BLKÖ:Murska, Ilma von

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 19 (1868), ab Seite: 470. (Quelle)
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Murska, Ilma von (Sängerin, geb. in Croatien um das Zahl 1835). Als Kind aus gutem Hause, Tochter eines früheren k. k. Officiers, nachmaligen Statthaltereirathes in Pension, den die Agramer Zeitung „von schweren Schicksalsschlägen tief gebeugt“ nennt, erhielt Ilma im Hause ihrer Eltern eine sorgfältige, auf ein bescheidenes häusliches Glück berechnete Erziehung, und es wurde insbesondere auch das frühzeitig erwachte musikalische Talent des Mädchens gepflegt. Später aber, als der Kunstsinn Ilma’s sich entwickelte und es den Eltern klar wurde, daß der vorhandene mächtige Kunsttrieb unwiderstehlich nach Befriedigung in weiteren Kreisen ringe, da legten sich auch dem immer wiederkehrenden sehnsüchtigen Verlangen nach einer höheren Ausbildung im Gesange keine Hindernisse in den Weg, und Ilma von Murska erschien Mitte October 1860 in Wien, um sich im Conservatorium auszubilden. Allein Ilma wurde nicht aufgenommen, der auf den 1. October festgesetzte Aufnahmstermin war verstrichen. Die damalige Gesangslehrerin Frau Marchesi wagte es endlich auf eigene Gefahr, die angehende Schülerin nach einer vortrefflich bestandenen Aufnahmsprüfung in die Schulung zu nehmen. Frau Marchesi hatte ihrer Methode wegen mit Hemmnissen und Bitterkeiten zu kämpfen. Während dieselbe von Einigen in den Himmel erhoben wurde, zogen Andere sie in den Staub; daß sie in Ilma v. Murska eine in mancher Beziehung vortreffliche Schülerin gezogen, darüber ist kein Zweifel, wenngleich die treffliche natürliche Begabung [371] derselben die Mühe der Lehrerin gewiß sehr erleichterte. Die Lehrerin nahm nach ihrem Abgange von Wien die Schülerin im Herbste 1861 nach Paris, wo Ilma die auffälligsten Fortschritte machte und rasch von einem italienischen Impresario für Florenz engagirt wurde. Fräulein von Murska debutirte in Florenz im Theater „Pergola“ im März 1862 als Prinzessin in den „Hugenotten“ mit glänzendem Erfolge. Aber das Falliment den in allerhand ökonomische Bedrängnisse verwickelten Impresario lieferte die junge Sängerin auf Grund ihres mehrere Jahre hindurch bindenden Contractes in die Hände seiner Gläubiger und eines zweiten Impresario, der sie sodann nach Livorno, Barcelona, Catania u. s. w. führte. Ihr Talent wurde während dieser Zeit von mitleidloser, habsüchtiger Speculationssucht weidlich ausgebeutet, so daß sie vor übergroßer Anstrengung in eine Todeskrankheit verfiel. Sie feierte indeß schon im ersten Jahre ihrer Kunstcarrière wahre Triumphe. In Catania fand sie edle Menschen, welche eine Summe Geldes subscribirten, um der Frohne der armen Künstlerin ein Ende zu machen. Aus den Fesseln des sclavenartigen italienischen Contractes losgelöst, eilte das erschöpfte Mädchen seiner Heimat zu, um ihre Eltern zu besuchen und sich zu erholen. Auf der Durchreise in Wien, schon im Sommer 1863, stand sie an der Schwelle des hiesigen Opernhauses; aber da man sie nur als Anfängerin gelten ließ und sie die Fesseln eine längeren Contractes scheute, zog sie es vor, einstweilen in Pesth Gastrollen zu geben, wo sie den letzten Winter blieb und das dortige Publicum in eine anhaltend günstige Stimmung versetzte. Es folgten endlich die Gastrollen in Berlin, wo sie vom September 1864 ab, jedoch nur auf ein halbes Jahr, sich engagiren ließ. Der zufällige Besuch ihrer Familie in Wien brachte sie schließlich auf die Wiener Opernbühne als Gast, und sie gewann durch ihren Gesang und ihre Erscheinung das Publicum. Dieß im flüchtigsten Umrisse die Erlebnisse einer Künstlerin während ihrer freilich sehr kurzen Lehr- und Wanderjahre, deren tragikomische Details Stoff zu interessanten Mittheilungen böten. Man muß aber in der That die unermüdliche Ausdauer und Consequenz bewundern, mit welcher Ilma eine Aufgabe löste, die unter den gegebenen Umständen ein wahres Martyrium zu nennen ist. Ilma von Murska hat, wie schon aus ihrem Bildungsgang in Italien zu ersehen, zunächst ein italienisches Repertoir, und sie ist auch in der italienischen Oper besser an ihrem Platze als in der deutschen. Seit dem Jahre 1865 gehörte sie der Wiener Oper an. In den Ferienmonaten gab sie Gastrollen auf fremden Bühnen. Durch mannigfache Unglücksfälle[WS 1] gerieth sie Anfangs 1868 in solche Bedrängniß, daß sie, um sich von ihren Gläubigern Ruhe zu verschaffen, den Concurs angemeldet hat. Bei der darüber gepflogenen Verhandlung stellte es sich denn auch heraus, daß sie ebenso das Opfer widriger Geschicke als ruchloser Wucherer gewesen, die ihre oft nur augenblicklichen Geldverlegenheiten auf die empörendste Weise auszubeuten verstanden haben. Im letztgenannten Jahre hat die Künstlerin ihre bisherige Stellung an der Hofoper aufgegeben und soll, dem Zuge der neuesten Künstler-Aera folgend, gesonnen sein, jedes feste Engagement ablehnend, durch einträgliche Gastrollen ihre oberwähnten verwickelten Verhältnisse zu ordnen. Noch ist zu bemerken, daß Ilma [472] von Murska gewöhnlich als Fräulein Murska angeführt erscheint. Nach der Gerichtsverhandlung anläßlich des Concurses über ihr Vermögen nannten sie mehrere Journale Frau Eder-Murska, was sich einfach damit erklärt, daß die Künstlerin mit einem Major-Auditor in der Militärgrenze, Namens Eder, vermält ist. Nach den neuesten Berichten (Mitte November 1868) singt die Künstlerin in der Royal Italian Opera zu London. Sie sang die Lucia, die Königin der Nacht und die Elvira.

Agramer Zeitung 1863, Nr. 203; 1864, Nr. 80 u. 210. – Wiener (amtliche) Zeitung 1864, Nr. 191, S. 355, von Rud. Hirsch. – Neue freie Presse (Wiener polit. Journal) 1865, Nr. 138; 1866, Nr. 517; 1868, Nr. 1236 [Beurtheilungen des Musik-Referenten Hanslick verschiedener Rollen der Sängerin, als Lucia, Amina, Constanze, Dinorah]. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1864, Nr. 228; 1865, Nr. 22; 1866, Nr. 248; 1868, Nr. 91, im Local-Anzeiger. – Fremden-Blatt von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1865, Nr. 321; 1867, Nr. 101; Nr. 197, in der Beilage; 1868, Nr. 92 . – Neues Fremden-Blatt (Wien, 4°.) 1867, Nr. 303 [unter den Theater- und Kunstnotizen]. – Bohemia (Prager polit. und Unterhaltungsblatt, 4°.) 1864, Nr. 186, S. 352. – Zur künstlerischen Beurtheilung der Sängerin Murska. „Die Summe dessen“, schreibt Professor Hanslick, „was an Fräulein Murska’s Gesang überraschend und vorzüglich ist, besteht in fünf hohen Tönen und einem schönen Triller. Als Lucia (in der Braut von Lammermoor) überschritt die Künstlerin das Niveau anständigen Mittelgutes in netto zwei Tacten: der Trillerkette vom zweigestrichene As nach dem hohen Des im zweiten Finale. Ihre Höhe etwas vom F aufwärts ist zwar nicht besonders kräftig, aber silberhell und leicht ansprechend; Mittellage und Tiefe sind matt und klanglos. Die Triller schlägt Fräulein Murska, wie gesagt, ganz vorzüglich, rein und schmetternd, mit deutlichster Distanz beider Töne, höchstens im Nachschlag nicht ruhig und breit genug. Außerdem hörten wir sehr geschmeidige correcte Scalen, Arpeggien und Staccoto’s. Die Wirkung des Trillers erreichen indeß ihre Passagen nicht, sie sind leicht, geläufig, aber nicht glänzend, dazu ist schon die Stimme (die von Bravourpassagen doch meist in großem Umfange durcheilt wird) zu unbedeutend. Ueberdieß fehlt Fräulein M.’s Coloratur die echte, ohne Beseelung nicht denkbare Anmuth, ja mitunter aller Kunstgeschmack. Das richtige Gefühl, hier ihre einzige Stärke zu besitzen, treibt die Sängerin oft zu einer unrichtigen Ausbeutung derselben: als Lucia that sie viel zu viel Zierrath aus Eigenem hinzu, selbst als Prinzessin in „Robert“ genügte ihr der von Meyerbeer massenhaft gespendete Flitter nicht. Immerhin bleibt die Bravour Fräulein Murska’s, auch abgesehen vom Triller, eine sehr bedeutende, sobald man sie nicht mit dem höchsten Maßstabe, sondern an dem Niveau unserer deutschen Primadonnenkunst mißt.,“ – Anderthalb Jahre nach diesem ersten Urtheile über die Künstlerin im Allgemeinen ergänzt derselbe Kritiker seine Ansicht über dieselbe in folgender Weise, anläßlich der von ihr gesungenen Rolle der Amina in Bellini’s „Somnambula“ und Constanze in Mozart’s „Entführung aus dem Serail“, „Bellini’s Amina“, schreibt Prof. Hanslick, „verlangt neben der vollendeten Coloratur einen durchaus seelenvollen getragenen Gesang, eine durch Wahrheit und Einfachheit rührende Darstellung. Der ersten virtuosen Aufforderung genügte Fräulein Murska vollkommen, höchstens, daß einige Geschmacklosigkeiten, wie die überladene Ausschmückung des Schlußrondo’s, störten. Hingegen fehlte ihrem Vortrage der überzeugende Ausdruck des Gefühls, dem Spiel und Gesang die letzte veredelnde Grazie, der ganzen Erscheinung endlich der frühlingsduftige Hauch der Natur. In dem langen Andante des letzten Finales fand übrigens Fräulein Murska unter glücklicher Anwendung der mezza voce Töne von zarter Empfindung die uns überraschten. Es wäre ungerecht, Fräulein M. geradezu Kälte vorzuwerfen, sie besitzt eine gewisse elementarische Wärme und Lebhaftigkeit, welche sie, eine vorzüglich musikalische Natur, aus dem musikalischen Elemente schöpft, und die meist in einzelnen flüchtigen Blitzen aus Accentuirung und Phrasirung unwidersprechlich hervorleuchten. Aus den dramatischen Elementen der Rolle jedoch überspringt nicht ein Funke in die Sängerin, Situation und Charakter stehen gleichsam äußerlich wie Decorationsstücke neben ihrem Gesange. In [473] jüngster Zeit, namentlich seit der „Dinorah“, machte Fräulein M. einen günstigeren Eindruck, als nach ihren Gastrollen. Nicht als ob die Weihe seelenvollen Ausdruckes oder dramatischer Gestaltungskraft sich seither eingestellt hätte, wohl aber, wie uns dünkt, ein häufigeres Hervortreten jener „elementarischen“ Wärme, welche, sie sei auch nur ein Product musikalischen Empfindens, oder rein subjectiver Erregung, doch mittelbar das ganze Bild belebt und uns näher rückt. Die Constanze in Mozart’s „Entführung“, eine schwindelerregende, nur von wenigen Sängerinen vollständig bewältigte Partie, hob gerade Fräulein Murska’s Vorzüge, ihre leicht ansprechende, einschmeichelnde Höhe und ihre bedeutende Coloratur in das hellste Licht. „Constanze“ ist nichts weiter, als ein virtuoses, dramatisch lebloses Gesangs-Präparat. Dabei ist die Form dieser Coloratur so veraltet, die Cantilene so steif pathetisch, daß eine moderne Sängerin nur mit einiger Selbstverläugnung an das Studium dieser mehr mühevollen, als lohnenden Aufgabe gehen mag. Von Fräulein M. haben wir zum erstenmal diese halsbrecherischen Passagen nicht bloß correct, sondern leicht und mühelos singen gehört, und verdanken es ihr, daß wir wenigstens den lebensvollen ersten Act dießmal mit ungetrübtem Behagen genossen. Dinorah und Constanze haben als absolute Coloratur-Partien recht eigentlich das Terrain aufgewiesen, auf welchem Fräulein Murska eine Rivalin auf unserer Bühne weder hat, noch seit längerer Zeit gehabt hat. ... Aber in dem gewiß nicht unwichtigen Puncte des Costums scheint Fräulein M. völlig rath- und hilflos. Hier hätte eine gebildete Regie wohl das Recht, künstlerisch zu interveniren und zu verhindern, daß z. B. die „arme Waise Amina“ in schwerer Seide erscheine, sich mit abscheulich hochgestelzten Stiefletten in’s Bett lege und bei ihrer nächtlichen Dachpromenade eine lange Schleppe hinter sich herziehe, die sie mit gar nicht somnambuler Bewegung hoch aufnehmen muß, um nur zur Noth über den Steg herabzukommen. In der „Entführung“ sehen wir Fräulein Murska zum erstenmal gut costumirt; freilich ist die Haremstracht nicht zu vergreifen und verträgt eine grellere Instrumentirung.“ In diesen Urtheilen eines bewährten Musikkritikers sind alle Vorzüge und Mängel der Künstlerin zusammengefaßt, und erscheinen die ersteren als in solcher Vortrefflichkeit seltene Naturanlagen, die letzteren als Mängel einer tüchtigen künstlerischen Ausbildung, die sich nicht bloß auf fleißige Schulung der Stimme, sondern auch auf das von den meisten Sängerinen nur zu sehr vernachlässigte Beiwerk, als Spiel, Mimik, Costum u. dgl. m. ausdehnen muß.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Unglücksfalle