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Aus der Hohen Tatra

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Textdaten
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Autor: Johannes Schmal
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Titel: Aus der Hohen Tatra
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 605–608
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[605]

Aus der Hohen Tatra.

Von Johannes Schmal.

Wer die schweizer und österreichischen Alpen kennt, der wird von dem ersten Anblick der Centralkarpathen, zumal wenn er sich ihnen von der Süd- oder Ostseite nähert, überrascht sein. Unvermittelt, ohne die in den Alpen fast überall die Hochspitzen umgebenden Vorberge und allmählichen Erhebungen steigt hier der Gebirgsstock, einer von Giganten aufgetürmten Mauer gleich, aus der Ebene der Popper und der Weißen Waag empor. Man hat den in seiner Kruste erstarrenden Erdball mit einem gebratenen und dann erkalteten Apfel verglichen; nirgendwo trifft dies Gleichnis augenscheinlicher zu als in den Karpathen und ihrer Umgebung. Hier sieht man, wie die Erdoberfläche zusammengeschrumpft ist, wie große Tiefebenen hinabsanken, durch ihren seitlichen Druck die stehengebliebenen Erhebungen noch mehr emporpreßten und so aus einer großen Hochfläche diese buckelige Welt bildeten, die wir heute, nachdem sie durch die stille Thätigkeit von vielen vielen Jahrtausenden, durch die Wirkung des Wassers, den Wärmewechsel und die chemische Zersetzung hübsch ausgehobelt und gefeilt worden ist, Gebirgs- und Flachland nennen. Hätte diese gewaltige Naturthätigkeit, dieses stete und in unseren Tagen noch still und unmerklich fortdauernde Versinken nicht stattgefunden, so hätten wir eine Menge der interessantesten Dinge nicht; wir ermangelten beispielsweise der natürlichsten Landesgrenzen, der Stromschiffahrt, der Hochtouristik; es gäbe in Europa und auch in anderen Erdteilen eben weder Flußthäler noch Gebirgskämme, weder Almen noch Sennerinnen darauf, sondern nur ein großes ebenmäßiges Plateau, sich abdachend an der einen Seite, steil abfallend an der andern ins brandende Meer.

Wennschon für das geologisch geschulte Auge das ewige Walten der Natur, nicht nur das Nebeneinander, sondern auch das Nacheinander allüberall erkennbar ist, so bieten doch die Karpathen in dieser Beziehung ein besonders anschauliches Bild. Der Verwitterungsprozeß, der da unten in der Popperebene alles so sorgsam geebnet und geglättet hat, ist auch den senkrecht emporstrebenden Bergwänden und dem massiven Gestein an der Hochfläche, dem Granit und Phyllit, dem Gneis, der Hornblende und dem Glimmerschiefer zu Leibe gegangen. Die Massengesteine hatten Sprünge erhalten, aus diesen wurden größere Spalten, Teile der benachbarten Kruste stürzten nach, und es entstanden so die ausgefransten Thalengen, durch welche von der Hohen Tatra aus die Flußläufe sich nach allen Richtungen der Windrose hin ergießen.

Die Hohe Tatra! Seit im Jahre 1875 der gebirgskundige Bielitzer Professor Kolbenheyer im Auftrage des Ungarischen [606] Karpathenvereins eine Monographie über diese zwischen dem Lilijowe- und dem Kopapasse lagernde Gebirgswelt veröffentlichte, ist dieselbe der Touristik mit einem Schlage erschlossen worden; wo ehemals nur einige wenige nach anstrengenden Kletterpartien sich an der Großartigkeit und Erhabenheit der Gletscherscenerien erbauten, da trifft man jetzt Naturfreunde aus aller Herren Ländern. Durch die thatkräftige Fürsorge des Ungarischen Karpathen- und des Polnischen Tatravereins sind bis in die höheren Gebiete gangbare Wege und Pfade hergestellt worden, Gaststätten, allen billigen Anforderungen genügend, entstanden, und so ist es nicht zu verwundern, wenn die Hohe Tatra gegenwärtig nicht nur die Sprache der sich in ihrem Schatten begegnenden Völkerschaften, der Ungarn, Deutschen, Slovaken und Polen, sondern auch die der Skandinavier, Engländer, Franzosen und Italiener hört. Die Hohe Tatra ist ein Ziel der Welttouristik geworden und wird es von Jahr zu Jahr mehr.

Treten wir von Poprad, einer südlich der Karpathen gelegenen Station der von Berlin und Wien kommenden in Sillein sich vereinigenden Bahnlinien, die Tour in die Hohe Tatra an, so genießen wir schon hier, vom Park Huß aus, den Anblick eines gewaltigen Panoramas. Vor uns ragen die höchsten Erhebungen des Gebirgskolosses in die Wolken, die Gerlsdorfer Spitze (2659 m), daneben wie getrennt durch die den Namen „Polnischer Kamm“ führende Einsattelung die 2500 m hohe „Warze“, deren gezackte Fortsetzung, der Kastenberg, den Horizont bis zu der mächtig hervortretenden Schlagendorfer Spitze begrenzt. Halb verdeckt von der nahen „Königsnase“ lugt der „Breite Turm“ in blauen Tinten neben dem „Markasit“ und dem „Mittelgrat-Turm“ herüber, und dicht zusammengedrängt mit diesen Zweien die 2630 m hohe Eisthaler Spitze. Noch mehr zur Rechten gruppieren sich dann die Zinnen und Scharten der Lomnitzer Spitze (2635 m) des Lomnitzer „Nordbrabant“, die „Grüne Seespitze“ und andere Bergriesen, bis vom „Dreifüßigen Mann“ ab niedriger werdende Gebirgszüge sich in nebelhafter Ferne verlieren. Kaum irgendwo am Fuße der Alpen zeigt sich uns ein so überwältigendes Gebirgspanorama wie hier, und was der Anblick von der Ebene aus verspricht, das hält die Hohe Tatra, wenn wir nun in nördlicher Richtung ihre höheren Regionen aufsuchen.

Der Künstlerwasserfall.

Auf wohlgepflegten Wegen gelangen wir da zunächst zu dem freundlichen Badeort Schmecks, der Perle der Tatra, wegen der hier sprudelnden eisenhaltigen Mineralquellen – Acidulas Schlagendorfenses, fast jetzt schon den Ruf eines Modebades genießend. Fahrgelegenheiten, Reitpferde und Führer stehen hier dem Wanderer in genügender Auswahl zu Gebote, und nach allen Richtungen hin öffnen sich Wege für die lohnendsten kleineren und größeren Partien. Wir sind schon 1000 m über dem Meeresspiegel. Halten wir uns weiter in nördlicher Richtung, so gelangen wir, noch immer mühelos, in das pittoreske Kohlbachthal. Vorher aber müssen wir seitwärts ein paar Abstecher machen: links zum „Felsensturz“, einem am 26. August 1813 durch Wolkenbruch herabgeschwemmten riesigen Felsblock, zur Rechten zu den „Räubersteinen“. Von den letzteren aus eröffnet sich eine reizende Aussicht in die Kohlbachthäler und die Popperebene, überall begleitet den Wanderer der Anblick der vielgestaltigen Berggiganten. Ueber das „Kämmchen“, einen Ausläufer des „Schartigen Kammes“, hinweg geht es nun dem rauschenden Kohlbach entgegen. Schon ist die Höhe von 1200 m überschritten. Da, mitten in die malerische Wildnis eines Tannenhages hinein, hat der menschliche Unternehmungsgeist ein Hotel gesetzt und neben diesem breitet die Rosahütte, ein im Jahre 1875 vom Ungarischen Karpathenverein erbautes, jetzt der Georgenberger Waldbürgerschaft gehöriges Schutzhaus, sein gastliches Dach aus. Neben ihm und tiefer am Abhange wiegen Tannen ihre bärtigen Aeste im Winde, von Westen fernher blinken in schneeiger Frische die Schlagendorfer und Gerlsdorfer Spitzen. Neue und geradezu überraschende Ausblicke eröffnen sich dem Wanderer. Nach Norden überfliegt der Blick eine riesige Mulde, bedeckt mit Trümmern und Geröll, umgrenzt von Moränen und schroff emporragenden Granitwänden. Ein mächtiger Vorsprung des nahen Felsens trägt die Bezeichnung Kanzel, und wie um die vorhin erwähnten Räubersteine, so rankt sich auch um diese Kanzel die nimmer ruhende Volkssage in vielgestaltiger Ausschmückung.

Sie ist eine der vielen Teufelskanzeln geworden, wie sie im Gebirge mit allerhand unheimlichem Spuk belebt wurden.

Bis herauf zur Kanzel dringt schon das Rauschen der Kohlbachfälle.

Es giebt in der Nähe eine stattliche Reihe solcher Fälle. Zunächst der lange Fall, dann der große, der kleine, der verborgene Fall, der Riesensturz und dann ganz besonders der Künstlerwasserfall. Der lange Fall in der ungefähren Höhe von 40 m beginnt 1197 m über dem Meeresspiegel, weiter aufwärts stürzt sich der große Fall mehrere hundert Meter kaskadenartig von Fels zu Fels, bis er zuletzt in zwei getrennten Strahlen tosend in den unten ausgehöhlten Hexenkessel hinabschießt. Wie hier, so hat auch in den übrigen Fällen ein heimischer Forscher, Ed. Blasy, glattausgeriebene kesselartige Vertiefungen konstatiert, die nicht nur von dem sprichwörtlichen steten Tropfen ausgehöhlt worden sind, sondern von Felsblöcken, wie sie die Sturzwasser bei starken Anschwellungen selbst von oben herabwälzen. In jedem dieser Kessel liegt nämlich ein großer und eine Anzahl kleiner Steine. Wenn Hochwasser kommt, wie im Frühjahr bei der Schneeschmelze, so beginnt der große Stein seine Reibthätigkeit, unmerklich aber sicher sein Lager in dem kompakten Felsen vertiefend. – Entsprechend ihren Namen ist der Riesensturz des Kohlbaches der bedeutendste und der Künstlerwasserfall der malerischste aller Fälle. Jener stürzt 40 m tief senkrecht in den von Felsblöcken angefüllten Kessel, dieser, mit seiner reizenden Umgebung, bietet Künstlern und Photographen jederzeit willkommene Ausbeute.

Bevor man thalaufsteigend zu ihm gelangt, trifft man in einer Thalmulde, von tannenbewachsenen Bergen umgeben, die Vereinigung des großen und kleinen Kohlbachs in einer Seehöhe von 1286 m. Das stark verbreiterte Flußbett ist auch hier mit Steingeröll durchsät, klar wie überall umspült das Gewässer die moosgrünen Blöcke. Dem Zusammenfluß zunächst am Fuße der Schlagendorfer Spitze liegt die Rainerhütte auf grünem Wiesenplan und neben ihr noch ein Unterkunftsort [607] für Touristen, die von der Gemeinde Alt-Walddorf erbaute Restauration „Zur Gemse“.

Doch verlassen wir jetzt den Flußlauf, um die höheren Bergpartien aufzusuchen. Bald haben wir die Krummholzregion hinter uns gelassen, nur spärliches Gras oder Alpenpflanzen decken hier und da noch das Gestein, das, in unzählige Zacken verlaufend, in schroffen Wänden sich gleichsam abschließt vor der Annäherung des Menschen. Die erste Besteigung mag der Schlagendorfer Spitze gelten wegen des überwältigenden Rundblicks, den man von dort genießt. 2473 m erhebt sich der Rücken dieses in verschiedene Seitenäste auslaufenden Berges. Seine Ersteigung ist nicht gerade eine besondere hochtouristische Leistung, aber es geht vielfach steil aufwärts und durch schotterbedeckte Schluchten. Jedenfalls ist der Besuch der Mühe wert. Oestlich erblickt man die sich am Kohlbachufer entlang ziehenden schroffen Maukschabstürze und darüber hinweg das offene Land bis nach Galizien hinein; ringsum zahlreiche Seen – man zählt ihrer von der Spitze aus etwa 20 – die Eisthaler und die Lomnitzer Spitze im Norden und Nordosten, dann westlich die Gerlsdorfer, die Tatra- und Meeraugspitze und südwärts über die niedrigen Kuppen und Zacken hinweg einen Teil der oberen Liptau. In die Bergeinsamkeit da oben ist das Geräusch des öffentlichen Lebens noch nicht gedrungen, weder der Klang eines Posthornes noch der Pfiff der Lokomotive wecken hier das Echo, ja manche der in die Wolken ragenden Felsspitzen, wie die „Warze“, hat noch nie ein menschlicher Fuß betreten; das pflanzliche Leben ist fast ganz erstorben, in dem Gestein haust nur das Murmeltier und die Alpenfauna.

Aussicht von der Schlagendorfer Spitze.

In westlicher Richtung verläuft die Schlagendorfer Spitze in den um 300 m niedrigern Polnischen Kamm. Ein kaum 2 m breiter, nach beiden Seiten steil abfallender Felsgrat bietet dem Touristen den nicht immer unbedenklichen Pfad. Auf- und Abstieg sind beschwerlich. Hier sind wir schon so recht im Gebiete der Bergseen, welche der Hohen Tatra ein so charakteristisches Gepräge verleihen. Das Gebirge enthält ihrer weit über hundert, und zwar auch solche von größerer Ausdehnung – bis zu 34 Hektaren Flächenraum. Ihre Tiefe reicht bis zu 40 ja bis 77 und 78 m. Sie sind meist durch sogenannte Seewände gebildet worden, Barrieren, welche die Thäler durchqueren und so das von den Höhen kommende Schmelzwasser sammeln. Man hält die Seen, von den Deutschen auch Meeraugen genannt, für Folgeerscheinungen der diluvialen Vergletscherung der Karpathen, die sich auch sonst, durch Felsenschliffe sowie durch Seiten- und Stirnmoränen, noch vielfach in Erinnerung bringt. Unsere Illustration auf S. 609 zeigt den 1494 m hoch gelegenen Schwarzen See. Schwarzer, weißer, grüner und roter Seen giebt es übrigens im Tatragebiet mehrere, insbesondere ist bei der Benennung die grüne Farbe, die allerdings den meisten dieser Seen eigen ist, mit Vorliebe angewandt.

Den Mittelpunkt der Centralkarpathen bilden zwei respektable Erhebungen, die Tatra- und die Meeraugspitze, letztere vorzeitig schon der ungarische Rigi genannt. Beide überragen die Höhe von 2500 m.

Mit einem Blick auf diese Kerntruppen nehmen wir Abschied von der Hohen Tatra und wählen zu unserm Scheideblick als Standpunkt das Mengsdorfer Thal, das man mit Recht eines der großartigsten Thäler der ganzen Tatra nennt. Nicht nur wegen seiner räumlichen Ausdehnung, sondern auch wegen der wahrhaft großartigen Gebirgsbilder, die es dem Auge entrollt, verdient es diese Bezeichnung. Selbst in saftiges Grün gekleidet, öffnet es die Fernsicht auf die mit Eis und Schnee bedeckte, dem Wechsel der Jahreszeiten entrückte Region des Hochgebirges.

Es erübrigt uns, zum Schlusse noch einiges über die Bewohner des Tatragebietes zu sagen. Im Gebirge selbst giebt es wenige und nur sehr kleine Ansiedelungen, aber an seinem Fuße begegnen sich nicht weniger als sechs in ihrer Eigenart ausgeprägte Volksstämme, unter denen ein Wettbewerb besteht, der, wie es unsere Zeit der nationalen Leidenschaftlichkeit nun einmal mit sich bringt, neben manchen berechtigten und erfreulichen Erscheinungen auch viele unschöne zeitigt. Westlich von dem Centralgebirge wohnen die Slovaken und die polnischen Goralen, nördlich die Mazuren, nordöstlich grenzen, ihre Vorposten über den Zdzewer Paß hereinschiebend die Ruthenen bis zur Javorinka. Im Osten liegt des Gebiet der Zipser Deutschen, eine Sprachinsel wackerer [608] Landsleute, die dort seit mehr als einem halben Jahrtausend ihre Scholle bebauen und mit der stahlharten Wetterfestigkeit der Siebenbürger Sachsen ihre Sprache und Eigenart bewahrt haben. Von ihnen rühren alle die deutschen Bezeichnungen her, die, von Botzdorf bis zur Alabasterhöhle, von Groß-Schlagendorf bis zur Meeraugspitze, fast die Hälfte des Tatra-Gebirges bedecken. Mit Zagen sehen die Zipser Deutschen jetzt aber in die Zukunft, denn die Ungarn halten das Magyarisieren für ihr souveränes Recht und üben es mit geradezu verblüffender Rücksichtslosigkeit. Während der letzten zwei Jahrzehnte ist es ihnen gelungen, das Popperthal und den ganzen Süden in ihre Hand zu bringen, indem sie in Volks- und Mittelschulen sowie bei den Behörden die ungarische Sprache obligatorisch machten. Auch im Zipser Komitat sind sie jetzt bei der Arbeit.

Die Tatraspitze vom Mengsdorfer Thal aus gesehen.

Weniger als die Sprache haben sie übrigens bisher im Tatragebiet ihre Nationaltracht zur Geltung bringen können. Die malerischen Kostüme aus der Pußta lassen sich ins Gebirge nicht leicht verpflanzen, und die Zipser Bauern auf der einen, die Slovaken auf der andern Seite der Tatra, sie besitzen beide ihre eigene liebgewonnene Nationaltracht; in ihren roten Westen und weißen Mänteln sehen sie schmuck genug aus, um auf den ungarischen Schnürrock und die Franzosenhosen der Czikos verzichten zu können. Und nicht viel zutraulicher als die Zipser Deutschen zu den Ungarn verhält sich – wenn auch aus anderen Gründen – der kleine aufstrebende Volksstamm der Ruthenen zu den Polen, der der Slovaken zu ihren westlichen Nachbarn. – Für denjenigen, der die Hohe Tatra als moderner Reisender und nicht als Forscher besucht, treten die verschiedenen Volksstämme nur selten in die Erscheinung, ihre Gegensätze berühren ihn kaum, denn die Personen, mit denen er in Berührung kommt, Wirte, Bergführer und andere auf den Fremdenverkehr angewiesene Eingeborene, sind kosmopolitisch angehaucht und nichts weniger als nationale Typen. Was den Besucher der Centralkarpathen von vornherein gefangen nimmt und was bei ihm bleibenden Eindruck hinterläßt, das ist das Gebirge selbst mit seiner grandiosen Weltverlassenheit. Ein Abend auf einem der Bergriesen bei Mondschein oder ein Sonnenaufgang, der die vielgestaltigen Kuppen und Zacken, die Felsschrofen und wallenden Nebel darunter in rosiges Licht taucht und mit Gold verbrämt, das ist ein Genuß, den auch skeptisch angelegte Naturen zeitlebens nicht vergessen.