Bei den Menschenfressern auf Sumatra

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Autor: R. K.
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Titel: Bei den Menschenfressern auf Sumatra
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 488–490
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bei den Menschenfressern auf Sumatra.

An der Westküste Sumatras, oberhalb Padangs, vom Seestrande bis tief in’s unbekannte Innere dieser Insel hinein, lebt der Volksstamm der Batakers, welcher nach ungefährer Schätzung 300,000 bis 400,000 Seelen zählt. Längs der Küste hat das holländische Gouvernement langsam Fuß gefaßt, um die Batakers in Unterwürfigkeit zu halten und zwar durch Anlegung verschiedener Befestigungen. Einer der größeren dieser verstärkten Plätze heißt Simboga, liegt angenehm an der Meeresküste und bietet hinreichend Raum für eine Besatzung von circa 100 europäischen und 200 javanischen Soldaten mit den nöthigen Officieren und Unterofficieren.

Hier verlebte ich sechs Wochen in sehr angenehmer Gesellschaft und, was für mich die Hauptsache war, ich fand Gelegenheit, nicht nur die Sitten und Gebräuche der umliegenden befreundeten Kampongs (Dörfer) kennen zu lernen, sondern auch unter genügender militärischer Bedeckung mehr in das Innere der Batak-Länder vorzudringen, welche noch nicht im Geringsten von den alten Sitten und Gebräuchen abgewichen sind und sich einen ziemlichen Grad von Unabhängigkeit erhalten haben.

Eine leidlich entwickelte Cultur ist den Batak-Völkern durchaus nicht abzustreiten; sie treiben unter einander und mit den umwohnenden Stämmen der Padris einen lebhaften Handel in Reis und gewebten Kleidungsstücken, deren Anfertigung die Frauen mit wirklicher Kunstfertigkeit besorgen; sie besitzen eine eigene Literatur, welche in besonderer Schriftsprache geschrieben ist, sind höflich, achten die Gastfreundschaft und – essen mit dem größten Wohlbehagen Menschenfleisch, sei es roh, halb gar oder angenehm knusprig gebraten. Statt mich in Betrachtungen über den Grund dieser culinarischen Geschmacksverirrung einzulassen, welche ich befugten Forschern überlasse, sei es mir lieber vergönnt, mit leichter Feder einige Skizzen von dem zu zeichnen, was ich in Bezug auf die genannte scheußliche Sitte theils selbst beobachtete, theils aus vollkommen glaubwürdiger Quelle schöpfte.

Ich fange mit einer drolligen Anekdote an.

Durch Versetzung war ein Sergeant nach Simboga gekommen, welcher noch nicht lange die mütterliche Fettweide daheim in Friesland verlassen hatte und deshalb mit einer strotzenden Gesundheit und Leibesfülle hier ankam, welche den Neid verschiedener leberkranker Collegen erweckte, um so mehr, da er an der gemeinschaftlichen Unterofficierstafel eine Klinge schlug, welche eher eine Zunahme als eine Verminderung seines Umfanges erwarten ließ. Es hatte zwar nicht an warnenden Bemerkungen gefehlt, aber der edle Friese ging unbesorgt und gottvergnügt in der Umgegend und auf dem Markt spazieren, als ob es auf 1000 Meilen in der Runde keine Menschen gäbe, denen der Anblick eines so fetten Bissens den Mund wässerig mache. Doch es sollte anders kommen – zum Glück ohne nachtheilige Folgen für den lebenslustigen jungen Mann.

Jeden Morgen um acht Uhr begeben sich die Feldwebel der Compagnien mit ihren Rapporten vor das Haus des commandirenden Majors, dort werden die täglichen Befehle ausgegeben, dort kommen alle laufenden Sachen zur Regelung. Der Feldwebel der ersten Compagnie, bei welcher der dicke Friesländer diente, war durch Krankheit verhindert, selbst zum Rapport zu gehen, und deshalb mußte Sergeant Fischer – so hieß nämlich unser Freund – den Dienst an dessen Stelle wahrnehmen.

Der Major war noch in Innern seines Hauses beschäftigt; die Feldwebel plauderten unter einander über das eintönige Leben im Fort; kein Mensch dachte an eine aufheiternde Unterbrechung. Siehe, da kamen des Weges vier Batakers, welche zwei starke, fette Karbauen (indische Büffel) mit sich führten und augenscheinlich schon einen ziemlichen Weg zurückgelegt hatten, denn Mensch und Vieh schien gleich ermüdet. Vor der Wohnung des Majors, etwas zur Seite von den dort stehenden Unterofficieren, machten sie Halt, kauerten sich auf den Grund und gaben ihren Wunsch zu erkennen, den Major sprechen zu dürfen.

Nach den gewöhnlichen Ceremonien entspann sich folgendes Gespräch zwischen den Batakers und dem Major:

„Was wollt Ihr von mir, Leute? Kann ich Euch in etwas von Nutzen sein?“

„Herr Major, wollen Sie uns nicht erst sagen, ob dies nicht zwei besonders fette und starke Karbauen sind?“

„Gewiß, die Thiere sind fett und stark; es ist nichts dagegen einzuwenden.“

„Gut, Herr Major, wir sind sechs Stunden unterwegs und wollen fragen, ob Sie uns nicht diese Karbauen eintauschen wollen?“

„Eintauschen, gegen was denn?“

„Gegen diesen dicken Menschen da!“

Und schmunzelnd, zungeleckend und lippenschnalzend wiesen alle diese vier Biedermänner zugleich nach dem unglücklichen Sergeanten Fischer. Dieser hatte genug von der Sprache der Bevölkerung gelernt, um den frommen Wunsch vollständig zu begreifen, und befand sich natürlich in einer durchaus nicht angenehmen Stimmung. Zu seiner großen Genugthuung indeß herrschte sogleich der Major mit zornbebender Stimme den Batakers den Befehl zu, sich augenblicklich zu entfernen und sich nie wieder zu unterstehen, mit einer solchen Zumuthung vor ihn zu kommen. Traurig und niedergeschlagen entfernten sich die Diplomaten, deren Sendung so vollkommen mißglückt war, eine Sendung, auf deren Erfüllung wahrscheinlich zu Hause ein ganzes Dorf mit Entzücken wartete, denn der Ruf des außergewöhnlich dicken weißen Mannes war bis in die fernsten Hütten gedrungen, und nicht ohne wirkliche Opfer hatte man sich in dem betreffenden Kampong zu einem solchen Tauschhandel entschlossen. Um so größer wäre freilich auch die Ehre und der Genuß im Falle des Gelingens gewesen.

Sergeant Fischer bekam sofort Zimmerarrest auf unbestimmte Zeit, und wohl nie ist einer solchen Maßregel stricter nachgekommen worden, als durch ihn; er verließ sein Zimmer nur im äußersten Nothfalle; zu einem seiner früheren geliebten Spaziergänge nach dem Markt hätte er sich nicht für hundert Gulden entschließen können. Mit dem nächsten Dampfboote, welches in Simboga anlegte, verließ Sergeant Fischer diesen Ort, um in eine Garnison auf Java zu gehen, wo seine Fülle keine menschenfresserischen Gelüste anregte.

Vorstehendes habe ich erzählen hören, jedoch von Personen, an deren Glaubwürdigkeit ich nicht im Geringsten zweifle; das jetzt Folgende habe ich jedoch persönlich mitgemacht, und die Erinnerungen daran treten mir jetzt beim Niederschreiben, wo ich gut und trocken im Sicheren sitze, wieder doppelt grauenhaft vor den Geist.

Der Major hatte Ordre empfangen, in den ferner im Gebirge gelegenen Kampongs wieder einmal die Erinnerung an das holländische Gouvernement etwas aufzufrischen und zwar durch Absendung einer größeren Patrouille, welche den Kampongs-Oberhäuptern eine Einladung nach Simboga überbringen sollte. Die Stärke der Patrouille belief sich auf dreißig javanische Soldaten und einen europäischen Sergeanten Namens Wester; commandirt wurde dieselbe durch den europäischen Lieutenant K…, welcher noch zwei Batakers als Führer bei sich hatte; meine Wenigkeit schloß sich den zwei Europäern als Dritter im Bunde an und zwar lediglich in der Eigenschaft als „Schlachtenbummler“, um einen terminus technicus von 1870 zu gebrauchen. Die nöthigen Lebensmittel für acht Tage wurden durch Tragpferde fortgebracht, welche auch die Bagage und sonstigen Sachen trugen; an Bedienten hatte jeder von uns drei Europäern je einen mitgenommen, welche zugleich verpflichtet waren, ein wachsames Auge auf die Tragpferde zu haben; aus verschiedenen Gründen hatten sowohl der Lieutenant wie ich uns entschlossen, nicht zu reiten, sondern den Marsch zu Fuß mitzumachen.

Ich mag nicht unerwähnt lassen, daß Lieutenant K…, obschon bereits fünf Jahre in Indien, doch erst seit acht Monaten sich auf Simboga befand, Sergeant Wester dagegen war bereits ziemlich sechs Jahre auf Simboga stationirt und kannte sowohl Sitten wie Sprache der Batakers vollständig; auch unter den javanischen Soldaten waren einige, welche durch langjährigen Aufenthalt und Umgang mit Batakers uns über Verschiedenes gute Auskunft zu geben im Stande waren.

Ohne besondere meldenswerthe Vorfälle waren wir bereits drei Tage marschirt, hatten in den betreffenden größeren Kampongs die Einladung, nach Simboga zu kommen, an die Häuptlinge abgegeben und stets die Nächte im Freien zugebracht; die Einwohner [489] waren uns zwar nicht ausgesprochen feindlich gesinnt, doch bin ich überzeugt, daß sie unsern Abmarsch stets lieber sahen als unsern Einzug. Am vierten Tag jedoch sagten uns die Führer, daß wir diese Nacht in einem Kampong zubringen müßten, wo das Stammesoberhaupt, ein aufrichtiger Freund des holländischen Gouvernements, es sich zur besonderen Ehre rechnen würde, uns Gastfreundschaft zu erweisen. Auf der Marschroute war das Kampong als das entfernteste Ziel unserer Patrouille bezeichnet; von dort aus sollten wir auf einem anderen Wege den Rückmarsch nach Simboga antreten.

Gegen fünf Uhr des Nachmittags kamen wir denn auch vor dem sehr ausgestreckten und regelmäßig gebauten Kampong an, dessen Einwohnerzahl der Sergeant auf 7000 bis 8000 Seelen schätzte, eine Berechnung, welche durch unsere Führer bestätigt wurde. Wir warteten außerhalb des Orts einige Zeit, bis das betreffende Oberhaupt Kenntniß von unserer Ankunft bekommen hatte. Nach Empfang derselben ließ er nicht lange auf sich warten; er kam uns in Begleitung seiner Würdenträger entgegen und richtete in den gewähltesten Ausdrücken die Bitte an uns, diesen Tag oder so lange wir wollten, bei ihm zuzubringen. Ein so freundliches Anerbieten abzuschlagen, lag durchaus nicht in unserer Absicht, um so weniger, als wir die Versicherung erhielten, daß für die javanischen Soldaten ein großer Schuppen disponibel sei, welcher unmittelbar an das Haus grenze, welches wir bewohnen sollten, und als dieses Haus mit der Wohnung unseres Gastherrn identisch war.

Beim Einmarsch in das Kampong fiel uns Allen sofort das rege Leben auf, welches darin herrschte und welches unmöglich allein durch unsere Gegenwart veranlaßt sein konnte; Gruppen festlich geputzter Menschen standen plaudernd vor den Häusern oder gingen fröhlich scherzend von einem Theil des Kampong zum andern; vor den meisten Wohnungen standen oder saßen die Frauen um die Feuerherde, auf denen dampfende Kessel standen.

Der Sergeant theilte mir und dem Lieutenant seine Vermuthung mit, daß wir wahrscheinlich zu einer ungelegenen Zeit gekommen seien, da allem Anschein nach ein Fest gefeiert werde, für dessen Fortgang unsere Anwesenheit störend erscheine. Der Lieutenant war derselben Meinung und fragte den neben ihm gehenden Häuptling nach der Ursache des ungewöhnlichen Lebens, zugleich den Wunsch ausdrückend, daß, wenn die Bevölkerung ein Fest feiern wolle, sie sich durch uns davon durchaus nicht sollte abhalten lassen. Höflichst dankend für die Zuvorkommenheit des Lieutenants, erzählte uns nun das Stammeshaupt, daß heute allerdings ein besonderer Festtag für das Kampong und besonders für ihn selbst sei, da ein neues Haus, welches er für sich und die Seinigen habe bauen lassen, seit gestern vollendet sei und heute Abend durch ihn mit Familie eingeweiht werden solle.

Für mich war diese Mittheilung höchst interessant, da ich hoffen konnte, dabei einige besondere Wahrnehmungen machen zu können, ein Blick jedoch auf die Gesichter meiner Begleiter brachte mich auf die Vermuthung, daß hinter der harmlosen Festlichkeit wohl etwas Besonderes stecken müsse. Ich bat um Aufklärung, und der Sergeant gab mir zu verstehen, daß die Einweihung eines neuen Hauses zu den größten Festlichkeiten der Batakvölker gehöre, bei jeder Festlichkeit jedoch seien einige Leckereien unumgänglich nothwendig, welche sowohl die europäische Civilisation wie auch das gewöhnlichste menschliche Gefühl verabscheue. Bevor ich jedoch weitere Erklärungen erhalten konnte, zeigte der Häuptling auf ein sehr stattliches Gebäude hin, welches, mit Gallerien und starken hölzernen Pfeilern versehen, festlich geschmückt war, und lud uns ein, ihm zu folgen und auf kühlen Matten unter der Veranda Platz zu nehmen.

Der Lieutenant ging zuvor mit dem Sergeanten nach dem etwas abseits gelegenen großen Schuppen, überzeugte sich, daß die Mannschaften gut untergebracht waren, gab die nöthigen Ordres für die Schildwachen, und bald saßen oder vielmehr lagen wir auf den bequemen Matten, unsere zusammengerollten Decken als Kopfkissen gebrauchend. Unser Sergeant schien heute besonders unruhig zu sein; kaum hatte er sich ein wenig ausgeruht, so begann er mit der Nase in den Wind zu schnüffeln wie ein gut dressirter Jagdhund; er schlenderte scheinbar harmlos längs der Vorgallerie herum und schien die Absicht zu haben, sich durch eine zufällige Wendung bis nach der Küche hinzuschlängeln, aber so schlau er auch dieses Manöver auszuführen versuchte, mißglückte es doch vollständig; die inländischen Damen, welche daselbst mit Kochen und Braten beschäftigt waren, schienen diese Topfguckerei für vollständig überflüssig zu halten und verschwanden mit den ganzen Küchengeräthschaften hinter einer Schutzwand von Bambus. Dorthin zu folgen schien nicht räthlich, und so kam er denn mit einem höchst mißvergnügten Gesicht zu uns zurück, das sich jedoch sofort aufhellte, als unsere Diener mit einigen Flaschen Portwein anlangten und er auf unsere Einladung an deren Vertilgung theilnehmen konnte.

Unser Gastherr hatte sich inzwischen durch seinen ältesten Sohn bei uns entschuldigen lassen, da die Vorbereitungen zum Feste seine Gegenwart erforderten. Nach kurzer Dämmerung war inzwischen vollständige Dunkelheit eingetreten, und vor der Gallerie waren verschiedene Eingeborene mit dem Einrammen von Bambuspfählen beschäftigt, um daran die nöthigen Beleuchtungsgegenstände anbringen zu können. Diener in einer Art von Galalivrée hatten für uns ein Ding wie einen Tisch hergerichtet und kleine geflochtene Rohrsessel darum gestellt; Schüsseln mit gedämpftem Reis und dazu gehörige Sauce, in welcher verschiedene Gemüse gekocht waren, sowie einige gebratene Hühner und Fisch mit dem nöthigen spanischen Pfeffer bildeten unsere Abendmahlzeit, und als Dessert gab es Pisang, Ananas und andere Früchte; für Getränk hatten wir wohlweislich selbst gesorgt.

Nie werde ich jedoch die verlegenen Gesichter vergessen, mit welchen Alles um mich der Nöthigung unseres inzwischen zurückgekommenen Gastherrn folgte, um seinem Mahle Ehre anzuthun; ein Verschmähen wäre arge Beleidigung gewesen, welche leicht unangenehme Folgen für uns hätte haben können. Der Sergeant war der Erste, welcher das peinliche Schweigen unterbrach und eines von den Hühnern auf seinen Holzteller nahm. „Lieutenant,“ begann er, „ich glaube mit vollständiger Sicherheit annehmen zu können, daß der gebratene Gegenstand, welchen ich hier vor mir auf meinem Teller habe, im Leben ein veritables Huhn und nichts Anderes gewesen ist. Knochenbau und Fleisch lassen mich diese Behauptung als unzweifelhaft aufstellen, wäre dies nicht der Fall, so würde ich wahrhaftig lieber verhungern, als nur einen Bissen davon zu mir nehmen.“

Da Niemand von uns einen gegründeten Gegenbeweis beibringen konnte, so wurde stillschweigend angenommen, daß der Sergeant Recht habe; wir folgten seinem Beispiel, ließen uns die wirklich sehr gut zubereiteten „Backhändl“ bestens schmecken und würzten dieselben durch den Genuß eines guten Glases Porto blanco. In Indien ist jedoch der Reis das Hauptnahrungsmittel, und die gefüllte Schüssel stand noch immer vor uns, und zwar deswegen, weil trockener Reis allein nicht zu genießen ist, sondern den Gebrauch der gleichfalls auf der Tafel stehenden Sauce nothwendig macht, Aussehen sowie Geruch derselben jedoch uns starkes Mißtrauen einflößte. Niemand wollte indessen seinem Argwohn Worte geben.

„Sergeant,“ begann diesmal der Lieutenant, „wollen Sie keinen Gebrauch von Reis und Sauce machen? Mich dünkt, der Reis ist von bester Qualität.“

„Gewiß, Lieutenant, ich zweifle nicht im Geringsten daran, daß dieser Reis ausgezeichnet ist. Was hingegen die Sauce betrifft, so möchte ich vorher gern von Ihnen die Versicherung hören, daß Sie nicht den geringsten Argwohn haben mit Bezug auf den Ursprung der Bouillon und die verschiedenen Fetttheile, welche ich darin herum schwimmen sehe.“

„Sergeant,“ entgegnete der Lieutenant, „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß; ich glaube annehmen zu können, daß die von Ihnen angezweifelten Fleischtheile sicher von einem fetten Büffel herrühren, welcher zur Ehre des Festes geschlachtet wurde, und keineswegs, wie Sie zu vermuthen scheinen, von einem aufrechtgehenden Geschöpfe Gottes.“

„Meine Herren,“ mengte ich mich jetzt in das Gespräch, „ich gebe Ihnen die heilige Versicherung, daß ich von dieser Sauce, nach dem eben von Ihnen geführten Discours, keinen Tropfen genießen werde, um so weniger, da ich bestimmt gesehen habe, daß unser Theil aus derselben Schüssel genommen wurde, welche dort soeben zum Gebrauch für unsern Gastherrn mit Familie aufgetragen wird.“

Stillschweigend legten wir unsere mitgebrachten Messer und Gabeln nieder; auch der Fisch fand keine Gnade mehr vor unseren Augen, dagegen begann eine lebhafte Attaque auf Pisang und [490] Ananas, da hinsichtlich dieser Früchte nicht der geringste Grund für irgendwelchen Argwohn vorhanden war; unser Hunger wurde dadurch vollständig gestillt, und während die Diener die Ueberreste wegräumten, erwarteten wir beim Rauchen einer Cigarre den Beginn der Tanzvorstellung.

Der Lieutenant gab inzwischen dem Sergeanten Befehl, den Mannschaften im Schuppen einige Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen; dieser begab sich dorthin und passirte im Zurückgehen auch die vor der Veranda aufgestellten Beleuchtungsgegenstände; wir sahen von unsern Matten aus, wie er langsam schlendernd plötzlich Halt machte, einige der mit Oel gefüllten Schalen genauer in Augenschein nahm und dann, die aufgestellte Reihe entlang gehend, sich wieder zu uns verfügte.

„Lieutenant,“ rapportirte er, „da habe ich eine schöne Entdeckung gemacht, bitte, unternehmen Sie doch mit diesem Herrn eine Wanderung längs der dort aufgestellten Laternen und betrachten Sie dabei sowohl die Träger der Oelschalen wie auch diese selbst! Es wird Sie nicht reuen; es ist wirklich sehr interessant zu sehen; nur möchte ich Ihnen rathen, es scheinbar absichtslos zu thun und keine Ueberraschung merken zu lassen.“

Neugierig wollte ich sofort aufspringen, doch der Lieutenant, welcher eine ziemlich richtige Vermuthung zu haben schien, ersuchte mich, noch etwas zu warten und erst mit ihm nach dem Schuppen zu gehen, wo die Soldaten logirten, um von dort aus wie zufällig unsere Nachforschungen anzustellen. Ich folgte natürlich seinem Rath; wir überzeugten uns, daß die Mannschaften gute Schlafplätze hatten, und promenirten dann die Veranda entlang bis zu den ominösen Lichtschalen; was ich hier sah, werde ich nie vergessen. Ungefähr zehn Schritte von der Gallerie weg waren mannshohe Bambuspfähle in den Grund geschlagen, auf deren zugespitztem Ende je eine menschliche Hand stak, welche ein wenig unterhalb des Gelenkes vom Arme abgehackt war. Die Fingerspitzen, mit Ausnahme des Daumens, waren mit scharfen Dornen durchstochen; darum gewundener Bast, nach unten straff angezogen, nöthigte die Handfläche offen zu bleiben und ermöglichte dadurch das Aufstellen von mit Oel gefüllten Schalen, in welchen ein Docht zum Brennen lag. Die Schale, vor welcher ich stand, war die Hälfte einer Cocosnuß, doch rechts davon war an deren Stelle die obere Schädeldecke eines Menschen getreten; wir zählten zehn Hände und fünf Schädel, jeder weitere Commentar war natürlich überflüssig.

Es kostete sowohl mir wie dem Lieutenant ziemliche Mühe, bei diesem scheußlichen Anblick unsere Ruhe zu bewahren, und doch war dies entschieden nothwendig, wenn wir uns nicht in Unannehmlichkeiten verwickeln wollten; directe Gefahr bestand zwar für uns durchaus nicht, da wir selbst im ärgsten Fall mit unsern dreißig Bajonneten das ganze Kampong in Respect halten konnten, doch gehörte es zu den strengsten Instructionen des Patrouille-Commandanten, nicht nur jeden Conflict zu vermeiden, sondern durch möglichstes Zuvorkommen der Bevölkerung Vertrauen einzuflößen. Obgleich wir uns, wie gesagt, bemühten, durch keinerlei äußerliche Zeichen unsern Abscheu zu verrathen, so hatte unser Gastherr doch Lunte gerochen. Mit dem harmlosesten Gesichte der Welt kam dieser Biedermann auf uns zu, sich keineswegs wegen des Geschehenen entschuldigend, sondern nur den Schwerpunkt darauf legend, daß es keine orang blanda (weiße Menschen) seien, deren Fleisch er mit den Seinigen sich heute habe gut schmecken lassen. Ein gewisser wehmüthiger Zug, welcher dabei sein Gesicht durchzuckte, schien mich zu der Annahme zu berechtigen, daß ihm der Genuß von orang blanda keineswegs fremd sei, daß er im Gegentheil sehr gut den Unterschied zu würdigen wisse, welcher zwischen einem zähen Eingeborenen und einem saftigen Europäer besteht. Wie dem auch sei – wir setzten ein möglichst diplomatisches Gesicht auf und thaten, als ob uns die ganze Geschichte sehr gleichgültig sei; ändern konnten wir doch nichts daran.

Die Vorbereitungen zum Tanz waren inzwischen so weit gediehen, daß mit dem Beginn nur auf uns gewartet wurde; nachdem wir unsere Plätze wieder eingenommen hatten, klatschte der Häuptling in die Hände; Gamelang und Gong-Gong eröffneten ihr ohrenbetäubendes Concert, und drei Bataksche Schöne, den nackten Oberkörper reichlich mit weißer und gelber Farbe bemalt, mit Ringen und Goldplättchen um Hals, Arme und Beine, begannen laut singend zu tanzen.

Bei allen Völkern des indischen Archipels bildet der Tanz den Glanzpunkt jedes Festes, nicht daß sich Jedermann daran betheiligte, nein, nur das Sehen der rhythmischen Bewegung und der begleitende Vortrag alter Heldengesänge, wodurch Auge und Ohr der Anwesenden gleich angenehm beschäftigt wird, gewährt den Reiz; die Tänzerinnen stehen gewöhnlich außerhalb der sogenannten Gesellschaft, und das Verhältniß ist genau dasselbe, wie es früher in Europa zwischen wandernden Komödianten und einer ehrenwerthen Bürgerfamilie bestand.

Schade nur, daß für uns Europäer der Wortlaut des Gesanges vollständig unverständlich blieb; der malayischen Sprache, welche überall im indischen Archipel neben der gewöhnlichen Volkssprache Bürgerrecht hat, waren wir zwar vollkommen mächtig, der Vortrag wurde jedoch in einem Idiom gehalten, welches vielleicht vor vielen Hunderten von Jahren bei den alten Batakern gebräuchlich und uns deshalb unbekannt war. Auf eine Verdolmetschung durch unsern Gastherrn war nicht zu rechnen, da derselbe so vollständig durch den Gesang eingenommen schien, daß er für nichts Anderes Auge und Ohr harte; unser Genuß war deshalb auch nicht bedeutend, und nach einer verabschiedenden Verbeugung gegen die Festgeber, welche höflich erwidert wurde, begaben wir uns in die bereit gehaltenen Gemächer, wo wir, beschützt durch eine Schildwache, bald in ruhigen Schlaf versanken.

Der andere Morgen fand uns frisch und munter, bereit, den Rückweg anzutreten; das Stammeshaupt hatte die Einladung nach Simboga angenommen, und wir, auf ein angebotenes Frühstück einstimmig verzichtend, begannen unsern Marsch nicht ohne das Gefühl einer gewissen Dankbarkeit gegen die Vorsehung, welche uns so glücklich vor dem Genuß eines Products Batakscher Kochkunst bewahrt hatte. Wir passirten diesen und die darauf folgenden Tage noch mehrere Kampongs, ohne jedoch von der angebotenen Gastfreundschaft Gebrauch zu machen; der Anblick großer Kessel auf Feuerherden war genügend, um uns einen gelinden Grusel einzujagen, um so mehr, als der Sergeant ein gewisses Vergnügen daran fand, durch Vermuthungen, welche höchst wahrscheinlich der Wahrheit ziemlich nahe kamen, die Erinnerungen an unser Nachtquartier nicht einschlafen zu lassen. Endlich bekamen wir am Abend des siebenten Marschtages Simboga wieder zu Gesicht; ein flinker Marsch brachte uns dahin, und inmitten der befreundeten Officiere erzählten wir unsere Abenteuer. Bald nachher sagte ich Simboga und den fatalen Batakers Lebewohl, um mein Standquartier auf Java zu nehmen.

R. K.