BLKÖ:Schmidt, Agnes
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 30 (1875), ab Seite: 207. (Quelle) | |||
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[208] und nun war ihre Wahl entschieden, sie blieb bei der Bühne. Vier Jahre hindurch sang sie an kleinen Bühnen, dann in Königsberg, zuletzt in Hamburg. Bilden konnte sie sich bei dem Umstande, daß sie möglichst viel Geld verdienen mußte, gar nicht, und so besaß sie wohl eine herrliche, aber ganz ungeschulte Stimme, die aber doch ihren Zauber ausübte. Als sie in Hamburg sich befand, sollte sich ihr Schicksal ganz eigenthümlich entscheiden und zuletzt glänzend entfalten. In Paris lebte um diese Zeit der bekannte Pianist Richard Mulder, den traurige Familienereignisse und der Verlust einer geliebten Frau trübsinnig gemacht hatten. Die Aerzte schickten den melancholischen Pianisten auf Reisen und auf diesen kam Mulder nach dem reichen Valparaiso in Chili, wo man eben ein herrliches Opernhaus fertig gebaut hatte, dem aber die Hauptsache, die Sänger, fehlten. Die Regierung hatte nun auch das Engagement einer vollständigen Operntruppe beschlossen, und Mulder, dessen tüchtige Musikkenntnisse man in der Zwischenzeit kennen und schätzen gelernt, wurde der Antrag gemacht, nach Europa zu reisen, die nöthigen Engagements zu besorgen und dann die Direction der Gesellschaft zu übernehmen. Hauptbedingung war eine Primadonna mit jugendlicher Gesangskraft und gleichzeitig tüchtiger Fähigkeit als Darstellerin, angenehmer Erscheinung und frischem Feuer. Mulder reiste ab, durchzog Italien und Frankreich und hatte bald Alles gefunden, was er brauchte, nur die Hauptsache fehlte – eine Primadonna. Die Eine sang vortrefflich, hatte aber kein Spiel, die Andere hatte dieß, aber eine mangelhafte oder schlecht geschulte Stimme. Die Zeit zur Rückkehr drängte immer mehr und mehr, und eben in dieser Noth traf Mulder mit dem Pariser Sänger Roger zusammen, der gerade von seinem Triumphzuge in Deutschland heimkehrte. Als Mulder dem Sänger seine Noth klagte, meinte dieser: „O, ich kann Ihnen vielleicht helfen, ich habe in Hamburg in den „Hugenotten“ mit einem Fräulein Schmidt gesungen, die besitzt alle Vorzüge, die sie suchen; aber sie hat deutsche Schule“. – „Nun, da ließe sich nachhelfen“, meinte Mulder. Darauf ging’s in gerader Linie nach Berlin und dort zum Theater-Agenten Heinrich. Dort erfuhr Mulder, daß wirklich in Hamburg eine Sängerin Agnes Schmidt sich befinde, die eine ausgezeichnete Gesangskraft und ein ganz vorzügliches Mädchen sei, welche ein besseres Loos verdiene. Als Mulder den Agenten fragte, was er damit meine, erzählte dieser, daß Agnes ihre arme Familie, darunter einen taubstummen Bruder, erhalte und so nicht die Mittel zu höherer Ausbildung erschwingen könne. Ohne länger zu säumen, ging Mulder nach Hamburg, hörte die Sängerin singen und hatte gefunden, was er gesucht. Er begab sich nun zu Agnes Schmidt und machte ihr den Antrag, aber Agnes zagte vor der großen Entfernung, auch war sie durch den Contract gebunden und lehnte ab. Letzteren versprach Mulder zu lösen, er begab sich auch sogleich zum Director, der 7000 Mark Abstandsgeld forderte. Mulder nahm keinen Anstand, die Forderung zu zahlen, wenn Agnes ihre übrigen Bedenken überwunden. Er ging noch einmal zu ihr und sprach ihr zu, aber erst, als er ihr versprach, ihre künstlerische Ausbildung in seine Hand zu nehmen und für dieselbe zu sorgen, erst diese Zuversicht, endlich einmal sich zur Künstlerin heranbilden zu können, erst dieß bestimmte sie, seinen Antrag anzunehmen, und so folgte sie, [209] nachdem sie noch für ihre Angehörigen gesorgt, Mulder an ihren neuen Bestimmungsort. Auf der Reise zur See genoß sie Mulder’s Unterricht und machte Fortschritte ohne Gleichen. Aber eine bittere Wahrnehmung mußte das brave Mädchen, welches nur ihre deutsche Zofe mitgenommen, während der Ueberfahrt auf dem Schiffe machen. Alles hielt sich von ihr ferne, weil man sie für die – Geliebte Mulder’s hielt. So sehr Agnes dieß kränkte, setzte sie sich doch im Gefühle ihrer Unschuld darüber hinweg und beschränkte sich auf die Gesellschaft mit ihrer deutschen Zofe. Noch eines mußte geschehen, um dem Vorurtheile der Menge zu begegnen. Mit dem deutschen Namen Schmidt ging es bei einer italienischen Operngesellschaft in Valparaiso nicht. Dafür wurde auch Rath geschafft; unter ihren mütterlichen Verwandten befand sich eine Familie Fabbri, den Namen derselben nahm sie nun an und ihren Taufnamen Agnes verwandelte sie in’s Spanische, Inez. Der Erfolg, den sie in Valparaiso feierte, war ein glänzender. Das eiferte sie in ihren Studien noch mehr an, die sie mit aller Gründlichkeit betrieb. Da traf sie Mulder eines Tages in Thränen. Als er nach der Ursache ihres Kummers fragte, theilte ihm Agnes mit, ihr Kammermädchen habe in Valparaiso einen deutschen Koch getroffen und heirathe, und nun sei sie ganz allein. „Ei, so heirathen Sie auch“, rief ihr Mulder zu. Erstaunt blickte sie den Maestro an: „Ich? Wen denn, um Gotteswillen?“ – „Nun mich, Ihren Maestro Richard Mulder, wen denn sonst?“ Und Agnes Schmidt, alias Inez Fabbri, wurde Frau Mulder, und nachdem sie unter der sorgfältigen Anleitung ihres Gatten die rechte Höhe der Kunst erstiegen und als fertige Künstlerin unter dem Namen Fabbri-Mulder in New-York den höchsten Triumph gefeiert, begann sie ihre Künstlerlaufbahn durch die neue und alte Welt.
3. Schmidt, Agnes (Sängerin, geb. zu Wien um das Jahr 1845). Bekannter unter dem berühmten Namen Inez Fabbri-Mulder. Ihr Vater, Sammt- und Peluchefabrikant in Wien, wurde durch die allmälige Abnahme dieser Industrie gleich vielen Anderen hart betroffen und sah sich und seine zahlreiche Familie der drückendsten Sorge preisgegeben. Agnes hatte unter solchen Verhältnissen die Kinderjahre verlebt, und als sie heranwuchs, gingen ihr der Kummer und die Entbehrungen der Ihrigen immer mehr zu Herzen. Wohl zeigte sich früh die ungemein günstige Anlage ihres Talents, aber Mangel aller Mittel und dann die Angst um das sittliche Wohlergehen ihres Kindes hielten die Eltern von einem entscheidenden Entschlusse ab. Der Schullehrer aber, auf ihre herrliche Stimme aufmerksam geworden, empfahl sie verschiedenen Kirchen-Capellmeistern und so wurde sie zuweilen in den Musikmessen einzelner Kirchen verwendet. Als aber die Noth im Elternhause mit jedem Jahre wuchs, ließ sich das Mädchen nicht länger halten. „Ich muß Geld verdienen“, sagte sie eines Tages zu ihrer älteren Schwester, „ich darf ein Talent, das mir Gott gegeben, nicht nutzlos verkümmern lassen. Ich bin zwar nicht musikalisch ausgebildet, als ich aber gestern bei Capellmeister Seibold mein O salutaris einstudirte, war ein Theaterdirector zugegen, und als der mich singen hörte, meinte er, meine Stimme sei wie für die Bühne geschaffen; da seine erste Sängerin plötzlich erkrankt sei, wolle er mich mit einem kleinen Vorschusse für zwei Monate engagiren. Ich will sein Anerbieten annehmen. Willst du mich begleiten, so werde ich dir ewig dankbar sein, nur verrathe den Eltern kein Wort von Allem, mein Entschluß steht fest. ich reise für jeden Fall.“ Zwei Wochen später debutirte in Kaschau ein blutjunges hübsches Mädchen als Lucretia Borgia und gefiel ganz außerordentlich. Die Oper wurde bei überfülltem Hause dreimal hintereinander gegeben. Dasselbe war mit der Oper „Belisar“ der Fall, in welcher sie die Antonine sang, und schließlich erzielte sie ein glänzendes Benefice. Von diesem improvisirten Ausfluge brachte nun Agnes einiges Geld in’s Elternhaus,- Wiener Theater-Chronik, 1869, Nr. 33, im Feuilleton: „Ines Fabbri“. – Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt (Leipzig, Ernst Keil, gr. 4°.) Jahrg. 1862, Nr. 9, S. 141: „Stoff für einen modernen Künstler-Roman“, von O(tto) R (uppius).