Aus den Zeiten der schweren Noth/Der „Löwenstein“ von Braunschweig

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Autor: C. St--n.
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Titel: Aus den Zeiten der schweren Noth/Der „Löwenstein“ von Braunschweig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 231–233
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus den Zeiten der schweren Noth.
Der „Löwenstein“ von Braunschweig.

An einem sonnigen Augusttage des Jahres 1806 zog eine Schaar Menschen aus dem Herzogthore von Wolfenbüttel, Jung und Alt einander nacheilend, wie es das stille Städtchen sonst nur an einem Tage im Jahr, wenn die Bürgerschaft zum Freischießen den festlichen Auszug hielt, zu schauen gewohnt war. Das Ziel dieser Wanderung war ein Gasthaus, an der nach Braunschweig führenden Heerstraße gelegen und „zum Forsthause“ genannt. Vor der Einfahrt zu diesem Gehöft, dessen Stallungen und Gärten sich weit an der Straße hinziehen, hielten zwei elegante Reisewagen, welche die in ihre Staatslivrée gekleideten Postillons eben mit frischen Pferden zu bespannen beschäftigt waren, dicht umdrängt von der neugierigen Menge, der sie sich kaum bei ihrer Arbeit zu erwehren vermochten. Eine halbe Stunde wohl hatten die Versammelten auf der schattenlosen, staubigen Heerstraße Stand gehalten, als endlich das Interesse der Zuschauer von den Equipagen ab sich der Thür des Gasthauses zuwandte, aus welcher dann zwei Herren in preußischen Uniformen erschienen, um die Pferde zu besteigen, welche von Reitknechten in braunschweigischer Hoflivrée eben vorgeführt wurden. „Das ist der Herzog,“ lief es flüsternd durch die Menge, und man deutete verstohlen auf den älteren Herrn, einen schönen stattlichen Greis, mit dem in Brillanten funkelnden Stern des schwarzen Adler-Ordens auf der Brust, der jetzt trotz seiner siebenzig Jahre so aufrecht und elegant zu Pferde saß, als wäre er zwanzig Jahre alt und eben erst von der Wiener Reitschule heimgekehrt. Mit dem abgenommenen Tressenhut nach den Fenstern des ersten Stockes salutirend, an welchen sich mehrere Damen zeigten, sprengte dann Herzog Karl Wilhelm Ferdinand, denn dieser war es, vom Hofe mitten durch die ehrerbietig zurückweichende Menge, ihm nach seine Begleiter, und fort ging es in gestrecktem Galopp auf der Straße nach Braunschweig zu.

Nachdem die Zuschauer die Reiter bald aus den Augen verloren hatten, wandte sich ihre Aufmerksamkeit wieder den noch harrenden Equipagen zu. Jetzt erschien ein Diener und öffnete den Schlag des ersten Wagens für eine Dame, welche dicht hinter ihm aus dem Hause trat. Sie trug ein nach damaliger Mode knapp anschließendes weißes Reisekleid, den Kopf bedeckte ein feines Spitzentuch, das unter dem Kinn durch eine Brillantnadel zusammengehalten wurde, während unter demselben hervor eine Fülle blonder Locken auf Schultern und Nacken niederwallte. Die Frau war von so überraschender Schönheit, die ganze Erscheinung so voll Majestät und Engelsmilde zugleich, daß die Menge wie gebannt dastand. – Einige Augenblicke unter der Thür verweilend, erwiderte sie die Grüße der Nahestehenden mit bezaubernder Freundlichkeit, dann bestieg sie ihren Wagen, in welchem eine ältere Dame neben ihr Platz nahm, während drei jüngere von einem Cavalier zu der zweiten Equipage geleitet wurden. Noch einmal, während die Postillons eine schmetternde Fanfare bliesen, die das Echo des nahen Waldes wachrief, grüßte die schöne Frau aus dem geöffneten Wagenfenster, und fort ging es auf demselben Wege, welchen zuvor der Herzog eingeschlagen hatte.

Während die Zuschauer sich gemächlich nach der Stadt zurückbegaben oder in die nahen Gärten zerstreuten, mit einander besprechend, was sie eben gesehen und gehört hatten, langte der Reisezug in Braunschweig an und hielt vor dem „Corps de Logis“ des herzoglichen Residenzschlosses. Unter dem Hauptportale dieses bei dem Schloßbrande von 1830 in Asche gelegten Prachtbaues stand, umgeben von einem glänzenden Hofstaate, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand. Der greise Herr hatte während der wenigen Minuten, welche er durch den scharfen Vorausritt von Wolfenbüttel her gewonnen, die Uniform abgelegt und trat jetzt im galonnirten Hofkleide und Escarpins an den Schlag des ersten Wagens, half der schönen Frau beim Aussteigen und führte sie, während die am Schloßplatze aufgestellte Ehrenwache salutirte und die Trommeln wirbelten, die breite Marmortreppe hinauf, wo sie von seiner Gemahlin empfangen wurde.

Die mit so großen Ehren aufgenommene Frau, welcher Herzog Karl Wilhelm Ferdinand mit der Galanterie eines jungen Cavaliers entgegengeritten war, und die in der folgenden Nacht im Braunschweiger Schlosse schlief, war die Königin Louise von Preußen. Es war eine Mission ernster Art, welche sie zu dieser Reise veranlaßte. Sie hatte Berlin verlassen, um Sachen von hoher Wichtigkeit mit dem Herzoge zu bereden – und die guten Braunschweiger, welche bis zum späten Abend den Schloßplatz und den Garten füllten, in der Hoffnung, die allbewunderte Königin werde sich noch einmal zeigen, ahnten nicht, wie folgenschwer dieser Besuch auf sie selbst zurückfallen würde.

Der Krieg, welchen Preußen mit dem Welteroberer um seine Existenz zu führen sich gezwungen sah, war vor der Thür. Zuversichtlich blickte die Monarchie auf die Armee, welche noch aus der Schule des großen Friedrich stammte, und auf die Führer derselben, welche zum Theil noch im Schmuck der Lorbeeren einherwandelten, welche die Siege Friedrich’s auf ihre Häupter gesammelt hatten. An der Spitze des Heeres stand als Generalissimus der Herzog von Braunschweig. Auf ihn, den Helden des siebenjährigen Krieges, den einst von Friedrich selbst besungenen Sieger von Hastenbeck, waren auch die Blicke Friedrich Wilhelm des Dritten gerichtet, als es sich um den Führer für das Heer handelte. Karl Wilhelm Ferdinand aber war einundsiebenzig Jahre alt; das von ihm in den Krater der französischen Revolution geschleuderte unglückliche Manifest vom 25. Juli 1792, das die französische Nation mit Schimpf und Spott und mit der Hinrichtung Ludwig’s des Sechszehnten beantwortet hatte, dann der schmachvolle Rückzug der Verbündeten aus der Champagne – dieses Alles hatte niederschlagend auf den Greis gewirkt, und der Kummer über den entblätterten Lorbeer wurde nur durch die ungeheuchelte Liebe und Verehrung gemildert, welche ihm seine Unterthanen entgegen brachten. Der Herzog erkannte mit klarem Blick, daß es sich jetzt um die Bekämpfung eines andern Feindes handle, als der war, welchen der unter seinen Trophäen in der Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam ruhende Heldenkönig einst mit der „Berliner Wachtparade“ geschlagen hatte; die Zeit war über seinem Haupte hinweggeschritten, er fühlte das, und hatte das Commando abgelehnt. – Da kam die Königin Louise. – Und siehe, was weder das Wort des Königs noch die Zurede der höchsten Generale vermocht hatte, das gelang den Bitten Louisens; der Herzog sagte zu, und die Königin kehrte voll neuer Zuversicht nach Berlin zurück, ihrem Gemahl diese Nachricht selbst zu überbringen.

Dieser verhängnißvolle Besuch der Königin von Preußen war der letzte Glanzpunkt für den Braunschweiger Hof gewesen. Schwärzer und immer schwärzer stiegen die Wetterwolken am Horizont empor, noch wenige Wochen, und ein Fürstenhaus, um das sich die Bewohner eines gesegneten Ländchens in Liebe geschaart hatten, das den Musen eine sichere Zufluchtsstätte gewesen, war in alle Welt zerstreuet. – Am 10. September, Morgens fünf Uhr, verließ der Herzog Braunschweig und begab sich zu der in Sachsen zusammengezogenen Armee, die Sorge für sein Land hatte er dem Geheimenrath Grafen Wolffradt, späteren Minister König Jerôme’s, übergeben. „Der Herzog,“ schreibt dieser einige Tage vor der Schlacht bei Jena, „ist voller Zuversicht, heute ist noch Alles sicher, eine einzige verlorene Bataille, und wir sind hin!“ – Nach dem am 10. October erfolgten ersten Zusammenstoße mit dem Feinde, bei Saalfeld, wo in Louis Ferdinand von Preußen dem Vaterlande das erste blutige Heroenopfer gebracht war, wurde das Hauptquartier von Weißenfels nach Auerstädt verlegt. Vier Tage später erfolgte auf den Feldern von Jena jene furchtbare Niederlage des preußischen Heeres, welche Deutschland die Freiheit [232] und dem Herzoge sein Leben kostete. Durch eine Flintenkugel am Haupte tödtlich verwundet, flüchtete der Feldherr von der Wahlstatt, ihm nach die Trümmer des Heeres in einer Unordnung, wie die Welt es unter ähnlichen Verhältnissen nicht wieder gesehen hat. Der „arme blinde Mann“, wie er sich selber nannte, wurde auf einer Tragbahre über den Harz nach Braunschweig gebracht; „welcher Schimpf, welche Schande!“ war Alles, was man in den ersten Tagen aus seinem Munde hörte. Unterwegs schon wurde der Oberkammerherr von Münchhausen an Napoleon abgesandt, um Schonung für das Herzogthum und den todtkranken Fürsten zu erbitten. Die Sendung blieb ohne den gehofften Erfolg, und der Kaiser wies den Oberkammerherrn mit den bekannten Worten ab: „Das Haus Braunschweig hat zu regieren aufgehört; mag der General Braunschweig gehen, sich ein anderes Vaterland jenseits des Meeres zu suchen; sobald ihn meine Truppen finden, wird er ihr Gefangener sein. Ich will ihn und seine ganze Familie vernichten.“ –

Die Flucht wurde nun am 24. October von Braunschweig ab weiter fortgesetzt, bis hinauf in das neutrale dänische Gebiet; nach vielen Tagen ruhelosen Umherirrens bot ihm endlich ein schlichtes Gasthaus im Dorfe Ottensen bei Altona die Stätte, wo er sich zum Sterben niederlegen durfte. Am 10. November starb Karl Wilhelm Ferdinand; fünfzehn Jahre lang barg derselbe Kirchhof seine Leiche, auf welchem auch Klopstock unter der Linde ruhet, – die Hände, welche ihm die Pforte zu der Gruft seiner Ahnen öffnen konnten, lagen bereits in den Fesseln der Tyrannei –

„Zu Ottensen an der Mauer
Der Kirche ist ein Grab,
Darin des Lebens Trauer
Ein Held geleget ab.“

Das prophetische Wort Wolffradt’s: „eine einzige verlorene Bataille, und wir sind hin“, es erfüllte sich nach dem Tage von Jena in drastischster Weise. Schon am 27. October, nachdem Kleist Magdeburg auf so schmachvolle Weise übergeben hatte, hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin, drei Tage später nahm der kaiserliche Kriegscommissair Malraison Besitz vom Herzogthum Braunschweig, und vor Allen sollten nun die ehemaligen Unterthanen des „General Braunschweig“ erfahren, was es heißt: fremde Hand im Vaterland. Noch am Tage der Ankunft der Franzosen in der Hauptstadt wurden von allen öffentlichen Gebäuden die herzoglichen Wappen entfernt, und man ging in der Fürsorge, Alles zu beseitigen, was an die gestürzte Dynastie erinnerte, so weit, daß man die Besitzer mehrerer Gasthäuser zwang, ihre Schilde mit Bezeichnungen, wie „Zum Prinzen Friedrich“, „Prinz Wilhelm“, „Prinz Leopold“ etc., zu entfernen. –

Malraison wurde durch Bisson, der zum Gouverneur ernannt war, abgelöst, neben ihm fungirte Martial Darü als Intendant, der Gouverneur nahm Wohnung im Bevern’schen Palais, der ehemaligen Domprobstei, gegenüber der alten Domkirche, welche die Asche Heinrich’s des Löwen birgt. Die dem Ländchen auferlegte und binnen vier Monaten zu beschaffende Contribution betrug ein und eine halbe Million Thaler; kaum war diese zusammengebracht, so folgte eine gezwungene Anleihe von zwanzig Millionen Franken, und als diese nicht ausreichte, wurde eine zweite von zehn Millionen decretirt. Wie diese Contributionen in klingender Münze, decretirte der neue Landesherr den Unterthanen auch den schuldigen Tribut an Liebe und Ergebenheit; bereits am 2. December 1806 mußte in allen Kirchen das Te Deum gesungen werden, nachdem zuvor über das Schriftwort gepredigt worden war: „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“

Neben diesen Gelderpressungen waren es vor Allem die Kunstschätze, danach die Sieger begierig die Hände ausstreckten, und Braunschweig bot ihnen dafür eine Fundgrube, wie sie solche kaum in Berlin ergiebiger angetroffen hatten. Da war in erster Reihe das Lustschloß Salzdahlum, das Braunschweiger Versailles, mit seiner einst vom Herzoge Anton Ulrich angelegten und von seinen Regierungsnachfolgern vermehrten Bildergalerie. Da war ferner die berühmte Wolfenbütteler Bibliothek, unter ihren vielen tausend Bänden einen reichen Schatz von Handschriften enthaltend; da war auch das herzogliche Museum in Braunschweig selbst, mit seinen herrlichen Antiken-, Schnitzwerk-, Kupferstich- und Handzeichnungs-Sammlungen, die vielen einzelnen Kunstwerke ungerechnet, welche in Kirchen und öffentlichen Gebäuden zerstreut sich befanden. Um die Hauptstücke dieser Sammlungen für die kaiserlichen Museen auszuheben, kam der General-Inspector derselben, Dominique Vinant Baron Denon, noch im December 1806 in Braunschweig an.

Denon, zu Chalons 1747 geboren, war ein künstlerisches Universalgenie; er schrieb Lustspiele, Abhandlungen über Kunst, malte in jedem Genre, und stach vortrefflich in Kupfer. Von Ludwig dem Fünfzehnten bereits zum Gentilhomme ordinaire du Roi ernannt, ging er als Gesandtschafts-Attaché nach Petersburg, dann nach Neapel, doch überall mehr dem Studium der Kunst als der Diplomatie lebend. Nach der Revolution von David an Napoleon empfohlen, begleitete er diesen nach Aegypten. Vom Kaiser zum General-Inspector der neuen Museen ernannt, folgte er diesem dann auf seinem Siegeszuge durch die eroberten Länder, um dort die Kunstschätze auszuwählen, welche als Trophäen nach Paris wandern sollten, ein Handwerk, für das ihn der Volksmund mit dem Titel „Kunsträuber“ beehrte. Jetzt kam Denon von Berlin, wo er eben seine Plünderung beendet hatte, und ging, trotz der winterlichen Kälte, welche in den Sälen und Galerien herrschte, mit einer Hast an’s Werk, als könne ein Aufschub die rächende Hand der rechtmäßigen Herren herbeiführen.

Der Anfang wurde mit Salzdahlum gemacht, aus dessen Galerie er über zweihundert kostbare Gemälde auswählte; dann kam das Museum an die Reihe. Hier war er außer sich vor Entzücken ob des über alle Erwartung reichen Fundes an kostbaren Handzeichnungen der berühmtesten Maler, besonders aber über die Majolica. Alles, was künstlerisches oder historisches Interesse hatte, wanderte in die bereit gehaltenen großen Kisten.

Für den Augenblick berührte diese Plünderung wohl am schmerzlichsten die Beamten, welche ihr ganzes Leben diesen Sammlungen geweiht hatten und nun macht- und hoffnungslos einem Zerstörungswerke zuschauen mußten, das ihnen ein Stück vom Herzen zu reißen schien. Wer sich irgend welche Einsprache erlaubte, wurde derb abgefertigt; Graf Sierstorf, ein offener deutscher Mann, selbst Besitzer einer Gemäldegalerie, der es nicht unterlassen konnte, sein Bedauern über diese Zerstückelung gegen Denon auszusprechen, erhielt von diesem die kurze Abfertigung: „Mein Herr, Sie sind ein Dummkopf, was wollen Sie machen, wenn ich Alles nehme?“ – Trotz der Wachsamkeit der Franzosen hatte man doch aber Gelegenheit gefunden, das kostbarste Stück des Museums, das sogenannte Mantuanische Gefäß, eine aus einem großen Onyx geschnittene antike Kanne mit silbernem Deckel, Henkel und Ausguß, zu retten. Wie man sagt, sei dieses kostbare Stück durch treue Hände dem Herzoge Friedrich Wilhelm zugestellt worden. Denon aber fluchte und wetterte wegen des Fehlens des Gefäßes und schwur, daß es den Beamten den Kopf kosten solle, wenn es nicht herbeigeschafft würde. Um den Wüthenden zu beruhigen, wandte sich der spätere Präfect Henneberg an den Herzog Friedrich Wilhelm mit der Bitte, das Gefäß gegen die Summe von hundertfünfzigtausend Thaler herauszugeben, es geschah aber nicht, und jenes kostbare Erbstück im Hause Braunschweig machte damals den Zug nach Paris nicht mit, ist indeß jetzt dennoch dort, und zwar im Besitz des durch die Revolution von 1830 vertriebenen Herzogs Karl von Braunschweig.

Nachdem gleichzeitig unter dem Bücherschatze der Wolfenbütteler Bibliothek eine ähnliche Auswahl getroffen war, gingen zu Anfang Januar 1807 einundzwanzig große Kisten mittels Kriegsfuhren nach Paris ab; doch war mit dieser reichen Ausbeute die Raubgier noch keineswegs befriedigt, gierig durchstreiften die Kunsträuber Straßen und Plätze der Stadt und nahmen nicht Anstand auch Hand an solche Gegenstände zu legen, welche Jahrhunderte lang öffentlichen Plätzen und Gebäude als Schmuck gedient hatten.

Fast im Mittelpunkte der Stadt, auf dem Burgplatze gegenüber dem St. Blasiusdome, in dessen Mittelschiff der Ahnherr des Hauses Braunschweig, Heinrich der Löwe ruht, steht auf hohem Postamente das Wahrzeichen Braunschweigs, der bronzene Löwe. Heinrich ließ diesen Löwen im Jahre 1166 als Zeichen seiner Macht vor der Burg aufrichten, den geöffneten Rachen des königlichen Thieres nach Osten gekehrt, wie zum Kampfe bereit nach der Himmelsgegend ausschauend, wo eben damals die zahlreichen Feinde des Welfen in Merseburg seinen Sturz beschließend versammelt waren. Dann aber diente der „Löwenstein“ auch als Rugesäule, an welcher der Herzog öffentlich zu Gericht saß. Mit poetisch-phantastischem Gewande hat die Sage Herzog Heinrich [233] und den Löwen umkleidet, und die daraus entsprungenen Heldengeschichten sind es, in welchen beide noch heute im Munde und Herzen des Volkes fortleben. Der Herzog, so heißt es dort, kam auf seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande eines Tages durch einen tiefen Wald. Durch das klägliche Winseln eines Thieres noch weiter in das Dickicht gelockt, sieht er sich plötzlich einem ungeheuren Drachen gegenüber, der einen Löwen im Kampf umschlungen hält. Da jammert den Herzog das schöne, ihn wie um Hülfe anflehende Thier, und rasch entschlossen stößt er dem Drachen das Schwert in den giftsprühenden Rachen, daß er verendend niedersinkt. Sanft wie ein Lamm nähert sich nun der befreite Löwe dem Fürsten, leckt ihm dankbar die ritterliche Rechte, weicht seit jener Stunde nicht mehr von seiner Seite und begleitet ihn über’s Meer nach dem kalten Norden. Bis zu Heinrich’s Tode, so schließt die Sage, sei der Löwe sein treuer Gesellschafter gewesen; und als man den Helden endlich im Jahre 1195 in den Dom zu Grabe getragen, da habe das treue Thier an der Pforte des nördlichen Querschiffes so wüthend geheult und gekratzt, daß die Spuren seiner Tatzen noch bis auf diesen Tag an dem Mauerwerk zu schauen sind.

Ein hochpoetischer Hauch zieht durch den Schluß dieser alten Legende. Dem vom Schicksale tief gebeugten greisen Helden, der, des größten Theils seiner Besitzungen beraubt, einsam und verlassen des Lebens Rest auf seiner Burg Dankwarderode vertrauert, stellt sie den treuen Löwen zur Seite, der, treu auch über das Grab hinaus, an die Grabespforte pocht und sich davor lagert, bis er selbst verendet.

Und siehe, – der romantische Faden, welcher den Herzog und den Löwen verbindet, er spinnt sich fort bis in unsere Tage, denn an die Stelle des fabelhaften tritt der eherne Löwe, der noch heute Wacht hält neben dem Blasius-Münster, der alten Grabeskirche Heinrich’s und seiner Enkel.

Auch dieses alte Löwendenkmal, dieses Wahrzeichen Braunschweigs, war von Denon mit auf die Proscriptionsliste gesetzt; es sollte, wie die Quadriga des Brandenburger Thores in Berlin, mit nach Paris wandern. Die erste Nachricht von diesem Vorhaben fand wenig Glauben; man hielt es für unmöglich, daß die Räuberei so weit gehen würde. Als aber die Absicht mit immer mehr Gewißheit auftrat, als man gar den Tag nannte, an welchem der Löwe den Platz verlassen sollte, wo er sechs Jahrhunderte lang gestanden hatte, da ging ein Schrei der Entrüstung durch die ganze Bevölkerung. Ungeachtet der mit einem solchen Schritte verbundenen Gefahr faßte ein Mann den Entschluß, dieser allgemeinen Erbitterung Ausdruck zu geben und gegen die Wegführung des Denkmals Einsprache zu erheben. Dieser Mann, der sich durch seinen ungebeugten Muth in jenen Tagen der schweren Noth, durch seine Redlichkeit und seinen Patriotismus ein unvergängliches Denkmal im Herzen seiner Mitbürger gegründet hat, war der spätere Präfect Henneberg; er hatte sich vorgenommen, einmal deutsch mit den Franzmännern zu reden, und die Gelegenheit hierzu stellte sich ein, ehe er es noch erwartet hatte. Der Zufall fügte es, daß Henneberg unvermuthet mit Denon auf dem Burgplatze zusammentraf, Beide allein mit einander, Stirn gegen Stirn; das kam dem deutschen Manne gerade gelegen.

„Herr Director,“ redete Henneberg den Franzosen nach kurzer Begrüßung an, „ist es wahr, daß auch der Löwe dort mit nach Paris gehen soll?“

Denon wich einen Schritt rückwärts. Die plötzliche Anrede und der feste, fast drohende Ton, in welchem sie gesprochen war, hatte ihn überrascht; doch bald wieder gefaßt, antwortete er in höhnischem Tone: „Der Löwe steht auf meiner Liste und geht nach Paris; – wollten Sie das vielleicht verhindern?“

„Hindern,“ fuhr Henneberg fort, sein flammendes Auge auf den Gegner gerichtet, „hindern, sobald Sie Ernst machen! – Heute aber, wo der Löwe noch unangetastet dasteht, spreche ich im Namen der gesammten Bürgerschaft dieser Stadt die Bitte aus: von der Wegführung abzustehen. Wir haben geschwiegen, wenn auch mit blutenden Herzen, als jene Kunstsammlungen zerstückelt wurden, auf welche wir einst stolz waren; legen Sie aber Hand an diese ehrwürdige Rugensäule, – bei dem allmächtigen Gott! dann,“ mit erhobener Rechte nach den Domthürmen hinaufweisend, „dann sollen jene ehernen Zeugen dort oben das Signal zu einem Sturme geben, den zu bannen Ihnen schwer fällen möchte!“

Ohne weitere Erwiderung abzuwarten, schritt Henneberg über den Platz hin, über alle Furcht vor den Folgen dieses gewagten Schrittes durch das Gefühl erhaben, seiner Pflicht genügt zu haben. – Diese kurze Unterredung, wegen welcher die Freunde Henneberg’s für ihn das Schlimmste fürchteten, hatte den Löwen gerettet. Er wurde von der Proscriptionsliste gestrichen, und statt seiner ging ein Bericht an den Kaiser nach Paris, darin Herr Denon gelahrt auseinandersetzte: der Löwe sei ein elendes byzantinisches Machwerk und kaum des Transports werth.

Seitdem steht der Löwe ungestört auf seinem alten Platze. Geschlecht um Geschlecht ist im Laufe von sieben Jahrhunderten an ihm vorübergezogen; er aber hat ausgehalten in Sturm und Sonnenschein. Er stand da, als seine Dränger landflüchtig wurden und jene Glocken hoch über ihm auf den Domthürmen mit ernsten Feierklängen den Sieg von Leipzig verkündeten; – er sah im Festschmuck herab auf die freudig bewegte Menge, welche die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers begrüßte, und bald darauf schaarte sich um ihn auch jener Zug hochbepackter Wagen, welcher die einst in den Tagen der schweren Noth von Denon entführten Kunstschätze heimbrachte. Schauerlich beleuchtet von brennenden Pechpfannen stand er auch da in jener dunklen Juninacht des Jahres 1815, als die Braunschweiger ihren Heldenherzog Friedrich Wilhelm zu Grabe trugen, das letzte Heroenopfer für Deutschlands Befreiung von fränkischem Joch. – Und noch viele Jahre wird er dastehen, der alte eherne Löwe, und den Enkeln erzählen von ihren Vätern wie sie einzeln geknechtet, aber wieder stark und frei wurden, als sie einig waren.
C. St––n.