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Ballhäuser und Spielhallen

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Titel: Ballhäuser und Spielhallen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 475–476
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ballhäuser und Spielhallen.

Wenn wir heute von Ballhäusern sprechen, so verstehen wir darunter Häuser, in welchen getanzt wird. Die wenigsten unserer Zeitgenossen wissen, daß es einst Ballhäuser gegeben hat, in welchen ein anderes Bewegungsspiel fleißig geübt wurde, weite Hallen, in welchen jung und alt mit Ballwerfen und Ballschlagen sich vergnügte. Diese alten Ballhäuser sind heute fast spurlos verschwunden; aber es dürfte gerade in unseren Tagen von Belang sein, wieder einmal an die alten Einrichtungen zu erinnern. Geht doch ein frischer Zug durch unsere Städte; man hat den Wert der Bewegungsspiele für die Gesundheit wieder erkannt, und zahlreiche Vereine suchen die vergessene Vorliebe für Spiele im Freien im deutschen Volke wieder wachzurufen.

Da wird vieles empfohlen und versucht, was einst ehrsame Bürger und die frohe Jugend belustigt hat. Wettlauf, Speerwerfen, Steinstoßen, Reigen u. dergl. Vor allem aber erwirbt sich das Ballspiel in seinen verschiedenen Formen zahlreiche Freunde.

Kein Wunder! Das Ballspiel ist ein uraltes Belustigungsmittel. Zu Odysseus’ sagenhaften Zeiten vertrieb sich die schöne Nausikaa mit dem Balle die Zeit. Die Kulturvölker des Altertums pflegten eifrig das Ballwerfen, und nicht anders war es in den rauheren Ländern des europäischen Nordens. Die alten Germanen hielten ihre Ball- und Kugelspiele oft mit festlichem Gepränge ab, namentlich in der holden Frühlingszeit erfreute sich dieses Spiel bei dem Landvolke einer großen Beliebtheit. Als die Zeit kam, wo Städte in großer Zahl gegründet wurden, da folgte die altgewohnte Spiellust dem Bürger hinter Wall und Graben; und was wir heute erstreben, öffentliche Spielplätze, das konnten die meisten Städte des Mittelalters aufweisen. Sie verfügten über besondere „Wiesen“ und „Plätze“, die vorsorglich mit allem versehen waren, was die Abhaltung der gemeinsamen Spiele erleichtern konnte. Hier kamen des Abends die Bewobner der Stadt zusammen und vergnügten sich mit Speerwerfen und Steinstoßen, Reigen und Wettlauf, Kegeln und Ballspiel.

In einer alten Schrift über die Leibesübungen der akademischen Jugend wird von dem Ballspiel gerühmt: „Es trägt bei zur Gesundheit, vermehrt die Kraft und Behendigkeit des Körpers, erhöht die Gelenkigkeit der Glieder; es tritt dem Dickwerden entgegen, bringt Augen, Kopf, Hände [476] und Füße in schnelle geschickte Bewegung und übt gleichmäßig den ganzen Körper. Sogar der Verstand, besonders der Studiosen, wird durch das Ballspiel gefördert!“

Bei einer solchen Wertschätzung dieser nützlichen Belustigung war es durchaus natürlich, daß man den Wunsch empfand, sie auch bei ungünstiger Witterung ausüben zu können, man wollte Spielhallen haben, wie solche einst den Griechen und Römern zur Verfügung gestanden hatten. Dieser Wunsch fand in den „Ballhäusern“ Erfüllung. Zur Verbreitung derselben trug sehr viel der Umstand bei, daß man Ballspiele ersann, die für geschlossene Räume besonders geeignet waren.

Die Enstehung der Ballhäuser reicht vermutlich in den Anfang des 15. Jahrhunderts zurück. Pascal berichtet darüber in seinen „Recherches sur la France“ etwa folgendes:

„Um jene Zeit schlug man in Frankreich mit der flachen Hand einander die Bälle zu. Da kam im Jahre 1424 ein gewisses Fräulein Margot, das ausgezeichnet den Ball schlug, aus dem Hennegau nach Paris. Sie errichtete sich ein kleines Spielhaus (tripot) an der Straße Grenier de St. Lazare und nahm es hier mit den stärksten Spielern auf. Man ging dahin, um sie als etwas Seltenes zu sehen. Einige der Spieler zogen jedoch, um sich nicht wehe zu thun, Handschuhe an, andere verfielen darauf, an diesen Handschuhen Saiten und Sehnen anzubringen, welche durch ihre Elasticität den Ball viel höher und weiter trieben. Dies war der erste Schritt zur Erfindung der ‚Raketten‘ (Schlagnetze in Holzrahmen), welche bald darauf aufkamen und allgemein angenommen wurden.“

Der Gedanke, in bedeckten Hallen den Ball zu schlagen, fand Anklang. Fast in allen Städten Europas wurden Ballhäuser errichtet, zu deren Veranschaulichung wir eine Abbildung des alten Tübinger Ballhauses und des dazu gehörigen Spielplatzes geben. Es entspricht zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in wesentlichen Stücken der Beschreibung eines mustergültigen Ballhauses, welche Ullrich Anton Vieth in seiner 1794 bis 1818 erschienenen „Encyclopädie der Leibesübungen“ hinterlassen hat.

Inneres eines alten Ballhauses.

Das Ballhaus bildete nach Vieth ein genau rechtwinkliges vierseitiges Gebäude, das im Lichten etwa 25 Fuß breit und 100 Fuß lang, bis an das Dach etwa 28 bis 30 Fuß hoch war. Der Fußboden war genau wagerecht und eben, mit Steinplatten, jede 1 Quadratfuß groß, gepflastert; die Decke ebenfalls wagerecht und eben, mit fichtenen Brettern verkleidet. Die kurzen Giebelmauern waren bis an die Decke massiv, die langen Seitenmauern da, wo sie an die kurzen oder Giebelmauern anstießen, auf etwa 23 Fuß nach der Mitte zu, ebenfalls bis an die Decke hinauf massiv, dann aber nur etwa 14 bis 15 Fuß hoch, so daß also oben ein etwa 54 Fuß langer und 14 bis 15 Fuß hoher offener Raum blieb, durch welchen gleichförmiges Licht in das Gebäude fiel. Dieser Raum wurde durch Säulen in sechs Oeffnungen abgeteilt, die mit Netzen und Vorhängen versehen waren. Jene dienten dazu, das Hinausfliegen der Bälle zu verhindern, diese, wenn es nötig war, die Sonnenstrahlen abzuhalten und das Licht zu mäßigen.

Alle Wände im Inneren des Ballhauses waren schwarz oder wenigstens dunkel angestrichen, damit man den Flug des weißen Balles besser sehen konnte. Auch der Fußboden zeigte eine Reihe von Linien in schwarzer Farbe, welche für das Spiel von Bedeutung waren.

Auf die Spielregeln können wir hier nicht näher eingehen. Nur einige allgemeine Bemerkungen mögen genügen, die dem Kenner des von England neuerdings zu uns herübergekommenen „Lawn-Tennis“ eine nahe Verwandtschaft dieses Spiels mit dem unserer Vorfahren darthun werden. Die „Raketten“, das Rüstzeug der Spieler, bestanden aus einem zusammengebogenen Stabe von biegsamem Holze, dessen mittlerer Teil einen ovalen Reif von etwa 8 Zoll Länge und 5 Zoll mittlerer Breite bildete und dessen Enden mit einem dazwischen eingeklemmten Stück Holz zu einem etwa 15 Zoll langen Griffe zusammengefügt waren. Der Reif war mit einem Netze von Darmsaiten überstrickt. Die Bälle maßen 2 Zoll im Durchmesser, waren aus Tuchstücken gefertigt und mit weißem Tuche überzogen. Die Partie wurde gewöhnlich von zwei oder vier Personen gespielt. Wenn vier Spieler da waren, hatte jeder in einem der vier durch Mittel- und Querlinie bezeichneten Spielräume gewisse darin befindliche Stellen oder „Löcher“ zu „verteidigen“, d. h. dafür zu sorgen, daß der Ball nicht dahin gespielt wurde. Als allgemeinen Charakter dieses Spiels giebt Vieth an, es sei ein fortgesetztes Bemühen jedes Spielers, den Ball in das Gebiet seines Gegners zu schlagen und von seinem eigenen Gebiete abzuwehren, ein lebhafter Kampf beider Teile, den Ball nicht bei sich zum zweiten Sprunge kommen zu lassen, wodurch Augenmaß, Biegsamkeit und Schnelligkeit vortrefflich geübt und nicht nur die Kräfte des Körpers, sondern auch die des Geistes in Thätigkeit gesetzt werden.

Wer sich über die Einzelheiten des in den Ballhäusern gepflegten Spieles näher unterrichten möchte, den verweisen wir auf eine Abhandlung, die Fritz Iselin im Jahrgang 1869 der „Deutschen Turnzeitung“ veröffentlicht hat.

Ballhaus und Spielplatz.

Die Blütezeit der Ballhäuser fällt in das 17. Jahrhundert. Paris hatte um jene Zeit gegen 300 solcher Anstalten und eine besondere Zunft von „paumiers“ oder Ballmeistern, welche das Vorrecht hatten, Ballhäuser zu unterhalten, Geräte zum Ballspiel anzufertigen etc. Sehr frühzeitig befaßten sich aber die Ballmeister auch mit der Einführung des seit dem 16. Jahrhundert bekannt gewordenen Billardspieles, welches später zu einem gefährlichen Nebenbuhler des Ballspieles wurde. In Deutschland verschwand die Vorliebe für das Ballspiel in Ballhäusern gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in Frankreich wurde sie durch die Wirren der Revolution vernichtet. In der Zeit ihres Niederganges gaben die Ballhäuser Anlaß zu verschiedenen berechtigten Klagen. „Die Pallenhäuser seind liederlich“ liest man hin und wieder in alten Berichten. In der That hielten sich bei den Ballmeistern häufig übelberufene Personen auf; außerdem benutzte man die geräumigen Hallen gern zu Zunftmahlzeiten und Tänzen, vermietete sie an fahrende Schauspielertruppen, Seiltänzer u. dergl., bis sie schließlich ganz in Wirtshäuser, Tanzböden oder – Wagenschuppen verwandelt wurden.

Die Geschichte der Ballhäuser ist lehrreich. Sie zeigt uns, wie Leibedübungen, die bloß zum Spiel getrieben werden, keinen dauernden Bestand haben, wie sie mit der Mode kommen und gehen, nach einer kurzen Blüte verfallen und verschwinden. Sicher war der Gedanke, geräumige Hallen für das Ballspiel zu schaffen, ein guter, denn dadurch wurde es möglich, eine gesunde Körperbewegung auch bei ungünstigem Wetter zu treiben; aber man vergaß die sittliche und gesundheitliche Bedeutung des Spiels und entzog ihm dadurch das Lebensmark.

Der Vorschlag, neben Spielplätzen im Freien, auch gedeckte Spielhallen zu schaffen, ist neuerdings wieder angeregt worden, und es ist zweifellos, daß solche Hallen für unsere Großstädte von sehr großem Wert sein könnten, wie es die Turnhallen schon sind. Die schwächeren Knaben und Mädchen, die der Leibesübung am meisten bedürfen, und die wenig abgehärteten älteren Stadtbewohner können doch nur während des geringeren Teils des Jahres im Freien spielen, und auch für die kräftigen Knaben bildet das Wetter sehr oft ein Hindernis. Dadurch haftet den Volks- und Jugendspielen etwas Zufälliges, Unbestimmtes an, das wieder deren Einbürgerung in weiteren Kreisen beeinträchtigt. Es wäre darum mit Freuden zu begrüßen, wenn die alten Ballhäuser in einer den ernsten Zielen und Bedürfnissen der Neuzeit angepaßten Gestalt ihre Wiedergeburt feiern dürften. C. F.