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Bei den Muschelarbeitern im Voigtlande

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Textdaten
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Autor: Paul Le Mang
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Titel: Bei den Muschelarbeitern im Voigtlande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 120–122
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bei den Muschelarbeitern im Voigtlande.

Wenn im Mai und Juni im sächsischen Voigtlande die Wasser der weißen Elster und einiger in die Elster fließender Bäche fallen und sich wärmen, macht sich ein Fischer mit seinen Gehülfen zur Jagd auf. Er ist Königlicher Fischer und sagt mit Stolz, daß seine Familie das ehrenvolle Amt seit 1621 bekleidet. Er hat sein Jagdgebiet in dreihundertundzehn Tracte getheilt, die auf ein Flüßchen, acht Bäche und dreiundzwanzig Mühlgräben fallen und nach einem zehnjährigen Turnus begangen werden. In hohen Wasserstiefeln watet er der Strömung entgegen. Jetzt muß er auf Beute stoßen; vor zehn Jahren verhieß der Ort reichen Fund. Aber ach! er sucht vergeblich; Eisgang und Hochwasser haben den Grund verändert; das Lager wurde weggeschwemmt, über blankes Gestein plätschern die Wellen. „Tausend Schritt weiter hinauf!“ tröstet der junge Begleiter des ergrauten Waidmannes. Der Alte schüttelt traurig lächelnd den Kopf: er weiß, daß an der bezeichneten Stelle der Bahnbau den einst so dichten Wildstand gelichtet, räuberische Hand an dem Ueberbleibsel gefrevelt. Doch da, wo er nichts gehofft, ein reiches Lager! Stück an Stück! Der Grund des Flüßchens scheint mit dem Wilde gepflastert zu sein. Die Linke fährt in das seichte Wasser; aus sandigem und thonigem Boden hebt sie drei schwarze, länglich bis ein Decimeter ausgestreckte, gebauchte Körper. Die Rechte, ein Instrument führend, öffnet mit Fertigkeit die Körper fingerbreit. Aus einigen schneidet der Fischer glänzend runde Dingerchen, wenn groß, so von der Größe eines Haselnußkerns; auf andere schreibt er die laufende Jahreszahl und wirft sie dann unbenutzt auf einen Haufen in das Wasser, den Verworfenen es überlassend, ihr Haus wieder an einen geeigneten Ort zu stellen und daselbst eine Bank zu bilden.

Es ist der Perlenfischer, der auf Beute ausgeht. An zweihundert Perlen erjagt er jährlich, schöne helle, auch minder gesuchte, halbhelle und Sandperlen. –

Da brachte die in Regenbogenfarben schillernde Muschelschale, das sogenannte Perlmutter, den jetzt noch lebenden Perlenfischer Schmerler in Oelsnitz auf den Gedanken, auch den Schalen der kopflosen Weichthiere durch Bearbeitung einen Werth zu verleihen. Nach unendlicher Mühe gelang es dem rastlosen Eifer Schmerler’s, aus den Schalen Portemonnaies herzustellen. Es war dies vor fünfundzwanzig Jahren, 1853. Der Buchbinder F. A. Schmidt in Adorf, ein geweckter, unternehmender Mann, der mit Schmerler in Verbindung stand, verpflanzte die Muschelbearbeitung als neuen Industriezweig nach Adorf. Jetzt leben nahe an tausend Menschen von dem „Muschlen“.

Ein Vernichtungskrieg ist nun gegen die harmlosen Wasserbewohner entbrannt. Tausende der waffenlosen Thierchen verenden jährlich in heißer Sonne, im dumpfigen Keller, vom geldgierigen Menschen gefühllos zu Haufen geschüttet; tausende der stillen Künstler werden von kleinen Mädchen mit Hadern aus ihrem Schalenhause gewaschen. Kistenladungen von Muscheln bringen baierische und böhmische Händler nach Adorf. Den Giften der Fabriken, dem Geräusche und der Unruhe der Wasser- und Bahnbauten, der Hitze trockener Sommer haben die Schalenthiere kräftig widerstanden; der Raubgier der Muschler werden die Perlenbildner erliegen müssen. Was in Baiern und Böhmen der Privateigenthümer der Muscheln führenden Gewässer plündert, das wird im sächsischen Voigtlande gestohlen. Der Perlenfischer fand einmal in einem Keller zwölftausend Stück aus seinem Reviere gestohlener Muscheln. Das Geschäft Schmidt und Sohn verarbeitet in einem Jahre über 150,000 Stück Muscheln, das Haus Lots wohl ebenso viel, kleinerer Geschäfte nicht zu erwähnen. Wenn man nun bedenkt, daß eine Muschelschale, welche zum Portefeuilliren verwendet werden soll, hundert bis hundertzwanzig Jahre alt sein muß, so kann man wohl schließen, daß die Muschler nach zehn Jahren in den voigtländischen Bächen vergeblich nach brauchbaren Muscheln suchen dürften.

Als Schmerler im Jahre 1853 die Muschel zum ersten Male zu Portemonnaies verarbeitete, verkaufte er das Stück um fünf Mark. Die Kaufleute nahmen natürlich auch einen hübschen Gewinn. Im Kleinhandel kam der Preis eines Muschelportemonnaies auf sechs und sieben Mark. Jetzt kauft man sie schon für fünfunddreißig Pfennig. Wirklich haltbare und praktisch eingerichtete kauft man von fünfundsiebenzig Pfennig an bis zu zwei Mark. Mit einem Geldtäschchen ist nicht zu rechnen; die Masse muß den Verdienst bringen.

Die Bearbeitung der kalkigen Schale erfordert viele Hände. Die Muschel wird zuerst geschliffen; aus rohem Sandsteine beseitigt ein Knabe in einigen Minuten die äußere schwarze Schale, bis das Perlmutter zum Vorschein kommt. (Die neuere Technik kocht die Muscheln vorerst mit Seifenstein, um das Schleifen zu beschleunigen; doch giebt eine solch gekochte Schale nie dauernden Glanz und Halt.) Hierauf geschieht das Zusammenschleifen zu einem Paare mit festem Schlusse; die scharfen Kanten werden beseitigt. An dem Zusammenschleifen mag man mit die solide Arbeit erkennen. Jetzt mischt der Schleifer Gyps und Leim zu einem Kitte und bestreicht damit die inneren Flächen des Muschelpaares. Ein anderer Knabe empfängt nun die grob geschliffenen und ausgekitteten Muscheln, und mit einer nicht feinen Feile sucht er die Unebenheiten des Schleifens zu beseitigen, die Hügel zu ebenen. Seine Arbeit erfordert fünf Minuten Zeit, aber die Striche der Feile schabt dann ein anderer mit einem dreiseitigen glatten Eisen heraus, und in wenigen Minuten ist auch diese Arbeit beendet. Es folgt das Abreiben der geschabten Muscheln mit Sandpapier. Zu sieben Dutzend Doppelschalen braucht das abreibende Kind zwei Bogen Sandpapier, einen Bogen grobes und einen Bogen feines. Die Sandpapierstriche verschwinden zu lassen, kommt die Muschel zur Drehbank. Um ein Bild der Drehbank zu erhalten, braucht sich der Leser nur einen Schleifstein zu vergegenwärtigen. Was hier Stein, ist dort Holz mit von Bimsstein und Wachs geriebenem Filze umgeben. Auf der Drehbank erhält die Muschel einen matten Glanz, und dieses zweite Schleifen läßt das Poliren folgen. Man tröpfeln auf die matt glänzende Seite Olium, drückt sie auf Trippel und reibt nun mit einem Filzstabe, bis mit Wärme auch der wahre Glanz kommt. Ein Arbeiter polirt in einer Stunde drei Dutzend Muscheln.

Das Schleifen, Feilen, Schaben, Abreiben, das zweite Schleifen, das Poliren bildet den ersten Theil der Arbeit, während der andere das Anschlagen und das Portefeuilliren umfaßt. Unter dem Anschlagen versteht man das Annieten der messingnern, neusilbernen und silbernen Beschläge an die Muschel. Die Nietlöcher hat man auf der Drehbank mittelst eines feinen Stahlstiftes gebohrt. Der Portefeuillirer leimt an das beschlagene Muschelpaar das Futter und die Taschen aus Atlas, Seide, Leder, Calico, Chagran, Papier.

Alle diese Arbeit erfolgt nicht in der Fabrik; denn dieser Zweig der Muschelindustrie ist vornehmlich Hausindustrie.

Der Verdienst der Muschelarbeiter ist natürlich mit dem Sinken der Muschelwaarenpreise bedeutend zurückgegangen. Das Dutzend kleinerer Muscheln (das ist vierundzwanzig Stück Schalen) zu feilen, zu schaben, abzureiben, sie nochmals zu schleifen und zu poliren bringt fünfundvierzig Pfennig Lohn, das Dutzend größerer sechszig bis siebenzig Pfennig. Ein fleißiger Arbeiter bringt es in der Woche auf zehn bis elf Mark.

Die Industrie blieb nun bei der Herstellung von Geldtäschchen nicht stehen. Sie fertigte aus der Flußperlmuschel (Margaritana margaritifera) bald Brochen, Ohrringe, Knopfgarnituren, diverse Waaren, wie Tabatièren, Feuerzeuge, Aschenbecher, Armbänder und Halsketten. Um Schmucksachen mit schillernderen Farbenspiele und milderem Lichte zu fabriciren, griff sie zu der Verarbeitung der Seeperlmutter (Meleagrina), die sich in großen Bänken im persischen Meerbusen, im Meere [122] der Sundainseln, auch am mexicanischen Meerbusen findet und in ganzen Schiffsladungen nach Europa gebracht wird. Hiermit trat die voigtländische Muschelindustrie in den Kampf mit ihren strahlenden Schwestern in Paris und Birmingham. Daß aber der größte Theil der in Adorf gefertigten Waare nach England und Amerika geht – bei einem Zolle von fünfunddreißig und zehn Procent – spricht wohl deutlich für die Güte der Adorfer Waare. Die in sanftem Röthlich spielenden Kämme, Kopf- und Tuchnadeln, letztere sehr häufig Schmetterlinge, Pflanzenblätter, Blumen und dergleichen darstellend, sind von Meleagrina.

Wahrhaft künstlerische Arbeiten entstanden jedoch erst, als die Industrie auch das Gehäuse einiger Schneckenarten in ihr Arbeitsgebiet zog. Zwei Familien der Schildkiemenschnecken, die Familie der Kreiselschnecken (Trochoïdea) und die der Seeohren (Haliotidea), zeichnen sich im Innern ihres Gehäuses durch den in den prachtvoll tiefsten Regenbogenfarben schillernden Perlmutterglanz aus. Haliotis tuberculata spiegelt in äußerst schönen hellgrünen, weiß und blaßrothen Farben, Haliotis Iris dagegen in mehr dunkleren, prächtig tiefgrün und blau schillernd. Diese beiden und das Gehäuse der Kreiselschnecke Rundmund (Turbo) mit ihrer gold- oder silberfarbigen Mündung geben die herrlichste Mosaikgegenstände. Wenn man Schatullen, Toilette, Albums mit den eingelegten, überaus malerischen Landschaften sieht, bekommt man vor der jungen deutschen Industrie Respect und versagt den Männern die Hochachtung nicht, die aus ihrem eigenen Kopfe so künstlerisch schaffen.

Wer einmal das Städtchen Adorf berührt, das jetzt von den Gästen des nahe liegenden, rasch berühmt gewordenen Bades, Elster, viel besucht wird, versäume ja nicht, sich in den Muschelfabriken – den einzigen in Deutschland – umzusehen. Mit der liebeswürdigsten Bereitwilligkeit öffnet man ihm Arbeitsstuben und Niederlagen. Er sieht, wie man mit Salzsäure die dicken Gehäuse der Seeschnecken von der braungrauen äußeren Schale reinigt, auf runden mit der Drehbank bewegten Sägen die kalkigen ohr-, kegel- oder thurmförmigen Schalen in kleine handliche Stücke theilt, sie polirt und zu lebensvollen Mosaikzusammensetzungen formt, um sie nochmals zu poliren. Die Gegenstände, für das Auge so lieblich zu schauen, sind dabei auch von ungemeiner Dauerhaftigkeit; man kann sie aus ziemlicher Höhe fallen lassen, ohne daß sie Schaden leiden.

Eine kleinere Fabrik unterzieht sich auch dem Vertriebe und der Herstellung der bekannten „Hamburger Waare“, zumeist in Cartonagen bestehend. In Uhrgehäuse, Uhrpantoffeln, Bilder- und Spiegelrahmen, Körbchen, Briefmappen, Nadelkissen, Necessaires, Schreibzeugen, Cigarrenhaltern, Cigarreabschneidern, Toiletten, Dosen, Albums, Schlüsselhaltern, Aquarien sieht man die Gehäuse der Schrauben (Terebra), der Kegelschnecke (Conus), der Tigerschnecke (Cypraea), der Flügelschnecke (Strombus), der Pilgermuschel (Pectinea), der Herzmuschel (Cardioidea), der Ovula etc. Es repräsentirt sich dem Beschauer das mit der Zeit so mürbe werdende Gehäuse des eßbaren See-Igels und der niedlich weiße Reiß. Freilich muß auf diese Specialität – Hamburger Waare – noch viel Fleiß verwendet werden, damit sie sich zu höherer Feinheit emporhebe.

Die Adorfer Muschelindustrie selbst hat noch eine Zukunft. Tausende von Familien, welche sich einen gewissen Luxus und Comfort gönnen, sind mit den Erzeugnissen dieses Kunstgewerbes gänzlich unbekannt. Sie wissen nicht, daß sie für wenig Geld ein schönes und haltbares Stück Hausgeräth, einen im Ansehen bleibenden geschmackvollen Zimmerschmuck erhalten.

Wiederum auch wird mit der Nachfrage die Erfindungsgabe der Fabrikanten gesteigert werden und die Muschelindustrie sich neue Arbeitsfelder suchen. Alles aber wird dem Städtlein zu Gute kommen, das ich auf meiner Wanderung lieb gewonnen.

Paul Le Mang.