Bei den Kanonen

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Titel: Bei den Kanonen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 636–638
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[636]
Bei den Kanonen.
Aus dem Tagebuch eines Artilleristen.[1]

Unsere Batterie, die dritte leichte des brandenburgischen Feldartillerie-Regiments, war am sechsten August Mittags eilf Uhr in Dudweiler eingetroffen und in diesem Orte einquartiert worden. Die Einwohner nahmen uns freundlich auf, und wir freuten uns bereits der guten Quartiere, Ställe und auf die Betten, als plötzlich der Befehl kam: „Um ein Uhr steht die Batterie zum Weitermarsche bereit.“ Zugleich durchlief ein dunkles Gerücht unsere Reihen, vorne wären unsere Truppen schon auf den Feind gestoßen.

Präcise um die befohlene Zeit standen die in Dudweiler liegenden Truppen auf den Alarmplätzen, wo auch der Brigadestab sich einfand. Die Batterie erhielt Befehl, der vormarschirenden Dragonerschwadron des zwölften Regiments zu folgen, und abwechselnd ging es nun im Schritt und im scharfen Trabe die Chaussee nach Saarbrücken zu. Dicht vor St. Johann hörten wir, wenn auch weit entfernt, einzelne Kanonenschüsse. Alles drängte vorwärts, jeder Mann war gespannt auf die nächsten Stunden.

Wir marschirten durch St. Johann, passirten die große steinerne Saarbrücke, und in Saarbrücken erhielten wir Befehl, auf der Straße zu halten. Um die Passage nicht zu versperren, wurde scharf rechts hingefahren und Alles saß ab. Die liebenswürdigen Einwohner Saarbrückens brachten uns sowohl während des Durchmarsches, als auch während jenes Haltes Erfrischungen jeder Art, die uns nach dem bei ziemlicher Hitze rasch zurückgelegten Marsche sehr wohl thaten. Satteltasche und Brodbeutel wurden gefüllt, und dieses kostbare Material fand erst seine volle Geltung am Abend nach dem Gefechte. – Die Zeitungsnachricht, daß Saarbrücken, die offene Stadt, von den Franzosen in Brand geschossen worden sei, ist bereits berichtigt. Außer dem von den Geschützen beschädigten Bahnhof und dessen nächster Umgebung haben auch wir keinerlei Verwüstungen irgend welcher Art bemerkt.

Wohl eine kleine Stunde mochte die Batterie hier gehalten haben, als sie Befehl erhielt, durch einen Feldweg auf die jenseits Saarbrücken liegenden Höhen vorzugehen. Hier angekommen, nahm die Batterie Rendezvous-Stellung in einer Terrainmulde und blieb zur Disposition höherer Führer. Vor uns hatte das Gefecht begonnen. Wir konnten das ganze Gefechtsfeld übersehen, doch war leider die Entfernung zu groß, als daß wir die einzelnen Regimenter ihrer Nummer nach erkennen konnten. Es war ein wahrhaft erhebender Anblick, zu sehen, wie unsere brave Infanterie mit einer bewundernswürdigen Todesverachtung vorging. Bald zeichneten einzelne Verwundete den Weg, den die Regimenter genommen, sehr bald wurden es ganze Reihen, welche die vorstürmenden Cameraden hinter sich ließen. Schmerzlich war es für uns, dies vor Augen, müßige Zuschauer sein zu müssen. Wie beneideten wir die im Feuer rechts vorwärts vor uns stehenden Batterien!

Lange schwankte der Kampf. Der Feind hatte eine sehr feste Stellung, den ganzen Speicherer Höhenzug, inne. Sein rechter Flügel hatte einen Wald besetzt, der die Abhänge bekleidet und sich oben auf dem Bergrücken weiter ausdehnt. Das Centrum bildete der nur mit einzelnen Bäumchen bewachsene Speicherer Berg, auf den ein steiler Hohlweg hinaufführt, dessen Pflaster aufgerissen war und der selbst im feindlichen Gewehr- und Artilleriefeuer lag. Schützengräben waren etagenförmig übereinander ausgehoben, und überhaupt der Berg mit großer Sorgfalt benutzt und besetzt. Der französische linke Flügel hatte den Höhenzug vom Speicherer Berge bis zum Speicherer Walde inne. Sämmtliche Abhänge des Höhenzuges sind so steil, daß man kaum hinaufreiten kann. An passenden Punkten waren Kanonen- und Mitrailleusen-Batterieen aufgefahren, welche das offene, freie Angriffsfeld vollkommen bestrichen, jedoch nicht mit der Wirkung, wie es wohl unsere Geschütze gethan haben würden. Die französischen Granaten crepirten, Dank ihren Zeitzündern[2], meist zu früh oder zu spät, selten rechtzeitig.

Der französische rechte Flügel und das Centrum waren es, gegen welche unsere wackeren Regimenter vorstürmten. Endlich gelang es, die Abhänge zu erklimmen, den französischen rechten Flügel zu werfen und den Speicherer Berg zu nehmen. – Wir standen noch immer seit drei Uhr in unserer Rendezvous-Stellung. Gegen vier Uhr wurden wir erlöst und schlossen uns den anderen Batterieen an, die schon im Gefecht waren. Unser Ziel waren feindliche Infsanteriecolonnen auf dem linken französischen Flügel, die wir mit sichtlichem Erfolge beschossen. Hier pfiffen die ersten Kugeln – Infanteriefeuer – um uns her, aber bei der angestrengten Thätigkeit achtete Niemand darauf; auch war die Entfernung eine so bedeutende, daß wir keine Verluste erlitten.

Da, gegen vier ein Viertel Uhr, erhielt unsere Batterie den Befehl, auf dem Speicherer Berge Position zu nehmen. Der Batteriechef ritt voran, um zu recognosciren, und die Batterie trabte, vom Premierlieutenant geführt, nach. Als wir an dem vorher erwähnten Hohlwege, der den Berg hinaufführt, ankamen, fanden wir ihn vom braunschweigischen Husarenregiment besetzt, und unser Vormarsch stockte. Hier pfiffen die Kugeln schon anders, denn oben auf dem Plateau des Berges schossen sich die beiderseitigen Tirailleurs noch gehörig mit einander herum. In diesem Moment sprengte ein Officier des Divisionsstabes mit dem Befehle heran, den Vormarsch der Batterie zu beschleunigen. Die Husaren räumten jetzt den Weg, und hinauf ging es den steilen mit losen Steine besäeten und aufgerissenen Berg – ein schweres Stück Arbeit. Als wir mit der Tête oben waren, sahen wir, daß nur das erste Geschütz gefolgt war. Das zweite Geschütz konnte nicht folgen, da mehrere verwundete Pferde nicht anzogen, und mußte das Geschütz erst wieder heruntergeschoben werden, ehe die anderen vier Geschütze weiter konnten. Während dieser Pause stand das erste Geschütz oben in einem hageldichten Kugelregen; zu sehen war aber vom Feinde nichts. Da ritt ein Brigadecommandeur zum Chef heran. „Schießen Sie doch! Wenn Sie auch nichts sehen können, so thun Sie es des moralischen Eindruckes wegen.“

Und in der That wurden wir schon in den nächsten Minuten überzeugt, welch’ frischer Muth unsere im Feuer stehenden Cameraden [638] erfüllte, als sie ihre Artillerie in der Nähe wußten. Vorwärts ging es im Galopp mit dem Geschütz! Ein donnerndes Hurrah der Infanteristen begrüßte uns, vorwärts bis vor die eigene Tirailleurkette! Im Nu war der erste Schuß heraus, ein zweiter folgte, und jetzt avancirte unsere Infanterie von Neuem gegen die französische Uebermacht. Leider hatten wir schon, ehe wir überhaupt geschossen hatten, von den fünf Mann Bedienung einen Kanonier und von den Pferden drei, worunter das des Batteriechefs, verwundet.

Während dieser kurzen Affaire hatten die übrigen Geschütze oben auf dem Speicherer Berge Position genommen, und ihnen schloß sich jetzt das erste Geschütz an. Die Batterie feuerte mit Granaten gegen feindliche Bataillone und unterstützte so den Angriff der Unsrigen. Es war ein heißer, ein blutiger Kampf. Granaten, Mitrailleusen- und Infanteriekugeln schlugen in, vor und hinter die Batterie ein; die Verluste mehrten sich, fast die Hälfte unserer Bedienungsmannschaft war todt oder verwundet. Aber wir standen, und unser Feuer stockte nicht. Bewundert habe ich unsere Leute; mit welcher Ruhe und Accuratesse bedienten sie die Geschütze! Jeder paßte auf, ob und wo das Geschoß eingeschlagen hatte. Keinen Laut, keinen Schrei habe ich von unseren verwundeten Kanonieren gehört; ein Kanonier meldete sich verwundet, bat sich verbinden lassen zu dürfen, und nachdem das geschehen, meldete er sich wieder zum Dienst!

Bis an einen nach Forbach zu gelegenen Wald waren die Franzosen zurückgedrängt; hier sammelten sie ihre Bataillone zu einem Offensivstoße. Wir sahen die dichten Massen an der Lisière und beschossen dieselben auf das Heftigste, wie wir nachher hörten, mit brillantem Erfolge, so daß dort das Hervorbrechen der Franzosen unmöglich wurde. Zwischen halb acht und acht Uhr trat ein Moment ein, in dem das Gefecht schwankte. Die Unsrigen wurden zurückgedrängt von der feindlichen Uebermacht, und brennenden Auges schauten wir nach frischen Truppen aus. Unwillkürlich drängte sich uns der Gedanke auf: was wird aus der Batterie, wenn wir zurück müssen? herauf sind wir den Berg glücklich gekommen, aber wie wieder herunter? Die Franzosen unterhielten ein wirklich furchtbares Artilleriefeuer. Nur ein Moment war es, daß die Unsrigen zurückgedrängt wurden; aber in solchen Lagen werden die Secunden zu Stunden. Gleich ging es wieder vor; wir hörten das Hurrah unserer Cameraden und athmeten erleichtert auf.

Da plötzlich schwieg das Feuer uns gegenüber; aber von Forbach her hörten wir Kanonendonner und Mitrailleusenfeuer. Es galt unserer fünfzehnten Division, welche die linke Flanke des Feindes angriff und das brennende, in dem Abenddunkel weit leuchtende Forbach erstürmte. Das kurz vorhergehende rasende Artilleriefeuer hatte den Rückzug der Franzosen gedeckt, es war ihr Abschiedsgruß gewesen. Fast wie abgeschnitten schwieg der Kanonendonner. Unser war der Sieg – ein erhebendes Gefühl, für welches es keine Worte giebt, welches alles Andere vergessen läßt.

So groß wie vorher die körperliche und geistige Aufregung gewesen war, so groß war jetzt auch die Abspannung. Den brennenden Durst und Hunger konnten wir jetzt nur nothdürftig mit dem Wein aus Saarbrücken stillen. Ich kann nicht umhin, einen schönen Zug unserer Leute zu erwähnen. Rings um die Batterie lagen verwundete Preußen und Franzosen, die nach Wasser und Brod jammerten. Trotz des eigenen Durstes gaben unsere Kanoniere den Verwundeten, gleich ob Feind oder Freund, den letzten Tropfen Wein, und als später (zwischen elf und zwölf Uhr) Wasser in Feldkesseln gebracht wurde, wurde zuerst den Verwundeten gereicht. Erinnerlich ist mir noch ein Franzose, welcher, am Fuße verwundet, zwanzig Schritte von der Batterie lag. Wir nahmen ihm zuerst sein noch geladenes Gewehr ab und trugen ihn dann in die Batterie. Hier nahm er mit großem Danke eine Cigarre an und schien sich trotz seiner Wunde sehr wohl zu fühlen. Andere schwerer verwundete Franzosen wimmerten herzzerreißend, Töne, welche man nur einmal zu hören braucht, um sie nie wieder zu vergessen. Wie gern hätten wir den Armen geholfen, aber wir waren selbst von Allem entblößt. Einige Vorräthe an Brod, sowie einen Sack mit Hafer fanden wir auf einem französischen vollständig ausgerüsteten Munitionswagen, welcher neben der Batterie stand und dessen Bespannung – vier Schimmel – von einer Granate getroffen, todt vor dem Wagen lag.

Um neun Uhr war das Gefecht beendet gewesen, und gleich darauf hatten wir das traurige Geschäft, unsere Verluste festzustellen. Ueber die Hälfte unserer Leute hatten wir verloren und fast die Hälfte unserer Bespannung. Verfeuert waren hundertvierundsechszig Granaten; diese Munition war theilweise schon gegen Ende des Gefechtes ersetzt, teilweise geschah es jetzt. Dem Feldwebel war es gelungen, während des Gefechtes Munitionswagen den Berg hinaufzuschaffen und so der naheliegenden Gefahr des Verschießens vorzubeugen.

Wir Alle waren von der schweren, heißen Tagesarbeit auf’s Aeußerste erschöpft, und doch floh der Schlaf uns, als wir versuchten, neben den eingespannten Geschützen zu ruhen. Das Gewimmer und Gestöhne der Verwundeten, der Geruch, den die am Morgen gefallenen Pferde schon ausströmten, jagte uns von der Erde auf. Dieses Bivouac auf dem Schlachtfelde in der Nacht war in der That das Gräßlichste, was ich je erlebt. Dicht neben der Batterie war eine Verbandstelle etablirt; überall das Jammern der Verwundeten, das Flehen um Wasser. Bei Fackelschein erfüllten hier die Aerzte ihre schwere Pflicht die ganze Nacht mit einer seltenen Aufopferung. Einwohner Saarbrückens trugen seit dem Vormittage Verwundete aus dem Feuer; selbst Frauen und Jungfrauen wagten sich bis an die Tirailleurlinien, um Verwundete zu erquicken! –

Es war ein düsteres und doch belebtes Bild, diese Nacht! Auf dem Schlachtfelde vor uns irrten Fackeln umher; es waren barmherzige Samariter, welche Verwundete suchten, und Armee-Gensd’armen, welche auf die Hyänen der Schlachtfelder fahndeten. Ueber die Frechheit dieses Auswurfs der Menschheit mag folgendes Beispiel Zeugniß geben. Ein Infanterie-Officier war gefallen und seine Leute wurden momentan zurückgedrängt. Als letztere wieder schnell avanciren, überraschen sie mitten im Gefecht einen halberwachsenen Jungen, der dem gefallenen Officier den Rock aufgeknöpft hat und eben dessen Uhr rauben will. Einige Kolbenstöße machten dem Dasein dieses Elenden ein rasches Ende.

Leider lagerte sich gegen Morgen ein dichter Nebel über das Feld, der das Auffinden der Verwundeten erschwerte und jenem Auswurf der Menschheit sein gräßliches Handwerk erleichterte. – Noch jetzt stehen mir die Scenen jener Nacht und der Anblick des Schlachtfeldes mit grellen Farben vor Augen und werden mir unvergänglich sein, so lange ich athme. Reihenweise lagen die Cameraden todt und stumm da, in vollem Siegeslauf von der feindlichen Kugel niedergestreckt, in der Hand noch das Gewehr. Zelte, Decken, Tornister, welche aufgerissen waren, hatten die Franzosen zurückgelassen. Ein Franzose hatte seinen Tornister geöffnet, um sich frische Patronen herauszuholen; schon hatte er selbige in der Hand, da traf ihn das tödtliche Blei und entseelt sank er neben dem Tornister hin. So fanden wir ihn. – Gut ausgerüstet waren die Franzosen; fast Alle hatten ein Paar ganz neue Schuhe und ein neues Hemd, sowie ein halbes Brod in ihren Tornistern, welch’ letzteres nun unseren Leuten mehr als willkommen war.

Am andern Morgen, den 7., verließen wir endlich das Schlachtfeld mit seinen Schrecken und bezogen ein Bivouac an der Chaussee von Saarbrücken nach Forbach, und zwar hart an der Grenze auf Frankreichs Boden. Den Mittag ging ich mit einem Cameraden nach Saarbrücken hinein in der Absicht, wieder einmal an einem gedeckten Tische zu essen. Nur mit Mühe gelang es uns, an einer Table d’hôte Plätze und einige Stücke kalten Braten nebst einer Flasche Wein vom Kellner unter Zusicherung eines Trinkgeldes zu erobern. Mein Tischnachbar war ein englischer Officier, der zugleich Berichterstatter für eine größere Zeitung sein sollte. Dieser Herr war mir schon während des Gefechts am Tage vorher aufgefallen. Er stand nämlich während des heftigsten Feuers in der Batterie, bewaffnet mit einem Spazierstöckchen, und beobachtete höchst aufmerksam unsere Schüsse, und das Alles mit einer Kaltblütigkeit, die uns imponirte.

Im Lager fielen uns drei Franzosen auf, die ein Maulthier mitführten. Bei näherer Betrachtung ergab es sich, daß dasselbe an jeder Seite einen Sitz mit Rücken- und Seitenlehnen und Fußbank hatte, um so Leichtverwundeten zur Transportirung zu dienen. Gewiß eine zweckmäßige Einrichtung, besonders in dem oft coupirten Terrain.

Am 9. marschirten wir weiter, nachdem die Nacht uns mit einem Alles durchweichenden Regen beglückt hatte. – Die Dörfer, welche wir in der Nähe des Schlachtfeldes passirten, trugen die [639] Spuren des heftigsten Kampfes, die Wände waren mit Kugeln gepflastert, theilweise eingestürzt, die Fenster zerbrochen, die Hausthüren standen auf; kein Einwohner war zu erblicken. Hier lagen fortgeworfene Gewehre und Tornister der Franzosen, dort Zeltstücke, Mützen, kurz der Boden war bedeckt mit Ausrüstungsstücken jeder Art. Zu Seiten der Chaussee lagen todte Pferde. Die Pappeln am Wege trugen Kugelspuren und herabgeschossene Zweige bedeckten den Boden. Ueberall, wohin man blickte, Verwüstung und Zerstörung. Besonders viel Sachen lagen in den verlassenen französischen Lagern, welche sich von unseren Plätzen auf den ersten Blick unterschieden. So bauen die Franzosen z. B. ihre Kochlöcher ganz anders. Sie nehmen nämlich einfach sechs bis acht Steine, legen diese in zwei Reihen neben einander auf die hohe Kante, so daß sich zwei Wände, jede zu drei bis vier Steinen, bilden. Nach zwei Seiten sind diese Kochlöcher offen, so daß der Zug durchstreichen kann und ein leichteres Hantiren an denselben möglich ist.

In recht schlechtem Wetter – Regen und Wind – marschirten wir zwei Tagemärsche in la belle France hinein. Die nächsten Ortschaften, in denen wir einquartiert wurden und auch je einen Ruhetag hatten, waren wohlhabende Bauerndörfer mit einer nicht deutsch sprechenden und auch nicht entgegenkommenden Bevölkerung. Die Verpflegung wurde durch Requisitionen beschafft; um zwölf Uhr wurde ein Ochse geschlachtet, und in wenig Stunden war er verspeist.

Am 18. kamen wir nach St. Epore, einem kleinen Dorfe von hundertsechszig Einwohnern, wo vier Batterien untergebracht wurden. Hier treibt man augenscheinlich viel Pferde- und Rindviehzucht. Anfangs konnten sich die Leute gar nicht darein finden, daß ihre Pferde und Kühe die Nacht im Freien zubringen und unsere Pferde in den Ställen bleiben sollten. Als ich aber aus einem großen Stalle einige vierzig Pferde hatte auf den Hof führen lassen, wo die Thiere ihre Freiheit benutzten und umherjagten, leerten die Bauern auf das Schnellste ihre Ställe selbst. Hier war es auch, wo in einem großen alten Gebäude, in welchem die Officiere der vier Batterien sich einquartiert hatten, ein überraschender Weinfund geschah. Nachdem man die Anwesenheit der lieben Gottesgabe lange verleugnet, entdeckten wir im leeren Keller eine schwere eichene mit Eisen beschlagene Thür. Der Batterieschlosser öffnete sie, und wir waren im Privatkeller des Herrn Marquis von Epore. Champagner, Burgunder mit den Jahreszahlen 1828 und 1857, Rothwein in Flaschen und Fässern blickten uns gar einladend an. Sofort wurden Kanoniere mit Eimern zum Weinempfang für die Batterie beordert.

Unser Diner, welches auch zugleich Souper war, wurde in dem Eßsaale servirt. Die schönsten geschnitzten Möbel stauben hier, alle von der kunstfertigen Hand des Herrn dieses Stammschlosses geschnitzt. Daß uns unser Mittag mit dem köstlichen Weine mundete, und daß wir am anderen Morgen unsere Feldflaschen sehr sorgfältig füllten, kann man sich wohl denken.

In dem Schlosse waren in einem Saale zwölf Betten – vielleicht zu Lazarethzwecken – aufgeschlagen. Unsere Leute ließen es sich in denselben Betten wohl sein, und ich denke, das wird auch deren ursprünglicher Bestimmung keinen Eintrag gethan haben.

Unsere Marscherlebnisse waren nun die längst vielfach geschilderten, wie sie eben ein vom Kriege verwüstetes Land bietet, und mit deren Wiederholung ich Niemanden behelligen will. Für mich bleibt natürlich jedes einzelne Erlebniß ein Schatz für das ganze Leben, aber in diesem Augenblick hat Niemand Zeit, sich ruhig an der Theilung und Mittheilung solcher Schätze zu erfreuen.

  1. Die nachstehende Erzählung der Erlebnisse eines Mitkämpfers erregt unsere Theilnahme durch die Unmittelbarkeit ihrer Mittheilung. Wie Jeder gern aus dem Munde des Einzelnen erfährt, in welcher Art sich ihm das Bild einer Schlacht gezeigt, so hören wir auch unserem Erzähler zu und um so aufmerksamer, als wir einen Artilleristen vor uns haben, dessen Waffe in diesem Kriege von so großer Bedeutung ist, und der selbst so Tüchtiges geleistet hat, daß ihm, der noch an seinen Wunden darniederliegt, die herrlichste Auszeichnung dieses Kriegs, das eiserne Kreuz, verliehen worden ist.
    Die Redaction.
  2. Unsere Granaten haben Percussions-, die französischen Zeit-Zünder. Eine preußische Granate crepirt, sobald ihre Geschoßgeschwindigkeit eine plötzliche Verringerung oder gar Hemmung erleidet. Die lose Nadel behält die Geschwindigkeit, welche das Geschoß hatte, bei und sticht in die Zündpille, welche sich dann entzündet und einen Feuerstrahl zu der Sprengladung des Geschosses sendet. Die entzündete Sprengladung zerreißt das Geschoß, und die Granate zerplatzt in Sprengstücke.
    Der französische Zeitzünder ist folgendermaßen eingerichtet: An der Spitze des Geschosses befindet sich ein Sechskant, welches äußerlich sechs Brandlöcher zeigt und inwendig einen kreisrunden, langsam brennenden Satz hat. Außerdem führt eine Oeffnung inwendig zur Sprengladung der Granate. Fängt der Satz durch das letzterer Oeffnung zunächst liegende Loch an zu brennen, so hat das Feuer bald die nach der Sprengladung führende Oeffnung erreicht, und die Granate crepirt. Fängt der Satz durch das am weitesten entfernte Brandloch an zu brennen, so hat das Feuer erst den ganzen Satz zu verzehren, ehe es an die Sprengladung kommen kann. Nun zeigen die Platten, mit denen die Brandlöcher verklebt sind, Zahlen, welche der Entfernung entsprechen, auf welche geschossen werden soll, und die Schnelligkeit des Zusammenbrennens des Satzes ist so gut regulirt, daß sie so viel Secunden beträgt, als das Geschoß bis zum Ziele fliegt. Die entsprechende Platte wird abgerissen, und die Granate wird in das Rohr gebracht. Bei den französischen Vorderladern schlägt nun das Feuer der Geschützladung um die Granate herum und entzündet durch das geöffnete Brandloch den freigelegten Satz.
    Da Alles auf die richtige Brennzeit des Satzes ankommt; muß der Satz sehr sorgfältig gearbeitet sein; er soll das eine Mal so brennen wie das andere Mal. In dieser Schwierigkeit und in den Einflüssen der Temperatur, denen solche Zeitzünder trotz aller Vorsichtsmaßregeln unterworfen sind, liegt der Grund, daß so viele französische Granaten entweder zu früh oder zu spät crepirten, die Zünder brannten also entweder zu schnell oder zu langsam.