BLKÖ:Rzewuski, Leon Graf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 27 (1874), ab Seite: 346. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
in der Wikipedia
Leon Rzewuski in Wikidata
GND-Eintrag: 1028971605, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Rzewuski, Leon Graf|27|346|}}

Rzewuski, Leon Graf (polnischer Schriftsteller, geb. im Jahre 1808, gest. zu Krakau am 21. October 1869). Ein Sohn des berühmten Orientalisten Wenzel (II.) Graf Rzewuski [S. 353] aus dessen Ehe mit Rosalia gebornen Fürstin Lubomirski [siehe deren Biographie S. 340]. Unter der unmittelbaren Leitung seiner berühmten Mutter erhielt er zugleich mit seinem im Alter von 24 Jahren verstorbenen Bruder Stanislaus eine sorgfältige Erziehung. Dann schickte ihn die Mutter zugleich mit dem erwähnten Bruder Stanislaus nach Paris, wo dieser die philosophische Doctorwürde erlangte und zu den schönsten, leider durch seinen frühen Tod vereitelten Hoffnungen berechtigte, während Leon mit Eifer dem Studium der Sprachen und Geschichte oblag. Im Jahre 1824 kehrte R. in seine Heimat zurück und trat bald darauf zugleich mit seinem Bruder zu Warschau in die sogenannte Applicationsschule, eine zur Ausbildung in militärischen Fächern bestimmte Anstalt, in welcher Leon drei Jahre verblieb. Aus dieser Anstalt trat Leon zur berittenen Artillerie über, wo er, während er seinen Dienst that, sich weiter wissenschaftlich fortbildete und den sich vorbereitenden Ereignissen – es war kurz vor Ausbruch der Revolution – mit aufmerksamem Blicke folgte. Nicht er und nicht sein Bruder – Stanislaus diente bei der Fußartillerie – wurden von den Verschwörern, welche an den Vorbereitungen zum Aufstande arbeiteten, in’s Geheimniß gezogen, aber Beide wußten es, wie die Dinge standen. Dabei stand Leon selbst bei dieser Partei in so hohem Ansehen, daß diese, obgleich sie seiner Gegnerschaft nach dieser Seite gewiß war, doch sich in allen Dingen, die von einiger Wichtigkeit waren, die Kenntniß seiner Ansicht und wie er darüber dachte, zu verschaffen wußte. Als nun der Aufstand wirklich ausbrach, befand sich Leon bei seiner Batterie in Siedlce, aber schon am dritten Tage fand er sich in Warschau ein, wo er im Club der Edelleute eine für die damaligen Verhältnisse im hohen Grade großartige und einflußreiche Thätigkeit [347] entfaltete. Sein Bruder Stanislaus, bereits brustleidend, mußte den Dienst, so schwer ihm dieser Schritt ward, verlassen und starb bald darauf in Krakau. Leon aber kämpfte in den Schlachten jener Tage, wie Augenzeugen berichten, mit einer Bravour ohne Gleichen, erhielt das Kreuz und wurde Stabschef im Corps des Generals Lubieński. Leon zählte damals 22 Jahre. Nachdem der Aufstand durch die Russen gebrochen war. verließ R., wie so viele Andere, das Land und begab sich auf die bedeutenden Güter in Galizien, welche er von seinem Vater ererbt, der eben in dieser Revolution spurlos verschwunden, bis man erst in späten Jahren sein trauriges Ende durch einen Raubmord entdeckt hatte. Leon R. ließ sich nun auf seiner im Zloczower Kreise Galiziens gelegenen Herrschaft, in dem wegen seiner Schönheit und seinen reichen Ausschmückungen berühmten Schlosse Podhorce bleibend nieder. Dort mitten unter alten und kostbaren Gemälden, einem an geschichtlichen Erinnerungen reichen Archiv, einer ansehnlichen, mit den wichtigsten Werken seiner Heimat und des Auslandes ausgestatteten Bibliothek lebte er seiner geschäftigen Muße, den Erinnerungen an seine Familie, an sein Volk, deren geistige Ausbeute er in seine in späteren Jahren (1860) herausgegebene Chronik von Podhorce – die Titel seiner Werke folgen weiter unten – niedergelegt hatte. So verbrachte er mehrere Jahre daselbst, machte auch von Zeit zu Zeit größere Reisen, auf welchen er seinem Beobachtungsdrange und Wissenseifer folgend, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart an den verschiedensten Orten sorgfältig studirte, mit den berühmtesten Nationalökonomen und Politikern in persönlichen Verkehr trat und so durch eigenen Augenschein die Materialien zu Arbeiten sammelte, mit denen er in der Folge in die Oeffentlichkeit trat und worin er auf die Nothwendigkeit einer neuen Ordnung der Dinge, auf eine Reform der socialen Verhältnisse drang. Von diesem Gedanken getragen, begründete er in Lemberg im Jahre 1849 das politische Blatt „Postęp“, d. i. der Fortschritt, das im Anbeginn von Karl Widman und Johann Zacharjasiewicz unter seiner unmittelbaren Beeinflußung redigirt wurde. Aber schon nach einigen Monaten zog er sich von dieser journalistischen Thätigkeit zurück und gerieth in der Folge auf ein anderes. das religiöse Gebiet, dem er bis an sein Lebensende treu blieb. Diesen Gesinnungswechsel scheint die Liebe eingeleitet und vollzogen zu haben, denn im Jahre 1850, als eben die Centralisationspläne des Ministers Bach den polnischen Edelleuten Galiziens wenig Aussichten auf ein Selfgouvernement eröffneten, und die Politik für einige Zeit feierte, heirathete Graf Leon die Gräfin Taida Malachowski und trat nun von dem Gebiete der Politik und socialen Reformen auf jenes des Glaubens und der Religion über, welches er seither nicht verließ. Er wurde nun ein Wohlthäter der Kirchen und Klöster, aber auch der Armuth, wovon die Vorstadt Kieparz in Krakau, wo er sich zu Anfang der Sechziger-Jahre bleibend niedergelassen, genug zu berichten wüßte. Dort nannte Alles ihn und seine Gemalin nur „unsere Herrschaft“, indem die Bewohner dieser Vorstadt, der ärmsten Krakau’s, durch die zahllosen Wohlthaten. welche ihnen das Paar erwies, im Dankgefühl sich gleichsam in einem Dienstverhältnisse zu demselben stehend betrachteten. Noch bei seinen Lebzeiten verkaufte Graf Leon seine ansehnlichen, in Galizien gelegenen Güter [348] Podhorce, Zahorce, Hucisko und Chwalow an den Fürsten Sanguszko. Von dem Kaufschilling wurden dem Käufer 30.000 fl. ohne Rechnungslegung gegen die Verpflichtung belassen, das Schloß in Podhorce, als ein dem Volke theures Andenken, in seiner jetzigen Gestalt zu erhalten, eventuell entsprechend zu restauriren und alle darin befindlichen historischen Erinnerungen, Möbel, Rüstungen, Gemälde u. s. w. sorgfältig zu bewahren. Die Zinsen eines weiteren, dem Fürsten Sanguszko vom Kaufschilling belassenen Betrages von 10.000 fl. wurden zu Unterstützungen der Landleute auf den obenbenannten vier Gütern bestimmt. Auch konnte dieser Betrag zur Stiftung eines ständigen Wohlthätigkeitsinstitutes für die gekauften Güter verwendet werden. Weitere 10.000 fl. bestimmte Graf Rzewuski zum Unterhalt des röm. katholischen Pfarrers in Podhorce und 4500 fl. zu Belohnungen für langjährige Dienste seiner Privatbeamten auf den genannten Gütern. Vom Verkaufe hatte der Graf ausgeschieden mehrere Familienreliquien, darunter die Rüstung seines Ahnherrn Florian Rzewuski, ein Oelbild der Mutter Gottes zu Chelm, der Schloßpatronin des Schlosses, und seine Bibliothek. Die Titel der von R. herausgegebenen, theils polnischen, theils französischen Schriften sind: „Zdania o slużebnościach prawie wyborczém ...“, d. i. Gutachten über die Dienstbarkeiten u. s. w. (Lemberg 1848, 8°.); – „List do Skrzyńskiego o socyjalizmie“, d. i. Brief an Skrzyński über den Socialismus (ebd. 1848); – „O dążnościach reorganizacyjnych w spóleczeństwie“, d. i. Von den reformatorischen Zwecken in der Gesellschaft (Krakau 1849); – „Essai sur le principe de la souveraineté“ (ebd. 1849); – „Étude sur l’organisation de la société politique“ (Paris 1849); – „De la réprèsentation suite a l’écrit sur la souveraineté“ (ebd. 1849); – „Wstęp do praktycznego wykladu teoryi produkcyi rolniczej“, d. i. Einleitung zu einer praktischen Erklärung der Theorie von der landwirthschaftlichen Production (Krakau 1850, 12°.); – „Wyklad początkowych pojęć teoryi produkcyi rolniczej“, d. i. Erörterung der ursprünglichen Begriffe von der Theorie der landwirthschaftlichen Production (ebd. 1851); – „Augustyna swiętego o prawdziwości religii katolickiej“, d. i. Ueber die Echtheit der katholischen Religion vom h. Augustin (Krakau 1854); – „S. Augustyna o kazaniu pańskiem na gorzie księgi dwie“, d. i. Die zwei Bücher des h. Augustin über Christi Bergpredigt (ebd. 1854); – „Kronika Podhoreczka 1706–1779“, d. i. Chronik von Podhorce aus den Jahren 1706–1779 (ebd. 1860. 8°.). Außer den vorgenannten Schriften, deren bibliographische Titel mir aufzufinden gelang, gab R. noch heraus: „La reforme sociale ou la question autrichienne“; – „Opinions et croyances“, letzteres eine halb religiöse, halb philosophische Schrift, und übersetzte Tauler’s geistliche Schriften (ustawy duchowne) und die Betrachtungen des h. Johann vom Kreuze (Rozmyślanie S. Jana od Krzyza) in’s Polnische. Im Frühlinge seines Sterbejahres machte R. noch eine Reise nach Rom. Als er von derselben heimkehrte, brachte er den Keim des Leidens, das ihn bald darauf dahinraffte, mit. Er ist in Krakau bei den Kapuzinern begraben, an der Seite, wo vor mehr als vier Jahrzehnden sein Bruder Stanislaus zur ewigen Ruhe eingescharrt wurde.

Leon hr. Rzewuski wspomnienie pośmiertnie, [349] d. i. Leon Graf Rzewuski. Nekrolog (Krakau 1870, 27 S. gr. 8°.). (Diese von Z. L. Dębicki verfaßte und herausgegebene Erinnerungsschrift war schon vordem in der Lemberger Zeitung „Unia“ 1869, Nr. 32–34, im Feuilleton abgedruckt.] – Czas, d. i. die Zeit (Krakauer polit. Zeitung) 1869, Nr. 272, im Feuilleton [ein panegyrisch gehaltener Nekrolog von Pawel Popiel]. – Dziennik literacki, d. i. Literarisches Tageblatt (Lemberg, 4°.) 1869, Nr. 43, S. 698. – Wiener Zeitung 1865, Nr. 244, in der Rubrik: „Stiftungen“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1865, Nr. 293.