Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Aphraates/Abhandlung über die Jungfräulichkeit und Heiligkeit gegen die Juden

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Autor: Aphrahat
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Titel: Abhandlung über die Jungfräulichkeit und Heiligkeit gegen die Juden
Untertitel:
aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 119–129.
Herausgeber: Gustav Bickell
Auflage: 1
Entstehungsdatum: 3./4. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
Übersetzer: Gustav Bickell
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Quelle: Commons
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[119]
Abhandlung über die Jungfräulichkeit und Heiligkeit gegen die Juden.[1]




Noch will ich dich, mein Lieber, über eine Sache unterweisen, die mir sehr am Herzen liegt, nämlich über diesen heiligen Ordensstand und die jungfräuliche Heiligkeit, in welcher wir leben. Denn an ihr nehmen die Juden wegen ihrer Unreinheit und sinnlichen Gier Anstoß, ja sie bethören [120] sogar unverständige und unwissende Menschen und machen die Gesinnung Solcher abwendig, welche sich verführen und fangen lassen durch die Überredungskunst ihrer Verkehrtheit. Sie sagen nämlich, daß Gott, als er den Adam erschaffen, ihn mit diesen Worten gesegnet habe: „Wachset und mehret euch, seid fruchtbar und erfüllet die Erde!“ Auch zu Noe habe er in gleicher Weise gesprochen: „Mehret euch auf Erden und seid fruchtbar auf ihr.“ Den Abraham habe er also gesegnet: „Blicke auf zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst; ebenso soll dein Same sein.“ Zu Israel habe er segnend Dieses gesprochen:[2] „Nicht soll unter dir sein ein Unfruchtbarer oder eine Unfruchtbare,“ sowie auch: „In euerem Lande wird keine Kinderlose und Unfruchtbare sein.“ Dem Abraham sei Isaak als Segen verliehen worden, Isaak habe für Rebekka gebetet, auf daß sie gebäre. Den Jakob habe Gott mit zahlreicher Nachkommenschaft gesegnet. Anna habe mit Seufzen um Samuel gefleht und, obgleich zuvor unfruchtbar, durch die Verheissung einen Sohn erhalten, kurz allen Gerechten sei als Segen Nachkommenschaft zu Theil geworden. Ihr aber, so werfen sie uns vor, thut Etwas, was Gott nicht geboten hat; ihr nehmet den Fluch auf euch, indem ihr die Unfruchtbarkeit befördert; ihr verzichtet auf Nachkommenschaft, welche doch der Segen der Gerechten ist: ihr nehmet keine Weiber, gestattet es auch den Männern nicht und hasset den von Gott verliehenen Kindersegen. Diese Vorwürfe nun, mein Lieber, will ich dir nach Kräften widerlegen.

Als Gott Adam segnete, sprach er zu ihm: „Seid fruchtbar und mehret euch auf Erden!“ Denn er segnete sie ja, damit die Welt durch sie bevölkert werde, indem die Zunahme der Menschheit von den Kindern Adams ausging. Als sie aber zahlreich geworden waren, verfielen sie in Verderben und Laster, so daß sie durch ihre Sünden den Geist ihres Schöpfers beleidigten und betrübten. Da sprach Er: [121] „Es reuet mich, daß ich sie geschaffen habe,“ goß seinen Zorn über sie aus und vertilgte sie in scharfem Gerichte durch das Wasser der Fluth. Nun sage mir doch, du israelitischer Schriftforscher: Was hat der Segen über Adam denen genützt, welche ihren Weg verderbt hatten und durch das Wasser der Fluth umgekommen waren? Diese Frevler waren, obgleich in der Ehe lebend, verderbt und schuldig und haben den Segen durch ihre Sünden ausgelöscht. Noe aber, mit seiner kleinen, nicht zahlreichen Familie, baute einen Altar und besänftigte den Heiligen. So war Noe mit seinen wenigen Angehörigen Gott wohlgefälliger als jene ganze verkehrte Generation, und von ihm ging eine neue Welt aus. So erhielt auch Noe den Segen großer Fruchtbarkeit, damit die Welt bevölkert und die Menschen zahlreich würden. Als sie sich aber mehrten und gewaltig zunahmen, vergaßen alle von ihm abstammenden Völker und Zungen Gott und beteten die Götzen an. Deßhalb wurden sie von Gott für Nichts gerechnet, wie ein Tropfen vom Eimer oder das Zünglein der Wage.[3] Nur die Nachkommenschaft der Gerechten blieb am Leben und ward errettet vor dem Herrn. Was nützte aber der Segen den zehn Generationen vor der Fluth, und was nützte er den Sodomitern, welche ihr Leben durch Feuer und Schwefel einbüßten, da diese Gottlosen den Segen durch ihre Sünden ausgelöscht hatten? Oder welchen Vortheil und Nutzen verschaffte der Segen den Sechshunderttausenden, welche aus Ägypten ausgezogen waren? Sie gingen in der öden Wüste zu Grunde, weil sie den Heiligen erzürnt hatten. Welchen Nutzen und Vortheil brachte der Kindersegen jenen unreinen Völkern, welche Josue vertilgte? Aber auch was nützte den Israeliten der Segen, daß sie wie Sterne vermehrt werden sollten, da sie durch Krieg und Schwert hinweggerafft wurden?

Vor der Majestät Gottes ist ein einziger Mensch, der seinen Willen thut, vorzüglicher und angesehener, als Tausende [122] und Myriaden von Gottlosen. Noe war vor Gott vorzüglicher und angesehener als die zehn verkehrten Generationen vor ihm. Ebenso wurde Abraham vor Gott höher geachtet als die zehn ihm vorhergehenden Geschlechter; ja auch vor den ihm nachfolgenden hatte er den Vorzug. Isaak und Jakob, die Erben der Verheissung, erschienen vor Gott besser und vorzüglicher, als alle Amorrhäer, unter welchen sie wohnten. Joseph ward von Gott höher geschätzt als das ganze gottlose Volk Pharao’s. Moyses, der große Prophet in Israel, war vor Gott angenehmer und angesehener als die Sechshunderttausende, welche aus Ägypten ausgezogen waren und durch ihr Murren Gott beleidigten, so daß sie das Land der Verheissung nicht betreten durften.

In Betreff der jungfräulichen Heiligkeit will ich dir beweisen, daß sie sogar unter jenem vormaligen Volke Gott weit wohlgefälliger war als der nutzlose Kinderreichthum. Denn Moyses, der große Prophet, der Anführer von ganz Israel, liebte die Heiligkeit und diente dem Heiligen seit der Zeit, da sein Herr mit ihm geredet hatte; er zog sich zurück von der Welt und der Fortpflanzung und blieb für sich allein, um seinem Herrn zu gefallen. Wo nicht, so zeige mir, womit du, weiser Schriftgelehrter im Volke, beweisen kannst, daß Moyses die Ehe vollzogen habe, seit Gott mit ihm geredet hatte. Wenn du aber einen erdichteten Beweis vorbringst, so unterwerfe ich mich keineswegs deiner Verkehrtheit, womit du den Heiligen um deiner Sinnlichkeit willen zu verunehren strebst. Wenn er nämlich die Ehe vollzogen hätte, so hätte er ebensowenig der Herrlichkeit seines Herrn dienen können, als das Volk Israel die heilige Rede und die Leben verleihenden Worte zu empfangen vermochte. Denn der Heilige redete mit Moyses auf dem Berge, bis daß er das Volk drei Tage lang geheiligt hatte. und alsdann erst redete der Heilige mit ihnen. Er sprach nämlich zu Moyses:[4] „Steig herab zu dem Volke und heilige sie drei [123] Tage lang.“ Moyses aber befahl dem Volke geradezu also: „Ihr sollt euch nicht nahen dem Weibe.“ Nachdem sie sich also diese drei Tage hindurch geheiligt hatten, da offenbarte sich am dritten Tage der Heilige mit hehrem Glanze, großer Herrlichkeit, gewaltiger Stimme, furchtbarem Donner, mächtigen Posaunentönen, schrecklichen Fackeln und strahlenden Blitzen. Die Berge bebten und die Höhen wankten, Sonne und Mond traten aus ihrer Bahn. Da stieg Moyses auf den Berg Sinai, trat ein in die Wolke und empfing das Gesetz. Moyses sah den herrlichen Glanz, erschrack, zitterte, und Schauer ergriff ihn. Denn er sah das himmlische Zelt auf dem Berge ruhend, die große Herrlichkeit des Thrones Gottes, wie die Tausende und Myriaden dienender Engel vor dem wunderbaren Strahlenglanze ihr Antlitz verhüllten, wie sie mit ihren raschen Flügeln eilig hin und her flogen und riefen, indem sie Seine Majestät heilig priesen und verherrlichten, wach und bereit, schnellen Fluges, herrlich, schön, strahlend und anmuthig, eilend, heilig rufend und sein Gebot erfüllend, aufsteigend und niederfahrend in der Luft gleich zuckenden Blitzen. Denn Moyses redete und die Stimme Gottes antwortete ihm. An jenem Tage stand Israel in Angst, Furcht und Zittern; sie fielen nieder auf ihr Angesicht und vermochten es nicht zu ertragen. Deßhalb sprachen sie zu Moyses:[5] „Nicht möge Gott mit uns reden, auf daß wir nicht sterben.“ O wie unverständig ist doch Derjenige, welcher Dieses erwägt und dennoch das richtige Verständniß verfehlt! Wenn Israel, mit welchem Gott nur eine Stunde lang redete, die göttliche Stimme nicht eher hören konnte, bevor es sich drei Tage hindurch geheiligt hatte, obgleich es nicht einmal den Berg bestieg, geschweige denn in die furchtbare Wolke eintrat; um wie viel weniger durfte dann der Prophet Moyses, dieses lichte Auge seines ganzen Volkes, welcher immer vor Gott stand und von Mund zu Mund mit ihm redete, die eheliche Gemeinschaft fortsetzen! Und [124] wenn Gott mit Israel redete, welches sich nur drei Tage lang geheiligt hatte, um wie viel vorzüglicher und wohlgefälliger werden Diejenigen sein, welche während ihres ganzen Lebens geheiligt, wach und bereit vor Gott stehen! Sollte Gott Diese nicht noch weit mehr lieben und sein Geist in ihnen wohnen, wie er sagt: [6] „Ich werde in ihnen wohnen und unter ihnen wandeln.“ So sagt auch Isajas:[7] „Auf wen sollte ich schauen und bei wem wohnen, wenn nicht bei dem Sanftmüthigen und Demüthigen, der da zittert vor meinem Worte?“

Ich will dir noch weiter beweisen, daß die Jungfräulichkeit etwas Vorzüglicheres und bei Gott Beliebtes ist. Denn der Heilige befahl den Priestern, Aarons Söhnen, welche vor ihm dienten, daß Keiner von ihnen eine Wittwe oder Verstoßene oder eine durch Unkeuschheit Befleckte nehmen dürfe, sondern nur eine Jungfrau aus ihrem Volke, welche noch von keinem anderen Manne berührt worden sei.[8] Siehe also, daß die Jungfrau reiner ist als die Wittwe. Wenn aber die Ehe der jungfräulichen Heiligkeit vorzuziehen wäre, wozu wäre es dann nöthig gewesen, das israelitische Volk zu einer dreitägigen Heiligung zu ermahnen, bevor Gott zu ihm redete? Oder weßbalb wäre es erforderlich gewesen, daß der Priester eine Jungfrau nähme, nicht aber eine Wittwe oder Verstoßene? Oder weßhalb hätte sich Moyses vierzig Jahre lang seines Weibes enthalten, da er doch sonst vielleicht noch andere Söhne ausser Gerson und Eliezer würde erhalten haben? Ich lege mir diese Sache in meinem Geiste folgendermaßen zurecht![9] Wäre doch Zambri niemals [125] geboren worden, da wegen seiner Unkeuschheit in einer Stunde 24,000 Israeliten umgebracht wurden! Und auch Achan, wäre er doch ungeboren geblieben, da das Heerlager Israels durch ihn dem Banne verfiel! Und, möchte ich hinzufügen, wäre doch Heli in steter Enthaltsamkeit verblieben, so daß ihm Ophni und Phinees nicht wären geboren worden, welche dem Priesterthume Schmach bereiteten und frevelhaft wandelten! Und was nützten dem Samuel seine Söhne, welche das Gesetz nicht beobachteten und nicht die Wege ihres Vaters wandelten? Wie viele Andere gibt es noch, denen besser gewesen wäre, daß sie weder Nachkommen gehabt hätten, noch selbst zur Welt gekommen wären!

Moyses liebte die Heiligkeit; deßhalb liebte ihn der Heilige und zeigte ihm seine Herrlichkeit. Auch Josue, der Sohn Nun’s, liebte die Jungfräulichkeit und wohnte in der Stiftshütte, wo dem Heiligen gedient wurde. Elias zeichnete sich ebenfalls durch Jungfräulichkeit aus, wohnte in der Einöde, auf Bergen und in Höhlen. Deßhalb erhöhte ihn der Heilige zu der Wohnstätte der Heiligen, wohin die Liebhaber der Sinnlichkeit nicht gelangen können. Elisäus verharrte in Einsamkeit und Keuschheit, deßhalb wirkte Gott durch seine Hand staunenswerthe Wunder. Auch Jeremias [10] sprach: „Menschliche Tage habe ich nicht begehrt.“ Und sein Herr befahl ihm:[11] „Du sollst dir kein Weib nehmen und keine Söhne oder Töchter erhalten.“ Hiergegen bringt nun der Jude folgende Ausrede vor, es sei dem Jeremias nur deßhalb befohlen worden, in diesem Lande kein Weib zu nehmen und keine Söhne oder Töchter zu erhalten, weil der Herr drohte, daß die in diesem Lande geborenen Söhne und Töchter des Hungertodes sterben würden.[12] Nur aus diesem Grunde also sei ihm befohlen worden, er solle kein Weib nehmen. O über dich Unverständigen, der du diese Meinung festhältst! Hätte denn Derjenige, welcher dem Jeremias von dem babylonischen König Schonung erwirkte, nicht auch [126] dessen Söhne, wenn er solche gehabt hätte, vor dem Schwerte und dem Hungertode bewahren können?[13] Auch dem Ezechiel erwies sein Herr die Gnade, daß er ihm die Lust seiner Augen durch einen plötzlichen Tod hinwegnahm und ihn von dem nachtheiligen Joche befreite.[14] Wenn du Dieß leugnen willst, so zeige mir doch, o Schriftgelehrter, daß Josue, der Sohn Nuns, ein Weib genommen und Kinder erhalten habe, oder beweise mir, daß Elias und sein Schüler Elisäus in dieser Welt ein eigenes Haus besessen haben. Sie wohnten ja in der Wüste, auf Bergen und in Höhlen, in Noth und Verfolgung; und keiner von ihnen hatte ein Weib bei sich, sondern sie ließen sich von ihren Schülern bedienen. Bedenke auch, daß, als Giezi, der Schüler des Elisäus, seinen Sinn auf diese Welt richtete und nach Besitz, Weib und Kindern begehrte, Elisäus zu ihm sprach:[15] „War dieß die Zeit, zu erwerben Güter, Weinberge und Oiivenpflanzungen? Hinfort soll, weil du Dieses gethan hast, der Aussatz Naamans dem Giezi anhaften und seinem ganzen Geschlechte auf immer.“

Wenn du nun gegen irgend einen von meinen Beweisen einen Gegenbeweis aus der heiligen Schrift vorbringen kannst, so bin ich bereit, ihn anzunehmen; aber auf all das nichtige Gerede, was du aus deinem eigenen Sinne vorbringst, höre ich gar nicht; denn du willst nur den Heiligen durch deine trügerischen Beweise verunehren. Ferne sei es von uns, daß wir irgend welchen Tadel gegen die von Gott in der Welt angeordnete Ehe vorbrächten; denn es steht ja geschrieben: „Gott sah Alles, was er geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Aber ein Ding ist vorzüglicher als [127] das andere. Gott hat Himmel und Erde geschaffen, und beide sind sehr gut, aber der Himmel ist vorzüglicher als die Erde. Er hat Finsterniß und Licht geschaffen, und beide sind sehr gut, aber das Licht ist vorzüglicher als die Finsterniß. Er hat Nacht und Tag geschaffen, und beide sind sehr gut, aber der Tag ist vorzüglicher als die Nacht. Er hat Sonne und Mond erschaffen, und beide sind sehr gut, aber die Sonne ist vorzüglicher als der Mond. Er hat die Sterne des Himmels erschaffen, und sie sind alle sehr gut, aber das Licht des einen Sternes ist vorzüglicher als das des anderen. Er hat Adam und Eva erschaffen, und beide waren sehr gut, aber Adam war vorzüglicher als Eva. Ebenso hat er auch die Ehe zur Bevölkerung der Welt geschaffen, und sie ist sehr gut, aber die Jungfräulichkeit ist vorzüglicher als sie. Als die Erde noch jungfräulich war, wurde sie nicht entweiht; aber nachdem Regen auf ihr gefallen war, brachte sie Dornen hervor. Ebenso war auch Adam in seiner Jungfräulichkeit Gott wohlgefällig und angenehm; aber nachdem er die Eva hervorgebracht hatte, verirrte er sich und übertrat das Gebot. Die Söhne Seths waren in ihrer Jungfräulichkeit vortrefflich; aber nachdem sie sich mit den Töchtern Kains vermählt hatten, gingen sie unter in den Wassern der Fluth. Samson war Gott wohlgefällig in seiner naziräischen Enthaltsamkeit und Jungfräulichkeit; aber durch seine Unkeuschheit zerstörte er seine Naziräerwürde. David war in seiner Jugend Gott angenehm. aber wegen der Bethsabee übertrat er das Gesetz und verletzte drei von den zehn Geboten, nämlich: Laß dich nicht gelüsten! und: Du sollst nicht tödten! und: Du sollst nicht ehebrechen! Amnon war in seiner Jungfräulichkeit Gott wohlgefällig, aber wegen seiner sündhaften Begierde zu seiner Schwester wurde er von Absalom getödtet. Erhaben und herrlich war Salomo in seiner Jungfräulichkeit, aber in seinem Greisenalter wandte die Neigung zu den Weibern sein Herz von Gott ab.

Wir haben aus dem Gesetze gehört, daß der Mensch Vater und Mutter verlassen werde, um seinem Weibe anzuhangen [128] und ein Fleisch mit ihr zu werden. Diese Weissagung ist in der That groß und ausgezeichnet. Warum verläßt Derjenige Vater und Mutter, welcher ein Weib nimmt? Dieß bedeutet, daß der Mensch, so lange er noch kein Weib genommen hat, Gott, seinen Vater und den heiligen Geist, seine Mutter,[16] liebt und ehrt, ohne eine andere Liebe zu haben. Wenn aber der Mensch ein Weib genommen hat, so verläßt er seinen Vater und seine Mutter, die wir soeben genannt haben, richtet seinen Sinn auf diese Welt, wendet ab Geist, Herz und Gedanken von Gott auf das Irdische und liebt es, gleichwie der Mann liebt das Weib seiner Jugend und die Liebe zu ihr höher achtet als die zu seinem Vater und seiner Mutter. Ferner heißt es, daß Beide ein Fleisch sein würden. Dieß verhält sich wirklich also; denn gleichwie der Mann mit seinem Weihe ein Fleisch und ein Geist wird und Sinn und Gedanken von seinem Vater und seiner Mutter lostrennt, ebenso ist auch derjenige Mensch, welcher kein Weib nimmt, sondern einsam lebt, eines Geistes und eines Sinnes mit seinem (himmlischen) Vater.

Dieses habe ich dir, mein Lieber, über die jungfräuliche Heiligkeit geschrieben, weil ich hörte, daß ein Jude einem von unseren Brüdern, den Söhnen unserer Kirche, folgende Vorwürfe gemacht habe: „Ihr seid unrein, weil ihr keine Weiber nehmet; wir aber sind heilig und vorzüglich, weil wir die Welt durch zahlreiche Nachkommenschaft bevölkern.“ Deßhalb habe ich dir diese Unterweisung geschrieben; aber in Betreff der Jungfräulichkeit und Heiligkeit habe ich dich schon früher in der Abhandlung über den Ordensstand belehrt. Wie schön und lieblich ist die Jungfräulichkeil, selbst wenn der Mensch sie um der Nothwendigkeit willen übt, wie unser Herr sagt:[17] „Nicht Alle fassen es, sondern Diejenigens, welchen es gegeben ist“, und der Apostel spricht: [18] [129] „Um der Noth in der Welt willen ist es dem Menschen besser, daß er also bleibe.“ Aber dieser von uns erwählte Antheil wird einen um so reicheren Lohn erhalten, als wir ihn aus freiem Willensantriebe, nicht aus Unterwerfung unter den Zwang des Gebotes üben und nicht unter dem Gesetze gebunden sind. Seinen Typus und sein Vorbild haben wir in der heiligen Schrift gefunden und gesehen, daß diese Nachahmung der himmlischen Engel auch bei den Heiligen angetroffen und auf Erden als Gnadengabe erworben wird. Dieses Besitzthum kann, wenn es verloren ist, nicht wiedergefunden und um keinen Preis erworben werden. Wer es besaß und es verloren hat, kann es nicht wieder erlangen; wer es nicht besitzt und ihm nacheilt, kann es nicht erreichen. Mein Freund, liebe diese Gnadengabe, welcher keine andere in der ganzen Welt an Werth gleichkommt! Mit dem, was ich dir geschrieben habe, widerlege die Juden, welche in ihrer Sinnlichkeit die Kraft der Jungfräulichkeit und Heiligkeit nicht begreifen.




  1. Wir wählen diese Unterweisung hauptsächlich deßhalb aus, weil sie uns einen Einblick in den Zustand des Ordenslebens zur Zeit des Aphraates gewährt, welche bekanntlich die Entstehungszeit des eigentlichen Mönchsthums war. Die sechste Unterweisung („über die Mönche“) würde hiefür ebenfalls geeignet sein; wir haben sie aber übergangen, nicht nur wegen ihrer großen Länge, sondern auch, weil darin der früher erwähnte dogmatische Irrthum über den Zustand der Seele zwischen Tod und Auferstehung vorkommt, wodurch sie für diese auch praktisch erbauliche Zwecke verfolgende Bibliothek ungeeignet wird. — Daß Aphraates die höhere Würde und Verdienstlichkeit des Cölibats vertheidigt, ist ihm mit allen Kirchenvätern gemeinsam; besonders charakteristisch ist, daß er eine Bekämpfung desselben nur von jüdischer Seite für möglich zu halten scheint.
  2. Deuter. 7, 14; Exod. 23, 26.
  3. Is. 40, 15.
  4. Exod. 19, 10. 15.
  5. Exod. 20, 19.
  6. II. Kor. 6, 16.
  7. Is. 66, 2.
  8. Vgl. Levit. 21, 7; Ezech. 44, 22.
  9. Die geringe Anzahl seiner Kinder war für Moyses eher ein Glück als ein Unglück, da er sonst unter seinen Nachkommen vielleicht auch Gottlose hätte erhalten können, welche sich selbst und viele Volksgenossen durch ihre Sünden in’s Verderben gestürzt hätten.
  10. Jer. 17, 16.
  11. Jer. 16, 2.
  12. Jer. 16, 4.
  13. Das Heirathsverbot für Jeremias muß also die Hochschätzung der Enthaltsamkeit zum Grunde haben, nicht bloß die Gefahr für das Leben der Kinder, vor der sie ja die göttliche Allmacht hätte schützen können.
  14. Nach Ezechiel 24, 15—18 starb die Gattin des Propheten eines plötzlichen Todes.
  15. IV. Kön. 5, 26.
  16. Das Wort „Geist“ (nûchâ) ist im Syrischen weiblichen Geschlechts.
  17. Matth 19, 11.
  18. I. Kor, 7, 26.