Aus hessischer Zeit
[648] Aus hessischer Zeit. Wie bekannt, zeichnet sich das frühere Kurfürstenthum Hessen, jetziger Regierungsbezirk Kassel, durch den Reichthum seiner Forsten aus, und der von der Diemel und Weser umflossene Reinhardtswald ist es, der seiner herrlichen Eichenbestände und seines reichen Wildstands wegen die Krone derselben bildet. Da nun die hessischen Fürsten passionirte Jäger waren, so wird man es ganz natürlich finden, daß Herz und Sinn derselben sich dieser fast acht Quadratmeilen großen Waldung zugewandt hatten. Leider war aber auch der Reinhardtswald, in welchem viele Walddörfer liegen, das Eldorado der Wilddiebe und diese durch ihre Schlauheit und Localkunde, wodurch sie bei ihren Pirschgängen aller Nachstellungen der Forstbeamten spotteten, weit und breit berühmt und berüchtigt.
Vorzugsweise war es jedoch das große Kirchdorf Gottsbüren, welches, im Herzen dieser prächtigen Eichenwaldung gelegen, seit Jahrhunderten seine früheren Ruf als katholischer Wallfahrtsort mit dem eines protestantischen Wilddiebnestes vertauscht hatte. Auch des Exkurfürsten Liebe besaß der Reinhardtswald, und nichts konnte den gar eigenthümlich gearteten Herrn mehr in Wallung bringen, als irgend eine Anspielung auf die Wilddiebereien in seinem geliebten Reinhardtswalde.
Nachfolgende Episode mag nun zeigen, wie geschickt diese Stimmung des Exkurfürsten in den vierziger Jahren von einem seiner vortragenden Räthe benutzt wurde, um einem tüchtigen Geistlichen endlich zu einer bessern Stelle zu verhelfen. Metropolitan Dr. Feierabend, seit Jahren Inhaber der ärmlich dotirten Pfarrstelle zu Gottsbüren, hatte sich schon öfters um erträglichere Stellen beworben. Bis dahin jedoch leider stets vergebens, obgleich selbst das Consistorium, welches die Tüchtigkeit Feierabend’s vollkommen würdigte, diesen stets primo loco präsentirte. Den Grund hierzu finden wir in einer der vielen Marotten jenes hohen Herrn. War seinem Ohr nämlich irgend ein Familienname nicht angenehm, so mußte der Träger desselben es büßen, und dies war bei Feierabend der Fall. Dessenungeachtet bewarb sich Anfangs der vierziger Jahre Feierabend auf Anrathen seiner Freunde um das damals vacante, sehr einträgliche Metropolitanat zu Felsberg.
Wie gewöhnlich vom Consistorium primo loco präsentirt, war sein Rescript schon ausgefertigt und von dem vortragenden Ruthe, einem Freunde Feierabend’s, dem Kurfürsten zur Unterschrift vorgelegt worden. Kaum hatte jedoch der Kurfürst den Namen Feierabend erblickt, als er höchst unwillig dasselbe weit von sich schob. Ohne mit einer Miene zu zucken und wie zu sich selbst redend, jedoch so laut, daß der Kurfürst ihn verstehen mußte, ließ der Geheime Rath, der seinen Herrn und seine Eigenheiten genau kannte, sich also vernehmen:
„Hm! hätte doch gedacht, es wäre endlich Zeit, daß Feierabend aus dem Reinhardtswalde käme.“
Kaum hatte jedoch der Kurfürst seinen geliebten Reinhardtswald nennen hören, als er auch schon in seiner gebrochenen Redeweise hastig frug:
„Wie? was? weshalb aus Reinhardtswald schaffen? Feierabend Wilddieb?“
Achselzuckend erwiderte hierauf der Gefragte, daß er das gerade nicht sagen könne, jedoch sollte Feierabend ein guter Schütze sein und einen guten Wildbraten auf seinem Tische lieben.
„So, so – schlecht’ Beispiel abschaffen will – Reinhardtswald mein ist“ – herauspolternd, ergriff der Kurfürst hastig das eben fortgeschobene Rescript, fügte demselben seine Unterschrift bei und – Feierabend war Metropolitan von Felsberg, ganz gegen seine Erwartung.
Nicht lange danach wurde in Hessen die Main-Weser-Bahn gebaut, und der Kurfürst beschloß, mit Gefolge eine Probefahrt nach Station Gensungen, in unmittelbarer Nähe Felsbergs gelegen, zu unternehmen. Damals war dies ein Ereigniß im Hessenlande, und die Bevölkerung der Umgegend strömte in Gensungen zusammen. Auch der Magistrat von Felsberg beschloß, eine Deputation an den Kurfürsten zu entsenden. Da nun auch in weltlicher Rede Dr. Feierabend die Sprache in seiner Gewalt hatte wie nur Wenige, so wurde er zum Sprecher der Deputation erwählt und erwartete an der Spitze derselben, bekleidet mit seinem Chorrock, auf dem Bahnhofe zu Gensungen die Ankunft des Landesherrn. Unter großem Jubel der Menge fuhr der Zug in den Bahnhof ein, und erfreut durch diesen Empfang, verließ der Kurfürst in froher Stimmung sein Coupé, um die Deputation zu empfangen. Feierabend’s Rede machte auf den Landesherrn und sein Gefolge einen gewaltigen Eindruck, und noch unter der Wucht desselben trat dieser auf Feierabend zu, und indem er ihm die Hand reichte, sprach er:
„Danke, danke; – schön, schön gemacht; – guter Schütz – alter Wilddieb – hab’n aber aus dem Reinhardtswald ’rausgeschafft.“
Völlig erstarrt stand Feierabend da. Der vorhin so beredte Mund vermochte kein Wort hervorzubringen, und einige Minuten verflossen, ehe Feierabend im Stande war, dem Kurfürsten zu entgegnen:
„Halten zu Gnaden, königliche Hoheit, ich habe nie im Leben ein Gewehr laden gelernt, wie viel weniger bin ich ein Wilddieb gewesen!“
Durch diese Unterhaltung sichtlich amüsirt, fuhr der Kurfürst fort:
„Still, weiß schon – nicht leugnen – nicht zum Rock paßt!“ Und damit wandte er sich den anderen Deputationen zu.
Als später Feierabend noch einmal Gelegenheit hatte, ein Wort für seine Unschuld einzulegen, erwiderte lachend der Kurfürst, Feierabend in seiner Rede unterbrechend:
„Weiß, was ich weiß – vorüber ist – Ihm in Gnaden gewogen bin.“ Aus den lachenden Mienen des kurfürstliche Gefolges ersah Feierabend, daß diesen Herren die Geschichte nicht fremd war, und erfuhr auch später, durch welches Mittel er Metropolitan geworden.
Unter dem Jubelrufe der versammelten Volksmenge fuhr der Kurfürst nach Kassel zurück. In den Augen desselben war und blieb jedoch Feierabend der Wilddieb des Reinhardtswaldes, und kopfschüttelnd erzählte sich noch längere Zeit die ländliche Bevölkerung von Felsberg, daß dem alten, stillen Metropolitan es doch Niemand angesehen hätte, daß man denselben seiner Wilddieberei wegen aus dem Reinhardtswalde habe versetzen müssen.