Bei der Mosterei in Schwaben
Es war ein klarer Herbstnachmittag, als ich in Gemeinschaft eines schwäbischen Freundes dem hoch über Stuttgart gelegenen Bopserwalde zuschritt, um von dort einen Ausflug nach den Meiereien von Hohenheim, den eigentlichen Herzkindern des verstorbenen Königs Wilhelm, zu machen.
Wir wanderten an Fruchtbäumen und Rebhügeln dahin, und so kam das Gespräch ganz naturgemäß auf den Obst- und Weinbau. Als Norddeutschen waren mir Art und Betrieb des letztern ziemlich fremd, und so ließ ich mich gern von meinem sachkundigen Begleiter darüber belehren.
„Ihr müßt ja im Wein förmlich ertrinken,“ sagte ich zu meinem Freunde, indem ich auf die rings emporsteigenden Weingelände wies, welche Stuttgart umgeben. „Wächst Euch doch der Wein gewissermaßen zum Fenster hinein!“
„Mit dem Ersteren hat es keine Gefahr,“ antwortete jedoch mein Begleiter. „Allerdings sehen wir an jedem Straßenende die Weinberge aufsteigen, man sorgt aber auch dafür, daß wir nicht zu viel trinken, oder gar, wie Du vorhin meintest, im Wein ertrinken. Obgleich der Wein in unmittelbarer Nähe, ja beinahe in der Stadt wächst, ist er doch nicht so billig, wie man glauben sollte. Das kommt von der vielen Ausfuhr. Wie mancher schwäbische Wein wird außerhalb als dieser oder jener ‚Château‘ etikettirt und getrunken!“
„Wenn der Wein bei Euch verhältnißmäßig theuer ist, was trinken denn aber Eure Arbeiter während des Schaffens?“ fragte ich.
„Moscht!“ (d. h. Aepfel- und Birnenwein) antwortete er mir auf gut Schwäbisch.
Ich zog bei dem Worte „Most“ die Lippen zusammen, damit mir ja kein Tropfen darüber ginge. In Berlin hatte mich vor einer Reihe von Jahren ein Studiengenosse in den Garten des ‚Apfelpetsch‘ geführt, und noch heute denke ich an den Essiggeschmack, mit dem ich angeführt wurde und der mir damals lange nicht aus dem Munde wollte.
„Ja, so ‘n gut’s Glas Moscht isch eppes Delicat’s!“ fuhr mein Begleiter fort.
„Für Liebhaber!“ entgegnete ich. „Ich, für mein Theil, kann mich mit Most nicht befreunden und ziehe eher Wasser vor.“
„Ja, es kommt freilich darauf an, wie er ist und“ – setzte er nach einer Pause hinzu, „wie er zubereitet wird. Wir wollen [668] heut’ mal im ‚Löwen‘ in Degerloch eine Flasche vorjährigen ‚Bratbieremoscht‘ trinken, und ich bin überzeugt, Du wirst dann eine bessere Meinung von unserem ‚Moscht‘ bekommen.“
„Was – Bratenmost – oder wie nanntest Du doch das Gewächs?“
„Koi G’wächs!“ lachte er. „Brat-Birnen-Most heißt’s auf Hochdeutsch.“
Ich bat ihn nun, mir sowohl darüber, wie über die Obstmostbereitung im Allgemeinen Einiges mitzutheilen, und er erklärte sich hierzu gern bereit.
„Wir haben geschtern selbscht gemoschtet,“ sagte er. „Schade, daß Du nicht früher angekommen bist, Du hättest Dir dann die Moschterei selbst mit ansehen können.“
Er erzählte mir nun Folgendes:
„Bei uns in Schwaben ist der Most ein ziemlich bedeutender Handelsartikel; er dient aber auch dem arbeitenden Landmann, wie Arbeitern der unteren Classen überhaupt, als sehr gesundes Getränk, welches zugleich das zweckmäßigste Erfrischungs- und Stärkungsmittel abgiebt, vorausgesetzt – daß der Most gut zubereitet ist. Bei unzähligen Familien bildet er recht eigentlich den Haustrunk, der, mit einem halben Pfund Brod genossen, erfahrungsmäßig mehr sättigt, als ein Pfund Brod ohne Most. Man kann deshalb bei uns mit Recht behaupten, daß durch einen reichen Obstertrag viel an Brod erspart wird. Was den Obstmost speciell betrifft, so ist der Apfelmost im Allgemeinen dem Birnenmost vorzuziehen, weil jener besser, geistreicher und haltbarer als dieser ist. Während der Apfelmost von guten Sorten sich drei bis sechs Jahre hält, bleibt guter Birnenmost nur ein bis drei Jahre haltbar.
„Unter den Aepfeln sind zur Bereitung eines guten Mostes, neben vielen anderen Sorten, die sogenannten ‚Luiken‘ (eine roth gestreifte Sorte), unter den Birnen die deutsche oder Champagner-Bratbirne, Wolfsbirne die beliebtesten. Maßgebend bei der Auswahl des zum Most geeigneten Obstes ist der Zuckergehalt, da je von dem Reichthum desselben die Güte und Haltbarkeit des Obstmostes abhängig werden. Vor Allem kommt es darauf an, daß namentlich das späte Herbst- und Winterobst mit weinsäuerlichem Geschmack nach der Ernte, mit einem Tuch oder mit Säcken bedeckt, an trockenen Orten gelagert wird, damit es die ‚Lagerreife‘ erhält, welche sich durch die veränderte Farbe des Obstes anzeigt. Ferner ist das Mischen des Obstes mit weinsäuerlichen Aepfeln oder rauhen Birnen bei allen denjenigen Sorten zu empfehlen, welche einen süßen oder herbsüßen Geschmack haben, oder weichteigig sind, da der Most der letzteren sonst leicht schwer, dickflüssig oder zäh wird.
Ist das Obst gebrochen und hat es die nöthige Lager- oder Hochreife erlangt, so wird es in den steinernen Mahltrog oder, wie man auf dem Lande sagt, ‚Werkeltrog‘ geschüttet. In demselben zerquetscht das Obst (wie das unsere Abbildung darstellt) ein Mahlstein, durch den eine nicht selten zwanzig Fuß lange Stange geht, mittels welcher der Stein durch stoßende und schiebende Knechte und Mägde in Bewegung gesetzt wird. Nachdem der Stein in dem bogenförmigen Mahltrog einige Male hin- und hergelaufen, wird das zur Seite gedrängte Obst in die Mitte geschaufelt, dann wieder gequetscht und so lange damit fortgefahren, bis das Obst fein ‚gewerkelt‘ ist. Dieser Obstbrei heißt ‚Troß‘. Das Quetschen in Mahltrögen findet heutzutage nur noch da Anwendung, wo es sich um geringe Mengen von Obst handelt, da man bei großen Quantitäten sich der Obstmühlen bedient. Die Ansicht, daß man bei Bereitung des Obstmostes Wasser zusetzen müsse, hört man oft und namentlich von der Mehrzahl der Mostfabrikanten aussprechen. ‚Der Most werde dadurch besser und haltbarer, während er ohne Wasserzuschuß zu zähe und dickflüssig würde,‘ erklären sie. Bei Frühobst und süßen Obstsorten mag eine Wasserzugabe zu entschuldigen sein, wenn man nämlich keine weinsäuerlichen, rauhen Sorten zum Mischen besitzt, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Im Uebrigen ist die Ansicht jedoch durchaus falsch, ihre Ausführung nichts Anderes als ein Vervielfältigungsproceß auf Kosten der Qualität des Getränks.
Das ‚gewerkelte‘ Obst, der ‚Troß‘, wird nun aus dem Mahltrog mittels ‚Gölten‘ (eine Art flacher Kübel) geschöpft und in die Presse (Kelter) gebracht (die wir auf unserer Illustration zur Linken des Beschauers unter dem kleinen Vordach erblicken). In anderen Gegenden, wie am Main, in Frankreich, namentlich in der Normandie, bedient man sich jedoch vorher eines anderen Verfahrens, das dem unsrigen vorzuziehen sein soll. Dort nämlich wird der ‚Troß‘ nicht unmittelbar nach dem Zermalmen in die Presse gebracht, sondern man läßt ihn bei warmer Temperatur fünf bis sechs Tage, bei kalter zehn bis zwölf Tage in Kufen stehen, wo er die erste stürmische Gährung durchmacht; man nennt dies Verfahren ‚Aufnehmenlassen‘. Der bekannte Frankfurter ‚Aeppelwein‘ wird ebenfalls mittels ‚Aufnehmenlassen‘ behandelt, doch setzt man den Troß nur einen bis zwei Tage der stürmischen Gährung aus.[1] Nachdem der Troß den nöthigen Grad des Aufnehmens erreicht hat, nimmt man den Ablaß vor und bringt die groben, zurückbleibenden Theile unter die Presse, welche letztere alsdann einen geringeren Most liefern. Unter den Pressen sind die bekanntesten: die Baum- oder Hebel- und die Spindelpressen, von welchen letzteren die eisernen wegen ihrer bedeutenden Druckkraft den hölzernen vorzuziehen sind. In holzarmen Gegenden werden die zurückbleibenden Trebern getrocknet, als Brennmaterial verwerthet und leisten dadurch einen nicht unbedeutenden Nutzen.
Beim Einfüllen des Mostes in Fässer müssen diese letzteren durchaus gut, rein und schimmelfrei sein. Im Keller tritt dann je nach der Behandlung die Unter- oder die Obergährung ein. Bei ersterer wird das Faß nicht völlig gefüllt, der Spund nur leicht aufgesetzt und erst nach Beendigung der geistigen Gährung nachgefüllt, ein Verfahren, wodurch der Most gehaltreicher wird. Bei der Obergährung wird dagegen das Faß spundvoll gefüllt und das Spundloch offen gelassen, aus dem dann die bewegte Flüssigkeit während des Gährung die Trebertheile und Unreinigkeiten auswirft. Getrunken kann der Most werden, so wie er aus der Presse kommt. Er hat dann ein trübes, braunes Aussehen und schmeckt angenehm süß. Nachdem er ungefähr acht Tage lang im Fasse gegährt hat, ist er ‚räs‘ (von bitter-saurem Geschmack), wo er vielen Mosttrinkern am besten mundet, anderen aber, welche den Geschmack nicht gewohnt sind, die Lippen zusammenzieht.“
„‘S isch eppes Gut’s, so e räser Moscht,“ schloß mein Freund seine gründliche Belehrung und schnalzte, in Anticipation künftiger Mostgenüsse, vor Vergnügen mit der Zunge.
Vor Degerloch dehnte sich eine Obstbaumallee aus, an deren beiden Seiten sich schmucke Obstgärten auf grünem Plan hinzogen. „Seit Jahren,“ begann mein Begleiter wieder, „haben wir eine solche Fülle von Obst auf unseren Bäumen nicht gesehen.“ Und in der That, es war ein prächtiger Anblick! Wie mit vollen Händen hatte hier die Natur gespendet. Der überaus reiche Segen des Jahres drückte die Zweige bis tief zur Erde nieder und überall sah man Stützen angebracht, um den Aesten die schwere Last zu erleichtern, damit sie darunter nicht zusammenbrächen.
Die rothen Dächer von Degerloch, einem hoch auf dem Berge gelegenen Kirchdorfe, das ein Lieblingsort der Stuttgarter ist, tauchten aus dem Obstwalde auf. Ueberall sah man Mägde mit Obstkörben unter den Bäumen, welche geschüttelt und so von der schweren Last befreit wurden. Vor einem der Häuser wurde eben gemostet – es war genau die Scene, wie sie der Künstler im Bild festgehalten hat. Ein Lärmen, Singen, Rufen, Lachen scholl herüber. Und doch sah man an den straffen, angestrengten Bewegungen der Arbeiter, daß das Mosten nichts Leichtes sei. Es schien, als ob Alle nur zum Vergnügen arbeiteten und das Mosten zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehöre. Auf und ab gingen die Mägde mit dem Obst und schleppten es zum „Werkeltrog“, vor dem die Knechte mit dem alten Bauer lachend und scherzend den Mahlstein bewegten. Zwei Mägde waren an die beiden Enden des Mahltrogs postirt, um das „Gewerkelte“ zusammen zu schaufeln, welches später ein Knecht auszupressen hatte. Auch seine Arbeit war keine leichte, ja, wohl die schwerste. Dennoch sang er: „Do!“ und während er den Schwengel der Presse mit allen Kräften an sich zog, machte er eine gewaltig lange Pause. Dann, beim Aufwirbeln der Spindel, sang er weiter: „Schau i mei herztausige Schatz“ und sah dabei nach der schmucken, jungen
[669][670] Magd herüber, welche vorn am Werkeltrog arbeitete. Die andern Knechte hatten das langgezogene „Do“ und das darauf folgende „Schatz“ gehört und unterbrachen den Sänger mit lautem Lachen und derben Scherzen.
Als wir im „Löwen“ die Flasche vorjährigen Bratbirnenmostes leerten, der wie Champagner lebendig moussirte und vortrefflich schmeckte, versöhnte ich mich mit dem Most. Der Wirth erzählte uns, wie die sorgfältig ausgelesenen grünen Bratbirnen, die an und für sich von rauhem Geschmack seien, behufs der Lagerreife auf drei bis vier Fuß hohe Haufen zusammen getragen, nach dem Gelb- und Weichwerden zermalmt würden und dann der Most in „Kufen“ über den Trebern die stürmische Gährung durchzumachen hätte. Nach dem Ablassen werde er in Fässer und frühzeitig aus diesen in Flaschen gefüllt, deren Kork man mit Draht festschnüre. Die Flaschen seien zu legen, damit der Kork stets feucht erhalten bleibe.
Wie ich den Wirth fragte, ob anderer Most lange in den Fässern liegen bleibe, antwortete er mir: „Selte, denn die Schwabe trinket ihren Moscht meischtens frühzeitig aus.“
- ↑ Diejenigen Leser, welche sich über unsern Gegenstand genauer unterrichten wollen, machen wir auf die vortreffliche Brochüre „Rathsschläge zur zweckmäßigen Bereitung des Obstmostes, von Oberlehrer Schlipf in Hohenheim (Stuttgart, Ebner und Seubert)“ aufmerksam.