Bürgersleute und Bürgermeister

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Titel: Bürgersleute und Bürgermeister. Nr. 3
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 581–583
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Bürgersleute und Bürgermeister.

Nr. 3.

Zu den traurigsten Folgen des Polizeistaates gehört allezeit der Mangel an Gemeinsinn und der Ueberfluß an Unselbständigkeit im Volke. Der deutsche Bürger, dessen Bezeichnung als solcher an die männliche Würde eines Vertheidigers seiner festen Stadt, ihrer Freiheit, ihrer Rechte erinnert und der seit dem dreizehnten Jahrhundert allen Einfluß landesherrlicher Beamten in seine inneren Angelegenheiten immer entschiedener zurückgewiesen hatte, dieser kernhafte deutsche Bürger ging aus dem Elende des dreißigjährigen Krieges arm und schwach hervor und endlich im gleichen Schritte, als das Reich sank und die Fürsten stiegen, nach und nach ganz im Unterthan auf. –


Johann Smidt.


Wer sieht sie nicht noch vor sich, jene vorsichtigen Stadtbürger, die ihre oberste Zuversicht ausschließlich in dem „Schutze der Obrigkeit“ und der Zunft erkannten, die keinen Schritt aus dem gewohnten Alltagsgleise anders als mit „hoher obrigkeitlicher Bewilligung“ zu thun wagten, die – leider nicht blos aus Rücksicht auf die geschäftliche Kundschaft, sondern aus purem angeborenen und anerzogenen Respect – zu Adeligen und fürstlichen Dienern wie zu höheren Wesen hinaufschauten, vor jedem „herrschaftlichen“ Wagen den Hut bis tief zur Erde zogen und, um die „Furcht“ vor der Obrigkeit früh genug zu pflegen, den „Polizeidiener“ zum Popanz ihrer Kinder machten? – Welch’ niederdrückender Anblick, den freien stolzen Bürger der großen deutschen Städtezeit nach Jahrhunderten sogenannter Civilisation in solcher Knechtsgestalt wiederzufinden!

Diese Versunkenheit des Bürgerthums trat am sichtbarsten zu Tage bei der Behandlung derjenigen städtischen Angelegenheiten, bei welchen der einzelne Bürger berufen war, ein bürgerliches Recht öffentlich zu behaupten, und namentlich das wichtigste von allen: das Wahlrecht seiner obersten Magistrate. Hier spielten Gleichgültigkeit, zaghafte Rücksicht und selbstische Schlauheit ihre unerquicklichsten Rollen. Der Berechnung des allereigensten Vortheils erlag jede Regung für das allgemeine Wohl: man wählte nach höherem Wink oder nach Verwandtschaft und Kundschaft, oder nach dem Gewichte der Bestechung, und die Mehrzahl wählte gar nicht, um sich vor jeder „Ungelegenheit“ zu bewahren. In manchen Städten suchte man sogar die Bürger dadurch zum Wahlacte herbei zu locken, daß man ihnen am Wahltage einen freien Trunk gab, und noch heute giebt es Orte, wo bei jeder Bürgermeisterwahl die „Biermarke“ mitwirkt.

Es ist nicht zu verwundern, daß demgemäß auch die meisten Bürgermeister dem Geiste entsprachen, unter dessen Walten sie zum Amte gelangt waren. Die Geschichte der Mehrzahl deutscher Städte wird uns nicht widersprechen, wenn wir dieselben größtentheils als dienstwonnevoll nach oben und herrisch nach unten bezeichnen. Anstatt Beschützer der städtischen Rechte waren sie nur zu oft die Tyrannen des kleinen Bürgers und die Schmeichler der landesfürstlichen Macht, die es dann trefflich verstand, aus solchen Zuständen den größten Vortheil zu ziehen. Die alte Selbstständigkeit der Städte ging allgemach verloren, bis es endlich, mit der Ausbildung der Landeshoheit in neuerer Zeit, den fürstlichen Regierungen sogar gelang, Stadträthe sammt Bürgermeister als Unterbehörden sich zu subordiniren. Ja leider fehlt es sogar nicht an Stadträthen, welche sich so sehr als Unterbehörden fühlen, daß sie in Differenzen mit den Vertretern der Bürgerschaft (Gemeinderäthen, Stadtverordneten etc.) jeder Nachgiebigkeit gegen diese voll beamtlichen Subordinationsstolzes den schiedsrichterlichen Ausspruch einer fürstlichen Oberbehörde vorziehen.

In unseren Tagen ist auch in dieser Beziehung Manches besser geworden, haben sich wieder Bürgermeister gefunden, welche in beharrlichem Kampfe für die freie Entwickelung der Städte und ihres Bürgerthums ihre oberste Pflicht erkannten und die in Wahrheit Bürgermeister, das heißt Muster als Bürger und Männer darstellten, bei denen die Tugenden der Vaterlandsliebe und der Freisinnigkeit sich von selbst verstanden. Wir haben den Lesern der Gartenlaube bereits zwei solcher Männer in Bild und Wort vorgeführt und lassen heute einen der würdigsten der zuletzt Heimgegangenen folgen: Johann Smidt, den Bürgermeister von Bremen. Wenn auch die amtliche Stellung dieser Häupter unserer freien Städte von denen in monarchischen Ländern bedeutend verschieden ist, indem diese der Regierung unterthan sind, während jene selbst die Spitze der Regierung bilden, nicht blos die städtischen Vorrechte, sondern zugleich die Ehrenrechte des Staats ausüben, Gesandte empfangen und schicken und somit vielfach auf diplomatischem Boden wandeln müssen, so ist doch gerade Johann Smidt einer von den Bürgermeistern gewesen, die auch in Beziehung auf ihre rein städtischen Arbeiten als Muster gelten können. Es ist nothwendig, daß unsere Städtebewohner allenthalben einsehen lernen, welche Wichtigkeit in der Ausübung ihres Wahlrechts liegt, daß sie prüfen lernen, welche Eigenschaften einen Mann zu einem solchen Amt befähigen, daß sie an glücklichen Beispielen schätzen lernen, wie viel Ehre, Wohlstand und Lebensfreudigkeit der Gemeingeist einer rührigen Bürgerschaft sicherlich in jeder deutschen Stadt zu schaffen vermag.

Johann Smidt war der Sohn eines Predigers an der St. Stephanikirche in Bremen und wurde am 5. November 1773 geboren. Er genoß die Erziehung seiner Zeit und bezog im Jahre 1792 die Universität Jena, von welcher damals die neue Lehre einer verjüngten Wissenschaft und Bildung ausging, denn dort stand Fichte eben in voller Jugendkraft, und eine Menge anderer bedeutender Männer wirkten ihm zur Seite.

Im Jahre 1795 kehrte er nach Bremen zurück zu selbstständigem Wirken auf der Grundlage einer gediegenen philosophischen, humanistischen und historischen Bildung; Geist und Gemüth aber [582] waren bis an sein Lebensende der Theologie zugewandt. Unter strebsamen Freunden und ohne feste Anstellung verflossen ihm die ersten Jahre nach seiner Rückkehr. Nachdem er auf Veranlassung der Predigers Stolz an der St. Martinikirche in Bremen, eines geborenen Zürichers, der zu seinem vertrautesten Umgange gehörte, sich in Zürich zum Prediger hatte ordinieren lassen, erhielt er im Jahre 1797 in Bremen die Stelle eines Professors in der philosophischen Facultät des Gymnasii illustris. Diese Stellung gewährte ihm reichliche Muße, um Vorlesungen über populär-wissenschaftliche Gegenstände zu halten und Politik zu treiben, bis er im Jahre 1799 das „Hanseatische Magazin“ begründete, von welchem im Ganzen bis zum Jahre 1804 sechs Bände erschienen. Wir geben zugleich eine Probe seiner Denk- und Schreibweise, wenn wir aus dem „Vorberichte“ zu diesem Magazin folgende Stellen mittheilen: „Bei allen den Unruhen und Verwirrungen,“ sagt er, „welche die furchtbaren politischen Phänomene unsers Jahrzehends auch hervorgebracht haben, ist es doch unleugbar, das diese merkwürdige Krise mehr wie irgend eine andere dazu beitrug, den Blick größerer und kleinerer Staatsgesellschaften auf sich selbst zu lenken und ihnen durch eine Selbstprüfung die Periode künftiger Vervollkommnung vorbereiten zu helfen. Der Gedanke, daß die individuelle Existenz eines jeden Staats einer Apologie vor dem Richterstuhle der Vernunft bedürfe, ist allgemeiner wie je zur Sprache gekommen, mehr wie sonst hat man angefangen es einzusehen, daß diese Apologie nur durch die Zweckmäßigkeit seiner ganzen innern Einrichtung begründet werden könne, daß die fortschreitende Vervollkommnung derselben zu den nothwendigen Bedingungen seiner künftigen Fortdauer gehöre, und daß es die angelegentliche Sorge jedes Staatsbürgers sein müsse, dazu Alles beizutragen, was er vermöge. Ueber das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks mußte man bald einverstanden werden, es konnte kein anderes sein als die volle Publicity dieser Sorge. Nur dann, wenn jeder in seinem Kreise das, was er der Verbesserung bedürftig hält, und die Mittel, welche er zu dieser Verbesserung zweckmäßig glaubt, ohne Scheu denen, welche dahin zu wirken vermögen, zur Prüfung darlegt, nur dann kann echter Bürgersinn der als der belebende Geist den todten Buchstaben jeder Verfassung lebendig und kräftig erhalten muß, empor kommen, nur dann kommt durch Menschen, wie sie sein sollen, auch der Staat, wie er sein soll, immer mehr dem Reich der Wirklichkeit näher. Die unumgängliche Nothwendigkeit einer solchen Publicität wird in Deutschland auch wirklich nachgerade so allgemein anerkannt, daß in unsern Tagen (1799!) gewiß weniger von dem Nutzen, als von der zweckmäßigen Anwendung derselben die Rede sein darf. Man hat aufgehört, Staatsgebäude wie Staatsgefängnisse zu betrachten, in deren wohlverwahrten Mauern nur eine heimliche Procedur ihrer ungestörten Ordnung sicher zu sein wähnt, und überzeugt sich vielmehr, daß nur da fröhlich und sicher zu wohnen sei, wo man das Licht nicht scheut und beim Schein desselben seine Bahn sich zu ebnen bemüht ist.“

Von diesem allgemein deutschen Standpunkt geht er dann auf den besondern der Hansestädte über, indem er sicher davon überzeugt ist, „daß Deutschland die Erhaltung oder Verwüstung seiner vorzüglichsten handelnden Seestädte nicht mit gleichgültigen Augen ansehen dürfe und ansehe.“ – „Zu steter Vervollkommnung werden wir fortschreiten,“ sagt er a. a. O., „wenn wir vor äußern Stürmen ebenso sicher sein könnten, wie wir es vor inneren sind; der Baum unserer Staatscultur trägt wirklich noch zu schöne Früchte. Durch übermäßige Abgaben wird unser Volk nicht gedrückt; es genießt die Producte seines Fleißes. Nicht nur das Maß der öffentlichen Abgaben legen wir uns selbst auf, sondern auch die Art derselben wird durch gemeinschaftliche Rath- und Bürgerschlüsse bestimmt, und was man freiwillig trägt, trägt man leicht.“ – „Wir haben keine privilegirten Stände, die Geburt schließt Niemand von irgend einem Amte aus, wozu er sich die Fähigkeit zu erwerben weiß“ etc.

Die äußern Stürme blieben nicht aus, und als Smidt im December 1800 in den Rath erwählt worden war, zielte sein ganzes Streben dahin, Bremen die eben erwähnten Vorzüge zu erhalten und, was in Folge der Fremdherrschaft verloren gegangen war, wieder zu erringen. In den ersten Jahren seines neuen Amtes wurde er, wie jeder Andere, nur zur Erledigung unbedeutender Arbeiten verwendet; aber gerade im rechten Augenblicke war die Bahn für ihn frei. Als das deutsche Reich in völliger Auflösung begriffen und in allen Staaten das zusammenhaltende Element angefault war, zog an der Seine das große Unwetter des Jahrhunderts sich zusammen: Napoleon warf mit kräftigem Stoß in der alten Welt Staat um Staat über den Haufen. Durch dieses erschütternde Ereigniß wurde Smidt an seinen rechten Platz gestellt. Inmitten der ihn umgebenden moralischen Fäulniß war er mit einem Häuflein Gleichgesinnter gesund geblieben und hatte unverzagt zugegriffen, um das Gute unter den Trümmern hervorzuziehen. Er rettete, was zu retten war, sein Bremen im Herzen, Deutschland im Auge, wohl wissend, daß es im Interesse Deutschlands sei, den Hansestädten die Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu erhalten.

Auf seinen einzelnen Wegen und schweren Gängen in der Zeit der tiefsten Erniedrigung können wir ihm nicht folgen, weil das Material dazu noch in den Archiven vergraben liegt. Nur an dem von ihm Errungenen läßt sich abmessen, wie er mit den damaligen faulen Zuständen gerungen haben mag. Je toller es draußen stürmte, desto zuversichtlicher stand er auf dem Fundamente seines Wahlspruchs: „Niemand wird getreten, er lege sich denn zuvor nieder!“ – Niemals hat er sich und seine Sache treten lassen. Still und ruhig ging er den sichern Weg auf das eine Ziel hin, welches er sich vorgesteckt hatte: Deutschlands Freiheit, Bremens Selbstständigkeit.

Daß Beides nur durch Waffengewalt errungen werden könne, darüber waren alle Einsichtigeren mit Smidt einig. Er wirkte im Dienste dieser Idee und wartete ruhig bis zum entscheidenden Moment, wo es galt, die nicht leichte Aufgabe zu lösen. Die Schlacht bei Leipzig war geschlagen und Bremen durch die ersten fliegenden Corps der Alliirten von französischen Truppen befreit worden. Deutschland lag in den Wehen einer Wiedergeburt, Napoleon’s Macht war für immer gebrochen. Diesen günstigen Moment ergriff Smidt, um bei der nun nothwendig eintretenden neuen Weltvertheilung die Selbstständigkeit den Hansestädten zu retten. Unter seinem Einfluß trat man kühn den großen Mächten mit einer Selbstconstituirung entgegen und war bereit, mit ihnen alle Opfer und Gefahren zu theilen. Schon am 5. November 1813 versammelte der Senat sich zum ersten Male wieder, und Tags darauf berief er die Bürgerschaft. Beide Corporationen proclamirten die Herstellung der bremischen Selbstständigkeit in unauflöslicher Verbindung mit Deutschland. Sofort ließ man die bremischen Truppen den alliirten Heeren sich anschließen. Smidt veranlaßte auch Hamburg und Lübeck, Bevollmächtigte in's Hauptquartier der Verbündeten zu senden, er selbst begab sich in dieser Eigenschaft für Bremen dahin und zog mit nach Paris, immer wach und rührig, wo es galt, die vaterländischen und vaterstädtischen Interessen zu vertreten. So wurde nicht allein die staatliche Form den Hansestädten wiedergewonnen und aus dem monarchistischen Fanatismus glücklich gerettet, sondern zugleich auch die ebenbürtige Stellung denselben neben den monarchischen Staaten im Bunde gesichert. Dies Alles verdankt man lediglich den Bemühungen Smidt’s, er wohnte dem Wiener Congresse bei, unterschrieb die Wiener Congreßacte, die deutsche Bundesacte und die Wiener Schlußacte, trat dann als Gesandter seiner Vaterstadt in die Bundesversammlung ein und wirkte dort von 1816 bis 1857. Im Mai 1821 gelang es ihm, den Elsflether Zoll durch den Bundestag definitiv zu beseitigen und damit ein Ziel zu erreichen, das man seit 200 Jahren angestrebt hatte.

Zum Bürgermeister von Bremen wurde Smidt am 26. April 1821 erwählt. Von dieser Zeit ab wendet sich seine Thätigkeit fast ausschließlich den vaterstädtischen Angelegenheiten zu. Hatte die wiedergewonnene Selbstständigkeit die alten überlebten Zustände auch einstweilen nur restaurirt, so galt es doch, dem angebrochenen neuen Tage gerecht zu werden, vor dessen hellem Strahle am allerwenigsten ein so weit blickendes Auge, wie das Smidt’s, sich verschließen konnte. Wir sehen ihn nun mit den veralteten Formen staatlicher und kirchlicher Verhältnisse ringen und endlich siegen. In der Kirche wurde den beiden Hauptconfessionen gleiche Berechtigung gewährt, wenn auch unter staatlicher Souverainetät; das Schulwesen wurde neu organisirt; eine sogenannte Handelsschule gegründet; im Staate die Finanzverwaltung vereinfacht; die Civilstandssachen wurden der Kirche entzogen und dem Staate übergeben etc. An die Stelle der Syndici trat eine „Commission für auswärtige Angelegenheiten“, deren Chef Smidt ward und blieb. Eine titellose Gleichheit Aller wurde eingeführt und all’ und jeder Bocksbeutel der „guten, alten“ Zeit abgeschafft, weil der Ehre und Würde des Staats damit nichts vergeben werde und davon die Erfüllung einer [583] würdigen nationalen Aufgabe nicht abhänge. Aber zu einer eigentlichen Verfassungsänderung kam es doch nicht; eine dieserhalb niedergesetzte Deputation schlummerte nach Vollendung eines Entwurfs wieder ein. Der nationalen Erhebung folgte eine politische Abgespanntheit; man war hier wie überall im deutschen Vaterlande zufrieden, daß die Fremdherrschaft ein Ende genommen. Smidt aber ließ sich dadurch nicht beirren. Die Kunst des Regierens hatte er vollständig begriffen und aus ihr erkannt, daß dem Staate eine Spitze, die wisse, was sie wolle, Noth thue, und daß darin die erste Bedingung eines gesunden Fortschrittes enthalten sei. Eine systematische Leitung müsse die Zügel straff halten und auf gevatterschaftliche Kannegießerei dürfe nichts gegeben werden. Um dies zu erreichen, müsse der Senat von allen Seiten unbeeinflußt dastehen und fortwährend eingedenk sein, daß die Leitung des Staats in seiner Hand ruhe. So stand denn Smidt fortan als die Spitze der Spitze immer mit wachsamem Auge auf seinem Posten.

Von dieser Zeit an hat manche Idee von weitreichenden Folgen, nachdem sie als trefflich von ihm erkannt worden war, Fleisch und Blut erhalten, und aus kleinen Anfängen ist Großes geworden. So nur eines in die Augen fallenden Beispiels von welthistorischer Bedeutung hier zu erwähnen: die Gründung Bremerhavens. Durch sie kamen Handel und Schifffahrt erst recht in Schwung, und dieser Schwung wirkte wohlthätig auf das ganze Gebiet der Weser zurück. Es lernte sich als einen untrennbaren Organismus fühlen, und die hannoverschen und bremischen Staatsmänner gaben diesem Gefühle in dem Staatsvertrage vom 11. Januar 1827 Ausdruck. Von Jahr zu Jahr steigt die Bedeutung Bremerhavens; es nimmt an Umfang zu; ein Wald von Masten ist auf der Rhede und in den beiden Bassins schon jetzt sichtbar, und wie mag dies erst werden, wenn das Dampfroß eine directe Verbindung mit dem Binnenlande hergestellt hat! – Diese Einwirkung auf die fernere Entwicklung der alten Hansestadt gehört ohne Zweifel zu Smidt’s segensreichsten Thaten.

So war das öffentliche Leben dieses deutschen Mannes und bremischen Patrioten; nicht weniger interessant und wohlthuend ist es, ihn in seinem Privatleben kennen zu lernen. Alles Große ist einfach und schlicht. Auch der große Mann behängt sich nicht mit schillernden Flittern. Smidt war ebenso einfach und schlicht als groß, ein Bürgermeister in des Wortes vollster Bedeutung. Mit Band und Orden hat er sich nie geschleppt; nur die eine Auszeichnung ist ihm geworden, die eines juristischen Doctortitels von der Universität Jena bei Gelegenheit der Elsflether Verhandlungen. Auch die Familientradition Smidt’s ist reich an rührenden Zügen seines einfachen und schlichten Charakters.

Smidt hatte sich am 1. Januar 1798 mit Wilhelmine Rode vermählt, einer Frau im edelsten Sinne des Wortes, ganz dazu geschaffen, dem großen Manne zur Seite zu stehen, und würdig, seine Gefährtin zu sein über die goldene Jahreszahl 50 hinaus. Johann Smidt, Bremens großer Bürgermeister, starb am 7. Mai 1857. Am 11. Mai ward er ebenso schlicht und einfach, als er durch’s Leben gegangen war, zu Grabe getragen, und am 5. November 1860 setzte ihm bremische Dankbarkeit ein Denkmal im großen Saale des Rathhauses. Die Festrede des Bürgermeisters Duckwitz schloß mit folgenden Worten: „So gehet denn heim und führet Eure Kinder und Eure Enkel zu diesem Standbilde und erzählet ihnen, wie der alte schlichte Bürgermeister mit männlicher Würde und länger als ein halbes Jahrhundert gestrebt hat, daß der Name Bremen überall mit Achtung genannt werde, und wie die Quelle seines ganzen Wirkens seine warme Liebe zur Vaterstadt und zum deutschen Vaterlande gewesen ist; und erzählet ihnen ferner, wie der Mann, den die Mächtigen der Erde ehrten, in seinem Familienkreise das Muster aller häuslichen Tugenden war. Lehret daher Eure Kinder und Eure Enkel ein Beispiel und Vorbild zu nehmen an diesem Mann, und nach dem Maße ihrer Kräfte zu thun, wie er gethan hat, auf daß auch sie in ferner Zukunft bereit seien, ihr Alles zu setzen an ihres Bremens Ehre!“ –