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Bei Gravelotte und Rézonville

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Textdaten
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Autor: Julius Zoellner
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Titel: Bei Gravelotte und Rézonville
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 618-622
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[618]
Bei Gravelotte und Rézonville.
Von unserem Specialberichterstatter J. Z-r.

Wir saßen am 17. August, am Tage nach der Schlacht bei Mars la Tour, vor dem Hôtel de France unter den Lauben, welche den Marktplatz von Pont à Mousson umgeben. Den ganzen Tag hindurch waren die Truppen in Bewegung auf den verschiedenen Straßen, die von hier nach Mars la Tour und den westlich von Metz gelegenen Orten sich hinziehen. Die Franzosen sollten in Metz eingeschlossen, die Straßen nach Paris ihnen verlegt werden; wie weit dies durch die am Sechszehnten geschlagene Schlacht schon geschehen sei, darüber waren die einzelnen Meinungen noch sehr getheilt. Jedenfalls war noch ein großes Stück Arbeit zu thun, darauf deuteten alle Vorbereitungen hin.

Der König von Preußen war noch nicht zurückgekehrt – er sei in Gorze, hieß es, einem Orte in fast unmittelbarer Nähe des Schlachtfeldes vom 16. August. Gorze liegt nördlich von Pont à Mousson, während die Truppenzüge des letzten Tages sich sämmtlich in westlicher Richtung bewegt hatten. Ich war in Zweifel, wohin ich mich wenden sollte.

„Morgen früh kann ich Ihnen vielleicht eine Möglichkeit geben, sich mir anzuschließen“ sagte mir des Abends noch ein höherer Officier „Warten Sie es bis dahin ab.“

Diese Möglichkeit fand sich zwar am andern Morgen nicht; ich erfuhr aber wenigstens so viel, daß Gorze wahrscheinlich der interessanteste Ort sei, wohin ich gehen könne, und diese Andeutung beschloß ich zu benutzen.

Es war bereits gegen acht Uhr früh; von Pont à Mousson nach Gorze hatte ich einen Weg von fast drei Meilen. Da ich nicht im Plan hatte, zurückzukehren, so mußte ich bedacht sein, mein Gepäck mitzunehmen, und ich war froh, als ich einen Wagen ausfindig gemacht hatte, der Tages vorher mit Verwundeten von Mars la Tour nach der Stadt gekommen war und dessen Führer, zwei preußische Soldaten, auf demselben Wege wieder zu ihrer Truppe stoßen wollten. Der Bauer, dem das Fuhrwerk gehörte, hatte sich aus dem Staube gemacht. Wir trafen ihn zwar, als wir über den Markt zur Stadt hinausfuhren, und luden ihn auch ein, als er versuchte, sein Geschirr zu reclamiren, mit nach seinem Orte zu fahren; da er dazu aber keine Lust hatte, lenkten unsere Soldaten, die in ihrem ganzen Leben noch keinen Zügel in der Hand gehabt hatten, auf eigene Faust die dicken normannischen Pferde nach der Mosel, an deren linkem Ufer wir, so rasch es gehen wollte, hinkutschirten. Sehr rasch war dies eben nicht; denn kaum hatten wir die Stadt verlassen, als wir uns auch schon in eine Reihe von Wagen eingekeilt sahen, die sich zwar mit ziemlicher Geschwindigkeit bewegte, wenn nichts ihre Ordnung störte, die aber jeden Augenblick ins Stocken gebracht wurde durch entgegenkommende Züge von Wagen mit Verwundeten, Fourage- und Munitionswagen, durch Colonnen mit Pontons, die seitwärts auf unsern Weg einbrachen, und durch die tausend Zufälligkeiten, welche die Ungeschicklichkeit der Wagenführer herbeiführte. Die ganze Straße war bedeckt mit Fuhrwerk der mannigfachsten Art, das alles die größte Eile hatte. Um die einzelnen Wagen, die immer hart hintereinander fuhren, wieder in Gang zu bringen, wenn sie sich ineinander verwirrt hatten, machte sich ein unendlicher Aufwand von Hin- und Herjagen, Schreien, Schlagen, Zerren und Fluchen nöthig. Zahlreiche Truppenabtheilungen, welche gleiches Ziel mit uns hatten, gingen zu beiden Seiten der Straße, in den Weinbergen.

In Arnaville verließen wir die Ufer der Mosel, an der lieblichen Mad hinauffahrend. Wie wir bald fanden, hatten wir uns in Bezug auf unser Fortkommen nicht viel gebessert; denn das ganze Thal lag voll von Soldaten, Regiment an Regiment, die hier weitere Ordres erwarteten. Wo sich die Thalsohle erweitert, hatten sie sich ausgebreitet und waren beschäftigt eilig „abzukochen“, das heißt ihr Mittagsessen sich zu bereiten, zu welchem Zwecke die Mad das Wasser, die Kartoffelfelder das Gemüse und Zäune, Pfosten, Bäume das Holz liefern mußten für die Tausende der kleinen Feldfeuer, über denen die Ration gar gekocht wurde. Leider wanderte auch mancher der Stäbe, an denen die Weinstöcke angebunden wurden, mit in die Flamme, trotz der Wachsamkeit der Officiere, welche diese empfindliche Schädigung zu verhindern bestrebt waren. Dörfer und Gehöfte waren fast alle von ihren Bewohnern verlassen oder nur die Frauen waren zurückgeblieben, die sich scheu hinter den Mauern hielten.

In Onville sauste eine reitende Batterie an uns vorbei und zeigte uns den Weg, der einen langen steilen Berg hinauf durch den Wald führte. Je weiter wir kamen, um so hastiger wurde alles Vorwärtsdrängen; Ordonnanzen, die seitwärts geritten waren, um aus dem Gelärme herauszukommen, bringen die Nachricht zurück, daß man nach Norden und Osten zu deutlich den Geschützdonner vernehme. Vorwärts, vorwärts! – das Gespann reißt, die Pferde werden abgeschnitten, der Wagen wird aus dem Zuge gestoßen und liegen gelassen, bis ihn ein Anderer mitnehmen will; kaum daß seine Ladung rasch auf die Vorbeifahrenden vertheilt wird. Mit welcher Rastlosigkeit dies Leben hier schon vorbeigegangen, das erzählen die Liegengebliebenen – stumpf und unbekümmert um das, was um sie herum geschieht, [619] kauern sie am Wege in der glühenden Hitze, bis sie von einem Cameraden emporgerafft und mit weiter geschleppt werden.

Auf der Höhe von Onville hörten wir in der Richtung nach Nordost den Kanonendonner. Wir hatten das Plateau erreicht, das sich am westlichen Ufer der Mosel in einer durchschnittlichen Erhebung von tausend bis elfhundert Fuß über dem Meere hinzieht und langsam nach Westen zu abfällt. Einen weiteren Ueberblick vermochten wir auf dem durch langgezogene sanfte Einsattelungen unterbrochenen Terrain noch nicht zu gewinnen. Vor uns, als wir den Wald verließen, lag in der Entfernung von einer halben Meile etwa ein Meierhof, höher als seine Umgebung und von uns durch eine flache Thalmulde getrennt, die Meierei La Bruxière. Bis dahin ging das Schlachtfeld vom vorgestrigen Tage; heute war sie von unseren Regimentern besetzt, die sich über die ganze Höhe ausbreiteten. Wir hatten die Reserven unserer Aufstellung vor uns. Auf der Höhe des eben genannten Meierhofes, der von Gorze eine kleine Meile entfernt liegt, vermochten wir die Straßen zu übersehen. Welche Bewegung!

Unaufhörlich entströmten dem Walde, den wir eben verlassen hatten, Regiment auf Regiment; eine vieltausendfüßige gewaltige Schlange war der ganze Weg, die ihre in der heißen Sonne blitzenden Glieder eines nach dem andern aus dem dunkeln Gebüsch hervorzog und durch das flache Thal auf die Höhe heranschob. Und von hier in eben solcher Stetigkeit marschirte Colonne auf Colonne weiter, Alles nach Mars la Tour zu, wo die Franzosen abgeschnitten werden sollten. Wir verließen den Weg nach Gorze und fuhren mit dem großen Troß weiter über das Schlachtfeld, wo achtundvierzig Stunden vorher einer der blutigsten Kämpfe stattgefunden hatte, von dem die Geschichte erzählen wird und von welchem die uns zur Seite tobende Schlacht die Fortsetzung war.

Wir mochten etwa eine halbe Stunde von La Bruxière entfernt sein, als wir zu unserer Rechten Massen Rauches aufsteigen sahen, wie sie nur aus einem brennenden Orte kommen können; der Geschützdonner wird nach derselben Richtung hin immer lebhafter; einzelne Regimenter verlassen die Straße, über die Felder mehr nordöstlich hin sich wendend. Dies und die Mittheilung eines höheren Officiers, daß unsere Armee den Feind bei Rezonville angegriffen und jetzt schon ihre Front von der ursprünglich west-östlichen Richtung anfange in eine süd-nördliche zu verlegen, bestimmte uns rasch. Wir warfen unser Gepäck von dem Wagen, behängten uns mit dem, was wir zu unseres Leibes Nahrung und Nothdurft bei uns führten, und schlugen uns querfeldein zunächst wieder Gorze zu erreichen, von dem wir uns inzwischen entfernt hatten.

Auf dem Wege dahin trafen wir die ersten Verwundeten vom heutigen Tage; sie waren nach einem an der Straße liegenden größeren Gehöfte gebracht worden, das, in ein Lazareth umgewandelt, in allen Räumen mit Blessirten aus der Schlacht von Mars la Tour schon überfüllt war. Was man von Wagen auftreiben konnte, wurde benutzt, um diejenigen, welche den Transport aushalten konnten, weiter zu befördern; denn unausgesetzt trafen neue Züge ein, von denen viele so schwer darniederlagen, daß an ein Weiterschaffen nicht zu denken war. Andere, deren Verwundung ihnen das Gehen erlaubte, kamen den Weg daher gezogen – wie elend viele und wie gebrochen, aber auch wieder wie kampfbegierig andere!

„Mein Hauptmann hat mich fortgeschickt wegen des Bettels da,“ brummte Einer, dessen Gesicht unkenntlich von Blut war; eine Kugel hatte ihm den Backen und das halbe Ohr mit weggerissen, gerade als er auf einen Franzosen hatte anlegen wollen. Er ging mannhaft bis zum nächsten Lazareth, das ihn aufnehmen würde. „Zu fahren brauche ich nicht, das haben Andere nöthiger – ich hätte auch so noch können die Sackermentskerle mit zusammenputzen, wenn ich’s hätte machen wollen wie sie selber – das ist keine Kunst; die nehmen das Gewehr unter den Arm und drücken los wie die Schuljungen.“ Freilich – aber mit dieser ihrer Manier hatten sie doch fürchterlich unter unseren Leuten aufgeräumt.

Gorze selbst war ein einziges großes Lazareth. Die Verwundeten von vorgestern lagen zum Theil noch hier, es hatte an Transportmitteln gefehlt, die Menge zu befördern. Vielen stand gewiß nur noch ein kurzer Weg bevor. Fast kein Haus, das sich nicht von Weitem schon durch die weiße Fahne mit dem rothen Kreuze ausgewiesen hätte als eine Stätte des Schmerzes, aber auch als einen Ort unermüdeter, werkthätiger Hülfe. Welche Anstrengung, welche Ueberwindung, welche Geduld, welche Entbehrung! Und man findet es erklärlich, wenn man Solche, die sich in den Hauptquartieren und den noch gut versehenen Depôtsorten darin gefallen, das rothe Kreuz nur zu tragen, um unter seinem Schutze eine Rolle zu spielen, hier mit nicht immer sehr schmeichelhaften Ausdrücken bezeichnen hört.

In Gorze war das Hauptquartier des Königs Wilhelm gewesen – soweit man an dem Tage und in einem Lazareth von einem Hauptquartiere sprechen kann. Vor dem Orte standen die Wagen, welche die „Eroberer“, wie die Franzosen meinen, hergeführt hatten. Ueber den Ort hinaus, der in einer engen Schlucht sich hinzieht, lagerte ein zahlreicher Munitionspark. Die letzten Regimenter zogen eben ab, als wir den Fleck verließen – Alles der Schlacht nach.

Die Straße führte durch einen Wald, der so ruhig da lag, als ob Alles darin schlafen gegangen wäre. Kein Lüftchen rührte sich, kein Blatt bewegte sich in der heißen Sonne, nur einzelne neugierige Soldaten von den Wagen hatten sich eine Strecke hinein gewagt, um womöglich etwas von dem Stande der Dinge zu erfahren. Der ganze Schlachtapparat war auf dieser Richtung uns bereits vorangezogen, und was zurückkam, schlug eine andere Straße ein – kein Laut, als das gewitterähnliche Rollen, das aus allen Entfernungen herankam. Wir gingen ziemlich lange auf dem zerstampften Wege; Patronentaschen, Czako’s, Gewehre lagen vereinzelt an den Rändern des Gebüsches. Je weiter wir hineinkamen, um so zahlreicher. Alles Zeichen einer unheilvollen Vergangenheit, die in der jetzigen Stille um so lauter redeten. Welch entsetzlicher Anblick aber, als wir aus dem Walde heraustraten! Vor uns lag derjenige Theil des Schlachtfeldes vom Sechszehnten, auf welchem der Kampf am heftigsten gewüthet hatte, ein Fläche, vielleicht zweihundert Morgen groß, besäet mit Leichen, die zu begraben man noch keine Zeit gefunden, nicht zu Hunderten zu zählen; Deutsche und Franzosen, die letzteren in beiweitem größerer Zahl, die Gesichter, welche die Pietät kaum Zeit gefunden hatte, mit einem Tuche oder einem Zipfel der Kleidung zu bedecken, bereits ganz schwarz von der eintretenden Verwesung; indessen hatte die Trockenheit der Luft und der Zug, der über diese hochgelegenen Felder wehte, eine eigentliche Fäulniß und miasmatische Gasentwickelung noch verhindert. Die meisten der Gebliebenen schienen einen augenblicklichen Tod gefunden zu haben; viele, wie im raschen Lauf gestürzt, das Gewehr noch in der Hand, andere freilich auch, deren auf die Wunde gepreßte Hand von langsamerem Sterben erzählte, und wieder andere, die sich, zum Tode getroffen, noch fortgeschleppt hatten, das Seitengewehr als Stütze auf den Boden stemmend, bis sie erliegend an ihrer Waffe verendeten. Solcher einzelner in dem Boden steckender Säbel sah man über das ganze Feld vertheilt, ihre früheren Eigenthümer waren als schwer Verwundete fortgebracht, die Zeugen ihres Looses hatte man noch nicht Zeit gefunden zu beseitigen.

Auf unserem Wege hatte man uns schon von den vielen Säbeln erzählt, die man auf den Schlachtfeldern in dem Boden steckend fände, und zur Erklärung bald einen alten Aberglauben bald einen vermeintlichen Gebrauch damit in Verbindung gebracht, nach welchem man, um späterhin constatiren zu können, wo Der und Jener gefunden worden sei, erkennbare Stücke seiner Ausrüstung auf leicht ersichtliche Weise liegen lasse und namentlich sein Seitengewehr in den Boden stoße. Beides ist nicht richtig, die einfache Erklärung dieser dem ersten Blicke allerdings auffallenden kleinen Kreuze ist die, daß sie ihren einstigen Trägern zur Unterstützung gedient haben, an deren möglichen Gebrauch keiner gedacht, als er den Säbel um die Hüften schnallte, und daß es die letzte Kraft war, die hier erlag, und die nicht mehr hinreichte, die Klinge aus der Erde wieder herauszuziehen. So wenig romantisch die Sache ist, so unendlich rührend ist der Anblick eines im Kampfe Gefallenen, dessen Rechte noch den im Acker steckenden Säbelgriff umklammert. Als ob die Erde mehr Erbarmen hätte, als die Menschen, hält sie die mörderische Waffe fest. – Macht Pflüge aus dem Material, daran hat das Schicksal noch keinen verbluten lassen!

Es war schon in den späteren Nachmittagsstunden, als wir endlich einen Ueberblick über das Schlachtfeld und einen Standpunkt gewannen, von dem aus wir die inzwischen immer vor uns her geschobene Kampflinie übersehen konnte. Wir befanden [620] uns auf dem äußersten rechten Flügel südlich von dem Dorfe Gravelotte. Das Plateau, auf dem wir standen, war nach Süden zu von dem schon erwähnten gen Gorze sich hinziehenden Walde begrenzt und nördlich in der Richtung von Westen nach Osten von der pappelbepflanzten Allee, die von Metz über Mars la Tour nach Paris führt, durchschnitten. An dieser Straße liegt das Dorf Rézonville, in dessen Nähe es heute schon heiß zugegangen sein mußte, wie die Feuer- und Rauchsäulen bewiesen, die aus seinen Gehöften aufstiegen. In der That hatte die Schlacht vom Sechszehnten sich bis zu diesem Orte erstreckt, die heutige von hier aus begonnen. In nordöstlicher Richtung von Gravelotte aus zieht sich die Straße nach Conflans, die mit der Wegnahme des Knotenpunktes für die Franzosen zur Passage nach Paris ebenfalls unmöglich wurde. Mit ihr parallel aber geht von Metz aus eine Straße über Briey, die dem Feinde ebenso wie der Weg über Conflans nach dem Kampfe bei Mars la Tour noch offen war, wenn ihm damals die erforderliche Kraft und Sammlung zu dessen Benutzung geblieben wäre und an welcher die beiden Dörfer St. Privat la Montagne und weiter nach Metz zu St. Marie aux Chênes liegen.

Um das Dorf Gravelotte, das in einer Einsenkung vor uns lag, hatte sich der Kampf zuletzt gedreht. Ob es in den Händen der Unserigen sei, war nicht zu erkennen. Die dahinter liegenden Höhen, an denen sich die Franzosen auf das Festeste mit mehrfach übereinander angelegten Schützengräben verschanzt hatten, hatten dem Angriffe widerstanden und der Kampf ruhte an dieser Stelle, nur von der Artillerie einstweilen unterhalten. Dagegen wurde nach dem linken Flügel hin von Minute zu Minute das Feuern lebhafter. Man hörte wohl die Schüsse der Kanonen einzeln, obwohl sie sich ununterbrochen folgten, und auch das eigenthümliche Rasseln der Mitrailleusen unterschied sich deutlich, das Kleingewehrfeuer aber, Zündnadel und Chassepot, verschmolz in ein einziges Geräusch, wie man aus einem Platzregen keinen einzelnen Tropfen mehr heraushören kann; bald stärker werdend, bald plötzlich mit aller Wuth wieder nachlassend, um dann loszubrechen. Jeder Tropfen dieses Regens kann ein Menschenleben vernichten. [622] Feind zu vertreiben; dort stehen die Garden, sie sind es und die wackeren Sachsen, die ihm zu Leibe gehen.

„Diesmal haben sie ihn. Drauf, drauf, fester drauf!“ schreit es um uns herum, eine unsägliche Aufregung bemächtigt sich Aller, Jeder fühlt, daß es um das Aeußerste geht.

„Jetzt wird er alle!“ läßt sich eine Stimme vom Boden hören, ein Verwundeter, der triumphirend mit dem Kopfe rückwärts winkt, wo der Feind steht. Und in der That schien es, als ob er „alle“ geworden sei, denn wie mit einem Schlage fielen die Schüsse weniger dicht, bald schwiegen sie ganz.

Es war finster geworden – das Schlachten zu Ende. „Wir haben gesiegt!“ hieß es. Aber es war kein Jubel über diesen Sieg, still gingen wir über die Felder, ein Plätzchen suchend, wo wir die Nacht verbringen könnten. Neben uns zogen die Massen die sich zum Bivouac vertheilten. Bis in das Dorf Rézonville führte uns der Strom. Ein Unterkommen hier zu finden – daran war nicht zu denken; wenn wir nur einen Schluck Wasser bekämen, um unser von der Hitze ausgedörrtes Brod hinunterspülen zu können. Aber die Brunnen waren entweder ohne Schwengel oder eingestürzt oder erschöpft, und wo sie noch etwas hergaben, umlagert von Hunderten, die nach der schmutzigen Flüssigkeit lechzten. In der Finsterniß tappten wir in dem Dorfe umher, dessen Höfe und Winkel angefüllt von Franzosenleichen waren, und waren froh, als wir an einer Mauer eine trockne Stelle fanden, die, von Gefallenen frei, uns eine Zuflucht bot, wo wir auf etwas zusammengerafftem Stroh uns ein Lager zurecht machen konnten.

Uns gegenüber, nicht fünfzig Schritte entfernt, verglimmten die zusammengeschossenen Häuser noch im Innern – die aus den Fensteröffnungen schlagende Gluth war unser Nachtlicht; unsere nächsten Zimmernachbarn, nur durch die drei Fuß hohe Mauer von uns getrennt, eine französische Corporalschaft, welche die ewige Ruhe hier gefunden hatte.

Wir wohnten nicht schlechter als der König Wilhelm, der mit seiner Umgebung dicht an derselben Brandstelle, auf der andern Seite der Straße, bivouakirte. Wir aßen auch ebenso gut zu Abend, und hatten dazu die Aussicht, noch eher einschlafen zu können, denn die unablässig ab- und zureitenden Ordonnanzen störten uns nicht. Die Nacht wurde kalt – wir rückten näher zusammen. Draußen war es still geworden; Jeder zog sich in sich zurück.

Auf einmal kommt aus der Ferne der Ton von Gewehrfeuer wieder herüber. Wir fahren empor; keine Täuschung, das Geknatter wird heftiger, immer hitziger, es kommt von einer einzigen Stelle, aber es muß ein verzweifelter Angriff sein. Alles horcht – da läßt es nach, allmählich wird es schwächer, endlich ist es ruhig. Es war wohl der Rest, den wir dem Feinde gegeben hatten; was von ihm noch übrig war, das war nach Metz hineingeworfen, von wo ihm kein Ausweg mehr offen blieb.

Jetzt konnten wir ruhig schlafen.