Baffetto

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Autor: Franz von Gaudy
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Titel: Baffetto
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[81]
Baffetto.
Novelle von Franz Freiherrn Gaudy.[1]


Unter den römischen Kaffeehäusern zweiten Ranges ist das Café Gnocchi eins der bekannteren. Es liegt an der Ecke der Via felice und Via di Porta Pinciana. Trotz dieser günstigen Lage in einem fast ausschließlich von Fremden bewohnten Viertel wird es doch weder von diesen noch von den Römern der bessern Classen eben sonderlich aufgesucht. Selten nur verirrt sich ein Maler auf seinem eiligen Gange nach dem Atelier in die unfreundliche, düstere Bottega, um seinen caffé dolcissimo schnell hinunter zu schlürfen und die Bajocchi auf den Marmortisch zu werfen. Desto stärker wird das Café dagegen von den zahlreichen Schwärmen der Modelle, welche auf dem Monte Pincio in der Nähe der deutschen Künstler horsten, besucht. Zu jeder Tageszeit findet man dort weißbärtige Greise, welche abwechselnd den heiligen Hieronymus und den Straßenbettler spielen, rothgekleidete Albanerinnen mit weißem Kopftuch und Korallenschnüren, Pifferari mit Dudelsäcken und der Pfauenfeder auf dem Hut, und Lumpe aller Art auf den ledernen Bänken herumrutschen und schwatzen, rauchen oder schlafen.

Unter der letzteren Classe, der Faulpelze, spielte Luigi Pastone oder der Baffetto[2], wie er von seinem langen, freiwachsenden Bart gewöhnlich genannt wurde, eine Hauptrolle. Seine Mutter war aus Genzano gebürtig und an einen dortigen Hirten verheirathet gewesen. Nach Luigi’s Geburt hatte man sie in das Haus des Prinzen Castrucci berufen, um dem neugeborenen Stammhalter des Geschlechts die Brust zu reichen. Späterhin hatte sich Anna Pastone in Rom niedergelassen und that sich bei Suppenvertheilungen in den Klöstern durch den größten Topf und die lauteste Stimme besonders hervor.

Ihr Söhnlein Luigi, oder in der Abkürzung Gigi, die einzige Frucht ihrer Ehe und der Held meiner Erzählung, erwuchs wie die Lilie auf dem Felde, ohne zu säen, ohne zu spinnen und vom himmlischen Vater dennoch gekleidet – wenn auch just nicht ganz so glänzend wie jenes blühende Symbol der Jungfräulichkeit. Seine Jugend war so ziemlich die aller römischen Straßenbuben; er bettelte, stahl – obwohl nur in den äußersten Nothfällen –, aß, wenn er etwas hatte, und wärmte sich an Fasttagen mit den Hunden im Sonnenschein. Wir sehen unseren Helden in den früheren Jahren bald auf dem Geländer der spanischen Treppe hinunterrutschen, bald während des Carnevals echte Confetti unter den Hufen der Pferde und zwischen den Rädern aufsuchen, bald bei Processionen neben den kerzentragenden Mönchen herlaufen und das herabtröpfelnde Wachs in Düten oder mit der bloßen Hand auffangen, bald auch als Kreuzträger, wenn die Knaben des Viertels sonntäglich in die Pfarrkirche getrieben wurden. Unter diesen und ähnlichen harmlosen Beschäftigungen erreichte Luigi das zwanzigste Jahr, war lang und schlank in die Höhe geschossen und stark und kräftig geworden – nur daß er fortwährend an einem verzehrenden Hunger, an einem noch peinigenderen Durst und einer an’s Fabelhafte grenzenden Arbeitsscheu litt.

Um diese Zeit war es, wo ein deutscher Künstler, der für sein Genrebild einen echten birbaccione[3] brauchte, auf der Piazza Barberina unsern Gigi auf dem Bauche liegend Karte spielen sah. Er machte ihm den Antrag, ob er ihm für drei Paul täglich Modell stehen oder vielmehr liegen wolle, ein Vorschlag, welcher von dem edlen Jüngling mit Freuden angenommen ward. Luigi folgte dem Maler in sein Studium, streckte sich lang auf die Erde, brauchte nichts zu thun, als eben nichts zu thun, und bekam für seine Mühe ein schönes blankes Apostelstück. Die Sache gefiel Pastone, und allmählich reifte in ihm der Entschluß, sich ganz diesem neuen Beruf zu widmen. Von Stund’ an ließ er sich Bart und Haare frei wachsen, nahm den Titel Baffetto an und verlegte seine Residenz nach dem Café Gnocchi, welches er nur verließ, um es gegen die Villeggiatur in den umliegenden Weinkneipen zu vertauschen.

Wir müssen eingestehen, daß Baffetto keinen Fehlgriff begangen hatte, als er sich für den Stand eines Modells entschied: er vereinigte beide Hauptrequisiten eines Lumpenlebens, Müßiggang und mühlosen Erwerb. In kurzer Zeit ward er unter den Künstlern bekannt und von ihnen gesucht, so oft es rasende Rolande, Räuber oder überhaupt Rabbiate und Hallunken zu malen gab. War keine Nachfrage nach Bösewichtern, so ließ sich Baffetto wohl auch herab, den Facchino zu spielen, einen Brief auf die Post zu tragen, einen Pudel zu scheeren oder sich sonst einer Beschäftigung zu unterziehen, die ihm eine halbe Stunde kostete und einen halben Paul einbrachte. Das Tagewerk war dann beendet – fünf Bajocchi klimperten in der Tasche, und davon ließ sich beim Friggitore ein Blatt Papier, angehäuft mit dampfendem Blumenkohl, bezahlen, eine Fogliette Albaner Weins, und beim Tabakshändler hinreichender Stoff, um die Bajoccopfeife bis zur sinkenden Nacht in Brand zu erhalten. Vor der Thür des Café Gnocchi mit über die Achsel geworfener Jacke sitzend, den Dampf gemüthlich vor sich hinblasend, mit jedem hübschen Mädchen auf der Straße sich neckend und wieder geneckt, fühlte Baffetto sich selig und hätte nicht mit dem Senatore von Rom getauscht. Alle Vorschläge, die ihm von Diesem oder Jenem gemacht wurden, ein solides bürgerliches Geschäft zu unternehmen, beantwortete er nur mit geringschätzigem, überlegenem Lächeln. Der Eckstein der Via Felice, setzte er wohl dann noch hinzu, sei ihm [82] ein zu alter Freund, als daß er ihm treulos werden könne. An seiner Seite habe er gelebt, an seiner Seite wollte er auch sterben. Welch ein nichtig Ding es aber um die Hoffnungen und Vorsätze der Menschen sei, sollte auch Baffetto erfahren.

Eines Nachmittags rüttelte ein kleiner Bube Baffetto aus der süßesten Siesta und schrie dem Verschlafenen in’s Ohr, er möge augenblicklich nach Haus kommen, mit seiner Mutter steh’ es gar übel, sie selber glaube keine Stunde mehr am Leben zu bleiben und verlange sehnlichst ihn vor ihrem Tode noch einmal zu sprechen. Lockern gleich in den untern Ständen die Familienbande zeitig genug, so brachte ihn diese Nachricht doch schnell genug auf die Beine. Keuchend stürmte er die engen Treppen hinan, trat in das niedere Dachstübchen, in welchem Frau Anna Pastone auf der mit Maisstroh gestopften Matratze lag, und rief gegen die Krante mit jenem halben Zorn, welcher bei rohen Gemüthern Schmerz oder Wehmuth bezeichnen und verhüllen soll: „Aber Mutter, was sind denn das einmal wieder für Einfälle? Sterben wollen – Sanguinaccio di Dio! Laßt Euch doch solche Gedanken vergehen.“

„Nein, nein,“ seufzte die Alte mit matter Stimme, „ich fühl’s wohl, mit mir geht’s zu Rande. Aber höre, Gigi, vorher muß ich Dir noch ein Geheimniß anvertrauen – merk’ auf: Du bist nicht mein Sohn, sondern der der Prinzessin Castrucci. Ich habe Euch Beide vertauscht, um meinem Kinde das reiche Gut zuzuwenden. Ach, Gigi, sei mir nur nicht bös – noch ist’s ja nicht zu spät, meine Sünde zu bekennen – es kann noch Alles gut werden.“

Baffetto fuhr verdutzt zurück und schüttelte, halb an der Möglichkeit der Aussage zweifelnd, halb daran glaubend, langsam den Kopf. „Hört einmal, Alte,“ hob er endlich an, „da habt Ihr einmal wieder einen verzweifelt dummen Streich gemacht. Ich – der Sohn des Principe – ach, geht doch – Ihr faselt. Und wenn ich’s nen wirklich wäre – wer glaubt’s mir denn? He?“

„Geh’ zum Pater Tommaso, Gigi, in’s Kloster Maria sopra Minerva. Er ist der Beichtvater der alten Principessa. Sag’ ihm – er möge gleich herkommen und mein Bekenntniß vernehmen – aber gleich. Geh – spute Dich – eh’s zu spät wird.“

„Je nun, wenn’s damit abgemacht wäre, den Pater wollen wir schon herbeischaffen. Aber hört, Mutter!“ rief er, in der Thür noch einmal sich umwendend, „zum Sterben ist’s ja noch immer Zeit. Geduldet Euch doch nur, bis ich mit dem Padre zurückkomme, sonst ist meine ganze Prinzlichkeit – pfüt!“

Der ehrwürdige Pater Tommaso ließ vor Schrecken seine Schnupftabaksdose fallen, als er Baffetto im Kreuzgange auf sich losstürzen sah; er wähnte, wie er späterhin erzählte, einen entsprungenen Tollhäusler vor sich zu haben, als dieser ihm mit entsetzlicher Brigantengrimasse vordeclamirte, wie er der eigentliche Principe Castrucci sei, wie seine Mutter, welche aber nicht seine Mutter wäre, im Sterben liege, und was nun dergleichen verwirrtes Zeug mehr war. Jemehr der Mönch sich retirirte, je hastiger stürmte Baffetto auf ihn ein – es brannte ihm auf den Nägeln. Beide schrieen aus vollem Halse, der Dominicaner um Hülfe, der noch nicht bestätigte Prinz nach einem Zeugen. Jede Minute Verzug konnte ihm die Fürstenkrone kosten, und um eine solche hat Mancher schon weit mehr Lärmen gemacht. Es verging wohl eine halbe Stunde, ehe sich die schreienden Parteien durch Intervention einiger fremden Mächte verständigen konnten, eine andere halbe Stunde, ehe sich der Padre auf den Weg gemacht, und alles Treibens des Kronprätendenten ohnerachtet noch eine dritte halbe, bis er die in der Via della Purificazione gelegne Wohnung der alten Anna Pastone erreicht hatte. Wider alles Erwarten war die Mutter nicht nur noch am Leben, sondern auch noch bei hinreichendem Bewußtsein, um ihr Bekenntniß in Gegenwart des Padre Tommaso und zweier Zeugen wiederholen zu können. Ja, sie schien sich sogar, nachdem sie jene Felsenlast von ihrem Gewissen gewälzt, neu belebt zu fühlen, indem sie unmittelbar nach dem Geständniß eine verzehrende Sehnsucht nach einer Schüssel Stockfisch mit Pomidori äußerte, und allen Warnungen zum Trotz die ihr nur zögernd gereichte Speise mit staunenswürdigem Appetit verspeiste.

„Wir sind alle, meine Kinder,“ begann der Mönch mit salbungsvoller Stimme, „Zeugen eines der außerordentlichsten Wunder gewesen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß es San Domenico, der Stifter unseres heiligen Ordens, gewesen sei, welcher das Herz eines sündigen Weibes auf dem Todtenbette gerührt, sie zum freiwilligen Bekenntniß ihrer Schuld bewogen hat und sich erbarmungsvoll der unterdrückten Unschuld annimmt.“

„Mancomale!“[4] brummte hier Beifall nickend die unterdrückte Unschuld Baffetto in den Bart.

„Und,“ fuhr der Dominicaner fort, „daß es endlich die Wunderkraft des Heiligen sei, welche der reuigen Sünderin neue Lebenskräfte verleiht, um das glorreich begonnene Werk zur Verherrlichung des allerheiligsten Glaubens eben so glorreich zum Ziele zu führen. Preis ihm und Ruhm dafür durch alle Ewigkeiten. Amen! Somit nehme ich denn keinen Anstand, Euch, Eccellenza, mit dem Titel Eurer erlauchten Vorfahren als Prinz Castrucci von Castro San-Martino zu begrüßen. Ich ermahne Euch, dem Himmel und dessen Heiligen, vor Allem aber San Domenico für die Euch bewiesene Gnade auf den Knieen zu danken, und die Aufrichtigkeit Eurer Erkenntlichkeit durch reiche Gaben an die Armen, und besonders an die Zuflucht derselben, ich meine unser Kloster von Santa Maria sopra Minerva, zu bethätigen. Vor der Hand aber ersuche ich Ew. Excellenz, das Geheimniß Eurer erhabenen Geburt noch auf kurze Zeit zu bewahren, bis ich Zeit gehabt, Eure erlauchte Mutter, die Principessa Maria Castrucci, deren Beichtvater zu sein ich unwürdigerweise berufen bin, auf diesen überraschenden Fall vorzubereiten, und Euch in ihre Arme zu führen. Schon morgen schmeichle ich mir, mein Prinz, Euch als solchen in den Palast Eurer Väter geleiten zu dürfen.“

Mit einer tiefen Verbeugung wandte der Dominicaner sich zum Gehen, da erhaschte Prinz Baffetto den Scheidenden beim Aermel des fliegenden Gewandes und zischelte ihm heimlich zu: „Padre, es wär’ doch ein hübsches Ding, wenn Ihr mir noch heute auf Abschlag meiner Erbschaft ein Stücker zwei, drei Thaler geben wolltet. Mit dem Prinzwerden ist mir der ganze Nachmittag verloren gegangen. Da sollte ich bei dem deutschen Maler an der Ecke von Via Rafella Modell stehen – hätte meine drei Paoli verdient – sicher ist sicher – wenn mich die alte Principessa nicht mag, so bin ich um mein Geld.“

„Seid ohne Furcht, mein Sohn, Eure Mutter wird Euch nicht verleugnen, die fürstliche Erbschaft Euch nicht entgehen. Wohl bin ich nicht der Mann, über zeitliche Güter zu gebieten – in sofern Ihr aber einstweilen das Scherflein der Wittwe nicht verschmäht, so sei es Euch gar willig gereicht.“

„Zeigt her, Padre,“ rief ungeduldig der Prinz und starrte mit großen Augen auf das keine Lederbeutelchen, welches der Mönch hervorzog. „Zwei Papetti[5] – noch drei – macht einen Scudo – her damit – noch einen Paul – reicht just zu einer Flasche Orvieto. Nichts weiter? – Va bene. Bis morgen langen wir schon. Auf Wiedersehn, Padre. Elf Paul in der Tasche – per Bacco! da kann man schon den Signore spielen.“

Die verwittwete Prinzessin Maria Castrucci war eine ältlich-kältliche, vornehm-gedörrte Dame, gehörig geizig und über alle Maßen bigott. Sie war hochgewachsen und hager; ihre regelmäßigen Gesichtszüge hätten in früheren Jahren auf Schönheit Anspruch machen können, wenn sie nicht eben von jener verbissenen Galle und Hochmuth, und im Gegensatz wieder von frömmelnder Kriecherei gezeugt hätten. Nase lang und zugespitzt, der Mund mit häßlicher Faltendraperie und blassen Lippen, Wangen unmäßig geschminkt, das Haar gepudert, ewig den Rosenkranz zur Hand, in einen kleinen Divan gesenkt, auf welchem neben ihr nur noch der kurzathmige Leibmops Platz hatte, vor ihr auf einem niedrigen Tabeuret ein grobkuttiger Mönch oder ein geschniegelter Abbate.

Der Prinz Gaetano Castrucci, ihr bisher geglaubter Sohn, ein liebenswürdiger junger Mann und echter Cavalier, war von seinem aufgeklärten Vater sorgfältig erzogen und, den Sitten des römischen Adels gänzlich zuwider, schon frühzeitig in’s Ausland gesandt worden. Dort hatte er nun wohl freilich Mancherlei gesehen und gelernt, was mit den in der lieben Heimath als normal geltenden Grundsätzen collidirte; namentlich hatte die Priesterherrschaft ihren Nimbus in seinen Augen eingebüßt. Als der alte Principe Manlio Castrucci das Zeitliche gesegnet hatte, war Gaetano nach Rom zurückgekehrt, um sich der Verwaltung der ihm zugefallenen Güter zu unterziehen. Er fand seinen Palast in eine Synode von schwarzen, weißen, braunen, grauen, barfüßigen, beschuhten, bärtigen und glattkinnigen Mönchen verwandelt, und der letzte Kahlkopf hatte mehr darin zu sagen, als er selber. Vergeblich versuchte er alle Mittel, um das heilige Ungeziefer aus seinen vier Wänden zu bannen – er erkannte leider die Wahrheit des Sprüchwortes, [83] daß Wanzen zehnmal schwerer als Ratten, Pfaffen aber hundertmal schwerer als Wanzen zu vertreiben sind. In diesen Bestrebungen war er mit den geistlichen Gewissensräthen oft stark aneinander gerathen und hatte sich den Haß aller, besonders aber den des Beichtvaters seiner Mutter zugezogen. Auch mit dieser, die fest an ihrer geschornen Leibwache hielt, war Gaetano zerfallen und in der Ueberzeugung, daß er bei ihren Lebzeiten doch nichts ausrichten könne, nach Neapel gegangen, wo er die Stelle eines königlichen Kammerherrn bekleidete. Dort war es, wo er eine junge liebenswürdige Engländerin kennen lernte, ihre Neigung zu gewinnen wußte und sich mit ihr verlobte – ein Schritt, welcher den Bruch mit der Mutter und den Hausgeistlichen vollends unheilbar machte, denn Albions blonde Tochter vermochte weder mit ihrer Grafenkrone, noch mit den echten Perlen der fünf Nullen, welche hinter der Pfund-Sterlings-Ziffer zogen, den unseligen Makel, in einem andern Glauben aufgezogen worden zu sein, zu bedecken.

Pater Tommaso ließ sich bei der Prinzessin anmelden, nahm ihr gegenüber auf dem Rohrsessel Platz und begann hierauf mit gefalteten Händen und verdrehten Augen einen erbaulichen Sermon über wundersame Fügungen des Schicksals, den er endlich mit der Aufklärung schloß: „Euer Gebet, Eccellenza, ist erhört. Nicht daß eben jener verlorene Jüngling sich in Demuth bekehrt und sich zur apostolischen Demuth gewendet habe, sondern indem das wunderbare Bekenntniß einer zerknirschten Sünderin mir offenbarte, daß jener auf einem edlen Zweige sprossende Holzapfel nur durch einen schnöden Betrug auf das fürstliche Reis gepfropft ward. Ich will deutlicher sprechen: die Amme, Anna Pastone, gestand es ein, wie sie von sträflicher Habsucht geblendet die Säuglinge verwechselte, ihren eigenen niedrig gebornen Sohn an Euer Herz zu legen sich unterfing, und Euern adligen Sproß bis auf die jetzige Stunde in der Verborgenheit schmachten ließ. Jauchzet, Signora, preiset die Heiligen, daß der Himmel Euch von dem unwürdigen Sohne befreite. Doppelt beglückte Mutter! Euer echter wohlgebildeter Sohn seufzt nach dem Augenblick, wo er sich Euch zu Füßen werfen darf. Vergönnt mir das Glück ihn nach so langer Trennung in Eure Arme zu führen.“

Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Prinzessin den Zusammenhang des Kindertausches und ihr harrendes Glück begriffen hatte. Der Mönch ließ aber nicht ab, bis der Casus Ihrer Durchlaucht einleuchtend wurde, und sie ohne Verzug einen Courier an Don Gaetano abfertigen ließ mit einem Schreiben, worin ihn Padre Tommaso mit höflichen, aber ziemlich kalten Worten ersuchte, sich gefälligst nach andrer Erbschaft, Mutter und Namen umzusehen, und ihm für die letztern vacant gewordenen Artikel Anna und Luigi Pastone in Vorschlag brachte.

Nachdem die fürstliche Beichttochter sich so bereitwillig gezeigt hatte, ihren bisherigen Sohn aufzugeben, äußerte sie das billige Verlangen, den Stellvertreter so bald als möglich zu sehen. Pater Tommaso fühlte aber gar wohl, daß Baffetto noch einiger leiser Retouchen bedürfe, ehe er seiner fürstlichen Mama mit Erfolg vorgeführt werden könne, vertröstete daher dieselbe auf den folgenden Morgen und legte ihr bis dahin zu zweckdienlicher Zerstreuung auf, ein Dutzend Rosenkränze abzubeten. Demüthig fügte die Prinzessin sich auch diesem Gebot.

Als der ehrwürdige Padre sich am folgenden Tage nach der Via di Purificazione begab, traf er die alte Anna Pastone frisch und munter, als ob ihr niemals ein Finger weh gethan hätte, auf der Thürschwelle den Rocken spinnend und erfuhr aus ihrem Munde, daß der nunmehrige Prinz Gaetano Castrucci oder Baffetto, wie wir ihn lieber noch fernerhin, um Mißverständnissen vorzubeugen, nennen wollen, des Nachts über nicht nach Hause gekommen. „Der Himmel mag wissen,“ schloß der unehrerbietige Bericht der Amme, „wo der Schlingel stecken mag.“ Kopfschüttelnd wandte sich der Pater nach dem Café Gnocchi, um seinen Schützling aufzusuchen, aber auch dort war er seit Jahren zum ersten Mal ausgeblieben. Niemand vermochte über den Vermißten bestimmte Auskunft zu geben, und nur eins der Modelle wollte gehört haben, daß der Baffetto sich am vergangenen Abend in der Fiaschetteria della Villeta in Orvieto übernommen, Schlägerei angefangen habe und darauf von den Gensdarmen arretirt worden sei.

Der Dominicaner erschrak heftig bei dieser Nachricht. Sehr kleinlaut begab er sich nach dem nächsten Wachthause und fand dort wirklich den Prinzen Baffetto in tiefster Selbstbetrachtung versunken unter der Pritsche schnarchend.

Das Fürwort des Priesters genügte, um die Freilassung des Arrestanten zu erwirken. Ungestüm riß ihn der Pater aus der Wache und begann in einer eindringlichen, wohlstylisirten Rede ihm vor allen Dingen die Pflichten seines erlauchten Stammes zu Gemüth zu führen. Nie fiel ein fruchtbarerer Samen auf steinigeres Land. Se. Durchlaucht stellten sich höchst ungebehrdig an, tobten und wetterten, und geruhten schließlich die Versicherung zu geben, daß, wenn sie nicht Abends in die Osterie gehen und sich toll und voll trinken dürften, der Kuckuck ein Prinz sein und der Mönch sich einen andern Narren aussuchen möge.

„Eilt dann wenigstens, Eccellenza, Euch anzukleiden, Eure Toilette für die Vorstellung zu ordnen.“

Baffetto guckte erst den Priester, dann sich selber mit großen Augen an. „Ankleiden? Ich? Bin ich’s denn nicht? He? – Hab’ ich nicht expreß für die Mama Prinzessin meine roth- und blaugestreifte Fascia[6] umgegürtet, und die rothe Wollkappe aufgesetzt? Was wollt Ihr mehr, Padre?“

„Euern Bart, mein Prinz, dieses häßliche, wild durcheinander wuchernde Gestrüpp, welches Euch das Ansehen eines Banditen verleiht, schneidet es ab.“

„Das sei ferner von mir,“ erwiderte Baffetto, „als der Januar von Maulbeeren. Jung und Alt kennt mich als Baffetto, und ein Baffetto ohne Bart ist wie ein Papst ohne Cardinäle. Und nun macht, daß wir an Ort und Stelle kommen, Padre. Mich verlangt nach meinem Palast und einem guten Frühstück.“ – Bald standen sie vor ersterem.

Hatte nun der Prinz schon die Geduld des Mönchs auf so harte Probe gesetzt, so that die Dienerschaft vollends das Ihrige, um sie zu erschöpfen. Der Schweizer verwehrte mit vorgehaltenem Rohrstock Baffetto den Eingang, und nachdem jener mühsam beschwichtigt worden, weigerte der Kammerdiener sich, einen Lumpen, wie Figura zeige, bei Ihro Excellenz anzumelden. Baffetto drohte mit seiner allerhöchsten Ungnade – der Cameriere bohrte ihm einen Esel. Es hätte nicht viel gefehlt, und Fürst und Unterthan wären einander in die Haare gerathen. Der Böse schien an diesem Tage mit vollen Händen Unkraut unter den Weizen zu streuen.

Was den Ueberredungskünsten des Padre nicht gelungen war, vermochte ein zur rechten Zeit dem Cerberus-Kämmerling in den Rachen geschobenes Fünf-Paulstück. Er verstummte, und die Thüren des Fürstengemachs öffneten sich.

Die Ueberraschung der Prinzessin beim Anblick ihres verlornen und wiedergefundenen Söhnleins war mehr großartig als angenehm zu nennen. Sprachlos lehnte sie sich in der Ottomane zurück und maß den Ankömmling, welcher mit pinselhaftem Lächeln seine rothe Mütze zerknüllte, mit kalten, durchdringenden Blicken. „Mit nicht geringer Befremdung,“ hob sie endlich langsam an, „machen wir die Bemerkung, daß das fragliche Subject weder mit den unserm Herzen so tief eingegraben Zügen unsers erlauchten, nunmehr verewigten Gemahls, noch mit unsern eignen auch nur die leiseste Aehnlichkeit trägt, und wohl eher den markirten Stempel einer höchst vulgären Persönlichkeit.“ – Der Pater rieb sich verlegen die Hände, ließ einige Worte von überraschenden Spielen der Natur fallen und wagte die Vermuthung, daß nach Fällung des entstellenden Bartwuchses sich ohnmaßgeblich die hochfürstlichen Familienzüge deutlicher herausstellen würden. Die Prinzessin wiegte nachdenkend den Kopf, schellte nach dem Kammerdiener und beauftragte diesen: Se. Excellenz den Principe Gaetano de’ Castrucci in seine Gemächer zu geleiten, dort aber ihn aus seinem Urzustande zu reißen und ihm ein menschliches, womöglich fürstliches Ansehen zu verleihen.

Baffetto ließ sich geduldiger abführen, als man es hätte vermuthen sollen. Die Prinzessin Mutter und der Dominicaner blieben zurück, um zu berathen, wie dem überaus rohen Juwel in kürzester Frist die unerläßliche Politur zu ertheilen sei.

Die Stunde zum Mittagsessen hatte längst geschlagen, und das Diner war bereits servirt, aber weder Prinz noch Kammerdiener ließen sich sehen. Der ausgesandte Maggior duomo[7] fand die Versöhnten in brüderlicher Eintracht mit sehr schmutzigen Karten, den Albumblättern, welche Se. Durchlaucht aus dem Café Gnocchi gerettet hatten, alla Zecchinetta spielend. Der Prinz war übrigens im Gewinn und in rosenfarbigster Laune. Nur widerstrebend und mit der Versicherung, baldigst Revanche zu geben, unterbrach er die Partie.

[84] Uebrigens hatte der Cameriere sein Möglichstes an Baffetto gethan – er war kaum wieder zu erkennen. Sein Gesicht war bis auf das kleine Stutzbärtchen auf der Oberlippe glatt wie seine flache Hand geworden, die Locken fügten sich in die vorgeschriebenen Spirallinien; Wäsche, Kleidung und was noch sonst den äußerlichen Menschen macht, und einstweilen aus der Garderobe des Exprinzen entlehnt war, stand in richtigem Verhältniß zu dem Uebrigen. Baffetto war ohnehin kein übles Bürschchen, und so geschah es denn, daß die Principessa ihr Wohlgefallen zu äußern, einige Aehnlichkeit in den Nasenflügeln mit denen ihres seligen Eheherrn zu finden geruhte, und ihm die Hand gnädigst zum Kusse reichte. Baffetto drückte sie herzhaft genug, um der Altezza einen hellen Schrei zu erpressen.

Im Allgemeinen muß man dem Prinzen Baffetto rühmend nachsagen, daß er sich unglaublich schnell in seine neue Stellung zu finden wußte, und dies um so leichter, weil einestheils zwischen dem Ton eines echt modischen Dandy und dem eines Eckenstehers wirklich keine so mächtige Kluft liegt, als man zu glauben geneigt sein möchte, anderntheils aber, weil bei Erlauchten das für Genialität gilt, was bei niedriggeborenen Erdensöhnen Flegelei heißen würde. Ließ sich daher der junge Prinz in der Zerstreuung oder durch allzu lebendig werdende Erinnerung an vergangene Zeiten verleitet mitunter einige Mißgriffe zu Schulden kommen, sprang er mit Federhut und Degen hinten auf seine eigene Staatscarosse statt in dieselbe, oder verlor er sich aus den langweiligen Conversazioni der Salons in das Erdgeschoß, um beim Takt des Bratenwenders mit irgend einer stämmigen Küchendirne den Saltarello zu tanzen, zog er wohl gar in Gesellschaften den zwängenden Frack aus, um ihn auf Birbaccioni-Manier über die Achseln zu werfen, und verkroch er sich in einen Winkel des Friedenstempels, um mit den dortigen Steinschneidern ungestört alla Mora zu spielen – so that dies der Liebenswürdigkeit des Naturkindes, wie er in der großen Welt hieß, noch keinen Abbruch, und machte ihn vielmehr in den Augen der Damen nur noch interessanter. In den Soiréen riß man sich um die naive Durchlaucht. Sein Glück bei den Frauen war entschieden, und schon sprach man von einer Vermählung mit der Tochter eines steinreichen Banquiers, welcher, mit Schwefelhölzchen anfangend, sich eine Herzogskrone erwuchert hatte. Pater Tommaso erntete von der sich mehr und mehr mit ihrem neuen Sohne versöhnenden Prinzessin die schmeichelhaftesten Danksagungen für seine segensreiche Einmischung, sein Kloster die splendidesten Dotationen. Die Dienerschaft hätte sich für den herablassenden Gebieter todtschlagen lassen, und auf der ganzen Welt waren nur zwei Personen mit jenem Tausche nicht zufrieden, nämlich erstens die alte Anna Pastone, welche sich in ihren sanguinischen Hoffnungen gewaltig getäuscht sah, indem Prinz Baffetto ihr die späte Anerkennung seiner fürstlichen Geburt und den dadurch entstandenen Verlust an Götterstunden, wie sie ihm jetzt zu Theil wurden, zum Verbrechen anrechnete und nichts von ihr wissen, ja sie nicht einmal vor Augen lassen wollte; zweitens aber der ehemalige Prinz Gaetano Castrucci oder Luigi Pastone, wie er nunmehr heißen sollte.

Dieser war just, als der Courier mit dem enterbenden Briefe an ihn abgefertigt wurde, im Gefolge seines Monarchen nach Sicilien hinüber gereist. Dem steten Wechsel seines Aufenthalts, so wie der mangelhaften Verbindung im Innern der Insel war es zuzuschreiben, daß jenes Schreiben erst nach Monatsfrist an seine Bestimmung gelangte. Es war ein zerschmetternder Schlag für ihn. In seiner bisherigen Stellung zu verharren, verwehrte ihm sein Stolz, er gebot ihm ferner freiwillig von dem Schauplatz abzutreten, noch ehe die Geschichte seines Unglückes ruchbar geworden sei. Augenblicklich reichte er seine Entlassung ein und reiste nach Neapel zurück. Seiner Verlobten als namenloser Abenteurer gegenüber zu treten, fühlte er sich unfähig, und so löste er denn mit blutendem Herzen die Verbindung, entband die Gräfin schriftlich ihres Worts und ließ sie nur aus unbestimmten Ausdrücken ahnen, daß ein unverschuldetes Unglück ihn zwinge, auf das Glück seines Lebens zu verzichten. Hierauf eilte er nach Rom mit dem Entschluß, von dort aus in’s Ausland zu gehen und in fremden Kriegsdiensten den Tod zu suchen.

Es war an einem jener schönen Wintertage, wie nur der römische Februar deren aufzuweisen hat, als der tiefgebeugte Gaetano in den Anlagen des Monte Pincio auf und nieder wandelte, und endlich in schwermüthige Gedankten versunken an der steinernen Balustrade stehen blieb und über das zu Füßen liegende herrliche Rom, dem er nun auf ewig den Rücken kehren sollte, die Augen gleiten ließ. Rom ist schon so schön, so unendlich schön in den Augen des Fremden, des zum ersten Male in dessen Herrlichkeit schwelgenden – um wie weit schöner aber in denen des Scheidenden, eines seine Vaterstadt auf immer Verlassenden!

Ein Bettelweib trat an Gaetano und flehte ihn um der Madonna willen um eine Gabe an. Schweigend reichte er ihr eine Silbermünze. Da faßte die Bettlerin den Geber in’s Auge, schrie hell auf und warf sich ihm zu Füßen: „Ihr seid es, Eccellenza!“ kreischte sie. „Und Ihr reicht mir ein Almosen, mir, der verlorenen Seele, der falschen Zeugin, die Euch um Alles, Alles brachte! Euch, der Ihr an meinem Herzen ruhtet, dem ich meine Brust reichte! Und für wen habe ich diesen Frevel auf mein Haupt geladen und meine ewige Seligkeit verwirkt? Für wen anders, als für meinen gottlosen, undankbaren Buben, der jetzt seine eigene Mutter verleugnet und von ihrer Sünde schwelgt! Eccellenza, Principe, um der Leiden des Heilands willen vergebt mir, auf daß ich ruhig sterben könne. Ich will ja Alles widerrufen – dem Pater Tommaso, der mich zu falschem Zeugniß angestiftet hat, ihm, der Principessa, aller Welt in’s Gesicht sagen, daß ich damals gelogen, daß Ihr der einzige wahrhafte Sohn des verstorbenen Herrn seid. O, erbarmt Euch Eurer armseligen Amme, Eccellenza! Gott, Ihr wißt nicht, wie schwer die Versuchung ist, seinem Kinde mit einem Worte Reichthum und Herrlichkeit zuwenden zu können, wie tief es schmerzt, einen undankbaren Sohn zu haben! Vergebt, Principe, vergebt einer armen Sünderin!“

Vergebens mühte sich Gaetano, seine ehemalige Amme zu beschwichtigen – sie fuhr fort, unter Thränenströmen die Brust zu zerschlagen, das Knie ihres Pflegekindes zu küssen und sich vor dem immer dichter herandrängenden Kreis der Neugierigen mit lauter Stimme zu beschuldigen, wie sie dem Einreden des Mönches Gehör gegeben, um durch ihren Sohn Baffetto den echten Sprößling der fürstlichen Ehe zu verdrängen.

In diesem Augenblicke rollte ein eleganter Wagen vorüber, in welchem ein ältlicher Herr und eine junge Dame saßen. „Dort ist er ja!“ rief die Letztere mit freudeleuchtenden Augen. „So leicht, Don Gaetano, glaubtet Ihr mir zu entschlüpfen? Habt Ihr gewähnt, daß Euer Unglück ein hinreichender Grund sei, mich zu fliehen? Stolzer Mann, so dachtet Ihr denn nur allein an Euch?“

Es war die Gräfin, welche schon in Neapel das Schicksal ihres Verlobten erfahren hatte und ihm in Begleitung ihres Vaters, mit dem festen Entschlusse, auch dem namen- und güterlosen Geliebten die Hand zu reichen, gefolgt war.

Ihr Edelsinn ward belohnt. Zu viele Zeugen waren bei dem freiwilligen Bekenntniß der alten Anna zugegen gewesen, als daß Pater Tommaso sie hätte einschüchtern und zum Widerruf bewegen können. Sie wiederholte ihre Aussage vor Gericht und enthüllte das ganze Gewebe der gegen Gaetano angesponnenen Intrigue. Feierlich wurde er in seinen Rang und seine Güter wieder eingesetzt, und Pater Tommaso in ein entferntes Kloster, ich glaube nach Palazzuola, versetzt. Die Prinzessin ging vor Verdruß, sich von ihrem Vertrauten hintergangen und den ungeliebten Sohn im Besitz seines vollen Erbes zu sehen, in das Stift der adligen Nonnen von Santa Eusemia.

Baffetto brach, als er seine Entthronung vernahm, in ein lautes Accidente! aus, resignirte sich jedoch mit bewunderungswürdiger Fassung und trat wiederum in den Privatstand zurück. Von Neuem thront er auf seinem geliebten Eckpfeiler an der Via Felice, hat sich den Bart wieder wachsen lassen, steht Modell, scheert zur Abwechselung Pudel und präsidirt nach wie vor im Café Gnocchi. „Als ich noch Prinz von Castrucci war,“ lautet der Anfang seiner meisten Erzählungen. Allen meinen Freunden, die nach Rom kommen, kann ich den Baffetto mit gutem Gewissen empfehlen. Er ist die gutmüthigste Haut von der Welt, anspruchslos und bescheiden, trotz seines vierwöchentlichen Fürstenstandes, und dienstfertig, ja sogar ehrlich, so oft nämlich seine Beinkleidertaschen nicht durchlöchert sind, und er dann in der Zerstreuung das ihm anvertraute Geld durch die Spalten schlüpfen läßt.


  1. Unter dem Nachlaß dieses schon im Jahre 1840 in der Blüthe der Mannesjahre gestorbenen liebenswürdigen Dichters fand sich die obige noch ungedruckte Novelle, die, als eine letzte Gabe desselben, der nicht geringen Zahl seiner Verehrer sicher willkommen sein wird.
    D. Red.
  2. Diminutiv von baffi, Schnurr- und Knebelbart.
  3. Lump.
  4. So mußt’ es kommen!
  5. Papetto, ein 2 Paulstück, von denen 5 auf einen Scudo romano gehn.
  6. Baumwollener Gurt der Römer niedrer Stände und des Landvolks.
  7. Maggior duomo, der Aelteste unter der Dienerschaft.