Frankfurt a. M, 23. März 1849.
Hermann, Dr. jur., Abg. für Bautzen: Die Reden in der Nationalversammlung sind zu oft nur zur Verhüllung dessen gehalten, was man sagen will, und sie müssen dann zwischen den Worten gehört werden. Frankfurt a. M., 23. December 1849.
Hildebrand, Bruno, Professor aus Marburg, Abg. für Kurhessen: Die sociale Aufgabe ist die größte, welche jemals dem Menschengeschlechte vorgelegen hat; ihre Lösung ist aber nur auf dem Boden voller politischer Freiheit möglich. Frankfurt a. M., 10. November 1848.
Jacoby, C. Wilhelm, aus Hersfeld: Sero sapiunt Phryges, dummodo sapiant. (Die Phrygier werden spät klug, wenn sie überhaupt jemals klug werden.) Frankfurt a. M., 20. Mai 1849.
Jordan, Sylvester, Legationsrath aus Marburg, Abg. für Kurhessen: Die wahre Freiheit besteht in der Selbstbeherrschung. Frankfurt a. M., 5. Februar 1849.
Jordan, W., von Berlin, Abg. für Oberbarnim (der Marinerath): Der Menschheit bester Freund ist just der böse Feind. Frankfurt a. M., 7. Nov. 1848.
Itzstein, J. A., Hofgerichtsrath in Mannheim: Mich beruhigt ein alter Spruch: „Ulrich Zwingli starb den Tod für’s Vaterland; alte Eichen und eingewurzelte Radicale (die einzigen echten) fallen wohl, doch fliehen nie.“ – Diese Worte unserem H. Mager zum Andenken an den alten Itzstein aus Mainz, Frankfurt a. M., 22. Mai 1849.
Jucho, Advocat in Frankfurt a. M.: Quidquid delirant reges, plectuntur Achivi. (Was die Fürsten verschulden, die Völker müssen es büßen.) Ein alter Spruch, der auch in neuer Zeit wahr bleibt, wenn es auch keine Könige von Gottes Gnaden mehr giebt. Die Könige von Volkes Willen, die souveränen Vertreter des souveränen Volks lassen es an Sünden auch nicht fehlen und wie von je muß sie das Volk bezahlen. Zur Erinnerung. Frankfurt a. M., 15. Dec. 1848.
Kirchgeßner, Advocat aus Würzburg: Der Geist lebt fort, ist auch der Körper todt. Frankfurt a. M, in der Paulskirche, 21. Mai 1849.
Löwe, Dr. med. aus Calbe, Abg. für den Wahlbezirk Calbe und Jerichow I: Mitten im Staube der Arbeit ist es schwer, sich den Blick frei zu erhalten, und doch ist das Leben nichts werth, ohne ein freies Herz und ohne freien Blick. Paulskirche, 10. November 1848.
Mittermaier, C., Geheimerath und Professor aus Heidelberg: Es ist besser zu hoffen und, von diesem Gefühl beseelt, zu handeln als zu verzweifeln.
Mohl, Moritz, Dr. der Staatswissenschaft aus Stuttgart: Gott rette das schwer bedrohte Vaterland! Paulskirche, 23. März 1849, im Augenblick drohender Gefahr für Deutschland.
Mohl, Robert, Professor aus Heidelberg, Reichsjustizminister: Fais ce que tu dois, advienne que pourra. (Thu’ was du sollst, komme was will!) Zur Erinnerung. Frankfurt a. M., 22. Februar 1849.
Nauwerk, N., aus Berlin, Abg. für den fünften Brandenburger Wahlkreis: Aus dem Blute der Wiener erblüht die Rose der Freiheit. Frankfurt a. M., 7. November 1848.
Rank, Joseph, Schriftsteller aus Prag: Einer, der es durch’s Leben, Wissenschaft und Kunst hindurch zu einem vortrefflichen Menschen bringen möchte. Frankfurt a. M., 14. December 1848.
Raveaux, Franz, Kaufmann aus Köln: Halt fass am Rich, do Kölsche Boor, No mag et falle söös of sor! (Halt fest am Reich, du kölnischer Bauer, wie es auch werde, süß oder sauer!) – Frankfurt a. M., 22. Februar 1849.
Reh, Th., Advocat aus Darmstadt, Abg. für Offenbach: Sein oder Nichtsein? – Das ist jetzt die Frage! Geschrieben in den entscheidenden Tagen des Monats März 1849. Zur freundlichen Erinnerung. Frankfurt a. M.
Reichenbach, Oskar, Graf von, Gutsbesitzer auf Domeczko in Schlesien: Wer den Kampf nicht scheut, aber auch die Mäßigung nicht vergißt, gelangt zum Ziele.
Reinhard, L, Rector aus Boytzenburg, Abg. für Boytzenburg: Das Herz sollte in allen Dingen souverain sein, selbst in politischen. Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Rießer, Gabriel, Dr. jur., aus Hamburg, Abg. für Lauenburg: Durch Nacht zum Licht. Zur freundlichen Erinnerung. Frankfurt a. M., in der Paulskirche, 22. März 1849.
Röder, Gymnasial-Director aus Neustettin: Im Großen muß es oft genügen das Gute gewollt zu haben. Frankfurt a. M., 22. März 1849.
Rödinger, Fr., Advocat aus Stuttgart, Abg. für Oehringen-Künzelsau: Die Freiheit ist nicht ein Recht, die Freiheit ist eine Pflicht. Frankfurt a. M., 12. December 1848.
Rühl, Oberbürgermeister von Hanau: Das Leben eines Mannes kann nur dadurch Werth erlangen, daß es aufgeht für die Freiheit und Wohlfahrt Aller. Verschmelzen auf diese Weise die Individuen in der Gesammtheit, so wird das Leben zugleich eine Lust sein und mehr werth als jetzt. Frankfurt a. M., 17. December 1848.
Schaffrath, Stadtrichter, Abg. für Stolpen in Sachsen: „Durch die Freiheit zur Einheit!“ Frankfurt a. M., 7. Dec. 1848.
Schloeffel, Friedrich Wilhelm, Gutsbesitzer aus Halbendorf, Abg. für den Kreis Hirschberg in Schlesien: Friedrich Wilhelm der Vierte sagte den Deputirten von Breslau: „Meine Feinde sind gewesen, wie immer; sie sind feig gewesen.“ Königsworte sollen Wahrheit sein – machen wir es künftig besser! In der Paulskirche, Frankfurt a. M.
Schoder, Adolph, Regierungsrath aus Stuttgart: Bald wird das deutsche Volk Gelegenheit erhalten zu zeigen, ob es für die Märztage so wenig Gedächtniß hat, wie die Mehrzahl des preußischen Volkes in den letzten Tagen gezeigt. Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Schüler, Abg. aus Jena, Ober-Appellationsgerichts-Rath: Nur wenn das Recht der Freiheit zur Unterstützung dient, kann diese bestehen (90. Sitzung in der Paulskirche). Frankfurt a. M., 14. December 1848.
Simon, Heinrich, Stadtgerichts-Assessor aus Breslau, Abg. für Magdeburg: Joe wel en zie nit om. (Frisch vorwärts, und schau nicht um.) Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Simon, L., Advocat in Trier: Wie der Sturm sich bricht am festen Gebäude, so bricht sich Völkerschmerz an Despotenfreude. Frankfurt a. M., 17. December 1848.
Tellkampf, Prof. aus Breslau: Wenn es diesmal auch nicht gelingen sollte, so haben wir doch Etwas gelernt und wissen das nächste Mal die eigentlichen Feinde der Einheit zu finden. Wir wollen dabei nicht fehlen. Frankfurt a. M., 21. December 1848.
[292] Temme, aus Münster: In der Paulskirche machen wir zwar die Geschichte nicht; wir sind aber verantwortlich dafür, daß sie sich gut mache. Geschrieben zu Frankfurt a. M. in der Paulskirche am 23. März 1849.
Uhland, L., aus Tübingen: Untröstlich ist’s noch allerwärts, doch sah ich manches Auge flammen und klopfen hört’ ich manches Herz. Paulskirche, 21. Mai 1849.
Umbscheiden, Ph., Friedensrichter aus Dahn in Baiern: Projectirte Ueberschrift der Paulskirche: „Primo unitatem, modo cum libertate sese ipsos prodidere.“ (Hier haben sie erst die Einheit, dann mit der Freiheit sich selber verrathen.) Frankfurt a. M., 21. Mai 1849.
Venedey, J., Schriftsteller aus Köln, Abg. für Hessen-Homburg: Man muß selbst dem lieben Herrgott helfen, gutes Korn zu machen. Paulskirche, August 1848.
Vogt, Karl, Prof. in Gießen, Abg. für Gießen: Die Monarchie kann – die Republik will – wann wird das Können wollen und das Wollen können? 23. December 1848.
Waitz, Georg, Professor in Göttingen, Abg. für Kiel: Deutschland ist nie eine volle staatliche Einheit gewesen und wird schwerlich je ein Einheitsstaat werden. Frankfurt a. M., 5. December 1848.
Welcker, E, Geheimer Rath aus Heidelberg: Das ganze Deutschland soll es sein! Zum freundschaftlichen Andenken. Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Wesendonk, H., Advocatanwalt aus Düsseldorf: Auch jetzt noch hoffnungsvoll und doch schon so oft betrogen. Frankfurt a. M., 18. December 1848.
Wigard, Franz Jacob, Professor aus Dresden: Alles für das Volk nur durch das Volk selbst. Frankfurt a. M., 9. December 1848.
Würth, Joseph, aus Sigmaringen: Wie auch die Wolken sich thürmen, ich verzweifle nicht an Deutschlands Zukunft. Gott läßt Deutschland nicht verfallen. Frankfurt a. M., 5. März 1849.
Wuttke, Heinrich, Privatdocent aus Leipzig, Stellvertreter für Robert Blum: Für den Politiker – und überhaupt im Leben – ist Beharrlichkeit die nothwendigste Eigenschaft. Manchen begünstigt bei seinem ersten Wurfe das Glück, aber wer nicht von der Laune des Glücks gehoben wird, von dem gilt das Wort des Dichters: „Was du in der Jugend erstrebst, das hast du im Alter die Fülle,“ nur dann, wenn er unverrückt, fest und zäh seinen Zielpunkt im Auge behält. Und was langsam erreicht wurde, das ist am sichersten gewonnen. Frankfurt a. M., 7. Februar 1849.
Wydenbrugk, v., Abg. aus Weimar, Minister: Der Freiheit eine Gasse – alles Andere folgt. Frankfurt a. M., 15. December 1848.
Zimmermann, Wilhelm, Professor aus Stuttgart: Begeisterung und Besonnenheit sind die Pole des Lebens. Frankfurt a. M., 21. December 1848.
Zitz, Advocat aus Mainz: Und hätte auch die erste deutsche Nationalversammlung, wie vielfach gefürchtet wird, keinen durchgreifenden Erfolg, so wird sie immer die Wirkung haben, daß sich die Männer, welche es aufrichtig mit Freiheit und Volksglück meinen, kennen und verstehen gelernt haben. Frankfurt a. M., 9. Februar 1849.
Wir fügen diesen Denkblättern noch eins hinzu, das zwar nicht zu dieser Sammlung gehört, aber als ein gleichartiges hier in Erinnerung gebracht zu werden verdient. Es ist ein Gedenkblatt Alexander von Humboldt’s, mit dem es folgende Bewandtniß hat. Der Buchhändler Strodtmann gab Anfangs der fünfziger Jahre „Stimmen der Zeit“ heraus, Aeußerungen der hervorragendsten Männer über die damaligen Verhältnisse in kurzen Aussprüchen, die in facsimilirter Urschrift zu einem historischen Album vereint wurden. Das Blatt Alexander von Humboldt's enthält in höchst sorgfältiger, selten deutlicher Schrift folgende Aussprüche:
„Am meisten ärgert sie, sobald wir vorwärts gehen!
„Quo magis socordiam eorum irridere libet, qui praeeunti potentia credunt extingui posse etiam sequentis aevi memoriam. Nam contra, punitis ingeniis, gliscit auctoritas; neque aliud reges, aut qui eadem saevitia usi sunt, nisi dedecus sibi, atque illis gloriam peperere.
Man möchte über den Stumpfsinn Derjenigen um so mehr lachen, die, weil sie augenblicklich die Gewalt in Händen haben, nun auch glauben, das Gedächtniß der Nachwelt ausmärzen zu können. Aber im Gegentheile, bestraft nur die Geister, und es wächst ihre Geltung; Könige und Alle, die Zwingherren gewesen, haben doch nichts anderes Dauerndes zu Stande gebracht, als ihre eigene Unehre und die Verherrlichung Jener.)