Bamborough-Castle, in der Grafschaft Northumberland, in England
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in der Grafschaft Northumberland, in England.
Nur die Gegenwart gehört dem Sterblichen und außer dem Leben gibt es für den Menschen nichts, was er mit Sicherheit fassen könnte. Dieß ist eine allgemein anerkannte Wahrheit. Dennoch – (und der scheinbare Widerspruch macht es nicht weniger wahr!) – richten sich unsere Augen so gern und so voll heißer Sehnsucht nach der Vergangenheit
[64] und Zukunft. Durch den Tod suchen wir die Unsterblichkeit, und einsam, auf eingesunkenen Gräbern und unter verwitterten Ruinen, treten die verschwisterten Geister der Vergangenheit und Zukunft lebendiger zu uns, als in dem oft so unheimlichen Gedränge der Gegenwart.
Darum ziehen uns die verwitterten Bauüberreste des Alterthums mit ihrem zauberischen Halbdunkel so unwiderstehlich an, darum hat ihre Veranschaulichung für das geistige, wie für das leibliche Auge einen so eigenthümlichen Reiz. Auch unserm Bilde fehlt dieser nicht. Das mächtige Mauerwerk, die vom Scheitel der hohen Felsen zu den Wolken aufstrebenden Zinnen – es ist jetzt freilich nur ein todtes Gerippe; aber es ist das Gerippe eines Riesenkörpers, aus dem ein Hühnengeist, der des alten Ritterthums, uns anweht. – Unter den vielen Baudenkmälern des letztern, welche Englands Höhen und Berge krönen, ist Bamborough Castle eines der großartigsten, ältesten und am besten erhaltenen. Erbaut vor Wilhelm dem Eroberer, um d. J. 800, Stammsitz des Grafengeschlechts der Mowbray, welchem später die herzogliche Würde von Northumberland zu Theil wurde, liegt es an der Küste dieser Grafschaft, 2 Stunden von Bedford, auf einem fast senkrechten Felsen, höchst malerisch und eine der herrlichsten Aussichten beherrschend. Unbegrenzt ist diese von der Zinne des wohlerhaltenen hohen Thurmes nach Osten. Von der tief unten den Felsen umdonnernden weißschäumenden Brandung, deren endlos-mannichfaltiges Spiel nicht ermüdet, schweift der Blick über den dunkelblau gefärbten Ozean, auf dem, zwischen zahllosen Eilanden, Fischerbarken und Schiffe durcheinander wimmeln, durch welche dann und wann ein Dampfboot, gleich einem Wesen anderer Art, in gerader Richtung pfeilschnell fährt, einen langen, schwarzen Rauchschweif hinter sich herschleppend, der noch lange sichtbar bleibt, nachdem das Schiff selbst am Horizonte verschwunden. Entlang der Küste, von Strecke zu Strecke, ragen grotesk-geformte schwarze Felsenmassen weit in’s Meer, einige mit Burgtrümmern gekrönt, andere Leuchtthürme für den nächtlich irrenden Schiffer tragend.
Auch Bamborough Castle dient jetzt zu einem menschenfreundlichen Zwecke. Einer seiner letzten Besizer, Lord Crewe, ließ nämlich vor einigen Jahren den den Einsturz drohenden Thurm wieder herstellen, und einige Gemächer zur Aufnahme verunglückter Schiffer, auch eine Wohnung für einen Wächter herrichten, welcher das Amt hat, in der Nacht, von Stunde zu Stunde, eine Rackete von der Zinne des Thurmes aufsteigen zu lassen, als Signal für die Seefahrer, besonders Fischer, welche früher oft an den gefährlichen Riffen, welche den Burgfelsen umgeben, verunglückten. In neblicher Nacht, wenn kein Feuer sichtbar seyn kann, gibt eine Kanone, die im niedrigen runden Thurme rechts aufgestellt ist, stündlich das verstandene Zeichen.