Aus der Postpraxis

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Autor: H.
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Titel: Aus der Postpraxis
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 455–459
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[455]

Aus der Postpraxis.

Ich hatte mein erstes juristisches Examen glücklich bestanden, die üblichen steifen Visiten bei meinen Vorgesetzten gemacht und begab mich nun zum ersten Male zu dem Untersuchungsrichter, bei dem ich meine praktische Laufbahn beginnen sollte.

„Ich freue mich,“ begann der Gerichtsrath nach der üblichen Vorstellung, „daß Sie heute schon kommen, denn ich bin gerade im Begriffe den Anfang mit einem Verhör zu machen, das sehr interessant zu werden verspricht. Sind Sie hier in N… geboren, oder mit den hiesigen Verhältnissen einigermaßen bekannt?“

„So ziemlich,“ antwortete ich, „da ich das hiesige Gymnasium besucht habe, wenn mir auch freilich Vieles während meiner Studienzeit wieder fremd geworden ist.“

„Kennen Sie vielleicht einen Kaufmann Trauen? Er kann nicht viel älter als Sie sein; der Name ist hier selten.“

„Dem Anscheine nach, wenn es derjenige ist, welcher vor circa vier Jahren bei Brandt und Comp. im Geschäfte war.“

„Es ist derselbe,“ sagte mein College, „er ist auf Anregung der Postdirection angeklagt, fünfhundert Thaler unterschlagen zu haben. So viel ich privatim erfahren habe, wurde er von Brandt, bei dem er noch als erster Commis beschäftigt ist, mit einem Geldbriefe zur Post geschickt, aus dem er, wie er beschuldigt wird, die erwähnte Summe entwendet haben soll und zwar wahrscheinlich durch Oeffnen des Couverts: Da der alte Brandt selbst keine Denunciation in dieser Angelegenheit machte, so hat die Postdirection eine solche eingereicht, um sich vom Verdachte zu reinigen, als hätte etwa einer ihrer Beamten sich der Unterschlagung schuldig gemacht.“

„Ist das denn so unbedingt unmöglich?“ fragte ich. „Als ich zufällig mit dem alten Brandt in den letzten großen Ferien in einer Gesellschaft zusammentraf, kam das Gespräch auch auf den mit unserer Wirthin, glaube ich, entfernt verwandten Trauen, und ich hörte damals den alten Herrn des Lobes über seinen [456] ersten Commis voll. Mich sollte es doch wundern wenn Brandt, der sonst nicht mit seinem Lobe freigebig ist, der dafür bekannt ist daß er seine Leute sehr vorsichtig wählt, sich so arg getäuscht haben sollte.“

„Das ist es eben, weshalb auch ich noch nicht überzeugt bin, daß Trauen die Gelder unterschlagen hat; er besitzt wie auch mir mitgetheilt worden, in der Geschäftswelt ein für sein Alter nicht gewöhnliches Vertrauen. Andrerseits läßt sich aber auch keine Spur finden, daß ein Anderer jenes Vergehen begangen. Doch Sie werden ja selbst sehen und hören, wir sprechen nach der Vernehmung des Angeschuldigten noch weiter darüber. “

Während ich nun schnell mit den nöthigen Formalien des Protokolls bekannt gemacht wurden brachte der Gefangenwärter den Inhaftaten herein.

Trauen war bleich, sein sonst stets heiteres und lebhaftes Gesicht zeigte vollständige Abspannung, nur ein Zug von Bitterkeit lagerte sich um seinen Mund. Mich schien er nicht mehr zu kennen, unsere Bekanntschaft war auch, wie bereits erwähnt nur eine oberflächliche gewesen. Mir war es angenehm. ich konnte desto ungestörter beobachten.

„Sind Sie hier geboren.“ fragte mein College.

„Ja.“

„Leben Ihre Eltern noch.“

„Nur meine Mutter“, war die Antwort, die Trauen mit Mühe hervorbrachte. Ich wußte weshalb, er unterhielt sie, er war ihre Stütze.

„Wie lange sind Sie schon in ihrer jetzigen Stellung?“

„Seit sechs Jahren.“

„Sie sind hier angeschuldigt, fünfhundert Thaler, die Sie nebst anderen Cassenanweisungen, zusammen dreitausend Thaler, in einem Geldbriefe an den Rittergutsbesitzer v. Dynker-Sorawski abliefern sollten, zum Nachtheile Ihres Principals unterschlagen zu haben. Was könne Sie mit von dieser Sache mittheile?“

„Es war am 31. Juli Abends, als die laufenden Gelder an den v. Dynker, der auf seinem Gute eine Brennerei hat für die von ihm an uns während jenes Monats gemachten Spirituslieferungen abgesendet werden sollten. Ich hatte am 30 Juli, also dem Tage zuvor, meinem Freunde Ruediger versprochen, zu seinem auf den zuerst gedachten Tag fallenden Geburtstage Abends zu ihm zu kommen; es wäre eine Anzahl junger Leute nebst Schwestern ebenfalls eingeladen, wie er sagte, damit nach dem Abendessen noch getanzt werden könnte. Ich versprach auch auf sein weiteres Drängen, Alles daran zu setzen, nicht später als um acht Uhr Abends bei ihm einzutreffen. Zu spät fiel mir ein, daß wir am letzten Tage des Monats noch unseren Monatsabschluß in dem Brandt’schen Geschäfte zu machen hätten, welcher unsere freie Zeit häufig erst um neun Uhr, auch wohl noch später, beginnen ließ. Was ich fürchtete, traf ein. Die Uhr hatte an dem gedachten Tage bereits sieben geschlagen und es war bei der Arbeit, die wir noch vor uns hatten, vorauszusehen, daß an eine Beendigung derselben vor achteinhalb Uhr nicht zu denken sei. Eine Bitte an meine Principal, mir früher Urlaub zu geben, würde an jenem Tage vollständig nutzlos gewesen sein. Da sagte dieser: ‚Dieser Brief an Herrn v. Dynker muß noch nach der Post gebracht werden, ehe dieselbe schließt, einer von den Herren wird wohl so freundlich sein und ihn besorgen.‘ Weil ich aus langjähriger Erfahrung wußte, daß jener Brief an jenem Abende abgeschickt werden würde, hatte ich darauf meinen Plan gebaut, vor Schluß des Geschäftes aus dem Comptoir fortkomme zu können, und nur auf die von meinem Chef gesprochenen Worte gewartet, um aufzuspringen und mich zur Besorgung des Briefes anzubieten."

„Welche Stunde war es, als Brandt Ihnen den Brief gab?“

„Siebeneinviertel Uhr.“

„Wie wissen Sie die Zeit so genau?“

„Mein Chef fragte mich um sieben Uhr, was es an der Zeit sei. Ich erwiderte: Gleich acht Uhr. Bei der Eile, mit der Herr Brandt nun die Cassenanweisungen einsiegelte, ließ er sich nicht Zeit, nachzusehen, ob meine Angabe richtig sei.“

„Wunderte sich Ihr Principal nicht, daß Sie die Besorgung übernehmen wollten?“

„Ich glaube, denn er sagte, das könnten ja die jüngeren Leute besorgen. Da ich aber vorgab, noch privatim auf der Post zu thun zu haben, händigte er mir den Geldbrief ein und mahnte mich, so schnell wie möglich zurückzukommen.“

„Warum gaben Sie aber eine falsche Zeit an?“

„Ich wollte vor Bestellung des Briefes, da der Weg zur Post mich an meiner Wohnung vorbeiführte, die Wohnung meines Freundes aber am entgegengesetzten Ende der Stadt lag, erst zu mir hinaufgehen, um mich umzuziehen, und mir so den doppelten Weg sparen.“

Mein College schüttelte unwillkürlich den Kopf, auf seinem Gesichte war der Gedanke zu lesen: „Entweder bist du der unschuldigste Mensch von der Welt, oder der größte Schwindler, den ich je unter meinen Fingern gehabt habe.“ Er sah mich an, als wollte er sehen, was ich dazu dächte. Ich zuckte höchst diplomatisch mit den Schultern.

„Erzählen Sie weiter,“ wandte er sich wieder an Trauen.

„Unten in unserem Hause,“ fuhr dieser fort „traf ich meine jüngeren Geschwister; um nicht Gefahr zu laufen, daß der Brief beschädigt werde, nahm ich ihn nach oben auf meine Stube und zog mich um.“

„Wie lange Zeit gebrauchten Sie dazu?“

„Etwa eine halbe Stunde, dann eilte ich so schnell, wie ich konnte, zur Post und kam gerade zum betreffenden Bureau, in welchem Geldbriefe angenommen werden als der Diener die Thüre schließen wollte, so daß ich der Letzte war, der abgefertigt wurde. Von dort ging ich meinem Versprechen gemäß zu meinem Freunde.“

„Weiter können Sie mir nichts mittheilen?“

„Nein!“

„Sie geben also nicht zu. daß Sie irgend einen Versuch gemacht haben, den Ihnen anvertrauten Brief zu öffnen?“

„Nein!“

„Sie wissen nichts habe auch keine Vermuthung, auf welche Weise das fehlende Geld aus jenem Briefe verschwunden ist.“

„Ich habe auch nicht die geringste Muthmaßung darüber.“

Der Gefangene wurde abgeführt.

„Nun, was halten Sie von der Geschichte?“ fragte mich mein College, als wir das Gerichtsgebäude verließen. „Sie treten mit ungetrübtem Blicke an die Sache herauf und wenn Sie auch, wie alle jungen Juristen, vielleicht etwas zu optimistisch urtheilen werden, so treffen Sie doch wahrscheinlich eher das Richtige, als ich, der ich seit Jahren nur Schattenseiten der Menschen zu sehen Gelegenheit gehabt habe.“

Ich protestirte gegen diese ganz unverdiente Schmeichelei und meinte: „Dadurch, Herr Rath, daß Sie sich an mein Urtheil wenden, zeigen Sie, wie ich glaube, daß Sie selbst noch gar nicht von der Schuld des Trauen überzeugt sind.“

„Möglich!“ murmelte er.

„Ich muß übrigens gestehen,“ fuhr ich fort, „daß mein Urtheil nicht so ganz objectiv ist, wie Sie vielleicht voraussetzen. Denn so wenig ich den Angeklagten auch persönlich näher kenne, habe ich, da ich einen Schulbekannten auf dem Brandt’sche Comptoir habe, der enge mit Trauen befreundet ist, so viel über diesen gehört, und zwar nur Günstiges gehört, daß ich etwas für ihn eingenommen bin.“

„Wissen Sie vielleicht etwas über sein außergeschäftliches Leben?“ fragte mein College.


„Daß er zum großen Theile seine Mutter und jüngeren Geschwister unterhält, dürften Sie wohl schon anderwärts gehört haben. In gesellschaftlicher Beziehung ist er allgemein beliebt, weil er flott tanzt, interessant unterhält und neben seinem guten Herzen eine große Portion Leichtsinn besitzt. Ich schließe dieses aus vielen Streichen, die von ihm erzählt werden.“

„Das ist es eben,“ antwortete der Gerichtsrath, „Habgier oder sonst einen niedrigen Beweggrund zu seiner That traue ich ihm nicht zu. aber Leichtsinn, der verdammte Leichtsinn, er hat schon manchen Menschen fallen lassen.“

Mein College versank in Nachdenken; wir gingen schweigend die noch übrige kurze Strecke neben einander, welche uns unser Weg zusammen führte.

„Nun, auf Wiedersehen morgen, vielleicht geben uns die Zeugen mehr Licht.“ Er grüßte. Das war der erste Tag meiner Gerichtspraxis.

Am nächsten Tage begann die Vernehmung der Zeugen, und zwar zuerst des Secretairs der Post welcher den Brief vom jetzigen Inhaftaten an dem gedachten Abende des 31. Juli [457] Empfang genommen und expedirt hatte. Nach einigen Fragen. die bereits zum Theil Trauen vorgelegt waren, in Betreff der Zeit, der Identität des Inhaftaten mit dem Überbringer des an v. Dynker abgesandten Briefes etc. fragte der Untersuchungsrichter, ob der Brief verlebt gewesen.

„Der Brief,“ antwortete der Postsecretair, war ordnungsmäßig zugesiegelt, soviel ich damals gesehen haben auch unverletzt und enthielt laut Angabe auf dem Couvert dreitausend Thaler in Cassenanweisungen, Als ich die Schwere wog, war dieselbe vier Loth. Ich bemerkte dem Herrn Trauen, der sehr erregt hereinkam, daß dieses Mal das letzte wäre. daß ich so spät Geldbriefe annähme, daß das Haus Brandt das einzige Geschäft ist, dessen Commis stets erst mit Thoresschluß ankommen. Der Brief ist, wie der Poststempel zeigt, noch an demselben Tage mit dem Nachtzuge abgegangen.“

„Hat Trauen schon früher Geldbriefe gebracht?“

„Vor mehreren Jahren wohl, seit er aber, wie ich gehört habe, erster Commis geworden nicht mehr, wenigstens entsinne ich mich aus den letzten Jahren keines Falles.“

„Ich fragte Sie vorhin, Herr Postsecretair,“ sagte mein College, „ob der Brief verletzt gewesen. Haben Sie sich denselben vielleicht noch näher angesehen, besonders, ob vielleicht in den Siegeln zweifacher Lack zu sehen war?“

„Ich entsinne mich nicht, danach gesehen zu haben.“

„Erkennen Sie dieses Couvert wieder?“ fragte der Gerichtsrath, indem er das von Dynker eingeschickte Couvert überreichte.

„Gewiß, es ist das Couvert des Geldbriefes, den Trauen damals überbrachten, die Siegel sind dieselben wie damals und zeigen auch jetzt, da der Rand des Briefes aufgeschnitten ist, keine Verletzung. Ich muß gestehen, ich bin gar nicht überzeugt, daß das Geld, welches fehlt, aus dem Briefe herausgenommen ist, sondern glaube vielmehr daß Herr Brandt sich geirrt hat.“

„Können Sie vielleicht jetzt, wenn Sie den Siegellack genauer betrachten, wahrnehmen daß eine Uebersiegelung stattgefunden hat?“

„Ich vermag eine solche nicht zu entdecken.“

Der Kaufmann Brandt wurde aufgerufen. Es war ein alter Herr, einfach gekleidet, dem man in seinem Aeußeren nicht den Millionär ansah. Sein Gesicht war edel, seine Stirn massiv geformt, Festigkeit ja ein Anflug von Härte war in seinen Zügen in überraschender Weise mit Gutmütigkeit und Nachsicht vereinigt. Man sah es ihm an, daß es ihm jetzt schwer wurde, gegen den, welchem er von allen seinen Leuten das meiste Vertrauen und väterliche Liebe geschenkt hatte, sein Zeugnis abzugeben. Er erzählte um unwesentlichen Modificationen den Hergang auf dem Comptoir so, wie Trauen ihn berichtet hatten und fuhr dann fort. „Vier Tage später, nachdem Trauen den an Herrn v. Dynker adressirten Geldbrief zur Beförderung auf die Post erhalten hatte, bekam ich von dem Letzteren die Nachricht, daß an der in jenem Briefe angegebenen Summe fünfhundert Thaler gefehlt hätten. Ich rief natürlich zuerst Trauen auf meine Stube, gab ihm Dynker’s Brief zu lesen und fragte ihn, was er davon hielte. Kaum hatte er den Brief gelesen, da warf er ihn auf den Tisch und sagte. ‚Ich mochte lieber wissen, Herr Brandt, was Sie davon halten. Wo das Geld geblieben ist, weiß ich nicht, nur das weiß ich, daß ich den Geldbrief so, wie er mir übergeben worden ist, auch abgeliefert habe.‘ Ich erwiderte ihm, daß ich bereits noch einmal die Casse revidirt hätte, gab ihm die Anzahl der Cassenanweisungen an, welche ich hineingelegt hatte, und bat ihn seinen Leichtsinn einzugestehen. ‚Sie sind jung, lieber Trauen,‘ sagte ich, ‚Sie haben der Versuchung nicht widerstehen können, ich bitte, sagen Sie mir, daß Sie das Geld genommen haben, und ich schenke es Ihnen, da ich lieber den für mich kleinen Verlust erleiden will, als Sie für Ihr ganzes Leben unglücklich sehen. Ueberzeugen Sie sich selbst. Der Brief ist wie Dynker schreibt, mit demselben Gewicht von der Post in Rigow an ihn abgegeben, mit dem er von Ihnen aufgegeben ist; auf der Post kann also nichts aus dem Briefe herausgenommen sein. Vorher aber hat kein Anderer den Brief in Händen gehabt als Sie, Sie haben absichtlich, als ich Sie fragte, was es an der Zeit sei, mir dieselbe eine Stunde zu früh angegeben und trotzdem erst um acht Uhr den Brief auf die Post gebracht. Ich weiß es, der Postsecretair beschwerte sich vorgestern über unsere späten Ablieferungen. Sie müssen sich doch selbst sagen, daß die Verdachtsmomente, welche gegen Sie vorliegen, zahlreich und gewichtig sind.‘ Alle meine Bitten blieben erfolglos, seine Antwort war. ‚Seit sechs Jahren arbeite ich schon bei Ihnen, ohne daß mir etwas zur Last gelegt ist, und wenn Sie mich nach dieser Zeit noch nicht kennen gelernt haben, wenn Sie mir auch dann noch zutrauen können, daß ich etwas begehen könnte, wie das ist, dessen ich jetzt beschuldigt werde, dann muß ich, so sehr ich es auch bedaure, meine Stellung zu Ihnen aufgeben. Ich weiß wohl, daß alle Indicien gegen mich sprechen, ich weiß, daß kein Richter bei solchen Verdachtsgründen mich frei sprechen wird und kann, aber ich kann nicht gestehen was ich nicht gethan habe.‘ Damit drehte er sich um und ging fort. Gesprochen haben wir uns seitdem nicht mehr, obgleich Trauen noch die nächsten Tage bis zu seiner Festnahme und zwar ebenso fleißig wie früher, in meinem Comptoir arbeitete. Alle Versuche von meiner Seite, ihn noch einmal allein zu sprechen, wußte er zu vereiteln.“

„Haben Sie vielleicht in Erfahrung gebracht, daß Trauen Schulden hatte?“ fragte mein College.

„Vielleicht solche, wie sie am Ende jeder junge Mann beim Cigarrenhändler und dergleichen Leuten hat, sonst glaube ich nicht, da er mit seinem Gelde umzugehen und zu sparen wußte.“

„Sie haben auch früher nie etwas bemerkt, das den gegen Trauen vorliegenden Verdacht unterstützen könnte?“

„Niemals,“ antwortete Brandt, „ich habe ihn stets in der Erfüllung seiner Pflichten treu und gewissenhaft gefunden, und wenn ich ihm einmal eine kleine Strafpredigt hielt, so geschah es nur deshalb, weil er schon mehrere Male versucht hat, bevor die nach meiner Meinung nöthige Arbeit vollendet war, sich derselben zu entziehen, was weiß ich, zu welchem Zwecke.“

„Dieses ist vor dem letzten Streiche am 31. Juli also auch schon geschehen?“

„Ja! Ich bin strenge, man sagt zu strenge darin daß Alles, was an einem Tage einläuft, auch an demselben abgefertigt und nichts verschoben wird. Daher kommt es wohl, daß meine jungen Leute manchmal des Abends länger bei mir arbeiten müssen, als die anderer Firmen. Ich habe es von jeher nicht anders gekannt, daß jene aber nicht damit zufrieden sind, läßt sich leicht denken, und nicht nur Trauen, sondern auch die übrigen Comptoiristen haben schon häufig alle möglichen Kriegslisten versucht, um früher aus meinem Geschäft zu verschwinden. Wenn es ihnen gelingt, so lasse ich es hingehen, vorausgesetzt, daß sie am anderen Morgen bevor ich komme, mit der rückständigen Arbeit fertig sind: fasse ich sie aber, dann bekommen sie etwas zu hören, daß sie für einige Zeit alle Lust zu solchen Sprüngen verlieren.“

„Und Sie halten Trauen's Benehmen am Abend des 31. Juli ebenfalls nur für eine solche Kriegslist um in die Gesellschaft bei seinem Freunde zu kommen?“

„Ich hielt es dafür,“ sagte Brandt „bis mir mein Geschäftsfreund Dynker das Fehlen der fünfhundert Thaler anzeigte.“

„Nun die letzte, aber wichtigste Frage, Herr Brandt, die ich Ihnen deshalb obgleich Sie sie eigentlich schon vorhin beantwortet haben, noch einmal vorlege. Wissen Sie mit aller Bestimmtheit daß Sie dreitausend Thaler in den Brief eingepackt haben? Es hängt ja von Ihrer Antwort darauf das Wohl und Wehe eines Menschen ab, und darum bitte ich Sie, überlegen Sie noch einmal ob Sie nicht die Möglichkeit eines Irrthums von Ihrer Seite zugeben können.“

„Ich kann es nicht,“ antwortete der alte Kaufmann etwas zögernd, aber mit fester Stimme, „ich kann es deshalb nicht, weil wohl selten an einem Tage der Inhalt meiner Hauptcasse bestimmter sein konnte, als am 31. Juli. Ich hatte vor drei Uhr Nachmittags dieselbe vollständig geleert, um die Summe festzustellen. Eine Stunde darauf erhielt ich von einem Berliner Hause eine Anweisung auf die hiesige Bank über fünftausend Thaler, die ich von meinem jüngsten Commis holen ließ und beim Empfange in dessen Gegenwart genau nachzählte. Es waren neun Fünfhundert- Thalerscheine, ein neuer und drei alte Einhundert-Thalerscheine und zwei Fünfzig-Thalerscheine, von denen der eine zusammengeklebt war. Ich habe selbst für diese Aeußerlichkeiten ein gutes Gedächtniß. Da ich voraussehe, daß Herrn v. Dynker kleinere Summen lieber sein würden als lauter Fünfhundert- Thalerscheine, so legte ich Abends vier davon in mein Geldspind zurück und packte alles übrige Geld in den betreffenden Brief.“

„Und Sie wissen ganz genau daß Sie fünf und nicht vier Fünfhundert-Thalerscheine hineingelegt haben?“

„Ganz genau.“ –

[458] Die letzte Person, welche heute noch zu vernehmen war, war der erste Graveur der Stadt. Aufgefordert, seine Kenntniß von der Trauen’schen Angelegenheit, sowie sein Gutachten über die bei dem gedachten Geldbrief gebrauchten Siegel mitzutheilen, erzählte er Folgendes.

„Am 5. August kam der Kaufmann Brandt zu mir, übergab mir das mir soeben vorgelegte Couvert, welches an Herrn v. Dynker-Sorawski adressiert war, und sein Petschaft und bat mich, dieses mit den auf dem Couvert befindlichen Siegeln zu vergleichen. Bei der ersten Probe, die ich mit unbewaffnetem Auge machte, schienen mir beide genau zu stimmen, und ich hätte nicht weiter untersucht, wenn Herr Brandt mich nicht dringend ersucht hätte, noch einmal strenge zu vergleichen, ob sich kein Unterschied zwischen den Abdrücken und dem Petschaft finden ließe, es sei ihm sehr viel daran gelegen, es zu wissen. Ich nahm also eine zweite Untersuchung mit der Loupe vor und wollte auch jetzt schon ein weiteres Forschen aufgeben, als mir eine kleine Schramme, die durch das Reiben eines Sandkorns auf dem Petschaft, womit die Siegel auf dem Briefe abgedrückt waren, entstanden sein mochte und auf den Siegeln wiederzuerkennen war, und eine etwas dickere Zeichnung des ‚t‘ in dem Namen Brandt auffielen. Ich machte nun verschiedene Abdrücke mit dem Brandt'schen Petschaft, stellte sie unter die Loupe und ließ Herrn Brandt selbst sehen. Er machte dieselbe Wahrnehmung, wie ich sie eben mitgeteilt habe: auf allen Siegeln, welche mit seinem Petschaft abgedrückt waren, war jene Schramme nicht zu sehen und der Buchstabe schlanker gezeichnet, als auf den Siegeln des Couverts. Daraus folgt nun, daß, wenn diese letzteren alle diese erwähnten Merkmale tragen, auf den mit dem Petschaft des Herrn Brandt gemachten Abdrücken aber dieselben durchaus nicht zu erkennen sind, derjenige, welcher den Brief geöffnet und das Geld herausgenommen hat, nicht das Petschaft des Herrn Brandt, sondern ein nachgemachtes benutzt haben muß.“

„Erkennen Sie vielleicht,“ fragte mein College, „die Arbeit eines hiesigen Graveurs in den nachgemachten Siegeln?“

„Das wird sich aus den kleinen Differenzen, ohne daß das nachgemachte Petschaft vorgelegt wird, nicht feststellen lassen, nur dieses kann ich behaupten, daß die Arbeit darin so fein und geschmackvoll ist, daß wenige der hiesigen Graveure sie liefern würden.“

„Ließ sich eine Mischung von Siegellack in den Abdrücken auf dem Couvert erkennen?“

„Ziemlich deutlich, selbst mit bloßem Auge; ein Grund mehr für die Annahme, daß der Geldbrief in seiner jetzigen Gestalt nicht von Herrn Brandt versiegelt ist.“

Damit war die Zeugenvernehmung an jenem Tage geschlossen, es blieben für den nächsten Tag noch zwei Personen zu vernehmen, deren Aussagen von Wichtigkeit sein konnten, nämlich der Gutsbesitzer v. Dynker und der Postsecretär Krause von Rigow, welcher den betreffenden Geldbrief auf der dortigen Poststation abgeliefert hatte. Ueberall, wo auch nur ein schwacher Schimmer zu sehen war, welcher das Dunkel zu Gunsten des Angeschuldigten erhellen konnte, hatte der Gerichtsrath geforscht, aber immer wieder war er in undurchdringliche Finsterniß hineingeraten. Allen guten Antecedentien des Angeschuldigten, allen offenen Erklärungen, denen man an und für sich hätte Glauben beimessen müssen, stand einzig und allein die Thatsache entgegen, daß nur Trauen den Geldbrief bis zur Ablieferung auf die Post in Händen und Zeit gehabt hatte, ihn öffnen zu können, und diese einzige Thatsache schlug mit dürrer Logik Alles nieder, was ihr zu widerstehen wagte.

Als ich am nächsten Morgen wieder das Gerichtsgebäude betrat, fand ich dort den Gutsbesitzer v. Dynker bereits wartend, gleich darauf trat auch mein College ein.

„Wissen Sie, ob der Postsecretär Krause auch schon hier ist?“ fragte der Gerichtsrath Herrn v. Dynker; „ich würde ihn dann zuerst vernehmen.“

„Ich glaube, derselbe wird heute nicht kommen können,“ antwortete der Gefragte. „Wie ich heute in Rigow auf der Post erfuhr, liegt er seit zwei Tagen zu Hause krank, was ihm fehlt, weiß ich nicht.“

„Schade, daß der Abschluß der Untersuchung dadurch verschoben wird,“ sagte der Gerichtsrath; "dann sind Sie so freundlich, Herr v. Dynker, und teilen mir mit, was Sie in der Trauen’schen Angelegenheit wissen.“

„Ich stehe schon seit mehreren Jahren,“ begann dieser, „mit dem Hause Brandt und Comp. in Geschäftsverbindung, indem ich den auf meiner Brennerei gebrannten Spiritus an dasselbe liefere. Die Beträge dafür gehen dann, wenn nicht besondere Abredungen getroffen werden, am Ende des Monats ein, in welchem die Lieferung geschehen ist. Am 3. August Morgens erhielt ich für eine solche einen Geldschein über einen Geldbrief mit dreitausend Thalern, Absender Brandt, von der Post zu Rigow. Ich muß dabei bemerken, daß der Postbote nach meinem Gute nur einen Tag um den andern kommt, daß also wahrscheinlich der Brief bereits am 1. August dort lag, da er laut dem Geldschein am 31. Juli von hier abgeschickt war, aber erst nach Abgang des Postboten an jenem Tage in Rigow angekommen ist. Ich schickte daher sofort meinen Sohn und meinen Knecht mit dem ausgefülltem Geldschein dorthin, um den Geldbrief in Empfang zu nehmen.“

„Erkennen Sie dieses Couvert als das des von Brandt abgeschickten Geldbriefes wieder?“

„Ja; wie Sie sehen, Herr Gerichtsrath, habe ich nach meiner Gewohnheit die eine Seite des Couverts, die damals vollständig unverletzt war, aufgeschnitten. Ich überzählte sogleich die Summe und fand, daß fünfhundert Thaler fehlten, überzählte nochmals und zum dritten Male, und wieder fehlte dieselbe Summe. Ich hieß deshalb meinen Sohn gleich wieder auf das noch nicht ausgespannte Fuhrwerk steigen, benachrichtigte Brandt von dem, wie ich annahm, stattgefundenen Versehen und ersuchte ihn, umgehend zu antworten. Am 5. August erhielt ich durch den Postboten einen expressen Brief von Brandt, worin er mir schrieb, daß ein Versehen nicht stattgefunden habe, daß vielmehr die vorhin genannte Summe aus dem Briefe herausgenommen sein müsse, und er ersuche mich, wenn ich noch im Besitz der übersendeten Cassenanweisungen wäre, dieselben schleunigst nebst Couvert einzuschicken. Da dieses der Fall war, packte ich die Cassenanweisungen in das alte Couvert, fuhr nach Rigow und ließ in meinem Beisein noch einmal den Brief nebst Inhalt durch den zweiten Postsecretär wiegen; er war, wie der Vermerk der hiesigen Post besagt, vier Loth schwer. Mit einer neuen Umhüllung versehen, schickte ich dann Alles an Brandt ab.“

„Warum ließen Sie den Brief in Rigow wiegen?“

"Um alle Möglichkeit abzuschneiden, den Einwand machen zu können, daß die fünfhundert Thaler, während ich das Geld zählte, fortgekommen wären.“

"Sie waren ja allein im Zimmer?“

„Ja wohl, doch bin ich Geschäftsmann, und Vorsicht ist in allem dergleichen Angelegenheiten mein oberster Grundsatz.“

„Traf es sich zufällig, daß der zweite Postsecretär, nicht Krause, die Schwere des Briefes prüfte?“

„Zufällig und nicht zufällig, wie man es nehmen will. Gründe der Vorsicht, nicht gerade Verdacht führten mich zu dem Entschlusse, durch das nochmalige Wiegen zunächst festzustellen, ob nicht durch eine falsche Angabe des Gewichts bei der Auslieferung des Geldbriefes jenes Vergehen verdeckt worden sei. Da kam es mir natürlich sehr gelegen, daß ich in der Erpedition den zweiten Secretär vorfand, der, da er mir genauer bekannt ist, sich gern dieser Mühe unterzog und den Vorfall nicht weiter zu erzählen versprach.“

„Es war dieser ihr Schritt also nicht auf Grund von verdächtigen Momenten gegen Krause geschehen, vielleicht nicht einmal aus persönlichen Zweifeln gegen dessen Redlichkeit, wie sie häufig das Gefühl erregt, wenn sie der Verstand auch bekämpft?“

„Durchaus nicht.“

"Damit wären wir also vorläufig fertig,“ meinte mein College, als Herr v. Dynker entlassen war, „Krause muß vernommen werden, sobald er gesund geworden ist. Ich sehe aber nicht ein, was derselbe noch Neues mitteilen könnte. Ich will doch Trauen noch einmal vorführen lassen, vielleicht gesteht er jetzt, wenn ihm alle Zeugenaussagen vorgehalten werden.“ Es geschah. Mit aller juristischen Schärfe bewies ihm der Gerichtsrath, daß die Unterschlagung nur geschehen sein konnte, als er den Brief in Händen gehabt, mit dem rührenden Wohlwollen eines Vaters bat er ihn, offen seinen Fehler einzugestehen. Trauen hatte allein diesen Vorstellungen gegenüber nur die eine Bitte, ihn nicht weiter zu quälen, er wäre unschuldig. Ohne einen Erfolg erreicht zu haben, mußte mein College ihn wieder zur Haft zurückführen lassen –

Drei Tage später, glaube ich, war es – wir saßen bei dem langweiligen Verhör eines jugendlichen Diebes – als der Staatsanwalt zu uns mit den Worten eintrat: [459] „Ich glaube Herr College, wir haben dieses Mal einen tüchtigen Denkzettel empfangen. So eben erhielt ich nämlich einen Brief von dem Ortsvorstande in Rigow, worin mir geschrieben wird, daß der Post-Expedient Krause mit einer ziemlich bedeutenden Summe der dortigen Postcasse durchgegangen ist. Bei der Nachsuchung in seiner Wohnung hat man auch ein Petschaft mit dem Namen Brandt gefunden, welches vorläufig noch dort aufbewahrt wird. Verhält sich wirklich Alles so, woran eigentlich gar nicht zu zweifeln ist, dann ist Trauen doch unschuldig.“

Und Traun war unschuldig. Wahrscheinlich hatte Krause, da er sehr häufig Geldbriefe an Dynker von Brandt expedirt hatte, sich das Petschaft nach den Siegeln stechen lassen oder auch selbst gemacht, und dann die Zeit vom 1. bis 3 August, in welcher der Geldbrief mit dreitausend Thalern an Dynker in Rigow lag, dazu benutzt den Brief zu öffnen. Durch den darüber geschmolzenen Siegellack hatte dann der Briefe vielleicht zufällig dieselbe Schwere erhalten, die er am Aufgabeorte hatte, und es war dadurch jeder Verdacht einer Unterschlagung durch die Post abgelenkt worden.

Was aus Krause geworden, habe ich nie erfahren können. Trauen wieder bei der Gesellschaft in seine unverdienter Weise verlorene Stellung einzuführen, übernahm der alte Brandt. Etwas anderes nahm Trauen nicht an, er wies alle seine glänzenden Anerbietungen, um ihn zur Rückkehr in seine alte Stellung zu bewegen, zurück, und steht jetzt hochgeachtet und angesehen in der Geschäftswelt meiner Vaterstadt als selbstständiger Kaufmann da.

H.