Aus der Wandermappe der Gartenlaube/Das Wetterhorn

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Textdaten
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Autor: G. Gr.
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Titel: Das Wetterhorn
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 484–487
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Wandermappe der Gartenlaube.

Nr. 2. Das Wetterhorn.

Unter den Alpenhäuptern des Berner Oberlandes ist mein Liebling das Wetterhorn. Mit ihm ist’s nicht wie so oft mit andern Schönheiten, die nur auf einer Seite schön sind oder nur aus einer gewissen Entfernung einen Schimmer von Schönheit haben, näher besehen all’ den guten Schein verlieren. Das Wetterhorn ist immer schön, wirklich schön, von welcher Seite wir uns ihm nahen mögen. Uebersteigen wir von Meiringen her die „große Scheidegg“ nach Grindelwald, so bietet es gleich im Rosenlaui durch die Wettertannen hindurch mit seinem großen Felsgestell und seiner kühnen Gletscherspitze ein Bild voll kecker Frische, das vielen Malern schon die prächtigsten Skizzen geliefert hat. Ersteigen wir weiterhin den Kamm der Scheidegg, dann starren zu unsrer Linken die gewaltigen Felswände, mehrere tausend Fuß senkrecht aufsteigend. Oben über die schroffen Wände strecken sich zwei Gletscherzungen

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Das Wetterhorn auf dem Wege von Interlaken nach Grindelwald.
Nach der Natur aufgenommen.

[486] aus verborgenem Kessel hervor, die von Zeit zu Zeit in wundervollen Staublauinen, die „Wetterlauine“ und die „Gutzlauine“ genannt, ins Thal niederdonnern, sich brechen auf den Felssätzen und in Staub gelöst weithin die grüne Trift bedecken. Glücklich der Wanderer, der von fern das schöne Schauspiel sich ansehn oder – ist er g’rad’ unterwegs – bei Zeiten sich bergen kann hinter schützendem Felsblock. Nicht so ging’s vor etwa acht Jahren zwei deutschen Touristen; sie wurden aus dem in tief herabhängenden Nebeln verborgenen Horn arg überrascht von der übeln Bescheerung. Der Eine der Beiden, dem Führer auf dem Fuße folgend, rettete ach mit diesem hinter ein Felsstück, der Andere, zu weit vorausgeeilt, wurde von der Lawine überrascht und für einige Tage lazarethfähig zugerichtet.

Unser Bild aber stellt das Wetterhorn dar auf dem nächsten Wege von Interlaken nach Grindelwald. Wir verlassen Interlaken, freuen uns im Vorbeigehen der wunderschönen Parkanlagen, welche hinter dem großen Hotel von Jungfrauenblick sich fast ganz um den Kleinen Rugen herumziehen, und bedauern die Reisenden, welche so selten dieses frische, bunte Frühlingsgewand anlacht. Es ist wirklich merkwürdig, daß immer noch die Meinung vorherrscht, es werde hier erst im Juni Frühling und schön. Wohl sind die Gebirge selber, die Wengernalp, die Scheidegg etc. oft erst im Juni gangbar, oft aber auch schon im Mai. Für die Thäler aber ist auch hier entschieden der Monat Mai

„… der warme Kuß,
Den der Himmel giebt der Erde,
Daß sie jetzo seine Braut,
künftig eine Mutter werde.“

Geht doch selbst die Alpfahrt mit dem Vieh meist schon im Mai vor sich, nur die höhern und rauhern Alpen werden Anfang oder Mitte Juni von den Heerden bezogen. – Also

"Der Mai ist gekommen,
Die Bäume schlagen aus,“

so sing’ ich dem alten Liebling und wandre vorbei an Rugen und der malerischen Ruine Uspunnen, Angesichts der Jungfrau, die mit ihrem ebenbürtigen Hofstaat, Mönch und Eiger, die Krone der Landschaft ist. Nach dreiviertel Stunden beim Dörfchen Wilderswyl Schwenkung links; ihre Majestäten ziehen sich zurück hinter die massigen Vorberge, die mehr und mehr uns einfließen; rechts die altberühmte Sulegg, links die „schynige Platte“, gerade vor uns der neue Emporkömmling, „der Männlichen“, der Ansprüche erhebt auf dem Titel einer „Durchlaucht“ oder wenigstens „Excellenz“. Er excellirt auch wirklich mit seiner Aussicht, welche derjenigen der weltberühmten Wengernalp entschieden überlegen ist. Auch auf dem „Männlichen“, von Grindelwald in vier Stunden leicht ersteigbar, steht jetzt ein bescheidenes Gasthaus.

Doch ob dieser Höhen wollen wir den Vordergrund, die nächste Umgebung nicht verachten. Brausend wälzt sich und stürzt die Lütschine durch ihr rauhes Bett, das malerisch unregelmäßig von schwarzen Tannen umsäumt ist; sie plaudert mit ihnen bald kosend und freundlich, bald treibt sie Muthwillen in wilden Sprüngen und reißt in ungestümer Liebe wohl auch das Nächste mit sich hin, wenn im Frühjahr das Hochwasser aus den Bergen ihre Leidenschaft stachelt. Und siehe, auf einmal, während wir noch mit der Lütschine phantasiren, steht unversehens wieder ein neues Bild vor uns: zwischen dem Stock des Männlichen und dem ihm links gegenüberliegenden langgezogenen wilden Gebirgsgrat, der das Faulhorn uns verdeckt, zieht ein enges Thal sich aufwärts, das Lütschenthal, und im Hintergrund steht als Schluß des Gemäldes das Wetterhorn groß und schön und freundlich, wie wenn es blos dazu geschaffen worden wäre, hier einer Gebirgslandschaft die Krone der Vollendung zu geben, wie die Jungfrau derjenigen von Interlaken sie giebt.

Bald überschreiten wir bei Zweilütschinen den Lauterbrunner Arm dieses Flusses und marschiren dem Lütschenthal zu.

Nun beginnt auch das Steigen. Es ist keine „schöne Gegend“, das Lütschenthal. Arm – das ist sein Charakter. Doch nicht gleichgültig für Besseres ist der Sinn seiner Bewohner; das beweist das neue Schulhaus, das aus Holz gebaut mit seinen grünen Fensterladen gar freundlich inmitten der armem Häuschen steht. Ueberschauen wir aber das Thal, lieber Wanderer, und uns gelüstet schwerlich darnach hier zu weilen. Wohl ist noch mild die Luft und läßt mancherlei schmackhafte Frucht zur Reife gedeihen; wohl entbehrt das Thal nicht eines gewissen romantischen Zaubers; aber Leben und Eigenthum eines großen Theils seiner Bewohner sind in beständiger Gefahr; die Steinhaufen und Trümmermassen überall sind sprechende Zeugen davon. Der Geologe redet gelassen von der Verwitterung der Gebirge; weniger gelassen denkt daran der Lütschenthaler; ihm drohen beständige Erdrutsche, ihm droht ein gewaltiger Bergsturz. Des Oeftern schon, zumal in den zwei letzten Jahren, haben links hoch oben in der Steinwelt der Sägistelhörner Felsstücke sich gelöst und sind in Trümmern zu Thal gefahren, wie geschleudert von wachender Hand, haben starre Bäume geknickt, als wären’s dünne Stäblein, haben Scheunen zerschlagen, Häuser bedroht, und hinter ihnen her kam, von Regen und Schnee erweicht und gelöst, die scheußliche Erd- und Steinmasse, der große Heerhaufe, gegen den kein Widerstand möglich, fegte ohne Erbarmen weg, was im Wege war, spurlos, überdeckte schöne Matten mit Graus; aus dem wüsten Chaos strecken erstorbene Fruchtbäume ihre abgemagerten Arme gen Himmel, klagend und bittend, nicht mehr für sich, aber für’s arme Thal: „Herr, laß es genug sein.“ Und immer noch drohet der Berg. Es grenzt an’s Wunderbare, daß kein Menschenleben zu beklagen ist, wie wenn das entfesselte Wachen der grausen Elemente auch gezügelt, geleitet, gelenkt worden wäre durch eine mächtige, den Menschen freundliche Hand.

Zur Beruhigung der Wanderer ist die alte Straße, die in halsbrechender Steigung mitten durch das gefährliche Revier sich zog, endlich aufgegeben, und die neue Straße, außer aller Gefahr, schlängelt sich, viermal die Lütschine überbrückend, in leichter Steigung bergan und bietet neben manchem malerischen Punkt einen Ueberblick über das ganze Feld der Zerstörung. Noch eine schöne Windung der Straße, und wir steigen nach Burglauenen auf, dem kleinen Dörfchen auf dem Schutt, der das alte „Schillingsdorf“ deckt. Hier aber ist der Ort, wo wir still stehen und das Auge an dem großen Naturbilde erquicken wollen, an welches unsere Illustration uns und alle die Glücklichen erinnern will, die sich dieses Anblicks erfreuten.

Im Vordergrund die Felsstücke, die zu Tausenden da liegen, sind Zeugen der alten Katastrophe. Der „Flechtenstein“ heißt ein solcher Block noch heute im Volksmunde, weil er im Sturz ein liebliches Mädchen erfaßte und unter seinem zermalmenden Gewicht begraben hat, so daß nur die Haarzöpfe, „Flechten“ in der Landessprache, drunter hervorschauten, den suchenden Eltern ein schreckliches Zeichen von ihres Kindes Loos. Links auf strebt das Burghorn, oder schlechtweg „die Burg“, die im Sturze das an ihrem Fuß liegende Dörfchen begraben (daher der Name „Burglauenen“); rechts der Höhenzug des Männlichen, und den Schlußstein bildet wieder, nun schon nahe in der Fülle seiner Pracht, das Wetterhorn und mit ihm, durch die schönsten Gletschermassen verbunden, des „Berglistocks“ selbige Kuppe.

Während der Stunde Wegs, die bis in’s Dorf Grindelwald noch zurückzulegen ist, enthüllen sich immer mehr die Schönheiten dieses großartigen Bergthales, unstreitig eines der schönsten der ganzen Alpenwelt; der kühne Riese Schreckhorn zunächst erhebt sein stolzes Haupt, und um seinen Fuß gewunden tritt auch der „untere Grindelwaldgletscher“ mehr und mehr vor, dann des Eigers gewaltige Wand, neben ihm sind aus einige Augenblicke auch die Spitzen der Jungfrau und des Silberhorns sichtbar, und zwischen Eiger und Schreckhorn tritt zuletzt auch der glänzende Wall der Viescherhörner hervor.

Aber über Alles schön, je länger man’s vor Augen hat, ist doch immer im Morgenlicht und im Abendglanz, wenn Gewitterwolken an ihm hängen und wenn leichtdurchsichtige Nebelstreifen daran hinziehen, oder wenn das feine Mondlicht es umzittert, das Wetterhorn. Den Grindelwaldnern ist es „das Horn par excellence“, und mit vollem Recht ist es das edle Ziel so vieler rüstiger Bergsteiger. Die Ersteigung desselben gewährt so viel Reiz, Abwechslung und Poesie, wie die vielleicht keines anderen Berges. Vom Fuß des oberen Gletschers aus wird erst auf der Nordseite des Berges im Zickzack angestiegen, dann bei der „Enge“ auf dessen Westseite eingelenkt, eine Zeitlang fast ebenen Wegs parallel mit dem oberen Gletscher spaziert, später um den in den Gletscher abfallenden Grat wieder links gekehrt, und so – von Grindelwald aus in fünf Stunden – erreichen wir den „Gleckstein“, circa siebentausend Fuß über dem Meer, das gewöhnliche Nachtquartier der Besteiger, für sich schon eines Besuches werth. Rings die Wetterhörner, der Berglistock, das [487] Lauteraarjoch. Die Schreckhörner und der Mettenberg bilden den großen Kranz, der uns einschließt, und unsere Herberge ist eine Höhle, gebildet durch zwei gewaltige Felsblöcke, die sich so aneinander lehnen, daß unter ihnen ein freier Raum bleibt. Die nächste Umgebung ist ein rauhes Trümmerfeld. Es ist eine großartige Einsamkeit hier oben mit ihrer erhabenen Stille. Außer einigen hirtenlosen Schafen, die im weiten Revier da spärliche Weide suchen, weilt nur die flüchtige Gemse hier, und selten läßt eine Flühelerche ihren kurzen Ruf hören.

Solche Orte bevölkert der Mensch gern mit seiner Phantasie. So ist denn auch der Gleckstein und seine Umgebung der Hauptwohnsitz der lieblichen Bergmännchen, der Zwerge, die als Ueberlieferung aus der guten alten Zeit in Grindelwald noch leben. Viel wird noch erzählt, was sie Gutes den Menschen gethan. Aber der letzteren Uebermuth hat sie verjagt. Einmal nämlich erhitzt ein junger Schlingel mit Feuer einen Stein, auf dem die Zwerge der Ruhe zu pflegen gewohnt waren und da nun einer derselben arglos darauf sich niederließ und jämmerlich verbrannte, da erkannten sie, daß ihre Zeit vorbei sei, und verschwunden sind sie seither. Doch meine ich, sie können ihren alten Lieblingsort nicht ganz lassen, und wessen Sinn und Geist auch in der Natur dort oben etwas zwischen den Zeilen zu lesen versteht, dem sind auch die Berggeisterchen nicht fremd. Ja, es ist erstaunlich, was dieser „Gleckstein“ Alles weiß, wie viel dort die Zwerge uns erzählen könnten! Und die Spitze des Wetterhorns, die vom Gleckstein hinweg in fünf Stunden gewonnen wird, wie herrlich lohnt sie wieder das kühne Wagen das edle Müh’n!

Doch für heute – bleiben wir im Thale, nähren uns redlich und erquicken uns ruhig an dem schönen Bilde, das uns unverblaßt in Auge und Herzen stehen bleibt in seiner milden Majestät!

G. Gr.